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[Pause von 10 Minuten.]

M. FAURE: Bevor ich meine Ausführungen wieder aufnehme, möchte ich anfragen, ob der Gerichtshof bereit ist, in der Nachmittagssitzung einen Zeugen namens Reuter, Präsident des Kabinetts von Luxemburg, zu verhören.

VORSITZENDER: Selbstverständlich, Herr Faure, ist der Gerichtshof, wenn Sie es wünschen, bereit, den von Ihnen genannten Zeugen zu hören.

M. FAURE: Dann möchte ich vorschlagen, ihn in der zweiten Hälfte der heutigen Nachmittagssitzung zu vernehmen.

Soeben sagte ich, daß die verschiedenen Maßnahmen für einen verschleierten Anschluß dem Begriff der Vasallenschaft entsprechen, und ich möchte mich auch hier auf einen deutschen Autor beziehen, der einen sehr bezeichnenden Ausdruck gebraucht. Dr. Sperl hat in einem Artikel der Krakauer Zeitung folgenden Ausdruck angewandt: »Eine Differenzierung in den Methoden der deutschen Herrschaft.« Durch Anwendung indirekter und verschiedener Beherrschungsmethoden haben die Deutschen auf politischem Gebiet ebenso gehandelt, wie wir es vorher auf wirtschaftlichem Gebiet gesehen haben. Ich habe bereits im ersten Teil meiner Ausführungen darauf hingewiesen, daß sich die Deutschen sofort der Schlüsselstellungen des Wirtschaftslebens bemächtigt hatten. Ich erlaube mir, einen lateinischen Ausdruck anzuwenden, und ich möchte sagen, daß sie sich bezüglich der Souveränität in den besetzten Ländern der Schlüsselgewalt, »potestas clavium«, versichert haben; sie haben die Schlüssel zur Herrschaft in jedem Land ergriffen. Dadurch konnten sie, ohne offiziell die nationale Souveränität abschaffen zu müssen, wie es bei der Annexion der Fall gewesen wäre, diese Souveränität lenken und kontrollieren. Von diesen Leitgedanken ausgehend wurde der Plan meiner Ausführungen folgendermaßen festgelegt:

Im ersten Kapitel werde ich auf die Regierung der annektierten Gebiete eingehen, in denen die nationale Souveränität abgeschafft wurde.

Im zweiten Kapitel werde ich untersuchen, wie sich der Vorgang der Machtergreifung in Gebieten, die nicht angeschlossen wurden, zugunsten der Besatzungsmacht abgespielt hat.

Man müßte dann noch die Folgen dieser Usurpationen der Souveränität sowie auch die Verletzungen der Rechte der Bevölkerung, die daraus entstanden, einer Prüfung unterziehen.

Ich hielt es für richtig, die wichtigsten dieser Folgen in einem dritten und vierten Kapitel zu behandeln.

Das dritte Kapitel wird sich mit der geistigen Germanisierung beschäftigen, das heißt der Propaganda in weitestem Sinne, der diesem Begriff durch die deutsche Auffassung verliehen wird.

Das vierte und letzte Kapitel wird folgende Überschrift tragen: »Die verwaltungsmäßige Organisation der verbrecherischen Handlung«.

Ich möchte hier bemerken, daß ich mich bezüglich der Vorlegung der Dokumente bemüht habe, mich so kurz wie möglich zu fassen. Bezüglich des vierten Kapitels zum Beispiel möchte ich bemerken, daß die Französische Delegation mehr als 2000 Dokumente untersucht hat, wobei sie nur die deutschen Originaldokumente in Betracht gezogen hat, von denen ich nur etwa 50 verwende. Andererseits möchte ich dem Gerichtshof erklären, wie die Urkunden im Dokumentenbuch, das Sie vor sich haben, vorgelegt werden. Die Dokumente sind mit Bleistift numeriert, rechts oben, in jedem Dokumentenbuch. Sie sind in der Reihenfolge, in der ich sie zitieren werde. Jedes Buch hat eine Numerierung, die mit hundert beginnt.

Ich bitte den Gerichtshof, sich die Akten mit dem Titel »Die annektierten Gebiete von Eupen, Malmedy und Moresnet« anzusehen.

Durch die Annexion der besetzten Gebiete, ohne auch nur den Schein einer Rechtsgrundlage zu bieten, haben die Deutschen etwas Schlimmeres begangen als die Übertretung von Rechtsvorschriften. Es ist die Verneinung der eigentlichen Idee des Völkerrechts. Der Rechtsgelehrte Bustamente y Sirven setzt sich in seiner Abhandlung über Völkerrecht folgendermaßen damit auseinander:

»Man wird festgestellt haben,« so sagt er, »daß wir bisher nicht auf das Eintreten des Zustandes eingegangen sind, der entsteht, wenn die Okkupation aufhört, weil sich die Besatzungsmacht durch militärische Gewalt und ohne jeden Vertrag das besetzte Gebiet angeeignet hat. Der Grund für diese Lücke ist sehr klar und sehr einfach. Da die Eroberung nicht als eine rechtmäßige Art der Erwerbung angesehen werden kann, sind die Ergebnisse einzig und allein das Werk der Gewalt und können weder durch Rechtsregeln bestimmt noch an ihnen gemessen werden.«

Andererseits habe ich gerade erklärt, daß eine Germanisierung nicht mit Notwendigkeit die Annexion nach sich ziehen mußte. Umgekehrt ist es denkbar, daß die Annexion nicht notwendigerweise die Germanisierung bedeutet. Wir werden dem Gerichtshof nachweisen, daß die Annexion nur ein Mittel, und zwar das brutalste Mittel zur Germanisierung, das heißt in unserem Falle zur Nazifizierung war.

Der Anschluß der belgischen Bezirke Eupen, Malmedy und Moresnet erfolgte auf Grund eines deutschen Gesetzes vom 18. Mai 1940 und wurde mit Durchführungsverordnung vom 23. Mai 1940 ausgeführt.

Es handelt sich um die offiziellen Texte, die im Reichsgesetzblatt, Seite 777 und 804, veröffentlicht sind, und ich bitte den Gerichtshof, davon Kenntnis zu nehmen.

Durch diese Erlasse wurden diese drei belgischen Bezirke der Provinz Rheinland, Bezirk Aachen, angeschlossen.

Durch einen Erlaß vom 24. September 1940 wurden die deutsche Lokalverwaltung und die deutschen Gemeindegesetze eingeführt.

Ein Erlaß vom 28. Juli 1940 führte die deutsche Rechtsverfassung in diesen Gebieten ein. Es wurden in Eupen, Malmedy und St. Vith örtliche Gerichte eingesetzt und den Bezirksgerichten in Aachen gleichgestellt.

Das Oberlandesgericht in Köln vertrat die Stelle des belgischen Kassationsgerichts für die Fälle, für die dieses zuständig gewesen wäre.

Das deutsche Recht wurde in diesen Gebieten durch einen Erlaß vom 23. Mai 1940 eingeführt, der von Hitler, Göring, Frick und Lammers unterschrieben war; er trat am 1. September 1940 in Kraft.

Ein Erlaß vom 3. September bestimmt die Einzelheiten des Übergangs vom belgischen zum deutschen Recht auf dem Gebiet des Privatrechts, des Handelsrechts und des Prozeßrechts.

Die deutsche Staatsangehörigkeit wurde durch das Anschlußgesetz den Einwohnern sogenannter deutscher Rasse dieser belgischen Gebiete zuerkannt. Die Einzelheiten dieser Maßnahmen wurden durch einen Erlaß vom 23. September 1941 bestimmt. Alle Personen, die durch die Übernahme dieser Gebiete die belgische Nationalität erworben hatten, konnten nach den Bestimmungen des Erlasses ihre deutsche Staatsangehörigkeit wieder erlangen, mit Ausnahme der Juden und Zigeuner.

Alle anderen Einwohner konnten unter der Voraussetzung ihrer deutschen Rasse, die deutsche Staatsangehörigkeit, die innerhalb von zehn Jahren widerrufen werden konnte, erwerben.

Ich werde die durch die Annexion der belgischen Gebiete entstandenen Zustände nicht länger behandeln, denn die Entwicklung dieser Lage gleicht der anderer Länder, die wir untersuchen werden. Ich möchte nur eine Einzelheit hervorheben, eine Kleinigkeit, die bezeichnend für dieses Thema ist. Ein Gesetz vom 4. Februar 1941, das von Hitler, Göring, Frick und Lammers unterzeichnet wurde, hat den Bewohnern von Eupen, Malmedy und Moresnet eine Vertretung im Reichstag gewährt, das heißt also, die Vorzüge des deutschen parlamentarischen Regimes, dessen demokratischer Charakter ja bekannt ist.

Nun möchte ich den Gerichtshof bitten, die Akten »Elsaß-Lothringen« in die Hand zu nehmen. Ein Aktenbündel hat die Überschrift »Exposé« und eines heißt »Dokumente«.

Im Gegensatz zu den belgischen Bezirken haben die Deutschen nicht offiziell durch Gesetz den Anschluß der drei französischen Bezirke, die Elsaß- Lothringen bilden, bekanntgegeben. Über die Tatsache der Annexion besteht jedoch kein Zweifel. Hier möchte ich den Gerichtshof an einen Auszug aus einem Dokument erinnern, das bereits vorgelegt wurde und das als RF-3 der französischen Dokumente zu finden ist. Es handelt sich um eine Aussage des französischen Botschafters Noel, ehemaliges Mitglied der Waffenstillstandskommission, vor dem französischen Hohen Gericht.

Ich habe dieses Dokument in Ihr Buch nicht aufgenommen, denn ich werde nur einen Satz zitieren; außerdem ist es dem Gerichtshof bereits bekannt, wie ich eben auseinandergesetzt habe.

Der Gesandte Noel gibt in diesem Dokument Unterredungen wieder, die er zur Zeit der Unterzeichnung des Waffenstillstandsabkommens mit den deutschen Vertretern hatte, besonders mit den Angeklagten Keitel und Jodl. Der Satz, den ich hier dem Gerichtshof in Erinnerung bringen möchte, ist folgender:

»... auch im Hinblick auf Elsaß und Lothringen ließ ich ihnen sagen, daß die Gerichts- und Verwaltungsbehörden der besetzten Gebiete in Amt und Funktion bleiben und unbehindert mit der Regierung verkehren sollen.«

Diese Erklärungen stammen vom 22. Juni 1940.

Ich werde nunmehr dem Gerichtshof ein Dokument vorlegen, datiert vom 3. September 1940, das eine Protestnote der französischen Abordnung an die Waffenstillstandskommission darstellt. Ich lege dieses Dokument vor, damit der Gerichtshof sehen kann, daß innerhalb dieser Zeitspanne, also kaum mehr als zwei Monate, die Nazis schon eine Reihe von Maßnahmen außer Kraft gesetzt hatten, wodurch zweifellos ein Annexionszustand geschaffen worden war.

Das Dokument, das ich vorlege, trägt die Bezeichnung RF-701. Es ist das erste Dokument des Dokumentenbuches, das dem Gerichtshof vorliegt. Alle Dokumente dieses Kapitels werden Nummern tragen, die mit 7 anfangen, das heißt, sie sind von 701 ab numeriert.

Diese Dokumente stammen aus den Akten des französischen Hohen Gerichts, und der vorliegende Auszug ist vom zuständigen Gerichtsschreiber beglaubigt worden. Ich möchte dieses Dokument nur vom vierten Absatz an zitieren.

Es handelt sich also um Seite 1 des Dokuments RF-701:

»1. Die Präfekten, Unterpräfekten und Bürgermeister, sowie auch eine Anzahl von Beamten lokaler Behörden, die als verdächtig betrachtet wurden, wurden aus ihren Ämtern ausgeschaltet.

2. Monseigneur Heintz, Weihbischof von Metz, wurde von seiner Diözese verjagt. Mehrere Welt- und Ordensgeistliche wurden ebenfalls unter dem Vorwand verjagt, daß sie französischer Abstammung und französisch eingestellt seien.

3. Monseigneur Ruch, Weihbischof von Straßburg, wurde der Aufenthalt in seiner Diözese und demzufolge die Ausübung seiner Tätigkeit untersagt.

4. Herr Josef Bürckel ist am 7. August zum Gauleiter von Lothringen und Herr Robert Wagner zum Gauleiter des Elsasses ernannt worden.

Die erste seiner Provinzen wurde dem Gau Saarpfalz einverleibt und die zweite dem Gau Baden.

5. Elsaß-Lothringen ist der deutschen Zivilverwal tung eingegliedert worden. Die Grenz- und Zollpolizei wurde an die Westgrenze dieser Gebiete verlegt.

6. Die Eisenbahnen sind in das deutsche Eisenbahnnetz eingegliedert worden.

7. Die Postverwaltung wurde von der Deutschen Post übernommen und das vorhandene Personal nach und nach durch eigenes Personal ersetzt.

8. Die französische Sprache wurde sowohl aus dem Verwaltungsleben als auch aus dem öffentlichen Leben ausgeschaltet.

9. Die Ortsbezeichnungen wurden germanisiert.

10. Die deutsche Rassengesetzgebung wurde im Lande eingeführt, und demzufolge wurden die Juden sowie alle Bürger, die von den deutschen Behörden als unerwünscht betrachtet wurden, ausgewiesen.

11. Nur diejenigen Elsaß-Lothringer, die gewillt waren, sich als deutschstämmig zu betrachten, konnten in ihren Heimen bleiben.

12. Der Besitz politischer Organisationen und der Juden wurde beschlagnahmt, ebenso auch die von den Franzosen nach dem 11. November 1918 erworbenen Vermögenswerte.«

Nichts veranschaulicht den Geist dieser willkürlichen Maßnahmen besser als die Worte, die von Herrn Robert Wagner am 16. Juli in Straßburg veröffentlicht wurden. Unter Bezugnahme auf die geplante Ausschaltung aller Elemente fremden Stammes oder fremder Nationalität, betont dieser hohe Beamte, daß es die Absicht Deutschlands sei, ein für allemal die Frage Elsaß-Lothringen zu regeln.

Eine derartige Politik, die nicht das Werk von untergeordneten Okkupationsorganen sein konnte, glich einer verdeckten Annexion und steht formell im Widerspruch zu allen von Deutschland in Rethondes unterschriebenen Verträgen.

Sehr zahlreiche Proteste wurden im weiteren Verlauf von der Französischen Delegation abgefaßt. Wir haben unseren Akten eine Liste dieser Proteste, siebzig an der Zahl, beigefügt.

Diese Liste erscheint im Buch als RF-702.

Die Entwicklung der deutschen Politik kann jetzt an Hand von drei Stadien ihrer Verwirklichung untersucht werden:

1. Eine Reihe von Maßnahmen, die den Zweck hatten, das Franzosentum auszuschalten, das heißt, alles auszuschalten, was den Einwohner an sein nationales Leben und seine nationale Tradition binden könnte;

2. einer Reihe von Maßnahmen, die dazu bestimmt waren, alle Lebensgebiete der Bevölkerung zu germanisieren;

3. Umsiedlungs- und Kolonisierungs-Maßnahmen.

Wir benutzen hier die deutsche Bezeichnung.

Zum ersten Punkt: Ausschaltung des Franzosentums:

Die Ausschaltung der französischen Nationalität und des französischen Rechtes folgte automatisch den Maßnahmen zur Einführung der deutschen Normen, die wir untersuchen werden.

Ich möchte besonders in diesem Teile darauf hinweisen, daß die Deutschen sofort den Kampf gegen alle Elemente französischen Ursprungs aufnahmen, denen es gelungen war, die Unterdrückung des nationalen Rechtes zu überleben.

Sie haben als erstes in äußerst brutaler Weise die Anwendung der französischen Sprache verboten. Zu diesem Thema sind mehrere Verordnungen verfaßt worden. Ich werde lediglich die dritte Verordnung vom 16. August 1940 anführen, sie heißt »Anordnung zur Wiedereinführung der Muttersprache«. Diese Verordnung erscheint im Deutschen Verordnungsblatt von 1940, auf Seite 2. Es ist unser Dokument RF-703 und folgt auf RF-702, das die Liste der französischen Proteste darstellt. Ich möchte einen beträchtlichen Teil dieses interessanten Dokuments verlesen und beginne am Anfang:

»In Fortführung der eingeleiteten Maßnahmen zur Wiedereinführung der Muttersprache des elsässischen Volkes wird angeordnet:

1. Amtssprache.

Alle öffentlichen Dienststellen im Elsaß, einschließlich der Gemeinde-, Körperschafts-, Anstalts-, Kirchen- und Stiftungs-Verwaltungen und die Gerichte verwenden in Wort und Schrift ausschließlich die deutsche Sprache.

Die elsässische Bevölkerung bedient sich bei mündlichen und schriftlichen Anträgen an die genannten Dienststellen ausschließlich ihrer deutschen Muttersprache.

2. Vornamen und Familiennamen.

Die Vornamen werden in Wort und Schrift ausschließlich in ihrer deutschen Form gebraucht, auch insoweit sie in französischer Sprache in das Geburtsregister eingetragen sind. Mit sofortiger Wirkung dürfen nur noch deutsche Vornamen in das Geburtsregister eingetragen werden.

Denjenigen Elsässern, die französische Vornamen tragen, für welche eine deutsche Form nicht besteht, wird empfohlen, als den Ausdruck ihres Bekenntnisses zum Deutschtum eine Änderung ihrer Vornamen zu beantragen. Das gleiche gilt für französische Familiennamen.«

Ich überspringe den nächsten Satz, der nur verwaltungstechnischer Natur ist, und gehe auf Abschnitt 4 über:

»Private schriftliche Verträge und Urkunden aller Art dürfen nicht in französischer Sprache aufgesetzt werden. Aufdrucke auf Geschäftspapieren und Vordrucken sind in deutscher Sprache zu halten.

Die Buch- und Rechnungsführung aller Kaufleute, Unternehmen und Betriebe hat in deutscher Sprache zu erfolgen.

5. Inschriften auf Friedhöfen.

Inschriften auf Grabkreuzen und Grabdenkmälern dürfen in Zukunft nur in deutscher Sprache angebracht werden; diese Bestimmung gilt sowohl für die erstmalige Anbringung wie auch für die Erneuerung bestehender Inschriften.«

Diese Maßnahmen wurden von einer Pressekampagne begleitet. Auf Grund des Widerstands der Bevölkerung mußte diese Pressekampagne während der gesamten Dauer der Besatzung durchgeführt werden. Zu diesem Punkt möchte ich nur ein Zitat aus einem besonders bezeichnenden Artikel bringen, der in den »Straßburger Neuesten Nachrichten« am 30. März 1943 veröffentlicht wurde. Ich bringe diesen Artikel nicht als Dokument; es ist nur ein Zitat aus einem veröffentlichten Artikel.

Wenn man einen solchen Artikel liest, glaubt man zuerst, es handle sich um einen Witz, aber nachträglich sieht man, daß er wirklich ernst gemeint war, denn es handelt sich ja darum, Repressalien gegen die Saboteure der deutschen Sprache vorzuschreiben.

Ich zitiere:

»Der Deutsche grüßt mit ›Heil Hitler‹. Wir wollen keine französischen Begrüßungsformeln mehr, die wir noch fortwährend unter verschiedenen Formen zu hören bekommen. Das elegante ›Bon jour‹ taugt nicht für die rauhe Kehle der Elsässer, die schon seit Zeiten Otfried von Weißenburgs an die deutsche Zunge gewöhnt sind. Der Elsässer zerreißt uns die Ohren; er spricht ›bonschurr‹ aus. Wenn er ›Au revoir‹ sagt, haben die Franzosen den Eindruck, sie hören ein arabisches Wort, das etwa wie ›arwar‹ klingt. Man hört auch manchmal ›adje‹ (adieu) sagen.

Diese phonetischen Auswüchse, die unseren schönen elsässisch-alemannischen Dialekt entstellen, sind wie Disteln auf einer Blumenwiese und wir wollen sie austilgen. Sie sind des Elsasses nicht würdig. Verletzt man etwa das weibliche Empfinden, indem man ›Frau‹ statt ›Madame‹ sagt? Wir hoffen, daß die Elsässer die Gewohnheit verlieren werden, diese sprachlichen Verdrehungen weiter zu gebrauchen, sonst wären die Behörden dazu gezwungen, gegen die Saboteure der deutschen Sprache einzuschreiten.«

Nachdem die Sprache angegriffen worden war, gingen die Nazis zur Musik über. Sie ist der Gegenstand eines Erlasses vom 1. März 1941, unterzeichnet von Dreßler, Chef der Abteilung Volksaufklärung und Propaganda beim Chef der Zivilverwaltung im Elsaß.

Es ist unser Dokument RF-704; im Deutschen Verordnungsblatt auf Seite 170 im Jahre 1941 veröffentlicht. Ich werde lediglich den Titel dieses Erlasses »Anordnung über unerwünschte und schädliche Musik« und die ersten drei Zeilen anführen:

»Musikalische Werke, die dem nationalsozialistischen Kulturwillen widersprechen, werden von der Abteilung Volksaufklärung und Propaganda in einer Liste über unerwünschte und schädliche Musik geführt.«

Nach der Musik kommt die Kopfbedeckung. In diesen gesetzlichen Bestimmungen folgt das Lächerliche auf das Gemeine, und ich möchte mich fast entschuldigen, daß ich dies dem Gerichtshof vorlege, aber es ist wirklich nicht unsere Erfindung. Hier ist Dokument RF-705; es ist eine Verordnung vom 13. Dezember 1941, welche im Verordnungsblatt vom Jahr 1941 auf Seite 744 veröffentlicht wurde; also Dokument RF-705. Die Überschrift lautet: »Das Tragen von Franzosenmützen (Baskenmützen) im Elsaß.«

Ich lese nur den ersten Absatz:

»Das Tragen von Franzosenmützen (Baskenmützen) im Elsaß ist verboten; unter das Verbot fallen auch solche Mützen, die den Franzosenmützen (Baskenmützen) nach Zuschnitt und Aussehen ähnlich sind.«

Man muß hinzufügen, daß das Übertreten dieses Verbots eine Geld- und Gefängnisstrafe nach sich zog.

Die Machthaber unternahmen dann einen Großkampf gegen französische Fahnen, die die Bewohner aufbewahrt hatten. Als Beispiel werde ich Dokument RF-706 anführen. Es ist eine Urkunde der deutschen Verwaltung, die wir in den Archiven der Gauleitung von Straßburg entdeckt haben. Sie stammt vom 19. Februar 1941. Ich lese drei Abschnitte dieses Dokuments, die im Anschluß an verwaltungstechnische Formeln dort zu finden sind:

»Der Gauleiter wünscht, daß durch die Organisation der Block- und Zellenleiter der elsässischen Bevölkerung nahegelegt wird, die noch in ihrem Besitz befindlichen französischen Fahnen zu zertrennen und in zweckmäßiger Weise im Haushalt zu verwenden.

Bis 1. Mai soll keine französische Fahne mehr in Privatbesitz sein. Diese Aktion soll in der Form erledigt werden, daß die Blockleiter die einzelnen Haushaltungen besuchen und den Familien empfehlen, die Fahnen im Haushalt zu verwenden. Man soll auch darauf aufmerksam machen, daß nach dem 1. Mai dieses Jahres entsprechende Folgerungen auf die Einstellung der Besitzer gezogen werden, wenn nach diesem Termin noch französische Fahnen im Privatbesitz gefunden werden.«

Das folgende Dokument ist RF-707. Es handelt sich auch um einen Verwaltungserlaß über dasselbe Thema, vom 26. April 1941, in Straßburg verfaßt. Ich will daraus nur den letzten Satz verlesen:

»Wo ab 1. Juli 1941 noch Elsässer im Besitze von französischen Flaggen angetroffen werden, sind sie ebenfalls auf ein Jahr in ein Konzentrationslager zu verbringen.«

Die Nazis fürchteten den französischen Einfluß derart, daß sie besondere Maßnahmen ergriffen, um den Einsatz französischer Arbeiter zur Zwangsarbeit im Elsaß zu verhindern. Dies wird in einer Aufzeichnung der Zivilverwaltung in Deutschland vom 7. September 1942 ausgeführt; es ist unser Dokument RF-708; dieses Dokument wurde auch in den Archiven der Gauleitung in Straßburg gefunden. Ich lese die ersten Zeilen dieses Dokuments RF-708 vor:

»Der Chef der Zivilverwaltung hat entschieden, daß mit Rücksicht auf die allgemeine Arbeitsmarktlage künftig im Elsaß ausländische Arbeitskräfte aus allen europäischen Ländern beschäftigt werden dürfen. Eine Ausnahme gilt lediglich für Franzosen und Belgier, die im Elsaß nicht einzusetzen sind.«

Die von den Deutschen ergriffenen Maßnahmen zur Bekämpfung der französischen Gesinnung der Elsässer...

VORSITZENDER: In der Übersetzung, die ich soeben hörte, hieß es »daß die fremden Arbeiter aller Länder Europas in Zukunft beschäftigt werden müssen«; doivent a l'avenir etre utilisés. Das Wort »pouvait« bedeutet aber wohl nicht dasselbe wie »devait«, nicht wahr?

M. FAURE: »Pouvait« muß es heißen. Das Interessante dabei ist, daß einzig und allein diejenigen, die französisch sprechen, nicht durch das Elsaß fahren dürfen, selbst wenn Arbeitskräfte benötigt werden.

Die von den Deutschen getroffenen Maßnahmen zur Bekämpfung der französischen Gesinnung der Elsässer zeigen sich auch in ihren Versuchen, äußerlich alles zu zerstören, was die Zugehörigkeit des Elsasses zum französischen Vaterland andeuten könnte.

Ich möchte hierfür ein Beispiel bringen. Es ist dies unser Dokument RF-709, ein Schreiben der Deutschen Botschaft in Paris vom 7. Mai 1941, das in einer Note der Französischen Delegation enthalten ist und sich in den Archiven der Regierung befindet. Ich lese dieses kurze Dokument, RF-709, vor:

»Die Deutsche Botschaft hat die Ehre, der Hauptdelegation der französischen Regierung im besetzten Gebiet folgendes mitzuteilen:

Der Deutschen Botschaft wurde mitgeteilt, daß in einer Reihe von Reportagen über das Thema Vaterland ein französischer Sender des unbesetzten Gebietes am 16. oder 17. April 1941 gegen 21.00 Uhr eine Rundfunksendung über das Dorf Brumath durchgegeben hätte.

Da Brumath bei Straßburg sich auf deutschsprachigem Gebiet befindet, bittet die Deutsche Botschaft um Mitteilung, ob eine solche Sendung tatsächlich stattgefunden hat.«

Es gibt zahlreiche Beschwerden und Proteste dieser Art, die glücklicherweise häufig nur anekdotenhaften Charakters waren.

Jetzt möchten wir jedoch zwei besonders ernste Fälle anführen, denn sie haben Gewalttaten, groben Verletzungen der Souveränität und sogar Verbrechen den Weg geöffnet. Ich verlese aus Dokument RF-710 den Anfang eines Schreibens vom 14. August 1943:

»Herr General! Schon am Anfang des Krieges wurden der Kirchenschatz der Kathedrale von Straßburg und die Vermögenswerte gewisser Pfarrgemeinden dieser Diözese von Msgr. Ruch, dem Bischof von Straßburg, der Abteilung ›Schöne Künste‹, anvertraut, die diese in den Schlössern von Hautefort und Bourdeilles in Dordogne unterbringen ließ, wo sie sich noch am 20. Mai 1943 befanden. Unter diesen Schätzen und Vermögenswerten befanden sich im einzelnen:

die Pontificalia, die für den ausschließlichen Gebrauch des Bischofs bestimmt waren und zum Teil sein persönliches Eigentum darstellten;

die Heiligen-Reliquien;

geweihte Vasen und andere Kultgegenstände.

Nachdem Ministerialrat Kraft bei verschiedenen Gelegenheiten vergeblich versucht hatte, die Erlaubnis des Msgr. Ruch zu erhalten, bat er am 20. Mai nicht nur den Präfekten von Dordogne, sondern auch den Kultusdirektor um die Genehmigung, diese Schätze entfernen zu dürfen.

Da auch diese Beamten sich weigerten, erklärte er, daß die Sicherheitspolizei die Überführung des Eigentums der katholischen Kirche nach dem Elsaß übernehmen werde.

Daraufhin sind in den frühen Morgenstunden des 21. Mai, trotz der Proteste des Kurators, Truppen in die Schlösser Hautefort und Bourdeilles eingedrungen und haben sie besetzt. Die Heiligtümer wurden auf Lastwagen geladen und an einen unbekannten Ort gebracht.

Dieser Beschlagnahme unterlagen auch Vasen und geweihte Gegenstände sowie die Reliquien von Heiligen, die von allen Gläubigen verehrt werden. Die Besitzergreifung dieser heiligen Gegenstände durch unbefugte Laien, sowie die Umstände, unter welchen die ganze Operation durchgeführt wurde, haben bei den Gläubigen einmütig Empörung und Mißbilligung hervorgerufen.«

Hinsichtlich dieser Dokumente möchte ich den Gerichtshof besonders auf eine Tatsache hinweisen, die wir noch häufig finden werden und die nach unserer Meinung in diesem Prozeß sehr wichtig ist. Es handelt sich um die gegenseitige Einmischung und ständige Zusammenarbeit der verschiedenen deutschen Verwaltungsbehörden. Dieses Dokument zeigt, daß sich Ministerialrat Kraft, der Beamter einer Zivilbehörde war, die sich mit der nationalen Erziehung befaßte, an die Polizei und SS wandte, um Dinge zu erreichen, die er durch seine eigenen Bemühungen nicht erlangen konnte.

Der zweite Fall, den ich vortragen möchte, betrifft die Universität Straßburg:

Die Universität Straßburg, eine der schönsten Universitäten in Frankreich, wurde bei Beginn des Krieges nach Clermont-Ferrand verlegt, damit die Vorlesungen dort fortgesetzt werden konnten. Nach der Besetzung des Elsasses wurde sie, da diese Besetzung eine Annexion darstellte, nicht nach Straßburg zurückverlegt, sondern blieb in ihrem Zufluchtsort. Die Nazis waren damit sehr unzufrieden, was in zahlreichen Protesten und Drohungen zum Ausdruck gebracht wurde.

Wir legen als Beweis Dokument RF-711 vor. In diesem Dokument finden wir wieder Ministerialrat Herbert Kraft, von dem ich im Zusammenhang mit dem vorhergehenden Dokument bereits gesprochen habe.

Das Dokument RF-711, das ich vorlege, Ist ein Originaldokument, das von Kraft unterzeichnet wurde. Es wurde in den Archiven gefunden, die die Deutsche Botschaft zurückgelassen hatte. In diesem Schreiben vom 2. Juli 1941 gibt Ministerialrat Kraft seine Unzufriedenheit über das Ergebnis der Démarche Ausdruck, die er beim Rektor der Universität von Straßburg, Herrn Danjon, unternommen hatte.

Ich glaube, daß es genügt, wenn ich eine kurze Stelle aus diesem Schreiben verlese, um die Unverschämtheit und drohende Haltung zu zeigen, die die Deutschen sogar in dem noch nicht besetzten Teile Frankreichs an den Tag legten. Ich werde den letzten Abschnitt auf Seite 2 des Dokuments RF-711, das nur zwei Seiten hat, verlesen. Herr Kraft berichtet in diesem Teil über das Ende seiner Unterredung mit dem Rektor:

»Ich brach die Unterredung ab, stand auf und fragte ihn, ob vielleicht die Entscheidung des Admirals Darlan nicht ein Befehl seiner Regierung sei. Beim Hinausge hen sagte ich noch: ›Ich hoffe, daß man Sie verhaften wird.‹ Er eilte mir nach und ließ sich meine Bemerkung wiederholen; worauf er mir höhnisch nachrief, daß dies eine große Ehre für ihn sein würde.«

Diese Sache macht einen erheiternden Eindruck, doch war die Angelegenheit im ganzen genommen sehr ernst.

Am 15. Juni 1943 sandte die Deutsche Botschaft eine Note, die ich als Dokument RF-712 vorlege. Dieses Dokument ist ein Auszug aus den Akten des Obersten Gerichts und ist durch den zuständigen Gerichtssekretär beglaubigt worden. Ich bringe nun den Text und werde den Anfang des Dokuments, der ein Begleitbrief ist, nicht verlesen:

»Die deutsche Botschaft hält es für außerordentlich erwünscht, die Angelegenheit der ›Université Strasbourg‹ in Clermont-Ferrand einer Lösung zuzuführen.

Es würde begrüßt, wenn keinerlei Veröffentlichungen mehr unter dem Titel ›Université Strasbourg‹ erscheinen würden, damit nicht durch solche Veröffentlichungen neue Unstimmigkeiten entstehen.

Die deutsche Botschaft hat davon Kenntnis genommen, daß das Ministerium für nationale Erziehung freiwerdende Lehrstühle nicht mehr besetzen wird.

Es wird fernerhin gebeten, in Zukunft Examens-Zertifikate unter der Bezeichnung ›Université Strasbourg‹ nicht mehr ausstellen zu lassen.«

Um die Angelegenheit der Universität von Straßburg zum Abschluß zu bringen, möchte ich den Gerichtshof auf eine Tatsache aufmerksam machen, die allgemein bekannt ist. Am Donnerstag, den 25. November 1943, übernahm die Deutsche Polizei die Gebäude der Universität Straßburg in Clermont-Ferrand, verhaftete die Professoren und Studenten und wählte daran eine große Anzahl von Personen zur Deportation aus. Während dieses Vorgangs wurde sogar auf zwei Professoren geschossen. Der eine wurde getötet und der andere schwer verletzt.

Ich könnte hierüber ein Dokument vorlegen, doch glaube ich, daß es überflüssig ist; ich muß auch sagen, daß es keinen Beweis für den Verdacht gibt, daß diese Morde auf Grund eines Befehls erfolgten, für den die Regierung verantwortlich zu machen wäre.

VORSITZENDER: Herr Faure, sagten Sie, daß Sie Beweise für die Tatsachen hätten, die Sie soeben in Zusammenhang mit der Beschlagnahme des Universitätseigentums angeführt haben?

M. FAURE: Ich sagte folgendes, Herr Präsident:

Wir betrachten diese Tatsachen als öffentlich bekannte Tatsachen. Aber im Hinblick auf die Erklärung des Gerichtshofs halte ich es jedoch für besser, sie durch Dokumente zu beweisen. Da mein Dokument nicht in mein Dokumentenbuch aufgenommen worden ist, wird dieses Dokument als Anhang vorgelegt. Ich möchte eine Stelle aus diesem Dokument verlesen, doch möchte ich bemerken, daß es nicht in der richtigen Reihenfolge erscheint, denn ich habe es dem Akt hinzugefügt gemäß der kürzlich gegebenen Erklärung des Gerichtshofes über die Auslegung des Wortes »öffentlich bekannte Tatsache«.

VORSITZENDER: Da morgen Sonnabend ist, wird der Gerichtshof von 10.00 bis 13.00 Uhr eine öffentliche Sitzung abhalten. Die Sitzung wird jetzt vertagt.

DR. KAUFFMANN: Es ist gesagt worden, daß heute Nachmittag ein Zeuge vernommen werden soll. Ich würde bitten, die Vernehmung auf einen anderen Tag zu verlegen. Ich glaube, daß wir doch eine mindestens stillschweigende Vereinbarung getroffen haben, daß Zeugen am Tage vorher genannt werden. Ich weiß nicht, ob der Zeuge in das Kreuzverhör genommen wird, aber die Möglichkeit besteht, und sachliche Fragen können doch nur gestellt werden, wenn wir wissen: erstens, wer der Zeuge ist, und zweitens, über welches Thema dieser Zeuge vernommen werden soll, also vielleicht nur ein Stichwort.

VORSITZENDER: Der Gerichtshof hält es nicht für nötig, die Aussagen dieses Zeugen zu verschieben. Aus Entgegenkommen würde es wohl angebracht sein, wenn die Anklagebehörde den Gegenstand, nicht notwendigerweise den Namen, aber den Gegenstand, über den der Zeuge vernommen werden soll, der Verteidigung mitteilte, damit sie sich auf ein Kreuzverhör über den betreffenden Gegenstand vorbereiten kann.

Ich höre, daß Sie heute Nachmittag einen Zeugen vorladen wollen, der sich über die Verhältnisse im Zusammenhang mit der deutschen Besetzung Luxemburgs äußern wird, Herr Faure?

M. FAURE: Ja, Herr Vorsitzender!

VORSITZENDER: Vielleicht können Sie der Verteidigung mitteilen, worum es sich handelt, damit sie sich auf das Kreuzverhör vorbereiten kann.

M. FAURE: Ja, Herr Vorsitzender!

VORSITZENDER: Ich höre soeben, daß der Gegenstand den Angeklagten bereits mitgeteilt worden ist und sich an der Anschlagtafel befindet.