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[Das Gericht setzt die Verhandlung

für 10 Minuten aus.]

DR. NELTE: Herr Präsident! Ich hatte Gelegenheit, mich während der Pause mit meinem Klienten Keitel zu unterhalten. Der Französische Anklagevertreter hat vor der Pause als Beweisstück Dokument F-668, RF-36, einen Auszug aus einer Note des Admirals Darlan an den Französischen Botschafter Scapini, überreicht. Der Französische Anklagevertreter glaubt, wie ich aus seinen Worten entnehme, damit bewiesen zu haben, daß Vereinbarungen deutscher Generale mit französischen Truppen, die die Waffen niedergelegt hatten, nicht eingehalten worden seien. Mit Rücksicht auf die Schwere dieser Vorwürfe wäre ich der Französischen Anklagebehörde dankbar, wenn sie zu diesem Dokument erklären könnte, ob diese schweren Vorwürfe der Französischen Regierung auch der Deutschen Regierung zur Kenntnis gebracht worden sind.

Der Anklagevertreter hatte aus dieser Urkunde schon die Schlußfolgerung gezogen, daß die in der Urkunde enthaltenen Mitteilungen auch bewiesen seien. Ich darf darauf hinweisen, daß es sich um den Auszug aus einer Note des Admirals Darlan an den Französischen Botschafter Scapini handelt, daß es also aus dieser Urkunde nicht ersichtlich ist, ob der Botschafter Scapini bei der Deutschen Regierung die entsprechenden Vorstellungen erhoben hat, ferner, was die Deutsche Regierung hierauf geantwortet hat.

Aus diesem Grunde bat ich den Herrn Französischen Anklagevertreter zu erklären, ob er aus seinen Akten feststellen könne, ob diese schweren Vorwürfe der Deutschen Regierung auch zur Kenntnis gebracht seien, und zweitens, was die Deutsche Regierung darauf geantwortet hat. Es ist den Angeklagten und auch der Verteidigung mit Rücksicht darauf, daß sich diese Urkunden der Waffenstillstandskommission im Besitz der Siegermächte befinden, nicht möglich, selbst Entlastungsdokumente vorzulegen.

VORSITZENDER: Wenn Sie zu den Einwänden, die Dr. Nelte soeben gemacht hat, etwas zu sagen wünschen, wäre es vielleicht am besten, dies sofort zu tun. Wenn ich recht verstehe, wird der Einwand erhoben, daß dieses Dokument, F-668, eine Note Admiral Darlans darstellt, in der darüber Klage geführt wird, daß sich bestimmte französische Truppen auf Grund der Zusicherung nicht gefangengenommen zu werden, ergeben hatten und dann doch als Kriegsgefangene nach Deutschland transportiert worden sind. Dr. Nelte fragt, ob diese Angelegenheit mit der Deutschen Regierung besprochen worden ist, und wenn ja, welche Antwort die Deutsche Regierung erteilt hat. Der Gerichtshof ist der Ansicht, daß diese Anfrage Dr. Neltes begründet ist.

M. DUBOST: Herr Präsident! Die Antwort ist bereits gegeben worden. Ich habe das Schreiben des Botschafters Scapini an Botschafter Abetz in dieser Sache schon verlesen.

VORSITZENDER: Ich werde darauf aufmerksam gemacht, daß die zwei Dokumente, auf die Sie sich beziehen, vom 4. April datiert sind. Das Dokument, auf das Dr. Nelte Bezug nimmt, ist späteren Datums, es stammt vom 22. April. Deshalb geht aus Dokumenten, die aus der Zeit vor dem Dokument vom 22. April herrühren, nicht hervor, was später geschehen ist.

M. DUBOST: Herr Präsident! Diese Dokumente kommen aus Archiven, die zum Teil infolge von Kriegseinwirkungen verstreut sind. Ich weiß nicht, ob der Anfrage der Verteidigung entsprochen werden kann.

VORSITZENDER: Vielleicht könnte die Frage untersucht werden, um festzustellen, ob diese Angelegenheit mit der Deutschen Regierung besprochen worden ist, und welche Antwort die Deutsche Regierung erteilt hat.

M. DUBOST: Ich werde dies tun, Herr Präsident!

VORSITZENDER: Nicht im Augenblick, aber im Laufe der Zeit.

M. DUBOST: Ich muß mich an die Französische Regierung wenden, um zu erfahren, ob sich in unseren Archiven eine Spur von einer Mitteilung der Französischen Regierung an die Deutsche Regierung aus der Zeit nach dem 26. April findet.

VORSITZENDER: Falls Sie nicht in der Lage sein sollten, eine zufriedenstellende Erklärung zu erhalten, wird der Gerichtshof von Dr. Neltes Einwand, oder besser gesagt, von seiner Kritik an dem Dokument Kenntnis nehmen.

Ich werde außerdem darauf hingewiesen, daß die zwei früheren Dokumente, auf die Sie sich beziehen, von dem Französischen Botschafter an den Deutschen Botschafter Abetz gerichtet sind; es ist daher möglich, daß ein ähnlicher Schriftwechsel bezüglich des Dokuments F-668 besteht, das sich in dem gleichen Aktenstoß befindet, von dem die Französische Regierung wahrscheinlich Kopien besitzt.

M. DUBOST: Das ist möglich, aber es ist nur eine Vermutung, die ich vor Gericht nicht aufstellen möchte. Ich ziehe es vor, die Dokumente vorzulegen.

VORSITZENDER: Ich verstehe; Sie können sich nicht im Augenblick damit befassen.

Was die andere Frage betrifft, die von Dr. Exner aufgeworfen wurde, so ist der Gerichtshof der Ansicht, daß das Dokument 532-PS aus den Prozeßakten gestrichen werden sollte, soweit es in ihnen enthalten ist. Wenn die Amerikanische und Französische Anklagebehörde das Dokument zu einem späteren Zeitpunkt wieder zum Beweis vorlegen wollen, so können sie den entsprechenden Antrag stellen. Ebenso steht es den Verteidigern, Dr. Exner zum Beispiel, frei, das Dokument zu benützen, wenn sie dies wünschen.

Was die anderen Fragen betrifft, die Dr. Exner angeschnitten hat, so ist es der Wunsch des Gerichtshofs, die Verteidiger in ihrer Arbeit in jeder Weise zu unterstützen. Der Gerichtshof ist daher sehr darauf bedacht, daß die Vorschriften, die hinsichtlich der Dokumente festgelegt worden sind, eingehalten werden. Er ist auch der Ansicht, daß Abschriften von Originaldokumenten jedenfalls alle Angaben enthalten müssen, die in den Originaldokumenten selbst enthalten waren.

Dieses Dokument 532-PS nun weist als Abschrift nicht die handschriftliche Randbemerkung auf, die das Originaldokument zeigt. Auf jeden Fall ist es wichtig, daß die Abschriften alle Angaben des Originals enthalten.

Dann möchte ich noch auf eine andere Sache zu sprechen kommen. Ich bemerkte bereits, daß es sehr wichtig ist, daß Dokumente, wenn sie zum Beweis vorgelegt werden, nicht nur als Beweisstücke Nummern erhalten sollen, sondern daß diese Beweisstücknummern bei der Vorlage auch genannt werden und noch wichtiger, oder mindestens ebenso wichtig ist es, daß die Bescheinigung über die Herkunft des Dokuments dem Gerichtshof ebenfalls vorgewiesen wird. Alle Dokumente, die von den Vereinigten Staaten vorgelegt worden sind, waren mit einer Bescheinigung über Fundort oder Herkunft versehen. Es ist wichtig, daß dieses Verfahren in jedem Fall angewandt wird.

Als letztes möchte ich darauf hinweisen, daß es sehr angenehm wäre, sowohl für die Verteidiger wie für die Richter, wenn sie über das beabsichtigte Programm der Ankläger für den nächsten Tag zumindest am Vorabend unterrichtet würden. Es ist wahr, wie gesagt wurde, daß dies von der Anklagevertretung vielleicht nicht in allen Fällen regelmäßig durchgeführt worden ist; es wurde jedoch, soweit ich mich erinnere, in vielen Fällen getan. Es ist sicherlich das passendste Verfahren, und der Gerichtshof wünscht, daß es durchgeführt wird. Der Gerichtshof würde gern wissen, welche Fragen Sie, Herr Dubost, morgen behandeln wollen, und wäre sehr dankbar, wenn die Französische Anklagebehörde mitteilen würde, wieviel Zeit ihre Anklage voraussichtlich noch in Anspruch nehmen wird. Der Gerichtshof möchte, daß Sie ihm und den Verteidigern vor Schluß oder am Schluß Ihres Vortrags von heute Nachmittag das Programm für morgen bekanntgeben.

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Herr Vorsitzender! Darf ich einige Worte zu der Frage der Dokumente sagen? Ich hatte während der Verhandlungspause Gelegenheit, mich mit meinem Freund, Herrn Dodd, und meinem Freund, Herrn Dubost, darüber zu beraten; alle PS-Dokumente gehören zu einer Reihe von erbeuteten Dokumenten, deren Herkunft und weitere Behandlung am 22. November von Major Coogan beglaubigt wurde, wie dies von meinem Freund, Oberst Storey, dargelegt worden ist.

Es ist die Ansicht der Anklagebehörde, daß alle solche Dokumente, die auf diese Weise erbeutet und beglaubigt wurden, zulässig sind, und sie ist natürlich gern bereit, dies dem Gerichtshof zu jeder gewünschten Zeit näher darzulegen. Ich betone »zulässig«; der Wert, den der Gerichtshof irgendeinem dieser Dokumente beimißt, geht selbstverständlich aus dem Inhalt des Dokuments und aus den Umständen hervor, unter denen es zustandegekommen ist. Das ist der alleinige Grund, aus dem ich es wagte, jetzt zu unterbrechen, daß nämlich eine Verwechslung entstehen könnte zwischen der allgemeinen Beglaubigung eines Dokuments als Beutedokument, was durch Major Coogans' eidesstattliche Erklärung geschehen ist, und der Einzelbeglaubigung der Übersetzung, das heißt der Richtigkeit der Übersetzung der verschiedenen Dokumente, die am Ende jedes einzelnen amerikanischen Dokuments erscheint. Mein Freund, Herr Dodd, und ich legten großen Wert darauf, diesen Punkt dem Gerichtshof vorzutragen, und wir sind gern bereit, dem Gerichtshof jede weitere Auskunft zu geben, die gewünscht wird.

VORSITZENDER: Bezieht sich die eidesstattliche Erklärung Major Coogans auf alle anderen Dokumentenserien, die von den Vereinigten Staaten vorgelegt werden?

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Sie bezieht sich auf PS und, ich glaube, auf die Buchstaben D, C, L, R und EC.

VORSITZENDER: Hat diese Beglaubigung auch Gültigkeit für dieses Stück Papier, das mit 532-PS bezeichnet ist und keine weitere Kennzeichnung aufweist?

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Ja. Die eidesstattliche Erklärung beweist, daß dieses Dokument ein deutsches Beutedokument ist, sie beweist auch den ganzen Vorgang, nämlich das, was danach geschehen ist. Ich habe den Gerichtshof mit der Verlesung nicht belästigt, weil wir die Vorlage des Papiers als solche für zulässig ansehen; die Frage der Bedeutung kann selbstverständlich verschieden sein.

VORSITZENDER: Ja.

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Ich möchte nicht, daß der Gerichtshof der irrigen Auffassung ist, jedes Dokument sei einzeln beglaubigt worden. Beglaubigt werden jene Stücke, die nicht Beutedokumente sind. Wenn ein Dokument aus einer in Artikel 21 erwähnten Quelle stammt, dann beglaubigt eine dazu befugte Stelle der zuständigen Regierung seine Herkunft, und das geschieht im einzelnen. Beutedokumente jedoch werden von uns nicht einzeln beglaubigt; wir berufen uns da auf das Affidavit von Major Coogan.

VORSITZENDER: Ja. Einen Augenblick! Sir David, es ist vielleicht richtig, mit Bezug auf dieses Dokument 532-PS oder auf denjenigen Teil des Dokuments, der vorgelegt wurde, festzustellen, daß erstens die Abschrift, die uns vorgelegt wurde, nicht die Randbemerkung enthielt, und daß es daher falsch ist. Wir stimmen Ihrer Ansicht zu, daß es durch Major Coogans Affidavit, wie Sie sagen, beglaubigt ist. Das ist zulässig. Das hat aber natürlich nichts mit seinem Wert zu tun. Darüber sprach Dr. Exner.

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: So habe ich es verstanden, Herr Präsident.

VORSITZENDER: Es ist ein Dokument privater Natur und nicht ein Stück, von dem wir offiziell Kenntnis nehmen können, es ist von der Amerikanischen oder einer anderen Anklagebehörde nicht vor dem Gerichtshof verlesen worden und stellt auch jetzt kein Beweismaterial dar, da es von Herrn Dubost nicht verlesen wurde.

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Herr Präsident! Dazu möchte ich natürlich nichts weiter sagen; das ist eine Entscheidung des Gerichtshofs. Das, was ich betonen wollte, ist, daß die PS-Dokumente als solche beglaubigt sind und – selbstverständlich vorbehaltlich ihrer Verlesung vor dem Gerichtshof – vorgelegt werden können.

VORSITZENDER: Ich danke Ihnen, wir verstehen das vollkommen. Ich möchte im Namen des Gerichtshofs die Französische Anklagebehörde und ihren Stab um Entschuldigung bitten; ich erfahre soeben, daß die Randbemerkung auch auf der Übersetzung erscheint. Ich bitte Sie daher um Entschuldigung, Herr Dubost.

M. DUBOST: Vielen Dank, Herr Präsident! Der Gerichtshof erinnert sich sicherlich daran, daß er heute Morgen das Dokument 1553-PS abgelehnt hat. Der Gerichtshof erinnert sich daran, daß es Rechnungen enthielt über Gase, die für Oranienburg und Auschwitz bestimmt waren. Ich glaube, daß das Dokument 1553-PS, da es schon beglaubigt ist, nach den Erklärungen von Sir David vom Gerichtshof zugelassen werden wird.

VORSITZENDER: Ist es verlesen worden, Herr Dubost?

M. DUBOST: Ja, Herr Präsident! Ich war heute Morgen dabei, es zu verlesen. Es ist das siebenundzwanzigste Dokument im zweiten Buch von heute Morgen. Das Dokument wurde vom Gerichtshof nicht zugelassen, da der Gerichtshof von mir die Vorlage eines Affidavits verlangte. Die Intervention von Sir David ersetzt dieses Affidavit. Ich bitte den Gerichtshof um Entschuldigung wegen dieses Ansuchens, ich wäre jedoch dankbar, wenn er das Dokument, das er heute Morgen zurückgewiesen hat, annehmen würde.

VORSITZENDER: Gut.

M. DUBOST: Ich danke Ihnen, Herr Präsident!

VORSITZENDER: Herr Dubost, es handelt sich um Gas, nicht wahr?

M. DUBOST: Ja, Herr Vorsitzender.

VORSITZENDER: Es handelt sich um eine Rechnung, sowie um mehrere andere Rechnungen, auf die Sie hinwiesen.

M. DUBOST: Das ist richtig. Das Ganze stellte Dokument 1553-PS, RF-350, dar. Dieses Dokument gehört zu der Serie von Urkunden, die durch das Affidavit, von dem Sir David soeben sprach, gedeckt sind.

VORSITZENDER: Herr Dubost, wenn Sie diesem Punkt Wert beimessen, wäre es Ihnen möglich, die in diesen anderen Rechnungen enthaltenen Zahlen anzugeben? Ich meine die Gasmengen.

M. DUBOST: Sehr gern, Herr Präsident.

VORSITZENDER: Nur, damit sie in unserem stenographischen Protokoll enthalten sind.

M. DUBOST: 14. Februar 1944: brutto: 832 Kilogramm, Netto: 555 Kilogramm, Bestimmungsort Auschwitz, 16. Februar 1944: brutto: 832 Kilogramm, Netto: 555 Kilogramm, Bestimmungsort Oranienburg, 13. März 1944: brutto: 896 Kilogramm, Netto: 598 Kilogramm, Bestimmungsort Auschwitz, 13. März 1944: brutto: 896 Kilogramm, Netto: 598 Kilogramm, Bestimmungsort Oranienburg, 30. April 1944: brutto 832 Kilogramm, Netto: 555 Kilogramm, Bestimmungsort Auschwitz, 30. April 1944: brutto: 832 Kilogramm, Netto: 555 Kilogramm, Bestimmungsort Auschwitz, 18. Mai 1944: brutto: 832 Kilogramm, Netto: 555 Kilogramm, Bestimmungsort Oranienburg, 31. Mai 1944: brutto: 832 Kilogramm, Netto: 555 Kilogramm, Bestimmungsort Auschwitz.

Das scheint mir alles zu sein.

Dem Dokument 1553-PS sind die Aussage Gersteins sowie die Erklärungen des Chefs der amerikanischen Dienststelle, die diese Dokumente gefunden hat, beigefügt.

Mit Erlaubnis des Gerichtshofs möchte ich mit meinem Vortrag über die Verbrechen gegen die in Deutschland internierten alliierten Kriegsgefangenen, wie wir sie den Angeklagten vorwerfen, fortfahren. Dokument 735-PS, das der Gerichtshof auf Seite 68 des Dokumentenbuches findet, und das wir vorhin als RF-371 vorgelegt haben, berichtet von wichtigen Besprechungen zwischen Kaltenbrunner, Ribbentrop und Göring, in deren Verlauf die Liste der Luftkriegshandlungen festgehalten wurden, die Terrorakte darstellen.

Es wurde entschieden, daß das Lynchen die beste Züchtigung für alle Handlungen gegen die Zivilbevölkerung sei, die die Deutsche Regierung als Terrorakte betrachtete.

Auf Seite 68 wird von Ribbentrop gesprochen. In einer der drei Exemplare der Vortragsnotizen, die an jenem Tage niedergeschrieben wurden, lesen wir im ersten Absatz, Zeile 11:

»... im Gegensatz zu dem ursprünglichen Vorschlag des Reichsaußenministers, der jede Art von Terrorangriff gegen die heimische Zivilbevölkerung, also auch die Bombenangriffe gegen Städte, einbeziehen wollte,...«

Die Vorschläge Ribbentrops gingen also über das, was im Verlauf jener Besprechung beschlossen wurde, weit hinaus. Die folgenden drei Zeilen verdienen die Aufmerksamkeit des Gerichtshofs:

»Die Lynchjustiz würde als die Regel zu gelten haben. Von standgerichtlicher Aburteilung und Übergabe an die Polizei sei dagegen nicht die Rede gewesen.«

Am Ende der Seite:

»... daß... auch das Verfahren einer Absonderung solcher feindlicher Flieger, die im Verdacht von verbrecherischen Handlungen dieser Art stehen, bei ihrer Aufnahme in das Fliegeraufnahmelager Oberursel und, bei Bestätigung des Verdachts, ihre Übergabe an den SD zur Sonderbehandlung vorbereitet werden müsse.«

Der Gerichtshof wird sich sicher an die Beschreibung erinnern, die die Amerikanische Anklagebehörde über diese »Sonderbehandlung« gegeben hat. Es handelte sich einfach um die Vernichtung der alliierten Flieger, die in die Hände der Deutschen Wehrmacht gefallen waren.

Auf Seite 69 kann der Gerichtshof unter Punkt 3 die Beschreibung und Aufzählung der Handlungen lesen, die als Terrorakte betrachtet wurden und eine Lynchjustiz rechtfertigten:

»a) Bordwaffenangriffe auf die Zivilbevölkerung, und zwar sowohl auf Einzelpersonen wie auf Ansammlungen;

b) Beschuß von am Fallschirm hängenden abgeschossenen eigenen (deutschen) Fliegern.

c) Bordwaffenangriffe auf Personenzüge des öffentlichen Verkehrs;

d) Bordwaffenangriffe auf Lazarette, Krankenhäuser und Lazarettzüge, die mit dem Roten Kreuz deutlich gekennzeichnet sind;«

Drei Zeilen tiefer:

»Wenn sich das Vorliegen einzelner solcher Tatbestände durch Vernehmungen ergibt, sind die Gefangenen dem SD zu überstellen.«

Dieses Dokument stammt aus dem Führerhauptquartier. Es ist vom 6. Juni 1944 datiert und trägt am Kopf die Bezeichnung des Stellvertretenden Chefs des Wehrmachtsführungstabs.

VORSITZENDER: Ich glaube, das ist schon alles verlesen worden, Herr Dubost. Dieses Dokument ist bereits ganz verlesen worden.

M. DUBOST: Herr Präsident, man sagte mir, daß es noch nicht vorgelesen worden sei.

VORSITZENDER: Ich habe das nicht überprüft.

M. DUBOST: Wir legen Dokument 729-PS als RF-372 vor. Dieses Dokument bestätigt das vorausgehende Stück. Es kommt aus dem Führerhauptquartier und trägt das Datum des 15. Juni 1944. Es wiederholt die Befehle, die ich Ihnen soeben verlesen habe. Es ist jedoch von General Keitel unterzeichnet, während die vorausgehende Urkunde mit »J« gezeichnet war. Wir haben nicht feststellen können, von wem dieser Buchstabe herrührt.

Das Dokument 730-PS, das wir als RF-373 vorlegen, stammt ebenfalls aus dem Führerhauptquartier und trägt auch das Datum vom 15. Juni 1944. Es ist an das Auswärtige Amt gerichtet, zu Händen von Botschafter Ritter.

Der Gerichtshof findet es auf Seite 71 seines Dokumentenbuches. Das Dokument enthält die vorhergehenden von Keitel unterzeichneten Befehle und ist ebenfalls von Keitel unterzeichnet.

Wir legen Dokument 733-PS als RF-374 vor, das die Behandlung der in die Hände der Deutschen Wehrmacht gefallenen Flieger betrifft. Es handelt sich hier um eine telephonische Nachricht seitens des Adjutanten des Reichsmarschalls, Hauptmann Breuer.

DR. NELTE: Ich nehme an, Herr Anklagevertreter, daß Sie die Besprechung der Frage der Lynchjustiz beendet haben. Es sind bei diesem Vortrag verschiedentlich die Worte »Befehl Keitels« gebraucht worden. Der Herr Anklagevertreter hat allerdings diese Dokumente nicht verlesen. Ich wäre dem Herrn Anklagevertreter dankbar, wenn er ein Dokument vorlegen könnte, das einen Befehl enthält, oder das die Lynchjustiz, wie dies von der Anklagebehörde behauptet wird, zum Befehl erhebt. Der Angeklagte Keitel und der Angeklagte Jodl behaupten, daß ein solcher Befehl niemals gegeben worden ist, und daß diese Verhandlungen, über welche Dokumente vorgelegt wurden, daß diese Dokumente nicht zum Befehl geworden sind, weil die kompetenten Stellen es verhindert haben.

VORSITZENDER: Die Dokumente sprechen für sich selbst.

M. DUBOST: Wünscht der Gerichtshof die vollständige Verlesung eines dieser von Keitel unterzeichneten Dokumente?

Ich verlese:

»Betr. Behandlung feindlicher Terrorflieger.

I. Anliegend wird der Entwurf eines Antwortschreibens des Reichsaußenministers an Chef OKW, der über Botschafter Ritter dem WFSt zugeleitet wurde, vorgelegt.«

Ich überspringe einen Absatz:

»II. Reichsmarschall ist mit der vom OKW mitgeteilten Formulierung über den Begriff der Terrorflieger und mit dem vorgeschlagenen Verfahren einverstanden.«

Dieses Dokument wird als RF-375 vorgelegt. Ich habe dem Gerichtshof keinen formellen Befehl vorgelegt, sondern drei Dokumente, die meiner Ansicht nach einem Befehl gleichkommen, denn neben dem von Keitel gegengezeichneten Stück haben wir die von Warlimont unterzeichnete Notiz, in der erklärt wird, daß der Reichsmarschall die vom OKW gegebene Definition des Terrorfliegers sowie das vorgeschlagene Verfahren billige. Dieses Dokument trägt die Gegenzeichnung von Keitel.

Wir legen nunmehr Dokument L-154 vor, das von meinen amerikanischen Kollegen bereits als US-335 eingereicht worden ist. Mein Kollege hat es vollständig verlesen. Ich will nur drei Zeilen daraus zitieren, um den Gerichtshof nicht aufzuhalten:

»Sämtliche Jabo-Piloten, die abgeschossen werden, sind grundsätzlich der Volksempörung nicht zu entziehen.«

Dieser Text stammt aus der Dienststelle des Gauleiters und Reichsverteidigungskommissars für den Gau Westfalen-Süd, Albert Hoffmann.

Als RF-376 legen wir Dokument F-686 vor, das der Gerichtshof auf Seite 82 des Dokumentenbuches findet. Es handelt sich um das Protokoll über die Vernehmung Hugo Grüners vom 29. Dezember 1945. Grüner unterstand Robert Wagner, dem Gauleiter von Baden, Elsaß. Grüner erklärt:

»Wagner hat den formellen Befehl gegeben, alle alliierten Flieger, die in Gefangenschaft geraten, niederzumachen. Bei dieser Gelegenheit hat Gauleiter Wagner uns erklärt, daß die alliierten Flieger auf deutschem Gebiet großen Schaden anrichteten, und daß es sich hier um einen unmenschlichen Krieg handle. Unter diesen Bedingungen müßten die gefangenen Flieger nicht als Kriegsgefangene betrachtet werden und verdienten keinerlei Gnade.

Er betonte, daß die Kreisleiter, wenn sich die Gelegenheit böte, nicht verfehlen sollten, die festgenommenen feindlichen Flieger selbst zu erschießen.

Wie ich Ihnen schon sagte, hat Röhm Wagner assistiert, jedoch nicht selbst das Wort ergriffen. Ich kann behaupten, daß der SS-General Hoffmann, Chef der SS für den Südwesten, zugegen war, als uns von Wagner der Befehl erteilt wurde, die feindlichen Flieger niederzumachen.«

Herr Vorsitzender! Dieser Zeuge Hugo Grüner gibt zu, daß er an der Liquidierung alliierter Flieger teilgenommen hat. Während er Rheinweiler passierte, heißt es im sechsten Absatz, das war im Oktober oder November 1944, bemerkte Grüner, daß englische oder amerikanische Flieger von Soldaten aus dem Rhein gezogen worden waren. Die vier Flieger trugen Khakiuniform, sie hatten keine Kopfbedeckung und waren mittelgroß. Er hat sie nicht angesprochen, da er nicht englisch kann. Die Wehrmacht lehnte es ab, die Flieger zu übernehmen.

Im dritten Absatz erklärte der Zeuge folgendes, ich lese:

»Ich erkläre den Polizisten, daß ich von Wagner den Befehl erhalten habe, alle gefangenen alliierten Flieger niederzumachen. Die Polizisten antworteten, das sei das einzige, das man mit ihnen machen müsse.

Ich entschloß mich daher, die vier alliierten Gefangenen niederzumachen, und einer der anwesenden Polizisten schlug mir als Hinrichtungsplatz das Rheinufer vor.«

Grüner beschreibt dann die von ihm zur Ermordung der Flieger getroffenen Maßnahmen. Er gesteht, daß er sie durch Schüsse mit einer Maschinenpistole in den Rücken getötet habe. Er nennt den Namen eines seiner Komplicen, Erich Meißner, Gestapobeamter aus Lörrach, und sagt, daß Meißner selbst Flieger umgebracht habe, gerade als sie aus dem Wagen stiegen und sich auf den Rhein zu bewegten.

»Er tötete sie, indem er jedem eine Maschinenpistolengarbe in den Rücken schoß, dann wurde jeder Gefangene an den Füßen bis zum Rhein geschleift und hineingeworfen.«

Diese Erklärung wurde vom Untersuchungsrichter in Straßburg aufgenommen. Das Dokument, das wir vorlegen, ist vom Gerichtsschreiber des Untersuchungsrichters zur Beglaubigung der Abschrift unterzeichnet.

So wurden die Befehle, die die Chefs der Deutschen Regierung gegeben hatten, vom deutschen Volk ausgeführt.

VORSITZENDER: Herr Dubost! Ich sehe, daß es 5.00 Uhr ist. Vielleicht können Sie uns Ihr Programm für morgen mitteilen.

M. DUBOST: Morgen werden wir die Ausführungen über die Kriegsgefangenenfragen zum Abschluß bringen. Wir werden Ihnen in gedrängter Form die Dokumente vorlegen, die uns trotz der Zeugenaussagen über die Konzentrationslager als unerläßlich erscheinen. Es handelt sich nur um einige Dokumente, die alle den einen oder anderen der Angeklagten unmittelbar betreffen. Dann werden wir darlegen, wie die von den Chefs der Deutschen Wehrmacht erlassenen Befehle die Täter zu Terrorakten und Banditenstreichen verleiteten, die sich gegen die unschuldige französische Zivilbevölkerung und gegen französische Patrioten richteten, die nicht als Freischärler, sondern als gewöhnliche Banditen behandelt wurden.

Wir glauben, morgen Vormittag damit fertig zu werden. Im Laufe des Nachmittags wird mein Kollege, Herr Faure, mit dem Vortrag des letzten Teiles der französischen Anklage zum Thema: Verbrechen gegen die Menschlichkeit beginnen.

VORSITZENDER: Können Sie uns nicht ungefähr angeben, wie viel Zeit die gesamte französische Anklage beanspruchen wird?

M. DUBOST: Ich glaube, daß drei Tage für Herrn Faure genügen werden. Die Einzelanklagen, vorgetragen von unserem Kollegen, Herrn Mounier, werden einen halben Tag beanspruchen. Das ist alles.

VORSITZENDER: Der Gerichtshof vertagt sich nunmehr.