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[Der Zeuge legt die Photographie den Mitgliedern des Gerichtshofs vor.]

GENERAL RUDENKO: Ist das die Photographie?

BOIX: Ich kann versichern, daß diese dreißig Überlebenden noch im Jahre 1942 lebten. Aber bei den Lebensbedingungen des Lagers ist es sehr schwer, zu wissen, ob jetzt noch einige von ihnen leben.

VORSITZENDER: Würden Sie bitte das Datum angeben, an dem diese Aufnahme gemacht wurde?

BOIX: Das war Ende des Winters 1941/42. Zu der Zeit waren noch zehn Grad unter Null. Man kann auf der Photographie den Gesichtsausdruck erkennen, den sie wegen der Kälte hatten.

VORSITZENDER: Ist dieses Buch bereits als Beweismittel eingereicht worden?

M. DUBOST: Dieses Buch ist als Beweismittel eingereicht worden, Herr Vorsitzender, als offizielles Beweismittel.

VORSITZENDER: Haben die Verteidiger Kopien davon erhalten?

M. DUBOST: Das Buch wurde als RF-331 vorgelegt. Die Verteidiger haben auch eine Kopie dieses Buches auf deutsch. Die Photographien sind nicht darin enthalten, Herr Vorsitzender.

VORSITZENDER: Bitte, geben Sie diesen Photographien eine Bezeichnung, Herr Dubost. Man sollte sie mit einer französischen Beweisstücknummer bezeichnen.

M. DUBOST: Wir werden ihnen die Nummer RF-333 geben.

VORSITZENDER: Man wird sie in dieser Weise bezeichnen; bitte geben Sie sie an Dr. Babel weiter.

GENERAL RUDENKO: Ich danke. Ich habe keine weiteren Fragen zu stellen.

VORSITZENDER: Bitte geben Sie die Photographie an Dr. Babel weiter.

[Die Photographie wird Rechtsanwalt Babel gezeigt.]

VORSITZENDER: Ich bitte, sie auch den anderen Verteidigern weiterzugeben, falls diese darüber irgendwelche Fragen zu stellen wünschen? Herr Dubost, ich nehme an, daß eine vollständige Kopie dieses Buches, einschließlich der Photographien, bei der Informationsstelle der Angeklagten niedergelegt worden ist.

M. DUBOST: Das gesamte Buch, außer den Photographien.

VORSITZENDER: Warum nicht die Photographien?

M. DUBOST: Weil wir sie damals noch nicht hatten, wir konnten sie deshalb nicht vorlegen. Wir sind in unseren Ausführungen auf die Photos nicht eingegangen.

VORSITZENDER: Die deutschen Verteidiger sollten die gleichen Dokumente haben wie sie dem Gerichtshof als Beweismaterial vorgelegt wurden; aus diesem Grunde hätten sie auch bei der Informationsstelle eingereicht werden sollen.

M. DUBOST: Herr Vorsitzender, wir haben das Buch in französischer Sprache zusammen mit den Photographien, bei der Informationsstelle der Verteidigung niedergelegt, dazu eine Anzahl von Texten in deutscher Sprache, diese ohne die Photographien, weil wir diese Übersetzung für die Verteidiger anfertigen ließen. Aber sie sind im Besitz des französischen Textes, dem die jetzt vorliegenden Photographien beigefügt sind.

VORSITZENDER: Sehr gut.

M. DUBOST: Wir haben hier vier Exemplare der Photographie, die gestern abend im Projektionsapparat gezeigt wurde, und die nach der Zeugenaussage des Herrn Boix Kaltenbrunner und Himmler im Steinbruch von Mauthausen darstellt. Eine dieser Photographien wird der Verteidigung ausgehändigt werden, und zwar dem Verteidiger für Kaltenbrunner.

VORSITZENDER: Nun, ist die Photographie den anderen Verteidigern herumgereicht worden? Wünscht irgendein Verteidiger Fragen an den Zeugen über die Photographie zu stellen?

Keine Frage?

Der Zeuge kann jetzt abtreten.

BOIX: Ich würde gern noch etwas sagen. Ich möchte darauf hinweisen, daß es Fälle gegeben hat, wo Sowjetoffiziere massakriert worden sind. Es dürfte notwendig sein, dies zu betonen, vor allem, weil es sich um Kriegsgefangene handelt. Ich möchte gern, daß mir die Herren Geschworenen gut zuhören.

VORSITZENDER: Was wollen Sie über die Massakrierung von russischen Kriegsgefangenen sagen?

BOIX: Im Jahre 1943 gab es einen Transport von Offizieren. Am selben Tage, an dem sie ankamen, begann der Massenmord mit allen Mitteln. Es scheint aber, daß bezüglich dieser Offiziere ein Befehl von oben kam, des Inhalts, daß etwas Außergewöhnliches zu tun sei.

Nun brachte man sie in den schönsten, am besten gelegenen Block und steckte sie in ganz neue russische Kriegsgefangenenuniformen. Man gab ihnen sogar eine Zigarette und ließ sie in bezogenen Betten schlafen. Sie konnten so viel essen, wie sie wollten. Sie wurden von Sturmbannführer Dr. Bresbach, einem Stabsarzt, untersucht.

Man führte sie zum Steinbruch hinunter, ließ sie aber nur kleine Steine zu vieren tragen und dabei photographierte sie der Dienststellenleiter, Oberscharführer Paul Ricken, mit seiner Leica ununterbrochen. Er machte ungefähr achtundvierzig Aufnahmen. Diese Aufnahmen wurden von mir entwickelt, und je fünf Abzüge in der Größe 13 × 18 wurden mit den Negativen zusammen – es ist schade, daß ich diese Negative nicht wie die anderen stehlen konnte – nach Berlin geschickt.

Nachdem dies beendet war, wurde den Russen ihre saubere Kleidung und überhaupt alles weggenommen, und dann schickte man sie in die Gaskammern. Schon war die Komödie zu Ende. Jedermann konnte auf den Photographien sehen, daß die russischen Gefangenen, die Offiziere und vor allem die politischen Kommissare, gut behandelt und gut verpflegt wurden, kaum arbeiteten, und daß es ihnen gut ging. Das ist etwas, was vermerkt werden mußte, weil ich glaube, daß das notwendig ist.

Ich habe noch eine Frage: Es gab eine Baracke, Baracke 20 genannt. Diese Baracke war im Innern des Lagers, und trotz elektrisch geladener Stacheldrähte, die um das ganze Lager herumliefen, gab es dort noch einmal eine Mauer mit elektrisch geladenen Drähten.

In diesen Baracken waren kriegsgefangene russische Offiziere und Kommissare, einige Slawen, einige Franzosen, und man sagte sogar, einige Engländer. In diese Baracken durfte niemand hineingehen, mit Ausnahme der beiden Führer, die im Lagergefängnis waren, das heißt, der Kommandant des inneren und der des äußeren Lagers. Diese Deportierten waren gekleidet wie wir, in Sträflingstracht, aber ohne Nummer und ohne Nationalitätsabzeichen. Man konnte ihre Nationalitätszugehörigkeit nicht ersehen.

Der Erkennungsdienst mußte sie photographieren. Man hielt ein Schild mit einer Nummer vor ihre Brust, und diese Nummer begann bei 3000 und einiges. Es gab eine Nummer, die einer elf glich, zwei blaue Striche, und die Zahlen fingen bei 3000 an und hörten mit ungefähr 7000 auf. Der Photograph war damals SS-Unterscharführer Hermann Schinlauer. Er stammte aus der Gegend von Berlin, oberhalb Berlins, ich erinnere mich nicht mehr an den Namen. Jener hatte den Befehl, diese Photographien selbst zu entwickeln und alles selbst zu machen. Aber wie alle SS-Leute des inneren Lagerdienstes waren das Menschen, die nichts verstanden. Sie brauchten immer Gefangene, um ihre Arbeit zu machen. Aus diesem Grunde brauchte er mich zum Entwickeln der Filme. Ich war es, der die Vergrößerungen 5 × 7 anfertigte. Sie wurden an den Obersturmführer Karl Schulz in Köln geschickt; das war der Chef der Politischen Abteilung. Er empfahl mir, niemandem etwas davon zu erzählen, daß wir diese selbst entwickelten, sonst würden wir sofort liquidiert. Ohne Rücksicht auf die Folgen habe ich es allen meinen Kameraden erzählt, damit, wenn es einem von uns gelänge, wegzukommen, er es der Welt weitersagen könnte.

VORSITZENDER: Ich glaube, wir haben über die Einzelheiten, die Sie uns jetzt angeben, genug gehört, kommen Sie zur Sache zurück, von der Sie sprachen. Ich möchte, daß Sie wieder von den russischen Kriegsgefangenen im Jahre 1943 sprechen. Die Offiziere wurden in den Steinbruch gebracht, um sehr schwere Steine zu schleppen.

BOIX: Nein, durchaus nicht. Ganz kleine Steine, die nicht einmal zwanzig Kilo wogen, und zwar zu viert, um auf der Photographie zeigen zu können, daß die russischen Offiziere keine schwere, sondern leichte Arbeit zu leisten hatten. Das war nur für die Photographien, während es in Wirklichkeit ganz anders war.

VORSITZENDER: Ich dachte, Sie sagten, sie schleppten große, schwere Steine.

BOIX: Nein.

VORSITZENDER: Wurden die Aufnahmen gemacht während sie in ihren Uniformen diese leichten Steine schleppten?

BOIX: Sie hatten saubere und ordentliche Uniformen an, um zeigen zu können, daß die russischen Gefangenen sehr gut behandelt wurden, wie es sich gehörte.

VORSITZENDER: Sehr gut. Gibt es irgendeinen anderen Vorfall, den Sie vorbringen wollen?

BOIX: Ja, und zwar von Block 20. Auf Grund meiner photographischen Kenntnisse gelang es mir, ihn zu sehen. Ich hatte meinem Chef bei der Beleuchtung geholfen während er photographierte, und so habe ich jede Einzelheit, alles, was in dieser Baracke passierte, verfolgt. Es war ein inneres Lager. Diese Baracke war, wie alle anderen, sieben Meter breit und fünfzig Meter lang. Darin waren 1800 Häftlinge, und diese erhielten an Nahrung nicht einmal den vierten Teil von dem, was wir bekamen. Sie hatten keine Löffel und keine Teller; man entleerte große Kessel mit angefaulter Nahrung in den Schnee und wartete, bis sie zu gefrieren begann; dann wurde den Russen befohlen, sich darauf zu stürzen. Die Russen waren derart hungrig, daß sie sich rauften, um dies essen zu können. Die SS benützten den Wirrwarr, um einige von ihnen mit Knütteln zu schlagen.

VORSITZENDER: Wollen Sie sagen, daß Russen unmittelbar in den Block 20 gebracht wurden?

BOIX: Die Bussen betraten das Lager nicht unmittelbar. Diejenigen, die nicht sofort vergast wurden, gingen direkt in die Baracke 20. Selbst der Blockführer des inneren Lagers durfte dort nicht hinein. Sie kamen in mehreren kleinen Transporten von je fünfzig und sechzig Mann in der Woche und man konnte immer die Rauferei von innen heraushören.

Als die Russen Januar 1945 erfuhren, daß die sowjetischen Armeen sich Jugoslawien näherten, versuchten sie ihr Glück zum letzten Male. Sie nahmen die Feuerlöscher und brachten dann die Soldaten eines Wachtpostens um, der unter dem Beobachtungsturm war. Sie nahmen die Maschinengewehre und alles, was ihnen als Waffe dienen konnte. Sie nahmen Decken und alles, was sie nur konnten. Es waren siebenhundert, von denen es nur zweiundsechzig gelang, mit den Partisanen nach Jugoslawien zu entkommen.

Der Lagerkommandant, Franz Ziereis, gab an diesem Tage durch Radio den Befehl an alle Zivilisten, bei der »Liquidierung« der aus dem Konzentrationslager entflohenen russischen Verbrecher mitzuhelfen. Er erklärte, daß derjenige, der den Nachweis erbringen könne, daß er einen von diesen Menschen umgebracht habe, eine beträchtliche Menge von Marken erhalten werde. Deshalb machten sich alle Nazi-Partisanen in Mauthausen an diese Aufgabe. Es gelang ihnen, mehr als sechshundert Entflohene zu erschlagen, zumal manche Russen nicht in der Lage waren, sich mehr als zehn Meter weit fortzuschleppen.

Nach der Befreiung ist einer dieser russischen Überlebenden nach Mauthausen gekommen, um zu sehen, wie alles geworden war. Und er war es, der uns alle Einzelheiten seines mühsamen Marsches erzählt hat.

VORSITZENDER: Ich glaube nicht, daß der Gerichtshof weitere Einzelheiten hören will. Wünscht irgendein Verteidiger eine Frage an den Zeugen zu richten über das, was er soeben vorgebracht hat?

RA. BABEL: Nur eine Frage! Sie haben im Verlauf Ihrer Aussagen Zahlen genannt, einmal einhundertfünfundsechzig, einhundertachtzig und jetzt siebenhundert. Waren Sie denn in der Lage, das selbst zu zählen?

BOIX: Fast immer betraten diese Transporte das Lager in Fünferreihen. Das war sehr leicht zu zählen. Diese Transporte wurden immer von der Wehrmacht aus den Wehrmachtsgefängnissen geschickt, irgendwoher aus Deutschland. Sie waren von allen Gefängnissen Deutschlands hergeschickt und kamen sowohl von der Wehrmacht und der Luftwaffe als auch vom SD oder von der SS her.

VORSITZENDER: Wollen Sie bitte nur die Fragen beantworten und keine Reden halten. Sie sagten, daß sie in Fünferreihen hineingebracht wurden, und daß es leicht war, sie zu zählen.

BOIX: Es war sehr leicht, sie zu zählen, besonders für diejenigen, die imstande sein wollten, es eines Tages zu berichten.

RA. BABEL: Hatten Sie denn soviel Zeit, das alles zu beobachten?

BOIX: Die Transporte kamen immer abends, nach dem Einzug der Deportierten, in das Lager. Zu der Zeit hatte man immer zwei bis drei Stunden Zeit im Lager in Erwartung des Glockenzeichens, das uns zum Schlafengehen nötigte.

VORSITZENDER: Der Zeuge kann sich entfernen.