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[Keine Antwort.]

Herr Dubost, haben Sie noch Fragen, die Sie in einer weiteren Vernehmung stellen wollen?

M. DUBOST: Ich habe keine weiteren Fragen zu stellen, Herr Vorsitzender.

VORSITZENDER: Die Zeugin kann den Raum verlassen.

[Die Zeugin verläßt den Zeugenstand.]

M. DUBOST: Mit Genehmigung des Gerichtshofs werden wir nun den Zeugen, Herrn Veith, vernehmen.

VORSITZENDER: Laden Sie diesen Zeugen wegen der Behandlung der Internierten in Konzentrationslagern vor?

M. DUBOST: Ja, Herr Vorsitzender, und auch deshalb, weil dieser Zeuge uns Auskunft über die Behandlung geben kann, deren Opfer gewisse Kriegsgefangene in den Interniertenlagern waren. Es handelt sich nicht nur um Konzentrationslager und um Zivilisten als Opfer übler Behandlung in diesen Konzentrationslagern, sondern um Soldaten, die in die Konzentrationslager gebracht wurden und dort die gleiche Behandlung erfuhren wie Zivilisten.

VORSITZENDER: Sie dürfen aber die Tatsache nicht aus dem Auge verlieren, daß fast kein Kreuzverhör der Zeugin stattgefunden hat, die Sie über die Behandlung in den Konzentrationslagern vorgeladen haben. Der Gerichtshof, glaube ich, ist der Meinung, daß man sich mit der Behandlung in den Konzentrationslagern in allgemeinerer Form befassen sollte, als dies bei der letzten Zeugin der Fall war. Hören Sie, was ich sage?

M. DUBOST: Ja, ich verstehe ganz gut.

VORSITZENDER: Der Gerichtshof glaubt, daß man die Frage der Behandlung in Konzentrationslagern jetzt allgemeiner behandeln könnte, nachdem wir die Einzelheiten von den bereits vorgeladenen Zeugen gehört haben.

[Der Zeuge Jean Frédéric Veith betritt den Zeugenstand.]

M. DUBOST: Ist der Gerichtshof mit diesem Zeugen einverstanden, oder ist sein Wunsch, daß...

VORSITZENDER: Sicher.

[Zum Zeugen gewandt:]

Wie heißen Sie?

ZEUGE JEAN FREDERIC VEITH: Jean Frédéric Veith.

VORSITZENDER: Wollen Sie mir diesen Eid nachsprechen? Ich schwöre, daß ich ohne Haß und Furcht die Wahrheit, die ganze Wahrheit und nichts als die Wahrheit sprechen werde.

[Der Zeuge spricht die Eidesformel nach.]

Erheben Sie die rechte Hand und sagen Sie: Ich schwöre.

VEITH: Ich schwöre.

VORSITZENDER: Wollen Sie sich setzen? Möchten Sie bitte Ihren Namen buchstabieren.

VEITH: Jean Frédéric Veith. Ich bin am 28. April 1903 in Moskau geboren.

M. DUBOST: Besitzen Sie die französische Staatsangehörigkeit?

VEITH: Ich bin französischer Staatsangehöriger und stamme von französischen Eltern.

M. DUBOST: In welchem Lager waren Sie interniert?

VEITH: In Mauthausen, vom 22. April 1943 bis zum 22. April 1945.

M. DUBOST: Wissen Sie Bescheid über die Arbeit, die in den Fabriken geleistet wurde, die die Luftwaffe mit Material belieferten? Wer kontrollierte diese Fabriken?

VEITH: Ich gehörte seit Juni 1943 zum Arbeitseinsatz Mauthausen und war deshalb über alle Arbeitsfragen auf dem laufenden.

M. DUBOST: Wer kontrollierte die Fabriken, die für die Luftwaffe arbeiteten?

VEITH: In Mauthausen gab es Außenlager, in denen Arbeiter arbeiteten, bei Heinkel, Messerschmitt, Alfa- Wien, Saurer-Werke. Weiterhin gab es den Bau des Tunnels am Leibl-Paß, der von der Gesellschaft »Alpine Montan« ausgeführt wurde.

M. DUBOST: Wer hat diese Arbeit kontrolliert? Waren es Aufseher oder Ingenieure?

VEITH: Es gab nur eine SS-Aufsicht. Die Arbeit selbst wurde von den Ingenieuren und von den Firmen selbst kontrolliert.

M. DUBOST: Gehörten diese Ingenieure der Luftwaffe an?

VEITH: Ich habe an gewissen Tagen Offiziere der Luftwaffe gesehen, die die Messerschmitt-Werkstätten, die sich im Steinbruch befanden, besuchten.

M. DUBOST: Haben Sie den Zustand der Internierten feststellen können?

VEITH: Ja, bestimmt.

M. DUBOST: Haben Sie irgendwelche Nazi-Persönlichkeiten gesehen, die das Lager besichtigten?

VEITH: Ich sah zahlreiche Persönlichkeiten, unter anderen Himmler, Kaltenbrunner, Pohl, Maurer, den Leiter des Amtes D II im Reichssicherheitshauptamt und zahlreiche andere Besucher, deren Namen mir unbekannt sind.

M. DUBOST: Wer hat Ihnen gesagt, daß Kaltenbrunner gekommen sei?

VEITH: Unsere Büros lagen gegenüber dem freien Platz, an dem sich die Kommandantur befand, und wir sahen daher die Persönlichkeiten ankommen, und die SS selbst sagte uns: »Das ist dieser und dieser«.

M. DUBOST: Konnte die Zivilbevölkerung die Lebensbedingungen der Internierten kennen, und kannte sie diese tatsächlich?

VEITH: Sie konnte darüber Bescheid wissen, weil es in Mauthausen in der Nähe des Steinbruches eine Straße gab, und von dieser Straße aus konnte man alles sehen, was sich abspielte. Außerdem hatten die Häftlinge, die zwar in den Fabriken getrennt von den Arbeitern arbeiteten, mit ihnen doch einen gewissen Kontakt, und man konnte sich sehr gut ein Bild von ihrer Lage machen.

M. DUBOST: Können Sie uns etwas über die Fahrt eines Autobusses zu einem unbekannten Schloß sagen? Er soll voll Internierter gewesen sein, die man niemals wieder gesehen hat.

VEITH: Zu einem gewissen Zeitpunkt wurden in Mauthausen Einspritzungen vorgenommen, um die Kranken zu beseitigen. Es war dies vor allem das Werk des Dr. Krebsbach, der von den Gefangenen Dr. Spritzbach genannt wurde, weil er das Spritzverfahren eingeführt hatte. Zu einer bestimmten Zeit hörte man mit den Einspritzungen auf. Zu dieser Zeit wurden die Leute, die zu krank oder zu schwach waren, in ein Schloß geschickt, das, wie wir später erfuhren, Hartheim hieß und das amtlich als Genesungslager bezeichnet wurde. Alle die Menschen, die dorthin kamen, sind nie mehr zurückgekommen, und wir erhielten die Totenlisten direkt von der Politischen Abteilung des Lagers. Diese Listen waren geheim. Alle diejenigen, die in Hartheim gewesen sind, sind tot. Die Zahl beträgt ungefähr 5000.

M. DUBOST: Haben Sie die Kriegsgefangenen in Mauthausen eintreffen sehen?

VEITH: Sicherlich habe ich Kriegsgefangene gesehen. Im Lager von Mauthausen kamen die Leute zuerst vor der Politischen Abteilung an. Da ich am Hollerith arbeitete, konnte ich es sehen, denn die Büros gingen auf den großen Platz hinaus, der sich vor der Politischen Abteilung befand, wo die Transporte ankamen. Diese Transporte wurden sofort sortiert. Ein Teil wurde zur Registrierung ins Lager geschickt. Sehr häufig wurden einige uniformierte Häftlinge beiseite gestellt. Diese wurden schon in der Politischen Abteilung besonders roh behandelt. Sie wurden danach direkt den Gefangenenwärtern übergeben, und man hörte nie wieder von ihnen. Sie wurden im Lager nicht registriert. Die einzige Registrierung wurde in der Politischen Abteilung von Müller vorgenommen, der sich mit diesen Gefangenen besonders zu befassen hatte.

M. DUBOST: Handelte es sich um Kriegsgefangene?

VEITH: Es waren Kriegsgefangene, die sehr oft Uniform trugen.

M. DUBOST: Leute welcher Staatsangehörigkeit?

VEITH: Besonders Russen und Polen.

M. DUBOST: Wurden sie ins Lager gebracht, um dort getötet zu werden?

VEITH: Sie wurden in unser Lager zur Aktion K gebracht.

M. DUBOST: Was wissen Sie über diese Aktion K und wie haben Sie es erfahren?

VEITH: Meine Kenntnis dieser Aktion K ist durch meine leitende Tätigkeit im Hollerithamt in Mauthausen bedingt. Hierdurch erhielt ich sämtliche Überweisungsblätter der verschiedenen Lager. Gefangene, die irrtümlicherweise bei uns als gewöhnliche Gefangene eingeliefert waren, schrieben wir auf ein Überweisungsblatt, das wir zum Hauptamt in Berlin senden mußten. Allerdings haben wir keine Nummer eingesetzt, weil wir sie nicht angeben konnten. Die politische Leitung gab uns keine Angaben und zerriß sogar die Namensliste, wenn sie uns durch Zufall zugegangen war.

Aus Gesprächen mit Kameraden der Politischen Abteilung stellte ich fest, daß diese Aktion K in erster Linie solche Kriegsgefangene betraf, die bei Fluchtversuchen festgenommen worden waren. Später wurde diese Aktion auch auf verhaftete Militärpersonen ausgedehnt, hauptsächlich auf wiedereingefangene Offiziere, die in den von Deutschen kontrollierten Ländern erneut aufgegriffen worden waren.

Außerdem konnte jede Person, die sich einer Betätigung hingab, von der man annahm, daß sie nicht im Einklang mit den Wünschen der leitenden Nazis sei, dieser Aktion K unterworfen werden. Diese Gefangenen kamen in Mauthausen an und verschwanden sogleich, das heißt, sie wurden ins Gefängnis eingeliefert, wo sie zum Teil sofort hingerichtet, zum Teil in den Gefängnisanbau, den berüchtigten Block 20 von Mauthausen, geschickt wurden, weil das Gefängnis zu klein geworden war.

M. DUBOST: Sprechen Sie von Kriegsgefangenen?

VEITH: Zum größten Teil handelte es sich um Kriegsgefangene.

M. DUBOST: Wissen Sie über die Hinrichtungen von kriegsgefangenen Offizieren Bescheid, die in das Lager Mauthausen gebracht worden waren?

VEITH: Ich kann Ihnen keine Namen angeben, aber sie fanden statt.

M. DUBOST: Haben Sie die Hinrichtung von alliierten Offizieren gesehen, die innerhalb 48 Stunden nach ihrer Ankunft im Lager erfolgte?

VEITH: Ich sah die Ankunft des Transportes vom 6. September. Ich glaube, Sie wollen von diesem sprechen. Ich beobachtete die Ankunft dieses Transports. Am selben Nachmittag wurden diese 47 in den Steinbruch gebracht. Sie waren nur mit Hemd und Unterhose bekleidet. Kurz danach hörte man Maschinengewehrfeuer. Ich bin nach rückwärts aus dem Büro hinausgegangen, indem ich vortäuschte, Akten in ein anderes Büro zu bringen, und habe mit eigenen Augen gesehen, daß diese armen Unglücklichen niedergemacht worden waren. 19 wurden an diesem Nachmittag und die anderen am nächsten Morgen hingerichtet. Alle Todesscheine wurden dann mit dem Vermerk »Auf der Flucht erschossen« versehen.

M. DUBOST: Besitzen Sie die Namensliste?

VEITH: Ja, ich besitze eine Abschrift der Liste dieser Gefangenen.