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[Zum Zeugen gewendet]

Der Vorfall mit Leutnant Thomson ist mir nicht ganz klar geworden. Auch da haben Sie, glaube ich, gesagt, Sie seien nicht persönlich orientiert, sondern durch einen Freund. Ist das richtig?

ROSER: Ich kann nur wiederholen, was ich vorhin schon gesagt habe. Ich habe hier die Erzählung des französischen Leutnants Ledoux wiedergegeben, der mir erklärt hat, daß er in der Festung Graudenz zusammen mit einem Leutnant der RAF, namens Anthony Thomson, gewesen sei. Dieser englische Offizier entfloh aus der Festung. Er wurde auf dem Flugplatz wieder eingefangen, in die Festung zurückgebracht und in eine Zelle eingesperrt, in die gleiche wie Leutnant Ledoux. Dieser hat nun gesehen, wie man Thomson durch einen Genickschuß getötet hat. Ledoux hat mir ebenfalls den Namen des Mörders angegeben, ich glaube ihn eben genannt zu haben. Es war der Hauptfeldwebel Ostreich. Es ist dies eine Erzählung, die mir von einem Augenzeugen gemacht wurde.

DR. NELTE: Hauptfeldwebel Ostreich gehörte zur Lagerwache oder zu welcher Formation?

ROSER: Das weiß ich nicht.

DR. NELTE: Ist Ihnen bekannt, daß Sie als Kriegsgefangener ein Beschwerderecht hatten?

ROSER: Gewiß, die Genfer Konvention, die Deutschland im Jahre 1934 unterzeichnet hat, ist mir bekannt.

DR. NELTE: Da Sie diese Bestimmungen kennen, wußten Sie also, daß Sie die Möglichkeit der Beschwerde beim Lagerkommandanten hatten? Haben Sie davon Gebrauch gemacht?

ROSER: Das habe ich versucht, aber ohne Erfolg.

DR. NELTE: Darf ich fragen, wie der Lagerkommandant hieß, der Sie zurückgewiesen hat?

ROSER: Das weiß ich nicht, aber ich will Ihnen sagen, wann ich es versucht habe.

DR. NELTE: Bitte.

ROSER: Das war in dem bekannten Strafkommando Linzburg in Hannover. Dieses Kommando unterstand dem Stalag 10 C. Nach der Nacht, die ich gerade beschrieben habe, in der wir bei einem mißglückten Ausbruchsversuch drei Stunden lang durchgeprügelt worden waren, wurde am nächsten Morgen eine gewisse Anzahl von uns im Kommando zurückbehalten. Bei dieser Gelegenheit sahen wir die direkten Vorgesetzten des Kommandoführers, es war ein Oberleutnant, dessen Namen ich nicht weiß; er sah, daß wir verletzt waren, daß wir insbesondere Kopfwunden hatten, und fand das sehr in Ordnung. Am Abend gingen wir zur Arbeit. Als wir um 7.00 Uhr zurückkehrten, erhielten wir den Besuch eines Majors, eines sehr gut aussehenden Herrn, der gleichfalls der Ansicht war, es sei in Ordnung, daß man uns strafe, da wir einen Fluchtversuch unternommen hätten. Was unsere Beschwerde anlangt, Herr Verteidiger, die wurde nicht weitergegeben.

DR. NELTE: Wußten Sie, daß die Deutsche Regierung mit der damaligen Französischen Vichy-Regierung auch über die Kriegsgefangenen Abmachungen getroffen hatte?

ROSER: Ja, davon habe ich gehört, aber solche Kommandos wurden nicht besichtigt.

DR. NELTE: Also wollen Sie sagen, daß diese Besuche seitens der dafür vorgesehenen Stellen nur in die Lager kamen, nicht zu den Arbeitskommandos?

ROSER: Nein. Herr Verteidiger, die Arbeitskommandos wurden wohl besichtigt, nicht aber die Strafkommandos, in denen ich war. Das ist der Unterschied.

DR. NELTE: Sie waren doch nicht immer im Strafkommando?

ROSER: Nein.

DR. NELTE: Wann kamen Sie in das Strafkommando Rawa-Ruska?

ROSER: Im April 1941 zum erstenmal. Es war das ein Kommando, in das man ohne besonderen Grund ausschließlich Offiziersanwärter und Priester schickte. Im Strafkommando Linzburg erhielten wir keinerlei Besuch. In Rawa-Ruska erhielten wir den Besuch von zwei Schweizer Ärzten; ich glaube, es war im September 1942.

DR. NELTE: September 1942?

ROSER: September 1942, ja.

DR. NELTE: Haben Sie diesen Schweizer Ärzten Ihre Beschwerden vorgetragen?

ROSER: Nicht ich persönlich, aber unser Vertrauensmann konnte mit ihnen sprechen.

DR. NELTE: Und hatte es dann Erfolg?

ROSER: Ja, gewiß.

DR. NELTE: Glauben Sie nicht, daß der Weg der Beschwerde durch den Lagerkommandanten auch Erfolg gehabt hätte, wenn Sie es gewollt hätten?

ROSER: Nein, wir hatten keine sehr freundschaftlichen Beziehungen zu dem deutschen Personal in Rawa-Ruska.

DR. NELTE: Ich verstehe nicht genau.

ROSER: Ich sage, daß wir keine guten Beziehungen zum Lagerkommandanten von Rawa-Ruska hatten.

DR. NELTE: Es handelt sich hierbei doch nicht um die Frage der guten Beziehungen, sondern einer Vorstellung, die in dienstlicher, formeller Weise vor sich gehen konnte. Glauben Sie das nicht? Wann sind Sie von Rawa-Ruska weggekommen?

ROSER: Ende Oktober 1942.

DR. NELTE: Wenn ich mich recht entsinne, haben Sie die Anzahl von Opfern, die in Rawa-Ruska von Ihnen gezählt oder beobachtet worden sind, vorhin angegeben. Ist das richtig?

ROSER: Ja.

DR. NELTE: Wieviele Opfer waren es?

ROSER: Nach einer mir von Dr. Levin, einem französischen Arzt in Rawa-Ruska angegebenen Zahl, waren es, wie gesagt, ungefähr 60 Todesfälle im Lager selbst, zu denen noch ungefähr 100 hinzugerechnet werden müssen, die verschwunden sind.

DR. NELTE: Ich höre nicht.

VORSITZENDER: Wollen Sie bitte wiederholen, was Sie zuletzt über die Anzahl der Opfer gesagt haben?

ROSER: Ja, ich sagte, daß es etwa 60 Todesfälle im Lager von Rawa-Ruska gegeben hat, während der Zeit, in der ich dort war.

DR. NELTE: Sprechen Sie von französischen Opfern oder ganz allgemein?

ROSER: Während ich in Rawa-Ruska war, gab es dort eigentlich nur Franzosen außer einigen Polen und Belgiern.

DR. NELTE: Ich stelle diese Frage deshalb, weil in einem amtlichen französischen Bericht, der mir vorliegt, vom 14. Juni 1945, die Opfer bis Ende Juli auf 14 Franzosen festgestellt worden sind, und weil mir für die Zeit von August bis September die von Ihnen angegebene Ziffer sehr hoch erschien. Ich danke schön.

VORSITZENDER: Wünscht noch irgendein anderer deutscher Verteidiger an den Zeugen Fragen zu stellen?