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[Pause von 10 Minuten.]

M. DUBOST: Ich habe keine weiteren Fragen an den Zeugen zu stellen, Herr Vorsitzender.

VORSITZENDER: Wünscht einer der Verteidiger Fragen an den Zeugen zu richten?

DR. KAUFFMANN:

[zum Zeugen gewandt]

Sind Sie Spezialist auf dem Gebiete der Forschung bezüglich, der Impfstoff-Fabrikation? Sind Sie Spezialist auf dem Gebiete der Impfforschung?

BALACHOWSKY: Ich bin Spezialist in Forschungsfragen.

DR. KAUFFMANN: War auch nach ihrer Meinung diese ganze Behandlung geradezu irrsinnig, die man diesen Menschen da antat?

BALACHOWSKY: Die Behandlungen hatten keinen wissenschaftlichen Wert, sondern nur die praktische Bedeutung, sie gestatteten, die Wirkung gewisser Fabrikate zu prüfen.

DR. KAUFFMANN: Aber Sie können sich doch ein gutes Urteil bilden, weil Sie doch diese Menschen selbst gesehen haben. Stimmt das, haben Sie diese Menschen auch in der Tat gesehen?

BALACHOWSKY: Ich habe diese Menschen aus nächster Nähe gesehen, denn in Block 50 war ich mit einem Teil der Herstellung dieser Impfstoffe beauftragt und daher wußte ich genau Bescheid über Art und Ziel der in Block 46 durchgeführten Experimente. Ich habe mich auch von der beinahe völligen Unfähigkeit der SS-Ärzte überzeugen können, und von der Leichtigkeit, mit der wir die Herstellung der Impfstoffe für die Deutsche Wehrmacht sabotieren konnten.

DR. KAUFFMANN: Nun, dann muß es doch wirklich ein großes Elend gewesen sein, was diese Menschen mitgemacht haben, bevor sie starben?

BALACHOWSKY: Diese Leute haben ohne Zweifel furchtbar gelitten, insbesondere bei gewissen Experimenten.

DR. KAUFFMANN: Können Sie uns das aus eigener Wissenschaft bestätigen, oder haben Sie das auch nur vom Hörensagen?

BALACHOWSKY: Ich sah in Block 50 photographische Aufnahmen von den Phosphor-Verbrennungen, die in Block 46 gemacht worden waren. Man brauchte kein Spezialist gewesen zu sein, um zu begreifen, was diese Menschen zu erdulden hatten, wenn ihr Fleisch bis auf die Knochen verbrannt wurde.

DR. KAUFFMANN: Also in Ihrem Gewissen waren Sie sicherlich doch aufs tiefste empört?

BALACHOWSKY: Jawohl.

DR. KAUFFMANN: Nun frage ich Sie: Wie haben Sie denn dem Befehl stattgegeben, der an Ihr Gewissen ging, nämlich dem Befehl, diesen Menschen irgendwie zu helfen?

BALACHOWSKY: Oh, das ist sehr einfach; als ich nach Buchenwald verschleppt wurde, habe ich meine Eigenschaft als Arzt verschwiegen. Ich habe lediglich erklärt, ich sei »Laborant«, also mit der Technik eines Laboratoriums vertraut, ohne ein Spezialgebiet zu haben; man schickte mich daher nach Dora, wo ich durch das SS-Regime in zwei Monaten dreißig Kilo verlor und blutarm wurde.

DR. KAUFFMANN: Herr Zeuge, ich spreche jetzt nur von Buchenwald. Ich will nichts von Dora wissen, ich frage Sie...

BALACHOWSKY: Die Gefangenen von Buchenwald mit ihren Beziehungen zum Lager waren es, die meine Rückkehr nach Buchenwald erwirkt haben. Der Franzose Julien Cain, Direktor der Nationalbibliothek, war es, der den deutschen politischen Gefangenen Walter Kummelschein, der Schreiber von Block 50 war, von meiner Anwesenheit unterrichtete. Er war es, der die Aufmerksamkeit auf mich gelenkt hatte, ohne daß ich etwas davon wußte und ohne in Dora erwähnt zu haben, daß ich ein französischer Spezialist sei. Aus diesem Grunde hat die SS mich von Dora nach Block 50 zurückbeordert, um dort zu arbeiten.

DR. KAUFFMANN: Verzeihen Sie, daß ich Sie unterbreche; wir wollen diese Dinge nicht zu lange ausdehnen, ich unterstelle das, was Sie jetzt erzählt haben, ohne weiteres als wahr, nämlich, warum Sie nach Dora gekommen sind, und warum Sie zurückgekommen sind. Mein Anliegen ist ein völlig anderes. Ich frage deshalb noch einmal. Sie haben doch gewußt, daß diese Menschen, menschlich gesprochen, geradezu Märtyrer waren. Ist das richtig oder nicht. Bitte Ja oder Nein!

BALACHOWSKY: Ich beantworte die Frage.

Als ich in Block 50 ankam, wußte ich nichts, weder von Block 50 noch von Experimenten. Erst mit der Zeit und auf Grund der Beziehungen, die ich dort anknüpfen konnte, gelang es mir, die Einzelheiten dieser Experimente zu erfahren.

DR. KAUFFMANN: Gut. Und nachdem Sie nun über die Einzelheiten der Experimente völlige Gewißheit hatten, zumal Sie Arzt waren, hat dann Ihr Gewissen nicht tiefstes Mitleid mit diesen armen Kreaturen empfunden?

BALACHOWSKY: Mein Mitleid war sehr groß, aber in den Lagern ging es nicht darum, Mitleid zu haben oder nicht. Man mußte die Befehle, die man erhielt, genauestens ausführen, sonst verschwand man.

DR. KAUFFMANN: Gut. Sie sagen also, wenn Sie in irgendeiner Weise die Ihnen gegebenen Befehle nicht befolgt hätten, wären Sie unter Umständen getötet worden. Ist das richtig?

BALACHOWSKY: Ohne jeden Zweifel. Andererseits bestand meine Arbeit in der Herstellung der Impfstoffe, und niemals war es mir oder irgendeinem anderen Häftling von Block 50 möglich, in Block 46 einzudringen, um bei den Experimenten zu assistieren. Nur durch die Papiere, die von Block 46 herauskamen und die offiziell in Block 50 registriert wurden, erfuhren wir, was sich bei den Experimenten abgespielt hatte.

DR. KAUFFMANN: Ja, aber ich glaube, es besteht kein Unterschied im Gewissen, ob man das Leiden vor Augen sieht oder ob man unmittelbar Kenntnis hat davon, daß in demselben Lager Menschen so hingemordet werden. Nun eine andere Frage.

VORSITZENDER: War das eine Frage, die Sie soeben an den Zeugen gerichtet haben? Ich bitte Sie, sich auf Fragen zu beschränken.

BALACHOWSKY: Ich möchte auf die letzte Bemerkung antworten.

DR. KAUFFMANN: Das war keine Frage, Herr Zeuge. Ich will jetzt die Frage stellen.

BALACHOWSKY: Ich möchte die Bemerkung beantworten.

DR. KAUFFMANN: Ich brauche Ihre Antwort nicht.

BALACHOWSKY: Ich möchte sie dennoch beantworten.

VORSITZENDER: Bitte, beantworten Sie diese Frage.

BALACHOWSKY: In diesen Lagern litten alle, nicht nur im Experimentenblock, sondern auch im Quarantäneblock, und es litten alle Menschen, die tagtäglich zu Hunderten starben. Überall in den Konzentrationslagern herrschte das Leid.

DR. KAUFFMANN: Bestand eine Anweisung darüber, daß man von derartigen Experimenten überhaupt nicht sprechen durfte?

BALACHOWSKY: Im Prinzip waren die Experimente völlig geheim, und eine Indiskretion hierüber konnte den sofortigen Tod zur Folge haben. Ich muß noch hinzufügen, daß es sehr wenige waren, die die Einzelheiten der Experimente kannten.

DR. KAUFFMANN: Herr Zeuge, Sie sprachen von den Besichtigungen dieses Lagers und davon, daß deutsche Rot-Kreuz-Schwestern im Lager gewesen seien, desgleichen Wehrmachtsangehörige, und daß auch Urlaubsreisen seitens politischer Gefangener genehmigt worden seien. Nun, waren Sie einmal unmittelbar bei derartigen Besuchen innerhalb des Lagers anwesend?

BALACHOWSKY: Ja, ich war unmittelbar bei den Besuchen innerhalb des Lagers anwesend, von denen ich gesprochen habe.

DR. KAUFFMANN: Haben die Besucher dieses Lagers auch gesehen, daß Herzspritzen gegeben wurden? Oder haben die Besucher gesehen, daß menschliche Hautstücke gegerbt wurden? Waren diese Leute anwesend, als Mißhandlungen vorgenommen wurden?

BALACHOWSKY: Ich kann diese Frage nicht positiv beantworten. Die Besucher kamen in meinen Block und ich kann nur sagen, daß Besucher durch meinen Block gegangen sind. Um bis zu diesem Block zu kommen, mußte man beinahe durch das ganze Lager durchgehen. Ich weiß nicht, wohin die Besucher vor oder nach Verlassen meines Blockes gegangen sind.

DR. KAUFFMANN: Hat Ihnen einer Ihrer eigenen anderen Kameraden vielleicht gesagt, ob diese Besucher derartige Exzesse selbst mit ansehen mußten. Ja oder Nein?

BALACHOWSKY: Ich verstehe Ihre Frage nicht. Würden Sie diese bitte wiederholen?

DR. KAUFFMANN: Hat vielleicht einer Ihrer Kameraden gesagt, daß die Besucher des Lagers selbst bei derartigen Exzessen anwesend waren?

BALACHOWSKY: Ich habe niemals sagen hören, daß Besucher diesen Experimenten oder derartigen Exzessen beigewohnt hätten. Das einzige, was ich bezüglich der gegerbten Häute sagen kann, ist, daß ich mit meinen eigenen Augen gesehen habe, wie SS-Unteroffiziere oder Offiziere, ich weiß nicht mehr genau, ob es Unteroffiziere oder Offiziere waren, mit gegerbten Häuten unter dem Arm aus Block 2 kamen. Aber es handelt sich um SS-Männer und nicht um Besucher des Lagers.

DR. KAUFFMANN: Haben diese Besucher, auch insbesondere die Rot-Kreuz-Schwestern, gewußt, daß diese Experimente medizinisch völlig nutzlos waren, oder haben sie lediglich die Laboratorien, die Einrichtungen und dergleichen besichtigen wollen?

BALACHOWSKY: Ich wiederhole nochmals, daß diese Besucher in meine Labor-Abteilung gekommen sind und gesehen haben, was dort vorging, das heißt, daß Flaschen gefüllt und steril gemacht wurden; aber ich vermag nicht zu sagen, was sie vorher oder nachher gesehen haben. Ich weiß nur, daß die Besucher, von denen ich spreche, die Offiziersanwärter der Luftwaffe und die Besucher des Roten Kreuzes, sämtliche Einrichtungen des Blockes besichtigt haben. Sie kannten aber sicherlich die Herkunft dieser Kulturen und wußten, daß Menschen für die Versuche verwendet werden konnten. Die Gewinnung des Serums, wie es von den Menschen kam, war nämlich auf Statistiken und Tabellen dargestellt. Es hätte jedoch sein können, daß das Blut von Typhuskranken stammte und nicht von Kranken, denen künstlich Typhusbazillen eingeimpft worden waren.

Ich glaube wirklich, daß diese Besucher in ihrer Gesamtheit von den Greueltaten, die in Block 46 in der Form von Versuchen begangen wurden, nichts wußten. Es war jedoch unmöglich für die Besucher des Lagers, den bedauernswerten und schrecklichen Zustand zu übersehen, in welchem sich alle Lagerinsassen befanden.

DR. KAUFFMANN: Wissen Sie vielleicht, ob Urlaubsreisende, also Häftlinge, die vorübergehend das Lager verlassen durften, ob diese Urlaubsreisenden über ihre Erlebnisse innerhalb des Lagers sprechen durften; ihre Erlebnisse innerhalb des Lagers nach außen tragen durften?

BALACHOWSKY: Alle Konzentrationslager sind im Grunde genommen große Durchgangslager. Ständig wechselten die Insassen. Sie kamen von einem Lager in das andere. Sie kamen und gingen. Infolgedessen gab es immer neue Gesichter. Jedoch, abgesehen von Kameraden, die wir schon vor der Verhaftung kannten, und einigen anderen, war uns die große Masse derjenigen, die kamen und gingen, fremd.

DR. KAUFFMANN: Ich habe mich vielleicht etwas unklar ausgedrückt. Ich meine folgendes: Gelegentlich durften, wie Sie vorhin sagten, politische Häftlinge für eine gewisse Zeit das Lager verlassen. Wußten diese Häftlinge über diese Exzesse Bescheid, und wenn sie Bescheid wußten, durften sie über diese Dinge im übrigen Deutschland sprechen?

BALACHOWSKY: Die äußerst geringe Anzahl von politischen Häftlingen, ausschließlich deutscher Staatsangehörigkeit, die jemals Urlaub bekommen hatten, waren Häftlinge, denen die SS wichtige Posten innerhalb des Lagers anvertraut hatte, und die seit mindestens zehn Jahren im Lager waren. Das war zum Beispiel bei dem Kapo Karl der Fall, der die Lagerkantine von Buchenwald leitete, das heißt, Kantine der Waffen-SS, für die er die Veranwortung hatte. Er hatte vierzehn Tage Urlaub erhalten, um seine Familie in Zeitz besuchen zu können. Dieser Kantinenkapo war also während dieser zehn Tage frei und hat seiner Familie alles erzählen können, was er wollte. Aber ich weiß natürlich nicht, wie er sich verhalten hat.

Auf jeden Fall mußte er sehr vorsichtig sein. Diejenigen Gefangenen, die jemals aus dem Lager beurlaubt wurden, waren immer alte Gefangene, die fast alles wußten, was im Lager vorging, einschließlich der Experimente.

DR. KAUFFMANN: Nun noch eine letzte Frage. Wenn ich einmal annehme, daß diese von Ihnen eben geschilderten Menschen ihrer Familie auch selbst insgeheim nur etwas gesagt hätten, und die Lagerleitung hätte von dieser Indiskretion Kenntnis erhalten, glauben Sie nicht auch, daß auf diese Indiskretion vielleicht sogar die Todesstrafe ausgesprochen worden wäre?

BALACHOWSKY: Ja, wenn Indiskretionen dieser Art seitens der Familie bekannt wurden, oder wenigstens der SS zu Ohren kamen – derartige Indiskretionen können innerhalb des Bekanntenkreises weitererzählt werden – wenn solche Indiskretionen der Waffen-SS zu Ohren kamen, dann riskierten die Häftlinge zweifellos die Todesstrafe.

DR. KAUFFMANN: Ich danke sehr.

VORSITZENDER: Wünscht irgendein anderer Verteidiger Fragen zu stellen?

RA. BABEL: Ich verwahre mich gegen die Unterstellung des Vertreters der Anklage, daß ich Zeugen durch meine Fragestellung in Verwirrung bringen wollte oder will. Mir ist gesagt worden, daß ich eine schlechte Presse haben werde. Ich bin nicht hier wegen der guten oder schlechten Meinung der Presse, sondern um meine Pflicht als Verteidiger zu erfüllen. Und ich bin der Ansicht, daß dies von keinem an diesem Prozeß Beteiligten, auch von der Presse nicht, erschwert werden sollte. Mir hat dieser Krieg so viel Unglück und Leid gebracht, daß ich keine Veranlassung habe, jemanden zu schützen oder gar zu unterstützen, der an diesem Unglück und an dem Unglück, das über unser ganzes Volk gekommen ist,...

VORSITZENDER: Wollen Sie sich bitte setzen.

RA. BABEL:... schuld oder mitschuldig ist. Ich werde auch nicht versuchen, einen solchen einer gerechten Strafe zu entziehen. Ich bin lediglich bestrebt, das Gericht bei der Erforschung der Wahrheit zu unterstützen und dadurch zu ermöglichen, daß ein wirklich gerechtes Urteil gefällt wird, und daß nicht Unschuldige verurteilt werden.

VORSITZENDER: Ich bat Sie, Ihren Platz wieder einzunehmen. Sie haben hier keine Reden zu halten. Sie haben meiner Ansicht nach eine Rede gehalten. Dies ist nicht die geeignete Gelegenheit dazu.

RA. BABEL: Ich habe dies für notwendig gehalten, nachdem ich von dem Vorwurf des Vertreters der Anklage nicht geschützt worden bin.