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[Das Gericht vertagt sich bis 14.00 Uhr.]

Nachmittagssitzung.

GERICHTSMARSCHALL: Hoher Gerichtshof! Wir bitten, davon Kenntnis zu nehmen, daß der Angeklagte Kaltenbrunner wegen Krankheit bei der heutigen Nachmittagssitzung nicht anwesend sein wird.

VORSITZENDER: Sie können fortfahren, Herr Dubost.

M. DUBOST: Wir werden den Zeugen Veith zu Ende vernehmen, an den ich nur noch einige wenige Fragen zu richten habe.

VORSITZENDER: Bringen Sie den Zeugen herein.

M. DUBOST: Sie werden jetzt Ihre weiteren Aussagen machen unter dem Eid, den Sie heute vormittag geleistet haben.

Wollen Sie einige zusätzliche Angaben machen über die von Ihnen beobachteten Hinrichtungen der 45 alliierten Offiziere im Lager Mauthausen, die 48 Stunden nach deren Einlieferung stattfand?

VEITH: Diese Fallschirmoffiziere wurden nach dem üblichen System getötet, das angewandt wurde, wenn man Häftlinge beseitigen wollte. Sie mußten Arbeit verrichten, die über ihre Kräfte ging: man ließ sie Steine tragen, schlug sie, bis sie einen schwereren Stein aufnahmen und so fort, bis sie zum äußersten getrieben, sich dem Stacheldraht näherten. Wenn sie nicht freiwillig gingen, wurden sie getrieben; man schlug sie, bis sie hingingen, und in dem Augenblick, in dem sie sich dem Stacheldraht näherten und vielleicht noch einen Meter davon entfernt waren, wurden sie von den SS-Posten aus den Wachtürmen durch Maschinengewehrgarben niedergestreckt. Das war das übliche System für das, was man in der Folge mit »auf der Flucht erschießen« bezeichnete.

Diese 47 Männer wurden am Nachmittag des 6. September und am Morgen des 7. September umgebracht.

M. DUBOST: Wie haben Sie ihre Namen erfahren?

VEITH: Ich habe ihre Namen aus der amtlichen Liste erfahren, da sie in Lagerlisten eingetragen worden waren. Da ich alle Änderungen im Personalbestand an die Hollerithabteilung nach Berlin weitergab, hatte ich in alle Totenlisten und Listen der Neuankömmlinge Einblick.

M. DUBOST: Haben Sie diese Listen an irgend eine amtliche Stelle weitergeleitet?

VEITH: Diese Listen haben die amerikanischen Stellen an sich genommen, zu einer Zeit, als ich noch in Mauthausen war. Nach meiner Befreiung bin ich sofort nach Mauthausen zurückgekehrt, da ich ja über die Dokumente Bescheid wußte; die amerikanischen Stellen waren damals im Besitz sämtlicher Listen, die wir auffinden konnten.

M. DUBOST: Ich habe keine weiteren Fragen an den Zeugen zu stellen.

VORSITZENDER: Wünscht die britische Anklagevertretung irgendwelche Fragen zu stellen?

BRITISCHER ANKLAGEVERTRETER: Nein.

VORSITZENDER: Wünscht die amerikanische Anklagevertretung irgendwelche Fragen zu stellen?

AMERIKANISCHER ANKLAGEVERTRETER: Nein.

VORSITZENDER: Wünscht irgend jemand von den Verteidigern irgendwelche Fragen zu stellen?

RA. BABEL: Herr Vorsitzender! Ich war am Samstag im Lager Dachau und gestern im Lager Augsburg- Göggingen. Ich habe da verschiedene Erfahrungen gemacht, die mich jetzt in die Lage versetzen, Fragen an einzelne Zeugen zu richten, wozu ich vorher nicht in der Lage war, nachdem ich die örtlichen Verhältnisse nicht gekannt habe.

Ich möchte eines fragen:

Ich war heute vormittag durch eine Besprechung, um die mich Herr General Mitchell gebeten hatte, verhindert, anwesend zu sein und konnte infolgedessen der Vernehmung des Zeugen heute vormittag nicht beiwohnen. Ich gestatte mir nun anzufragen – ich möchte nur eine Frage jetzt an den Zeugen richten – ob mir dann gestattet wird, später den Zeugen weiterhin ins Kreuzverhör zu nehmen, oder ob es zweckmäßig wäre, diese Frage jetzt zurückzustellen.

VORSITZENDER: Sie können das Kreuzverhör jetzt vornehmen. Der Gerichtshof weiß, daß Sie General Mitchell um 10.15 Uhr verlassen haben.

RA. BABEL: Auf Grund der Besprechung mußte ich ein Telegramm aufgeben und andere dringende Sachen im Anschluß daran erledigen, so daß es mir also nicht möglich war, noch zur Sitzung zu erscheinen.

VORSITZENDER: Sie können selbstverständlich das Kreuzverhör jetzt vornehmen.

RA. BABEL: Ich hätte nur eine Frage zunächst, und zwar die: der Zeuge hat gesagt, daß die betreffenden Offiziere an den Stacheldraht getrieben wurden. Von wem wurden sie an den Drahtzaun getrieben?

VEITH: Sie wurden durch die SS-Begleitmannschaft an den Stacheldraht getrieben, und der gesamte Stab von Mauthausen war zugegen. Sie wurden sowohl von der SS als auch von einem oder zwei dabeistehenden grünen Gefangenen, also von den Kapos, geschlagen. Diese grünen Häftlinge waren in den Lagern oft schlimmer als die SS selbst.

RA. BABEL: Also innerhalb des Lagers in Dachau, des eigentlichen Lagers, innerhalb des Drahtzaunes, waren fast überhaupt keine SS-Wachen; und es wird in Mauthausen wohl auch der Fall gewesen sein; jedenfalls...

VEITH: Im Innern des Lagers Mauthausen gab es nur eine gewisse Anzahl von SS-Leuten; sie wechselten jedoch ab und alle, die zu den Wachmannschaften gehörten, mußten über die Vorgänge im Lager unterrichtet sein; denn, wenn sie auch nicht bis ins Lagerinnere kamen, so versahen sie doch ihren Wachdienst auf den Türmen und um das Lager und beobachteten alles genau.

RA. BABEL: Die Wachen, die dann auf die Gefangenen schossen, waren die innerhalb des Drahtzaunes oder außerhalb des Drahtzaunes?

VEITH: Sie waren auf den Wachtürmen postiert, die auf der gleichen Linie wie die Drahtzäune lagen.

RA. BABEL: Konnten Sie beobachten, daß diese Offiziere von irgend jemandem mit Schlägen dorthin getrieben wurden?

VEITH: Die Wachtposten konnten es so gut beobachten, daß sie es ein- oder zweimal ablehnten zu schießen, weil es ihrer Meinung nach kein Fluchtversuch war. Diese Leute wurden sofort von ihrem Posten entfernt und verschwanden.

RA. BABEL: Haben Sie das selbst beobachtet?

VEITH: Ich habe es nicht selbst gesehen, aber es ist mir unter anderem von meinem Kommandoführer erzählt worden, der sagte: »Da, ein Posten, der sich geweigert hat, zu schießen.«

RA. BABEL: Wer war dieser Kommandoführer? Der Chef der Gruppe?

VEITH: Dieser Kommandoführer war Wielemann. Ich erinnere mich nicht mehr an seinen Rang. Er war nicht Unterscharführer; er war eine Stufe unter dem Unterscharführer und mit der Hollerithabteilung in Mauthausen betraut.

RA. BABEL: Ich habe zunächst keine Frage mehr. Ich werde dann allenfalls den Antrag stellen, den Zeugen von hier aus nochmals zu benennen und dann Gelegenheit nehmen, das Weitere, die weiteren Fragen an ihn zu stellen, die ich für notwendig erachte. Ich bitte, den Zeugen für diesen Zweck hier zu behalten, in Nürnberg. Ich bin heute nachmittag, jetzt, nicht in der Lage, nachdem ich die vormittägige Aussage nicht gehört habe, den Zeugen weiterhin ins Kreuzverhör zu nehmen, weil ich seine Aussage nicht kenne.

VORSITZENDER: Sie hätten doch hier sein sollen. Wenn Sie bei General Mitchell um 10.15 Uhr weggegangen sind, so sieht der Gerichtshof, auf alle Fälle ich, keinen Grund, warum Sie nicht während der Vernehmung dieses Zeugen anwesend sein konnten.

RA. BABEL: Herr Präsident, ich habe heute vormittag mit General Mitchell über einige Fragen gesprochen, die mich seit langer Zeit beschäftigt haben, und Herr General Mitchell hat auch bei unserer Unterredung eingesehen, daß meine Aufgabe und meine Tätigkeit so umfangreich ist, daß es jetzt notwendig wird, für die SS einen zweiten Verteidiger aufzustellen; gerade die Anwesenheit in den Sitzungen ist für meine Arbeitszeit so anstrengend und belastend, daß ich manchmal genötigt bin, der Sitzung nicht beizuwohnen. Es tut mir das selbst leid, aber es läßt sich unter den obliegenden Verhältnissen leider nicht anders machen. Ich möchte noch das sagen: Es haben sich bis jetzt über 40000 Antragsteller der SS mit Anträgen an den Gerichtshof gewandt, darunter allerdings zahlreiche Sammelanträge, also nicht lauter Einzelanträge. Sie können daraus ungefähr ermessen, wie groß das Gebiet ist.

VORSITZENDER: Ohne Zweifel ist Ihre Arbeit sehr umfangreich. Heute morgen jedoch hat, wie ich Ihnen bereits sagte, General Mitchell dem Gerichtshof mitgeteilt, daß seine Unterredung mit Ihnen um 10.15 Uhr beendet war. Der Gerichtshof ist der Ansicht, daß Sie gewußt haben müssen, daß die Zeugen, die heute vormittag verhört wurden, über Konzentrationslager sprechen würden.

Außerdem haben Sie, glaube ich, die Unterstützung eines weiteren Verteidigers, des Herrn Dr. Marx, erhalten, der an Ihrer Stelle erscheinen kann und auch erschienen ist. Er kann den Zeugen jetzt ins Kreuzverhör nehmen, wenn er wünscht. Der Gerichtshof ist der Ansicht, daß Sie das Kreuzverhör dieses Zeugen jetzt zu Ende führen müssen. Ich will damit sagen, daß Sie den Zeugen weiterhin befragen können.

RA. BABEL: Es wird sich nur darum handeln, ob ich eine Frage stellen kann, und das kann ich jetzt im Augenblick nicht und muß dann infolgedessen im Augenblick darauf verzichten, den Zeugen ins Kreuzverhör zu nehmen.

VORSITZENDER: Herr Dubost, vielleicht wünscht noch irgend ein anderer deutscher Verteidiger den Zeugen ins Kreuzverhör zu nehmen? Herr Dubost, wollen Sie dem Gerichtshof etwas sagen?

M. DUBOST: Ich möchte dem Gerichtshof erklären, Herr Präsident, daß wir keinerlei Grund haben, ein Kreuzverhör unseres Zeugen oder des Zeugen von heute morgen zu fürchten, zu keiner Zeit. Wir sind bereit, unsere Zeugen zu bitten, solange in Nürnberg zu bleiben, wie für die Beantwortung der Fragen der Verteidigung notwendig ist.

VORSITZENDER: Sehr gut. Herr Dr. Babel, angesichts des Angebots der französischen Anklagebehörde, den Zeugen in Nürnberg zu behalten, wird der Gerichtshof erlauben, daß Sie im Laufe der nächsten zwei Tage alle Fragen an ihn stellen, die Sie zu stellen wünschen. Haben Sie verstanden?

RA. BABEL: Ja.

DR. KURT KAUFFMANN, VERTEIDIGER DES ANGEKLAGTEN KALTENBRUNNER: Bevor ich die Fragen an den Herrn Zeugen stelle, erlaube ich mir, etwas anzuregen, und ich glaube, es wird für den guten Fortgang der Sache von Wichtigkeit sein. Meine Anregung ist folgende, und ich spreche gleichzeitig im Namen meiner Kollegen, wäre es nicht gut, wenn eine Vereinbarung unsererseits dahin zustande käme, daß sowohl die Anklagebehörde als auch die Verteidiger jeweils einen Tag vor der Vernehmung von Zeugen angeben, welcher Zeuge vernommen werden soll. Das Material ist inzwischen so groß geworden, daß unter Umständen die Unmöglichkeit besteht, sachdienliche Fragen zu stellen, die im Interesse aller dringend erforderlich sind. Was die Verteidigung anlangt, so sind wir bereit, die von uns zu benennenden und zu vernehmenden Zeugen spätestens einen Tag vor der Vernehmung der Anklagebehörde und auch dem Gerichtshof mitzuteilen.

VORSITZENDER: Der Gerichtshof hat bereits dem Wunsche Ausdruck gegeben, vorher von den zu verhörenden Zeugen und von dem Gegenstand des Verhörs in Kenntnis gesetzt zu werden. Der Gerichtshof gibt der Hoffnung Ausdruck, daß die Anklagebehörde diesem Wunsche stattgibt.

DR. KAUFFMANN: Ja, ich danke. Bei der Aussage der Zeugin, die wir heute morgen gehabt haben, und auch bei der Aussage dieses Zeugen, ist ein Punkt von besonderer Wichtigkeit, und dieser Punkt betrifft ein Thema, das von der vielleicht entscheidendsten Bedeutung des gesamten Prozesses ist. Die Anklagevertretung.....

VORSITZENDER: Sie sollen im Augenblick keine Rede halten, sondern an den Zeugen Fragen stellen.

DR. KAUFFMANN: Es betrifft die Frage der Verantwortlichkeit des deutschen Volkes. Der Zeuge hat uns bestätigt, hat gesagt, die Zivilbevölkerung hätte die Dinge wissen können; nun werde ich versuchen, die Wahrheit zu ermitteln, durch eine Reihe von Fragen.

Haben Zivilisten zugesehen, wie Hinrichtungen vorgenommen wurden? Würden Sie mir das beantworten?

VEITH: Sie konnten die längs der Straßen verstreut liegenden Leichen sehen, wenn Gefangene, die unter Bedeckung zurückkehrten, erschossen wurden. Es wurden sogar Leichen aus den Zügen geworfen. Sie konnten sich stets von dem Zustand der Auszehrung der auf Außenkommando arbeitenden Verschleppten überzeugen, sie sahen sie ja.

DR. KAUFFMANN: Ist Ihnen bekannt, daß es bei Androhung der Todesstrafe untersagt war, irgendetwas der Außenwelt mitzuteilen, was in Bezug auf Grausamkeiten, Marterungen und so weiter innerhalb des Lagers vorging?

VEITH: Da ich zwei Jahre in dem Lager verbracht habe, habe ich sie gesehen; einen Teil habe ich selbst gesehen, über andere habe ich von Augenzeugen gehört.

DR. KAUFFMANN: Wollen Sie mir das bitte noch einmal wiederholen? Den Geheimhaltungsbefehl oder, was haben Sie gesehen?

VEITH: Nicht den Befehl – ich habe die Hinrichtungen gesehen, das ist schlimmer.

DR. KAUFFMANN: Meine Frage war die: Ist Ihnen bekannt, daß strengste Anweisungen an das Personal der SS, an die Exekutionsmannschaften usw. ergangen war, wonach nichts gesprochen werden durfte, das heißt innerhalb des Lagers, erst recht nicht außerhalb des Lagers, was in dem Lager an Grausamkeiten usw. vorging, und daß Strafen strengster Art angedroht waren, sogar die Todesstrafe, wenn solche Leute über die Dinge gesprochen haben die sie selbst gesehen hatten? Ist Ihnen über derartige Dinge, über eine solche Praxis etwas bekannt? Vielleicht sagen Sie noch, ob Sie selbst über derartige Beobachtungen sprechen durften?

VEITH: Ich weiß, daß ehemalige Gefangene, die in Freiheit gesetzt wurden, eine Erklärung unterschreiben mußten, daß sie niemals über die Vorgänge sprechen würden und daß sie das, was sich im Lager zugetragen hatte, vergessen müßten. Aber diejenigen, die wieder mit der Bevölkerung in Berührung kamen, und es gab deren viele, haben selbstverständlich darüber gesprochen. Außerdem lag Mauthausen auf einer Anhöhe. Da war das Krematorium, aus dem eine ein Meter hohe Flamme emporschlug. Wenn man jede Nacht eine ein Meter hohe Flamme aus einem Schornstein aufsteigen sieht, ist man natürlich neugierig, zu erfahren, was dahinter steckt, und jedermann mußte wissen, daß das die Flamme des Krematoriums war.

DR. KAUFFMANN: Ich habe keine Frage mehr. Ich danke.

VORSITZENDER: Wünscht noch jemand von der Verteidigung eine Frage zu stellen?

Haben Sie uns gesagt, wer die grünen Gefangenen waren? Sie sprachen von grünen Gefangenen.

VEITH: Ja, die grünen Gefangenen waren gewöhnliche Verbrecher, deren sich die SS als interne Lagerpolizei bediente. Sie waren oft, wie ich bereits sagte, bestialischer als die SS-Leute selbst, deren ausführende Organe sie waren. Sie waren es, welche die Arbeit verrichteten, wenn die SS-Leute sich nicht die Hände dreckig machen wollten; sie verrichteten alle Schmutzarbeit, jedoch stets unter dem Befehl des Kommandoführers. Der Kontakt mit den deutschen Grünen war für alle Lagerinsassen furchtbar, besonders für die politischen Häftlinge, die sie nicht riechen konnten; denn wir waren nicht wie sie; sie verfolgten uns schon allein aus diesem Grunde. In allen Lagern war es dasselbe; in allen Lagern wurden wir von den deutschen Verbrechern, die im Dienste der SS standen, schikaniert.

VORSITZENDER: Wünschen Sie noch irgendeine Frage zu stellen?

M. DUBOST: Ich habe keine weiteren Fragen zu stellen, Herr Präsident.

VORSITZENDER: Der Zeuge kann sich zurückziehen.