[Dem Gerichtshof wird ein Dokument vorgelegt.]
M. DUBOST: Was ist das für ein Dokument, das Sie gerade erwähnt haben?
BALACHOWSKY: Das Dokument stellt eine Aufstellung der Typhuskulturen dar.
M. DUBOST: Das Dokument haben Sie mitgebracht?
BALACHOWSKY: Das Dokument habe ich selbst mitgebracht; den wesentlichen Inhalt habe ich in dem Tagebuch des Blocks 46 eingetragen, das heißt in dem Experimentenbuch des genannten Blocks.
M. DUBOST: Das ist also das Dokument, das Sie uns überreicht haben?
BALACHOWSKY: Ja, aber wir haben ein noch viel vollständigeres Dokument, das sich im Besitze des amerikanischen psychologischen Dienstes befindet, nämlich das vollständige Tagebuch, von dem das gegenwärtige Dokument nur eine einzige Seite darstellt.
M. DUBOST: Ich bitte den Gerichtshof, amtlich davon Kenntnis zu nehmen, daß die Französische Anklagebehörde dieses Dokument als RF-334 als Anlage zur Zeugenaussage von Dr. Balachowsky vorlegt.
BALACHOWSKY: Im August 1944 wurde auch der Wert der Impfstoffe experimentell untersucht. Einhundertfünfzig Menschen verloren bei diesen Experimenten ihr Leben. Die Impfstoffe, die von der Deutschen Wehrmacht benutzt wurden, waren nicht nur die in unserem Block 46 hergestellten, sondern waren auch italienischer, dänischer und polnischer Herkunft. Die Deutschen wollten den jeweiligen Wert dieser verschiedenen Heilmittel feststellen. Zu diesem Zweck wurden im Monat August 1944 Versuche an einhundertfünfzig Männern durchgeführt, die in Block 46 eingeschlossen wurden.
Hier eine Zwischenbemerkung: Ich möchte Ihnen erzählen, wie in Block 46 gearbeitet wurde. Dieser Block 46 war völlig abgeschlossen und mit Stacheldraht umgeben. Die Internierten des Blockes 46 mußten bei den Appellen nicht antreten und kamen niemals heraus. Alle Fenster waren geschlossen und die Scheiben aus Milchglas. Niemand kam in den Block, ohne hierzu berechtigt zu sein. Die Leitung des Blockes war einem deutschen politischen Gefangenen anvertraut. Dieser deutsche politische Gefangene war der Kapo Dietzsch. Dieser Blockchef Dietzsch war ein asoziales Element, ein Individuum, das zwanzig Jahre Haft in den Gefängnissen und Lagern hinter sich hatte. Er führte für die SS die sachlichen Arbeiten aus, er machte Injektionen, impfte und tötete die Häftlinge auf Befehl. Es gab in diesem Block sonderbarerweise Waffen, Selbstladepistolen und Granaten, um einen eventuellen Aufruhr innerhalb des Blockes oder außerhalb desselben unterdrücken zu können.
Weiter kann ich bezeugen, daß auf einem Bestellschein für Block 46, der auf dem Geschäftszimmer von Block 50 im Januar 1945 abgegeben worden ist, drei Zwangsjacken angefordert wurden, um diejenigen, die sich nicht impfen lassen wollten, dazu zu zwingen.
Ich komme jetzt wieder auf die Experimente über Typhus und Impfstoffe zurück. Sie haben gesehen, in welchem Rahmen sie durchgeführt wurden.
Man teilte die einhundertfünfzig Gefangenen in zwei Gruppen: die Kontrollobjekte und die Versuchsobjekte. Nur die Versuchsobjekte wurden mit den verschiedenen Schutzstoffen, die man ausprobieren wollte, geimpft. Die Kontrollobjekte hingegen wurden nicht geimpft. Nach der Impfung der Versuchsobjekte wurden alle Kontrollobjekte und Versuchsobjekte für den betreffenden Versuch mit Typhusbazillen intravenös geimpft. Nach vierzehn Tagen, so lange halten mit Typhusbazillen geimpfte Personen ungefähr durch, starben die Kontrollobjekte. Die anderen, die mit den verschiedenen Schutzstoffen geimpft worden waren, starben zu verschiedenen Zeitpunkten, je nach dem Wert der Impfstoffe selbst. Einige Impfstoffe gaben ein ausgezeichnetes Ergebnis mit einer sehr geringen Anzahl von Toten, wie zum Beispiel die Impfstoffe polnischer Herkunft. Andere wiederum hatten eine bedeutend höhere Sterblichkeitsziffer. Sobald man das Experiment als beendet betrachten konnte, wurden, der Gewohnheit und der Tradition des Blockes 46 gemäß, die Überlebenden im Block 46 liquidiert und ermordet, und zwar auf die gewöhnliche Art und Weise, die Ihnen meine Kameraden bereits beschrieben haben, das heißt durch eine Herzinjektion mit zehn Kubikzentimeter reinem Phenol. Das war die im Lager Buchenwald übliche Liquidierungsmethode.
VORSITZENDER: Die russische Übersetzung kommt nicht durch. Bitte, wollen Sie wiederholen, was Sie über das Schicksal der Überlebenden dieser Experimente sagten.
BALACHOWSKY: Ich wiederhole: Die Männer, die einen Versuch in Block 46 überlebten, durften gemäß der Übung und den Gewohnheiten dieses Blockes nicht weiterleben. Sobald ein Experiment abgeschlossen war, wurden die Überlebenden ermordet. Dies geschah auf die im Lager Buchenwald übliche Weise, die Ihnen einige meiner Kameraden bereits beschrieben haben.
M. DUBOST: Nicht so schnell, bitte, ich glaube, die Dolmetscher können schwer folgen.
BALACHOWSKY: In Buchenwald wurden die Überlebenden durch eine Herzspritze von 10 Kubikzentimeter reinem Phenol erledigt.
VORSITZENDER: Die Dosierungen der einzelnen Einspritzungen interessieren hier nicht!
BALACHOWSKY: Wollen Sie bitte wiederholen?
VORSITZENDER: Ich sagte, daß uns die Dosierungen einzelner Einspritzungen nicht interessieren. Bitte, bringen Sie daher nicht diese Einzelheiten. Herr Dubost, veranlassen Sie bitte den Zeugen, sich kurz zu fassen.
BALACHOWSKY: Ich möchte nunmehr über andere Einzelheiten sprechen, die Sie vielleicht interessieren. Es handelt sich um Versuche psychotherapeutischer Natur, bei denen chemische Produkte zur Heilung von Typhus verwendet wurden. Diese Versuche wurden unter den gleichen Bedingungen in Block 46 durchgeführt. An diesen Experimenten haben deutsche Industriewerke mitgearbeitet, insbesondere die I. G.-Farben-Industrie, die eine Anzahl von Arzneimitteln geliefert hat, welche in Block 46 ausprobiert wurden. Unter den Professoren, die diese Arzneimittel lieferten und wußten, daß sie in Block 46 verwendet werden sollten, befand sich Professor Lautenschläger aus Frankfurt.
Das war es, was ich zur Fleckfieberfrage zu sagen hatte.
Ich gehe nun zu den Phosphorexperimenten über, die hauptsächlich an russischen Gefangenen durchgeführt wurden. Diese Versuche mit Phosphor wurden in Block 46 aus folgenden Gründen an russischen Gefangenen vorgenommen: Durch die von den Alliierten über Deutschland abgeworfenen Bomben wurden bei der Zivilbevölkerung und den Soldaten Brandwunden hervorgerufen, die schlecht heilten. Infolgedessen suchten die Deutschen nach einer Reihe von Medikamenten, die die Vernarbung der durch solche Verbrennungen verursachten Wunden erleichtern sollten. Aus diesem Grunde wurden in Block 46 Versuche mit russischen Gefangenen vorgenommen. Es wurden an ihnen Phosphorverbrennungen künstlich durchgeführt und anschließend wurden die Häftlinge mit verschiedenen von der deutschen Industrie gelieferten Arzneimitteln behandelt.
Versuche über Sexualhormone...
M. DUBOST: Welches waren die Folgen dieser Experimente?
BALACHOWSKY: Diese Experimente gingen immer tödlich aus.
M. DUBOST: Immer tödlich? Jeder Versuch ist also einem Mord gleichzustellen, für den die SS in ihrer Gesamtheit verantwortlich ist?
BALACHOWSKY: Verantwortlich sind diejenigen, die diese Einrichtung geschaffen haben.
M. DUBOST: Das heißt, die SS in ihrer Gesamtheit und die deutsche Ärzteschaft im besonderen?
BALACHOWSKY: Zweifellos, denn die Befehle kamen von der Versuchsabteilung 5. Die SS war verantwortlich, denn diese Befehle gingen von dieser Abteilung in Leipzig aus, das heißt also von der Obersten SS-Führung.
M. DUBOST: Ich danke Ihnen. Was für Folgen hatten die Experimente mit Sexualhormonen?
BALACHOWSKY: Sie waren weniger schlimm. Vom wissenschaftlichen Standpunkt aus waren es lächerliche Experimente. Wir hatten in Buchenwald eine Anzahl von Homosexuellen, das heißt Personen, die von den deutschen Gerichten wegen ihres Lasters verurteilt worden waren. Diese Homosexuellen wurden in Konzentrationslager geschickt, vor allem nach Buchenwald, und mit anderen Gefangenen zusammengesteckt.
M. DUBOST: Besonders mit sogenannten politischen Gefangenen, die in Wirklichkeit Patrioten waren?
BALACHOWSKY: Mit allen Arten von Gefangenen.
M. DUBOST: Kamen alle mit den Homosexuellen deutscher Nationalität in Berührung?
BALACHOWSKY: Ja; sie unterschieden sich nur dadurch, daß sie ein rosa Dreieck trugen.
M. DUBOST: War das Tragen dieses Dreiecks genau festgelegt oder herrschte bei dieser Unterscheidung ein großes Durcheinander?
BALACHOWSKY: Ganz am Anfang, das heißt vor meiner Zeit, gab es nach dem, was ich gehört habe, ein ordentliches System bei den Dreiecken. Aber als ich Anfang Januar 1944 nach Buchenwald kam, herrschte größte Unordnung in bezug auf diese Dreiecke, und viele Häftlinge trugen überhaupt kein Dreieck mehr.
M. DUBOST: Kam es auch vor, daß die Gefangenen ein Dreieck einer anderen Kategorie trugen als der, der sie angehörten?
BALACHOWSKY: Jawohl; das war besonders bei vielen Franzosen der Fall, die in ihrer Eigenschaft als gewöhnliche Verbrecher nach Buchenwald geschickt worden waren und zum Schluß das rote Dreieck der politischen Häftlinge trugen.
M. DUBOST: Welche Farbe hatte das Dreieck der deutschen Verbrecher?
BALACHOWSKY: Die deutschen Verbrecher trugen ein grünes Dreieck.
M. DUBOST: Haben sie nicht zum Schluß auch ein rotes Dreieck getragen?
BALACHOWSKY: Nein. Die deutschen Verbrecher wurden strenger überwacht als die anderen und trugen ausschließlich das grüne Dreieck.
M. DUBOST: Und in den Arbeitskommandos?
VORSITZENDER: Wir haben bereits gehört, daß auch da ein Durcheinander herrschte.
M. DUBOST: Es wird dem Gerichtshof nicht entgangen sein, daß ich diese Fragen im Hinblick auf die von der Verteidigung heute morgen gestellten Fragen vorlege, die zwar nicht den Gerichtshof, jedoch die Zeugen verwirren sollten.
BALACHOWSKY: Ich kann nur wiederholen, daß ein vollkommenes Durcheinander der Nationalitäten und Kategorien unter den Gefangenen herrschte.
VORSITZENDER: Genau dasselbe hat der andere Zeuge erklärt, daß nämlich bei den Dreiecken ein Durcheinander herrschte.
M. DUBOST: Ich glaube, daß die Erklärung des zweiten Zeugen den Gerichtshof endgültig aufklären wird, was immer die Verteidigung zu unserer Irreführung unternehmen mag.