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[der Zeuge zeigt die Narben]

und rissen mir auch da das Fleisch los. Dann brach ich aber zusammen, und plötzlich fühlte ich, daß ich auf der rechten Seite wie gelähmt war. Wie sich später herausstellte, hatte ich einen Blutsturz im Gehirn. Und ich sah alles doppelt. Ich sah jeden Gestapoagenten doppelt und alles drehte sich um mich herum. Dieses doppelte Sehen habe ich jahrelang gehabt, und wenn ich müde werde, kommt es immer wieder. Es geht mir aber jetzt besser, so daß ich mich auf der rechten Seite wieder bewegen kann, aber ich bin... die rechte Seite ist davon ein bißchen in Mitleidenschaft gezogen.

Ja, an diese Nacht kann ich mich nicht mehr recht erinnern, aber die anderen Gefangenen, die die Korridore im Gefängnis reinigen mußten, hatten gesehen, wie sie mich am Morgen zurückbrachten, ungefähr um 6.00 Uhr morgens muß das gewesen sein. Sie dachten, ich sei tot, da ich keine Eisenfesseln an meinen Händen hatte. Ich weiß nicht, ob ein oder zwei Tage verflossen sind, eines Tages konnte ich mich jedenfalls wieder bewegen, und mir war ein bißchen klarer. Dann war der Wachtposten sofort in meiner Zelle, wo ich auf meiner Pritsche lag inmitten meines Blutes und Erbrechens, dann kam endlich ein Arzt.

Er hatte meiner Ansicht nach einen ziemlich hohen Rang. Welchen Rang, kann ich nicht genau sagen. Er sagte mir, daß ich wahrscheinlich sterben würde, besonders wenn ich nicht... Ich fragte ihn: »Könnten Sie mich nicht in ein Krankenhaus bringen lassen, weil...« Er sagte: »Nein, Irrsinnige soll man nicht in ein Krankenhaus bringen, bevor sie nicht tun, was wir wollen. Wie alle Norweger sind Sie irrsinnig.«

Also, mein Arm wurde wieder eingerenkt. Das tat sehr weh, aber zwei Soldaten hielten mich und sie drehten ihn ein. Ich wurde wieder ohnmächtig. So verfloß die Zeit, und ich hatte etwas Ruhe. Ich konnte nicht gehen, weil sich alles umzudrehen schien. Also blieb ich auf der Pritsche liegen. Eines Tages, wahrscheinlich Ende Februar oder Mitte Februar 1942, kamen sie nachts wieder. Es muß gegen 10.00 Uhr abends gewesen sein, denn das Licht in meiner Zelle war schon ziemlich lange aus. Ich wurde aufgefordert aufzustehen; ich versuchte es, fiel aber wieder um infolge der Lähmung. Daraufhin traten sie mich, aber ich sagte: »Wäre es nicht besser, wenn Sie mich umbrächten, weil ich mich nicht mehr bewegen kann?«

Ich wurde also aus der Zelle herausgeschleppt und wiederum nach der Viktoria-Terrasse gebracht, dem Hauptquartier, wo die Verhöre stattfanden. Diesmal wurde das Verhör von einem SS-Mann, namens Stehr, geleitet. Ich konnte nicht stehen, also lag ich nackt, wie ich war, auf dem Fußboden. Dieser Stehr hatte vier oder fünf Gestapoagenten als Helfer. Sie fingen an, auf mir herumzutrampeln und mich zu treten; plötzlich stellten sie mich wieder auf meine Füße und brachten mich zu einem Tisch, an dem Stehr saß. Er nahm meine linke Hand etwa so – [der Zeuge zeigt es]- und steckte mehrere Nadeln unter meine Fingernägel und begann sie aufzubrechen. Das war furchtbar schmerzhaft, und alles drehte sich wieder vor meinen Augen – das doppelte Sehen –. Der Schmerz war aber so stark, daß ich meine Hand zurückzog. Das hätte ich nicht machen sollen, denn das machte sie völlig wild. Ich wurde ohnmächtig, brach zusammen, und ich weiß nicht, wie lange dies dauerte. Dann kam ich durch den Geruch von verbranntem Fleisch wieder zum Bewußtsein. Einer der Gestapoagenten stand neben mir mit einer Art kleinen Lampe und verbrannte mir die Fußsohlen. Es hat mir nicht zu weh getan, da ich so schwach war, daß mir alles egal war. Ich war so gelähmt, meine Zunge konnte nicht mehr arbeiten, so daß ich nicht sprechen konnte, nur ein bißchen stöhnen und immer weinen natürlich.

Ich kann mich an diesen Vorfall nicht mehr gut erinnern. Es war das Fürchterlichste, das ich jemals während eines Verhörs erlebte. Sie brachten mich wieder zurück ins Gefängnis. Die Zeit verging, und ich versuchte etwas zu essen, aber ich brach das meiste wieder heraus. Nach und nach konnte ich mich aber etwas erholen. Ich war noch auf der Seite gelähmt, so daß ich nicht aufstehen konnte.

Ich wurde aber auch wieder zu Verhören geholt, und dann stellte man mich anderen Norwegern gegenüber, Leuten, die ich kannte, und Leuten, die ich nicht kannte. Die meisten von ihnen waren mißhandelt worden. Sie waren angeschwollen. Ich kann mich insbesondere an zwei meiner Freunde erinnern, zwei sehr anständige Menschen. Ich war ihnen gegenübergestellt worden, und beide sahen infolge der Folterungen fürchterlich aus. Als ich von meiner Haft zurückkam, hörte ich, daß beide tot waren; sie sind an den Folgen der Folterungen gestorben.

Ein anderer Vorfall, den ich vortragen möchte, falls mir der Gerichtshof die Erlaubnis gibt, dreht sich um einen Mann namens Sverre Emil Halvorsen. Eines Tages, es muß im Herbst, im August oder Oktober 1943, gewesen sein, war er etwas angeschwollen und sehr unglücklich. Er sagte mir, daß man ihn so gemein behandelt habe. Er und einige seiner Freunde seien einer Art Gericht vorgeführt worden, wo man ihnen gesagt habe, daß sie am nächsten Tag erschossen werden würden. Sie erließen eine Art Urteil gegen sie, nur um ein Exempel zu statuieren.

Halvorsen hatte natürlich Kopfschmerzen und fühlte sich sehr krank. Ich bat den Wachtposten, den Wachführer zu holen, einen Mann namens Götz. Dieser kam und wollte wissen, was zum Teufel ich wollte. Ich erwiderte ihm: »Mein Kamerad ist sehr krank; könnte er nicht ein paar Aspirin bekommen?« »Ach nein«, sagte er, »das ist ja Verschwendung, ihm Aspirin zu geben, denn er soll ja am Morgen erschossen werden.«

Am nächsten Morgen holte man ihn aus seiner Zelle, und nach dem Kriege hat man ihn bei Drontheim, zusammen mit anderen Norwegern, in einem Grab aufgefunden, mit einer Kugel durchs Genick.

Das Gefängnis in Oslo, Möllergata 19, wo ich ungefähr fünfundzwanzig Monate war, war ein Haus des Schreckens. Jede Nacht, fast jede Nacht hörte ich das Geschrei von Leuten und ihr Stöhnen.

Eines Tages, es muß im Dezember 1943 gewesen sein, ich glaube etwa am 8. Dezember, kamen sie in meine Zelle und erklärten mir, ich müßte mich anziehen. Es war mitten in der Nacht. Ich zog meine zerlumpten Kleider, die ich noch hatte, an. Ich hatte mich inzwischen praktisch erholt, ich war natürlich auf der einen Seite lahm, und ich konnte nicht so gut gehen, aber ich konnte gehen. Ich ging den Korridor hinunter, wo sie mich wie üblich gegen die Wand stellten, und ich wartete darauf, daß sie mich wegbrächten und erschössen. Ich wurde aber nicht erschossen. Ich wurde mit einem Haufen anderer Norweger nach Deutschland gebracht. Ich habe später erfahren, daß einige meiner Freunde – und unter Freunden meine ich im allgemeinen Norweger –, daß wir sogenannte »Nacht- und Nebel«-Gefangene waren. Wir wurden in ein Lager gebracht, das den Namen Natzweiler trug, im Elsaß. Ich muß sagen, es war ein sehr übles Lager.

Wir mußten in einem Steinbruch arbeiten – ja –, Steine aus den Bergen heraushacken. Aber ich werde Ihnen nicht darüber berichten, Sie mit meinen Erzählungen über Natzweiler langweilen, Hoher Gerichtshof; ich will nur sagen, daß alle anderen Nationen: Franzosen, Russen, Holländer und Belgier sich ebenfalls dort befanden; wir waren ungefähr 500 Norweger. Von diesen starben 60 bis 70 Prozent, dort oder in anderen Konzentrationslagern. Es waren auch zwei Dänen dort.

Wir sahen viele fürchterliche Dinge dort, so fürchterlich, daß wir sie nicht... Sie sind allgemein bekannt. Im September 1944 mußte das Lager evakuiert werden. Daraufhin brachte man uns nach Dachau bei München. Dort blieben wir aber nicht lange, ich wenigstens blieb nicht lange dort. Ich wurde zu einem Kommando – Aurich in Ostfriesland – verschickt, wo wir ungefähr... Das war ein Unterkommando von Neuengamme bei Hamburg. Dort waren wir etwa 1500 Gefangene und mußten Panzergräben ausheben. Jeden Tag mußten wir ungefähr drei oder vier Stunden marschieren und eine Stunde mit der Bahn zu dem Panzergraben fahren, an dem wir arbeiteten. Die Arbeit war so, so, so hart und so schwer und die Behandlung so übel, daß die meisten von ihnen dort umkamen. Ich vermute, etwa die Hälfte der Gefangenen starb an Durchfall oder an den Mißhandlungen während der fünf bis sechs Wochen, die wir dort waren. Es war selbst zuviel für die SS, die die Aufsicht über das Lager hatte; so gaben sie es auf, vermute ich, und ich wurde von Neuengamme bei Hamburg in ein Lager namens Groß-Rosen in Schlesien, in der Nähe von Breslau geschickt. Das war auch ein sehr übles Lager. Wir waren dort ungefähr vierzig Norweger, und von diesen vierzig Norwegern waren nach vier bis fünf Wochen ungefähr noch zehn am Leben.

VORSITZENDER: Sie werden wohl noch etwas länger aussagen; legen wir also lieber eine Pause von zehn Minuten ein.