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[Zum Zeugen gewendet:]

Wollen Sie nun auf die verbrecherischen Experimente übergehen, die von der SS-Ärzteschaft in den Lagern durchgeführt wurden, und die unter dem Deckmantel wissenschaftlicher Versuche vor sich gingen.

BALACHOWSKY: Ich wurde am 1. Mai 1944 nach Buchenwald zurückbeordert und dem Block 50 zugewiesen, der eigentlichen Fabrik zur Herstellung der Impfstoffe gegen Typhus und Fleckfieber. Diese Versetzung von Dora nach Buchenwald erfolgte, weil die Lagerleitung in der Zwischenzeit erfahren hatte, daß ich ein Spezialist für diese wissenschaftlichen Versuche war. Man wollte mich daher Innerhalb des Blocks 50 bei der Herstellung von Impfstoffen einsetzen. Ich wußte übrigens bis zum letzten Augenblick nicht das Geringste von diesen Maßnahmen.

Ich machte also am 1. Mai 1944 die Bekanntschaft von Block 50 und blieb dort bis zur Befreiung des Lagers am 11. April 1945. Block 50, in dem Impfstoffe hergestellt wurden, stand unter der Leitung von Sturmbannführer Schule, das heißt einem Arzt im Range eines Sturmbannführers, was ungefähr dem Range eines SS-Majors entsprach. Ihm unterstand also der Block, und er war für die Herstellung verantwortlich. Dem gleichen SS-Sturmbannführer Schule unterstand noch ein anderer Block im Lager Buchenwald. Das war Block 46, der berüchtigte Versuchsblock, in dem Menschen als Versuchskaninchen interniert waren. Block 46 und 50 hatten ein gemeinsames Sekretariat. Es war das sogenannte »Geschäftszimmer«. Dort wurden alle Akten, die gesamte Post, die Karteikarten über die Versuche, sowie alle Entscheidungen aufbewahrt, die sowohl Block 46 als auch Block 50 betraten.

Der Sekretär von Block 50 war ein politischer Häftling österreichischer Nationalität; mein Freund Eugen Kogon und einige andere Kameraden hatten daher die Möglichkeit, in allen Akten, für die sie verantwortlich waren, herumzustöbern. Sie wußten daher Tag für Tag was sowohl in Block 50, dem unsrigen, als auch in Block 46 vor sich ging. Ich selbst konnte die Mehrzahl der Akten von Block 46 an mich nehmen, und selbst das Heft, in dem die Versuche von Block 46 aufgezeichnet waren, wurde gerettet. Wir waren im Besitz desselben, es war in unseren Händen, und wir haben es dem amerikanischen »Psychological Service« übergeben.

Wir besitzen also in diesem Tagebuch, in diesem Heft, sämtliche in Block 46 vorgenommenen Versuche. Block 46 wurde im Oktober 1941 von einem Obersten Ausschuß ins Leben gerufen, der dem Gesundheitsamt der Waffen-SS unterstand. Wir kennen eine gewisse Anzahl von Leuten, die seinem Verwaltungsrat angehörten. Dieser Block 46 unterstand nämlich der Versuchsabteilung 5 der obersten Führung der Waffen-SS in Leipzig. Der Verantwortliche dieser Abteilung war der Inspekteur Mrugowski, Obergruppenführer der Waffen-SS. Der Verwaltungsrat, der Block 46 schuf, setzte sich aus folgenden Personen zusammen:

Dr. Genzken, Obergruppenführer, der höchste Rang in der Waffen-SS; Dr. Poppendick, Gruppenführer der Waffen-SS, und schließlich Dr. Handloser, der der Wehrmacht angehörte und von der Militärakademie in Berlin war. Er war ebenfalls an dem Zustandekommen von Experimenten an Menschen beteiligt.

Somit bestand der Verwaltungsrat aus SS-Mitgliedern und dazu Dr. Handloser. Die Versuche selbst wurden von Sturmbannführer Schule geleitet; aber alle Befehle und Anordnungen bezüglich der Experimente, von denen ich Ihnen nachher sprechen werde, sind von Leipzig erteilt worden, das heißt von der Versuchsabteilung der Waffen-SS. Somit gab es keine persönliche Initiative, auch nicht von seiten Schules in seiner Eigenschaft als Leiter.

Alle Befehle hinsichtlich dieser Versuche wurden unmittelbar von der obersten Leitung in Berlin erteilt. Unter diesen Experimenten, die wir an Hand der Karteikarten, der Resultate, sowie durch die Eingangs- und Ausgangsnummern von Block 46 Schritt für Schritt verfolgen konnten – wenigstens einzelne davon – waren zunächst zahlreiche Versuche mit Fleckfieber. In zweiter Linie kamen die Experimente mit Phosphorverbrennungen, drittens Experimente mit Sexualhormonen, viertens Versuche mit Hungerödemen, das heißt über Avitaminosen, fünftens Versuche auf dem Gebiete der Gerichtsmedizin. Es gab somit fünf verschiedene Arten von Experimenten.

M. DUBOST: Meldeten sich die Menschen, die zu diesen Experimenten verwendet wurden, freiwillig oder nicht?

BALACHOWSKY: Die Menschen, die man bei den Experimenten verwendete, wurden nicht nur aus dem Lager Buchenwald, sondern auch von außerhalb dieses Lagers geholt. Es waren keine Freiwilligen. Außerdem wußten sie gewöhnlich, bis sie Block 46 betraten, nicht, daß sie zu Versuchszwecken herangezogen werden sollten.

Die Aushebungen hierfür wurden unter den Verbrechern vorgenommen, deren allzu große Zahl man auf diese Weise vielleicht herabsetzen wollte. Außerdem wurden auch politische Gefangene dazu verwendet. Ich muß ferner noch bemerken, daß Aushebungen für Block 46 auch unter den russischen Kriegsgefangenen durchgeführt wurden. Ich möchte darauf hinweisen, daß unter den politischen Häftlingen und Kriegsgefangenen, die in Block 46 zu Versuchszwecken verwendet wurden, die Russen aus folgendem Grunde stets in der Überzahl waren: Von allen Insassen der Konzentrationslager waren die Russen diejenigen, die die größte körperliche Widerstandskraft hatten. Sie besaßen eine weit größere Widerstandskraft als die Franzosen und andere Westeuropäer, und zwar sowohl gegen Hunger und schlechte Behandlung als auch körperliche Widerstandskraft im allgemeinen. Infolgedessen wurden die politischen russischen Gefangenen hauptsächlich wegen ihrer körperlichen Widerstandskraft mehr als die anderen Gefangenen zu den Experimenten herangezogen. Jedoch waren auch Gefangene anderer Nationalitäten und hauptsächlich Franzosen darunter. Ich kehre nun, wenn Sie gestatten, zu den Einzelheiten über diese Experimente zurück.

M. DUBOST: Bitte geben Sie uns nicht allzuviel Einzelheiten, denn wir sind keine Spezialisten. Wir wollen nur wissen, daß diese Experimente ohne jede humanitären Rücksichten zwangsweise durchgeführt wurden. Schildern Sie uns den grausamen Charakter dieser Experimente und die Ergebnisse.

BALACHOWSKY: Die in Block 46 angestellten Versuche hatten selbstverständlich ein medizinisches Ziel. Die Mehrzahl derselben jedoch diente in keiner Weise der Wissenschaft, so daß man sie fast nicht als Experimente bezeichnen kann. Die Menschen dienten hauptsächlich als Kontrollobjekte für Arzneimittel, Gifte, Bakterienkulturen und so weiter. So brauchte man zum Beispiel zur Herstellung von Impfstoffen gegen Fleckfieber Bakterienkulturen. Das wäre jedoch nicht unbedingt nötig gewesen, denn auch im Institut Pasteur und in allen anderen Instituten der Welt werden solche Versuche ohne Kulturen durchgeführt; man findet immer Typhuskranke, denen man Blut zur Untersuchung entnehmen kann. Hier war es ganz anders. Im Block 46 haben wir, wie Sie aus den Karteikarten und aus der Tafel, die Sie vor Augen haben, ersehen können, zwölf verschiedene Bakterienkulturen entdeckt; sie sind mit den Anfangsbuchstaben BU, das heißt Buchenwald, gekennzeichnet, und gehen von »Buchenwald 1« bis »Buchenwald 12«. Im Block 46 wurden diese zwölf Kulturen fortlaufend durch Übertragung von einem Kranken auf einen Gesunden unterhalten, das heißt durch künstliche Einimpfung mittels intravenöser Injektionen von 0,5 bis 1 Kubikzentimeter infizierten Blutes, das einem Menschen entnommen wurde, der sich auf der Höhe der Krisis befand. Wir wissen jedoch sehr wohl, daß diese Art künstlicher Typhus-Einimpfung mittels intravenöser Injektionen stets tödlich ist. Infolgedessen sind alle diejenigen gestorben, die während der ganzen Zeit, in der die Bakterienkulturen verwendet wurden, das heißt von Oktober 1942 bis zur Befreiung des Lagers, zu ihrer Aufrechterhaltung dienten. Wir konnten feststellen, daß die Bakterienkulturen allein insgesamt fast sechshundert Menschenleben gefordert haben.

M. DUBOST: Man hat sie also buchstäblich gemordet, um die Bakterienkulturen weiterführen zu können?

BALACHOWSKY: Jawohl, man hat sie zu diesem Zwecke buchstäblich gemordet. Außerdem wurden Experimente über den Wert von Impfstoffen durchgeführt.