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[Das Gericht vertagt sich bis 14.00 Uhr.]

Nachmittagssitzung.

GERICHTSMARSCHALL: Ich möchte bekanntgeben, daß die Angeklagten Kaltenbrunner, Seyß-Inquart und Streicher krankheitshalber heute Nachmittag nicht anwesend sein werden.

VORSITZENDER: Die heute Vormittag aufgeworfene Frage hinsichtlich gewisser Dokumente ist untersucht worden. Soweit dem Gerichtshof bekannt ist, sind die Dokumente gestern in der Informationszentrale der Verteidiger abgeliefert worden. Es ist aber möglich, daß das Mißverständnis darauf zurückzuführen ist, daß diese Dokumente nicht ordnungsgemäß bezeichnet worden sind. Aus diesem Grunde würde es eine Erleichterung für die Verteidiger sein, wenn die Anklagebehörde den Dokumenten ein Inhaltsverzeichnis beifügte, mit dessen Hilfe die Verteidiger die Dokumente finden könnten.

M. FAURE: Selbstverständlich werden wir ein Inhaltsverzeichnis mit den Dokumenten übergeben.

VORSITZENDER: Ja, es würde gut sein, wenn Sie das täten.

M. FAURE: Hoher Gerichtshof! Ich habe heute Vormittag den Vorfall behandelt, der sich an der Universität von Straßburg in Clermont-Ferrand am 25. November 1943 abspielte. Ich werde dem Gerichtshof über diese Tatsache ein Dokument vorlegen – dieses Dokument ist nicht in dem Dokumentenbuch enthalten –, und ich bitte den Gerichtshof, es als Anhang oder als letztes Dokument des Buches entgegenzunehmen.

Es handelt sich um einen Bericht des Herrn Höpfner, dem Rektor der philosophischen Fakultät, der am 8. Januar 1946 verfaßt worden ist, und der von der Verwaltung von Elsaß-Lothringen der französischen Staatsanwaltschaft zugeleitet worden ist. Ich möchte lediglich, um nicht zuviel Zeit zu verschwenden, die beiden Auszüge verlesen, die den Text enthalten, der dem Gerichtshof als Anhang vorgelegt worden ist.

VORSITZENDER: Haben Sie das Originaldokument hier?

M. FAURE: Ich zitiere:

»Am Donnerstag, den 25. November 1943, die 10.00 Uhr-Vorlesung war zu Ende. Als ich den Saal verließ, gab mir ein Student, der an einem Flurfenster stand, ein Zeichen, zu ihm zu kommen und zeigte mir auf dem Innenhof vor der Tür zum Physiksaal einen Soldaten der Wehrmacht, der mit Stahlhelm und Stiefeln, die Maschinenpistole in der Faust, dort Wache stand.

Machen wir uns aus dem Staube‹ – zu spät –

Im selben Augenblick erhob sich ein wildes Geschrei von allen Seiten. Auf den Korridoren, den Treppen hörte man den Tritt schwerer Stiefel, Waffenklirren, rauhe Stimmen; kurzum, es war ein wildes Durcheinander. Ein Soldat stürzte auf den Flur.

Alles herunter auf den Hof. Sagt es den anderen.‹ Wir hatten verstanden, es war nicht nötig, es zu sagen.«

Der 2. Auszug lautet wie folgt:

»... Einer der Unseren, Paul Collomp, sei durch einen Schuß in die Brust kaltblütig ermordet worden. Die Tatsache wird von einem Augenzeugen bestätigt. Es war leider der Fall. Beim Verlassen des Sekretariats, wo er sich befand, gehorchte Collomp nach Ansicht des Polizisten nicht schnell genug, denn dieser versetzte ihm einen heftigen Stoß in den Rücken; instinktiv drehte sich unser Kollege um und der andere schoß ihm direkt in die Brust. Er starb sofort, aber der Leichnam blieb allein bis zum Abend dort liegen. Wir hörten ein anderes Gerücht, wir wissen nicht woher es kam. Ein Kollege von der protestantischen theologischen Fakultät, Herr Eppel, soll ebenfalls in seinem eigenen Hause getötet worden sein, wo man hingegangen war, um ihn abzuholen. Später erfuhr man, daß er mehrere Kugeln in den Bauch erhielt. Wie durch ein Wunder erholte er sich aber und überstand sogar die Schrecken des Lagers von Buchenwald.«

Wie ich dem Gerichtshof heute früh erklärte, möchte ich betonen, daß die Anklagebehörde keinen Beweis dafür besitzt, daß derartige Verbrechen auf einen deutschen Regierungsbefehl zurückzuführen sind. Ich halte es trotzdem für interessant, den Gerichtshof über diese letzte Phase der deutschen Maßnahmen gegen die Universität von Straßburg zu unterrichten, denn dies stellt die Fortsetzung und in gewissem Sinne die Krönung des Vorhergehenden dar. Wir haben tatsächlich sehen können, daß das deutsche Vorgehen anfangs mit ordnungsgemäßen Maßnahmen begann, und daß nach diesen ordnungsgemäßen Maßnahmen letzten Endes auf die Polizeigewalt und Gewaltmaßnahmen zurückgegriffen wurde. Ich möchte, daß das Dokument, das ich soeben verlesen habe, die Nummer RF-712 bis erhält.

Ich komme jetzt zum zweiten Teile dieses Themas, der Einführung deutscher Rechtsgrundsätze. Die deutschen Machthaber begannen damit, eine rein deutsche Verwaltung einzurichten. Ich habe bereits von der Ernennung des Gauleiters zum Chef der Zivilverwaltung gesprochen. Ich fahre mit diesem Thema fort, indem ich als Dokument RF-713, die Verordnung vom 28. August 1940 vorlege, deutsches Verordnungsblatt von 1940, Seite 22. Diese Verordnung trägt den Titel: »Verordnung über die Einführung der deutschen Gemeindeordnung im Elsaß«. Ich werde diese Verordnung nicht verlesen; ich möchte lediglich darauf hinweisen, daß durch sie vom 1. Oktober 1940 an die deutsche Gemeindeordnung vom 30. Januar 1935 eingeführt wurde.

Aus der Gesamtheit dieser Verordnungen und organisatorischen Maßnahmen ergab sich, daß die angeschlossenen Gebiete nach deutschen Verwaltungsbegriffen reorganisiert wurden. An der Spitze eines jeden Kreises stand nicht der französische Unterpräfekt, sondern ein Landeskommissar, dem die verschiedenen Ämter, wie das Finanzamt, Arbeitsamt, Schulamt, Wirtschaftsamt und Gesundheitsamt unterstanden. Die großen Städte, die Kreishauptstädte und selbst die Hauptorte der Regierungsbezirke erhielten einen Stadtkommissar an Stelle der Bürgermeister und der gewählten Stadträte, die abgesetzt wurden.

Das Gerichtswesen wurde dem Oberlandesgericht in Karlsruhe angeschlossen. Das Wirtschaftsamt und insbesondere die Handelskammern wurden für Elsaß durch die Vertreter der Handelskammer Karlsruhe und für Mosel durch die von Saarbrücken verwaltet.

Nachdem die Verwaltungsformen den deutschen angeglichen worden waren, machten sich die Deutschen an die Germanisierung des Personals. Sie brachten zahlreiche deutsche Beamte in leitende Stellungen. Sie versuchten auch wiederholt, die Beamten, die in ihren Ämtern geblieben waren, zur Unterzeichnung einer deutschen Loyalitätserklärung zu veranlassen. Diese Versuche hatten wegen der ablehnenden Haltung der Beamten keinen Erfolg. Sie wurden mehrmals unter verschiedenen Formen wiederholt. Wir haben in den Archiven der Gauleitung von Straßburg acht oder zehn verschiedene Formulare derartiger Loyalitätserklärungen gefunden. Ich lege dem Gerichtshof als Beispiel eines dieser Formulare als Dokument RF-714 vor: Formel der neuen Erklärung, die die Beamten unterschreiben mußten, wenn sie im Amt zu bleiben wünschten:

»Datum:, Zu- und Vorname:, Dienstbezeichnung:, Wohnort: Ich bin seit dem... 1940 bis heute im öffentlichen Dienst der deutschen Verwaltung im Elsaß beschäftigt. Während dieser Zeit wurde mir durch eigene Anschauung sowie durch die Partei und Behörde in Wort und Schrift Gelegenheit gegeben, die Pflicht des deutschen Beamten und die an ihn gestellten politischen und weltanschaulichen Forderungen kennen zu lernen.

Ich bejahe diese Pflichten und Forderungen vorbehaltlos und bin willens, sie zu meinen persönlichen und beruflichen Lebensgesetzen zu machen. Ich bekenne mich zum deutschen Volk und zur nationalsozialistischen Weltanschauung Adolf Hitlers.«

Zur gleichen Zeit, als die Verwaltung gleichgeschaltet wurde, richteten die Nazis im Elsaß auch eine Parallelorganisation zur Nationalsozialistischen Partei ein, wie zum Beispiel die Arbeitsfront, die einzige Arbeiterorganisation. Die deutsche Devisen-Gesetzgebung wurde im Elsaß am 19. Oktober und in Lothringen am 25. Oktober 1940 eingeführt. Die Reichsmark wurde von da ab gesetzliches Zahlungsmittel in den annektierten Gebieten. Das deutsche Rechtswesen wurde durch eine ganze Reihe von Maßnahmen eingeführt, die schließlich zur Verordnung vom 30. September 1941 über Gerichtsverfassung und Verfahren in bürgerlichen Rechtssachen im Elsaß, führten. Ich lege diese Verordnung als Dokument RF-715 vor, werde sie aber nicht verlesen.

Bezüglich des Unterrichtswesen erließen die deutschen Behörden eine Reihe von Verordnungen und Verfügungen, deren Ziel es war, das elsässische Unterrichtswesen in das deutsche Unterrichtswesen einzugliedern. Ich möchte lediglich die Daten der hauptsächlichsten Verordnungen erwähnen; wir legen diese Dokumente vor; es sind öffentliche Urkunden, da sie alle im Verordnungsblatt des Chefs der Zivilverwaltung von Elsaß veröffentlicht sind. Hier sind die hauptsächlichsten Verordnungen: RF-717, Verordnung vom 2. Oktober 1940; RF-718, Verordnung vom 24. März 1941 über den privaten Unterricht im Elsaß; RF-719, Verordnung vom 21. April 1941 über die Gewährung von Ausbildungsbeihilfen im Elsaß; RF-720, Verordnung vom 11. Juni 1941 über die Schulpflicht im Elsaß.

Ich zitiere jetzt eine Reihe von Maßnahmen, mit denen im Elsaß und in Lothringen das Deutsche Bürgerliche Recht, das Deutsche Strafrecht und sogar das Verfahrensrecht eingeführt wurden. Ich werde unter RF-721 als wichtigste Verfügung die Verordnung vom 19. Juni 1941 über die Anwendung Deutschen Rechtes auf Elsässer anführen. Ich möchte den ersten Absatz des Paragraphen 1 verlesen, weil er einen interessanten Passus enthält:

Ȥ 1:

Auf die Rechtsverhältnisse von Personen, die die französische Staatsangehörigkeit auf Grund der Anlage zu den Artikeln 51-79 des Versailler Diktats erworben haben oder ihre Staatsangehörigkeit von solchen Personen ableiten, ist als ihr Heimatrecht, insbesonders auf dem Gebiet des Personen- und Familienrechts, das im Altreich geltende Recht anzuwenden, soweit dieses die Gesetze des Heimatstaates für anwendbar erklärt.«

Eine entsprechende Verordnung wurde für Lothringen erlassen. Das ist Dokument RF-722, Verordnung vom 15. September 1941 über die Anwendung der deutschen Gesetzgebung in Sachen des Personalstatuts und des Familienrechts in Lothringen; Verordnungsblatt des Chefs der Zivilverwaltung, Seite 817.

Ich möchte jetzt unter Angabe der Titel und der Daten die hauptsächlichsten Maßnahmen anführen, die im Bereich des Strafrechts getroffen wurden.

Dokument RF-723 ist eine Verordnung vom 14. Februar 1941 über Strafbestimmungen, die gemäß Artikel 1 der zweiten Verordnung über vorläufige Maßnahmen auf dem Gebiet der Justiz für Lothringen für anwendbar erklärt wurden.

Dokument RF-724 ist eine Verordnung vom 29. Oktober 1941 über die Einführung des deutschen Strafverfahrensrechts und anderer strafrechtlicher Gesetze im Elsaß.

Dokument RF-725 ist Erlaß vom 30. Januar 1942 über die Einführung des Strafgesetzbuches für das Deutsche Reich und anderer strafrechtlicher Gesetze im Elsaß.

Ich möchte diesen Text, der sehr lang ist, nicht verlesen. Ich möchte die Aufmerksamkeit des Hohen Gerichtshofs jedoch auf zwei besondere Tatsachen lenken, aus denen hervorgeht, daß die Deutschen im Elsaß ganz ungewöhnliche Bestimmungen ihres Strafrechts einführten, und zwar Bestimmungen, die unter nationalsozialistischen Gesichtspunkten getroffen worden waren. Der Gerichtshof wird in Dokument RF-725 auf Seite 1 als Nummer 6 der Aufzahlung sehen, daß damit im Elsaß das Gesetz vom 20. Dezember 1934 gegen heimtückische Angriffe auf Staat und Partei zum Schutze der Parteiuniformen eingeführt wurde. Als Nummer 11 der Aufzählung haben wir die Verordnung vom 25. November 1939 zur Ergänzung der Strafvorschriften zum Schutz der Wehrkraft des deutschen Volkes.

Was die allgemeinen Grundrechte anbetrifft, unterdrückten die Deutschen von Anfang an das Versammlungsrecht und losten alle Vereine auf. Sie wollten den Platz für das Nazi-Regime selbst freihalten, das einen einzigen und zwangsweisen Zusammenschluß bedeutete. Auch dazu werde ich die Nummern meiner Dokumente zitieren unter Angabe der Überschriften, unter denen diese Verordnungen veröffentlicht wurden:

Dokument RF-726 ist eine Verordnung vom 16. August 1940 über die Auflösung der Jugendverbände im Elsaß.

Dokument RF-727 ist eine Verordnung vom 22. August 1940 über Einsetzung eines Stillhaltekommissars für das Organisationswesen in Lothringen.

Dokument RF-728 ist eine Verordnung vom 3. September 1940 über die Auflösung von Lehrerverbänden im Elsaß.

Bezüglich dieses Dokuments RF-728 möchte ich darauf hinweisen, daß der letzte Artikel zugunsten des Nationalsozialistischen Lehrerbundes eine Ausnahme machte.

Dokument RF-729 ist eine Verordnung vom 3. September 1940 über die Auflösung von Turn- und Sportvereinen im Elsaß.

Aus diesem Dokument möchte ich den Paragraphen 4 verlesen:

»Für die anderen Turn- und Sportvereine im Elsaß trifft mein Beauftragter für Leibesübungen die erforderlichen Anordnungen zum Zwecke ihrer Eingliederung in den Nationalsozialistischen Reichsbund für Leibesübungen.«

Im weiteren Verlauf dieser Germanisierungsmaßnahmen kommen wir nun zu zwei sehr charakteristischen Dokumenten, die ich als RF-730 und RF-731 vorlegen möchte. Vom Dokument RF-730 werde ich nur den Titel verlesen, der sehr bezeichnend ist: »Verordnung vom 7. 2. 1942 über die Errichtung des oberrheinischen Landessippenamtes«.

Ebenso möchte ich den Titel des Dokuments RF-731 verlesen:

»Anordnung über die Errichtung einer Dienststelle des Beauftragten des Reichskommissars für die Festigung deutschen Volkstums vom 17. Februar 1942.«

Ich habe dem Gerichtshof eben dargelegt, daß die Partei im Elsaß und in Lothringen parallel zur deutschen Verwaltung eingerichtet worden war. In diesem Zusammenhang lege ich Dokument RF-732 vor, das eine vertrauliche Mitteilung der NSDAP von Baden ist und vom 5. März 1942 aus Straßburg datiert ist. Auch dieses Schriftstück gehört zu den Dokumenten, die bei der Gauleitung in Straßburg gefunden worden waren. Der Kopf lautet: »Gauorganisationsamt, Nebenstelle Straßburg«.

Mit Erlaubnis des Hohen Gerichtshofs werde ich den Anfang dieses Dokuments verlesen:

»Feststellung der Werbemöglichkeiten der Partei, ihrer Gliederungen und angeschlossenen Verbände im Elsaß.

Im Rahmen der Mitgliederwerbeaktion ›19. Juni‹ haben die Kreisleiter unter Heranziehung der Ortsgruppenleiter Feststellungen zu treffen, welche Elsässer über 18 Jahre, wenn sie auch im Rahmen der Mitgliederwerbeaktion noch nicht geworben werden, in Zukunft für die Mitgliedschaft in der Partei, den Gliederungen und angeschlossenen Verbänden und welche Männer im Alter von 17 bis 48 Jahren für den aktiven Einsatz in der Partei oder ihren Gliederungen in Frage kommen. Diese Feststellungen müssen auch die von der Partei, dem Opferring« – das ist die Spendenorganisation der Partei –, »den Gliederungen und angeschlossenen Verbänden bereits Erfaßten enthalten, um einen zahlenmäßigen Überblick zu gewinnen.

Die Kreisleiter können die Kreisorganisationsleiter und Kreispersonalamtsleiter zur Mitarbeit heranziehen. Die Mitgliederwerbeaktion ›19. Juni‹ darf trotz dieser Arbeit nicht notleiden und muß mit allen Mitteln durchgeführt werden und mit dem vom Gauleiter festgesetzten Ziel termingemäß enden.

Als Ergebnis der Überprüfung der Bevölkerung sind fünf Listen anzulegen: Liste 1a, Liste 1b, Liste 2a, Liste 2b, Kontrolliste.«

Ich übergehe nun die folgenden Absätze, die ziemlich lang sind und sich nur mit Verwaltungsdingen befassen, und fahre mit dem neunten Absatz auf Seite 2 fort:

»Da es das Ziel der nationalsozialistischen Bewegung ist, alle Deutschen irgendwie in einer nationalsozialistischen Organisation zu erfassen, um sie damit im Sinne der Bewegung beeinflussen und führen zu können, wird die Aufgabe sein, auf den Listen 1a und b, 2a und b, gegen 90 % der Bevölkerung zu erfassen und auf die Kontrolliste nur diejenigen zu setzen, die als rassig minderwertige, asoziale oder deutschfeindliche Elemente nicht würdig sind, in eine von der Partei geführte oder betreute Organisation zu kommen.«

Ich möchte mich nun mit den zwei schwerwiegendsten Fragen befassen, zwischen denen ein direkter Zusammenhang besteht und die einerseits die Staatsangehörigkeit und andererseits die Einberufung zum Militärdienst betreffen.

Die deutsche Politik in Fragen der Staatsangehörigkeit weist gewisse Schwankungen auf, die mit der deutschen Behandlung der Militärdienstpflichtfrage zusammenhängen. Tatsächlich scheinen die deutschen Machthaber zwischen zwei entgegengesetzten Richtungen geschwankt zu haben. Die eine Richtung ging darauf aus, die deutsche Staatsbürgerschaft auf breiter Grundlage zu verleihen und damit gleichzeitig die Verpflichtung zum Militärdienst aufzuerlegen. Die Tendenz der anderen Richtung war, die Staatszugehörigkeit nur einer gewissen Auslese zu verleihen. Diese Richtung vertrat die Ansicht, daß die Staatsangehörigkeit vor allem als Ehre zu betrachten sei, und daß sie für Personen, die sie ursprünglich nicht besaßen, gewissermaßen eine Belohnung darstelle. Darüber hinaus verleiht die Staatsangehörigkeit der betreffenden Person eine gewisse Sondereigenschaft und gewährt trotz Abschaffung der Demokratie einen gewissen Einfluß in der deutschen Gemeinschaft. Sie soll daher nur an Personen verliehen werden, die bezüglich ihrer Loyalität gewisse Garantien bieten. Wir wissen, daß nach deutscher Auffassung der Begriff Loyalität nicht nur ein geistiger Begriff ist, sondern daß er auch körperliche Qualitäten umfaßt, wie die wohlbekannten Begriffe »Blut, Abstammung und Rasse«.

Soviel über die zwei entgegengesetzten Richtungen in der deutschen Behandlung der Staatsangehörigkeitsfrage. Jetzt kommen wir zu ihrer Entwicklung:

Während der ersten Zeit, bis August 1942, hat das Reich noch nicht so stark unter dem Mangel an Truppen gelitten, wie es später der Fall war. Daher wurde also die Einführung der Wehrpflicht und gleichzeitig eine allgemeine Verleihung der Staatszugehörigkeit hinausgeschoben. Während dieser ersten Zeit haben die Nazis keine Zwangseinziehungen vorgenommen, sondern gaben sich mit Freiwilligen zufrieden. Sie versuchten zwar die freiwilligen Meldungen mit allen möglichen Lockungen und Druckmitteln zu erhöhen.

Ich werde nicht auf Einzelheiten dieser deutschen Methoden bei den freiwilligen Meldungen zum Militärdienst eingehen. Ich möchte als Beispiel nur unser Dokument RF-733 erwähnen.

Es ist eine Bekanntmachung, die am 15. Januar 1942 im Elsaß angeschlagen wurde. Es ist im Anhang zum Regierungsbericht, der bereits als UK-72 eingereicht worden ist. Ich will aus diesem Schriftstück RF-733 nur den ersteh Satz des zweiten Absatzes verlesen:

»Elsässer! Seit dem Ausbruch der Kämpfe im Osten haben sich Hunderte von Elsässern entschlossen, Seite an Seite mit den Männern aus den übrigen deutschen Gauen als Freiwillige an die Front zu gehen, zum Kampf gegen die Feinde der europäischen Zivilisation und Kultur.«

Wer die deutsche Propaganda und ihre Übertreibungen kennt, weiß, daß der in diesem Schriftstück gebrauchte Ausdruck »Hunderte« ein Zeichen der restlosen Niederlage gewesen ist, den die Nazi-Werber erlitten haben. »Hunderte« muß offensichtlich mit »Dutzende« übersetzt werden, und man muß sagen, daß dies eine sehr geringe Ergänzung des Wehrmachtsbedarfs bildete.

Während des Zeitraums, den ich hier behandele, wandten die Nazis bezüglich der Staatsangehörigkeit eine ähnliche Politik an wie bei den Einberufungen für die Wehrmacht. Sie appellierten im gewissen Sinne an die Freiwilligkeit, die Staatsangehörigkeit anzunehmen. Ich muß in diesem Zusammenhang eine Verordnung vom 20. Januar 1942 verlesen, eine allgemeine Verordnung für das Reich, und nicht eine Sonderbestimmung für die annektierten Gebiete.

Diesem Erlaß zufolge werden, wie im ersten Artikel ausgeführt wird, die Naturalisierungsmöglichkeiten im Vergleich zu den bis dahin sehr strengen Bestimmungen des Reichsrechtes erleichtert. Im Artikel 3 ist folgende Maßnahme vorgesehen; diese Vorschrift ist im Dokumentenbuch nicht enthalten, da sie eine Verordnung des Deutschen Reiches und daher ein durchaus öffentliches Dokument ist.

Der Reichsminister des Innern kann durch allgemeine Rechtsverordnung jenen Gruppen von Ausländern, welche in einem der deutschen Hoheit unterstehenden Gebiet ansässig sind oder aus einem solchen Gebiet stammen, die deutsche Staatsangehörigkeit verleihen. Es muß darauf hingewiesen werden – wir behandeln noch immer diesen ersten Zeitabschnitt –, daß die Elsässer und Lothringer, denen die deutsche Staatsangehörigkeit nicht verliehen wurde, auch ihre französische Staatsangehörigkeit nicht behielten. Sie wurden als deutsche Untertanen angesehen. Sie wurden in den Dokumenten dieser Periode als Mitglieder der deutschen Volksgemeinschaft, als sogenannte Volksdeutsche betrachtet. Das hatte vor allem zur Folge, daß sie verpflichtet waren, in den deutschen Arbeitsdienst einzutreten. In diesem Zusammenhang lege ich Dokument RF-734 vor, eine Verfügung vom 27. August 1942 über die Wehrpflicht und den Arbeitsdienst im Elsaß.

Ich werde gleich auf dieses Dokument über den Wehrdienst zurückkommen, möchte aber nach dieser allgemeinen Bemerkung zuerst Verordnungen nennen, die die Hitlerjugend betreffen. Es handelt sich um eine Verordnung vom 2. Januar 1942 für Elsaß und eine Verordnung vom 4. August 1942 für Lothringen.

Im August 1942 trat ein Wendepunkt in der deutschen Politik bezüglich der Staatszugehörigkeit und der Wehrpflicht ein. Zu dieser Zeit führten die Deutschen unter dem Druck der militärischen Schwierigkeiten und der Notwendigkeit, intensivere Einberufungen vorzunehmen, durch Verordnungen vom 19. August 1942 in Lothringen und vom 25. August 1942 im Elsaß die Wehrpflicht ein.

Diese beiden Verordnungen, die sich auf die Einführung der Wehrpflicht beziehen, sind in unseren Dokumenten RF-735 für Lothringen und RF-736 für das Elsaß enthalten.

Gleichzeitig mit diesen Bestimmungen über die Wehrpflicht erließen die Deutschen am 23. August 1942 eine Verordnung über die deutsche Staatsangehörigkeit im Elsaß, in Lothringen und in Luxemburg. Der Wortlaut befindet sich in einer Verordnung des Reichsinnenministers, unser Dokument RF-737. Diese Bestimmungen lauten wie folgt:

»Diejenigen deutschstämmigen Elsässer, Lothringer und Luxemburger erwerben von Rechts wegen die Staatsangehörigkeit, die

a) zur Wehrmacht oder Waffen-SS einberufen sind oder werden oder

b) als bewährte Deutsche anerkannt werden.«

Was den Ausdruck »deutschstämmig« betrifft, der in dieser Verordnung gebraucht wird, handelt es sich um Elsässer und Lothringer, die entweder infolge der Bestimmungen des Vertrags von Versailles oder zu einem späteren Zeitpunkt französische Staatsangehörige geworden sind, falls sie früher deutsche Staatsangehörige waren oder falls sie ihren Wohnsitz nach dem 1. September 1939 vom Elsaß oder von Lothringen in das Reichsgebiet verlegt haben.

Auch die Kinder, Enkel und Ehegatten der oben beschriebenen Personengruppen werden als deutschstämmig betrachtet.

Und schließlich war vorgesehen, daß die Elsässer, Lothringer und Luxemburger, die nicht in der Lage waren, die deutsche Staatsangehörigkeit zu erwerben, sie auf Widerruf erlangen konnten.

Ich möchte erwähnen, um das Thema Staatsangehörigkeit zu beenden, daß in einer Verordnung vom 2. Februar 1943 die deutschen Gesetze angegeben wurden, die für die Behandlung von Staatsangehörigkeitsfragen im Elsaß in Frage kamen, und daß auf Grund einer weiteren Verordnung vom 2. November 1943 die deutsche Staatsangehörigkeit an Personen verliehen wurde, die während des Krieges in Konzentrationslagern gewesen waren.

Aus den deutschen Verordnungen geht nicht nur hervor, daß die deutsche Staatsangehörigkeit einer großen Anzahl von Personen gegeben wurde, sondern auch, daß Elsässer und Lothringer, welche die französische Staatsangehörigkeit besaßen, in verbrecherischer und ungerechtfertigter Weise zum Militärdienst im deutschen Heer gegen ihr eigenes Land gezwungen wurden. Diese Einberufungen zum Wehrdienst wurden durch die laufende Einberufung weiterer Jahrgänge bis zum Jahrgang 1908 erweitert.

Diese deutschen Forderungen haben einen feierlichen Protest seitens des französischen National-Komitees hervorgerufen; dieses Komitee war die Vertretung der freien französischen Staatsgewalt in London.

Ich möchte dem Gerichtshof den Wortlaut dieses Protestes verlesen; er ist datiert vom 16. September 1942; es ist Dokument RF-739. Ich verlese lediglich die drei Absätze des amtlichen Protestes, die den Anfang dieses Dokuments darstellen. Es ist eine Urkunde des Londoner Nachrichtendienstes:

»Nachdem das Reich noch während des Krieges die Annektierung von Elsaß und Lothringen proklamiert hat, nachdem es eine große Anzahl von Bewohnern vertrieben und ausgeplündert hat, nachdem es die rücksichtslosesten Germanisierungsmaßnahmen ergriffen hat, zwingt das Reich jetzt die von ihm zu Deutschen erklärten Elsässer und Lothringer in die Deutsche Wehrmacht, um gegen ihre eigenen Landsleute und gegen die Verbündeten von Frankreich zu kämpfen. Das National-Komitee als Verteidiger der Unverletzlichkeit und Einheit Frankreichs und als Wahrer der Grundsätze des Völkerrechts erhebt vor der zivilisierten Welt Protest gegen diese neuen Rechtsverletzungen, die unter Mißachtung der internationalen Verträge gegen den Willen einer Bevölkerung begangen werden, die mit glühendem Herz an Frankreich hängt. Das Recht der Elsässer und Lothringer, Mitglieder der französischen Familie zu bleiben, wird als unanfechtbar erklärt.«

Dieser Protest muß den Deutschen zur Kenntnis gekommen sein, denn er wurde wiederholt von dem französischen National-Kommissar des Justizwesens, Herrn Professor René Cassin, im Rundfunk verlesen und kommentiert.

Angesichts dieses feierlichen französischen Protestes möchte ich die Rechtfertigung zitieren – wenn man dieses Wort überhaupt anwenden kann –, die Gauleiter Wagner in einer Rede am 20. Juni 1943 in Kolmar gegeben hat. Dieses Zitat stammt aus dem »Mühlhauser Tageblatt« vom 21. Juni 1943. Da es ein sehr wichtiges Dokument ist, möchte ich es nicht nur als Zitat bringen, sondern reiche es als Dokument RF-740 ein. Die Zeitung selbst ist beim Gerichtssekretär niedergelegt.

Ich verlese die Erklärung des Gauleiters Wagner, wie sie in dieser Zeitung wiedergegeben ist, und zwar unter dem Titel »Das dritte Aufbaujahr im Elsaß«.

»Das entscheidende Ereignis für das Elsaß im Jahre 1942 war daher die Einführung der Wehrpflicht. Es kann nicht meine Absicht sein, diese in das Leben des Elsaß so tief eingreifende Maßnahme juristisch zu rechtfertigen. Dazu liegt keinerlei Grund vor. Jede Entscheidung, die das Großdeutsche Reich hier trifft, ist formalrechtlich und tatsächlich begründet und unanfechtbar.«

Natürlich weigerten sich die Elsässer und Lothringer, sich den verbrecherischen Vorschriften der deutschen Behörden zu fügen, und sie begannen, sich ihnen mit allen Mitteln zu entziehen. Daraufhin beschlossen die Nazis, sie durch unerbittliche Maßnahmen dazu zu zwingen. Die Grenzen wurden scharf bewacht, und die Wachen hatten den Befehl, auf die zahlreichen Dienstverweigerer zu schießen, die die Grenze zu überschreiten versuchten.

Ich möchte in diesem Zusammenhang einen Satz aus einer Zeitung, »Die Straßburger Neuesten Nachrichten« vom 28. August 1942, verlesen. Es ist Dokument RF-741. Dieser Artikel berichtet über den Tod eines Dienstverweigerers und endet folgendermaßen:

»Der Versuch des illegalen Grenzübertritts ist ein selbstmörderisches Unternehmen, vor dem hiermit nochmals mit aller Eindringlichkeit gewarnt sei.«

Selbstverständlich wurden mit großer Schärfe und in zahlreichen Fällen gerichtliche Strafen auferlegt. Ich glaube nicht, daß ich dem Gerichtshof alle diese Fälle aufzuzählen brauche. Das würde zu lange dauern, und ich möchte lediglich die Hauptmotive unterstreichen, die diesen Unterdrückungsmaßnahmen zugrunde gelegen haben.

Ich werde in diesem Zusammenhang ein Dokument zitieren, das: sehr bezeichnend für die Auffassung ist, welche die deutsche Verwaltung vom Recht und von der Unabhängigkeit der richterlichen Gewalt hatte. Das ist Dokument RF-742. Es gehört zu den Dokumenten, die in dem Archiv der Gauleitung gefunden wurden. Es ist ein Fernschreiben, datiert Straßburg, den 8. Juli 1944, von Gauleiter Wagner an den Präsidenten des Oberlandesgerichts in Karlsruhe.

Ich möchte Ziffer 2 des Dokuments verlesen; sie steht auf Seite 1 B:

»Es ist insbesondere im Elsaß erforderlich, daß die wegen Wehrpflichtentziehung ausgesprochenen Strafen abschreckend wirken. Abschreckende Wirkung kann aber bei der aus Furcht vor persönlicher Gefahr unternommenen Wehrdienstentziehung nur der Todesstrafe zukommen, zumal ein mit der Absicht der Wehrdienstentziehung abwandernder Elsässer im allgemeinen mit einem baldigen Sieg der Feindmächte und damit bei Verurteilung zu Freiheitsstrafe doch mit baldigem Strafende rechnet.

Bei allen durch versuchte illegale Abwanderung nach dem 6. Juni 1944 im Elsaß unternommenen Wehrdienstentziehungen ist daher, unabhängig von etwaiger anderer Gerichtsübung im Altreich, grundsätzlich die... Todesstrafe auszusprechen.«

Ich möchte aber sofort sagen, daß die Erwägung der persönlichen Gefahr, das heißt, entweder an der Grenze getötet zu werden oder zum Tode verurteilt zu werden, nicht abschreckend genug war, um die Elsässer und Lothringer dazu zu bewegen, der Wehrpflicht nachzukommen. Die Nazis entschieden sich daher, auf die einzige Drohung zurückzugreifen, die Erfolg haben konnte, das heißt die Androhung von Vergeltungsmaßregeln gegen die Familie.

Bereits am 4. September 1942 konnte man in den »Straßburger Neuesten Nachrichten« eine Bekanntmachung lesen, die die Überschrift trug: »Schwere Strafmaßnahmen für Nichterfüllung der Meldepflicht«. Dokument RF-743 enthält einen Auszug aus dieser Bekanntmachung. Ich werde es verlesen:

»In den oben angeführten Fällen hat sich gezeigt, daß die Eltern ihre Autorität in dieser Hinsicht nicht ausgeübt haben. Damit haben sie bewiesen, daß sie die Forderungen der jetzigen Zeit noch nicht verstanden haben, die im Elsaß nur zuverlässige Personen dulden kann. Die Eltern von solchen Jugendlichen werden daher in Kürze in das Altreich deportiert, damit sie in nationalsozialistischer Umgebung die der deutschen Geisteshaltung entsprechende Ausrichtung wiedererlangen.«

So wurde die Deportierung von Familien angeordnet, nicht um den tatsächlichen Ungehorsam zu bestrafen, sondern um bereits die Nichterfüllung der Meldepflicht zu treffen. Um Wiederholungen zu vermeiden, werde ich jetzt dem Gerichtshof als Dokument RF-744 die Verordnung vom 1. Oktober 1943 vorlegen, die die Wehrpflichtentziehungen unterbinden sollte. Sie steht im Verordnungsblatt von 1943, Seite 152. Ich werde die ersten beiden Absätze verlesen:

Ȥ 1:

Der Chef der Zivilverwaltung im Elsaß kann gegen Fahnenflüchtige oder Personen, die sich der Wehrpflicht oder der Arbeitsdienstpflicht entziehen, sowie gegen deren Angehörige ein Aufenthaltsverbot für das Elsaß aussprechen. Das Aufenthaltsverbot hat die Absiedlung der betroffenen deutschstämmigen Personen durch den Beauftragten des Reichsführers-SS, Reichskommissar für die Festigung deutschen Volkstums, in das Reichsgebiet zur Folge. Die vermögensrechtlichen Maßnahmen (Beschlagnahme, Entschädigung u. ä.) richten sich nach der Verordnung über die Behandlung von Vermögen der aus dem Elsaß in das Reichsgebiet abgesiedelten deutschstämmigen Personen vom 2. Februar 1943.

Unberührt bleibt die Strafverfolgung auf Grund des Verstoßes gegen strafrechtliche Bestimmungen.«

VORSITZENDER: Was soll »deutschstämmig« hier in diesem Fall bedeuten? Wie weit erstreckt sich dieser Begriff?

M. FAURE: Der Ausdruck »deutschstämmig« bezieht sich, wie ich bereits im Zusammenhang mit einem früheren Dokument ausgeführt habe, auf die folgenden Personengruppen:

Es handelt sich erstens um Personen, die in Elsaß- Lothringen vor dem Versailler Vertrag waren und die durch diesen Vertrag Franzosen wurden. Diese Personen, die die deutsche Staatsangehörigkeit vor 1919 besaßen, werden als deutschstämmig betrachtet, ebenso ihre Kinder, Enkel und Ehegatten. Es handelt sich um den größten Teil der Bevölkerung der drei Departements.

Ich fahre jetzt mit der Verlesung des zweiten Absatzes fort:

»Unabhängig von den oben ausgeführten Bestimmungen können im Falle der Verletzung des Strafgesetzes Strafmaßnahmen getroffen werden.

Mitglieder einer Familie im Sinne des Artikels 1 sind: Vorfahren und Nachkommen in direkter Linie oder angeheiratete Verwandte; Adoptiveltern und Kinder; Pflegeeltern und Kinder, die ihrer Pflege anvertraut sind; Ehemann und Ehefrau, sowie Brüder und Schwestern und deren Männer und Frauen, soweit diese Personen nicht nur vorübergehend, sondern für längere Zeit mit dem Deserteur bis zum Zeitpunkt seiner Flucht oder seiner Einberufung unter einem Dach gelebt haben.«

Nur mit Hilfe dieser entsetzlichen Maßnahmen, wie Denunzierungspflicht und Vergeltungsmaßnahmen gegen die Familien, gelang es den deutschen Behörden, die Einberufung von Elsässern und Lothringern durchzuführen. Diese Einberufungen bedeuteten für viele von ihnen ein Verhängnis und waren für alle eine besonders bittere Prüfung.

Ich möchte schließlich, um diesen Abschnitt meines Vortrags zu beenden, darauf hinweisen, daß die Deutschen zur Mobilmachung von Frauen für die Kriegsarbeit geschritten sind. Ich lege als Dokument RF-745 die Verordnung vom 26. Januar 1942 vor über die Einführung eines weiteren Kriegseinsatzes, des Reichsarbeitsdienstes für die weibliche Jugend in Lothringen.

Wir kommen jetzt mit Dokument RF-746 zu einer Verordnung vom 2. Februar 1943 über die Meldung von Männern und Frauen für Aufgaben der Reichsverteidigung; Verordnungsblatt des Chefs der Zivilverwaltung im Elsaß 1943, Seite 26. Diese Verordnung bezieht sich auf das Elsaß.

Die folgende Verordnung, Dokument RF-747, betrifft Lothringen. Sie ist vom 8. Februar 1943 datiert und bezieht sich auf die Meldung von Männern und Frauen für Aufgaben des Arbeitseinsatzes. Der Gerichtshof wird ersehen, daß die Verordnung, die das Elsaß betrifft, den Passus enthält »für Aufgaben der Reichsverteidigung«, während im Falle Lothringen einfach vom »Arbeitsdienst« die Rede ist. In beiden Fällen handelt es sich jedoch um dasselbe.

Tatsächlich bezieht sich der erste Artikel dieser zweiten Verordnung, Dokument RF-747, auf die Verordnung des Generalbevollmächtigten für den Arbeitseinsatz bezüglich der Meldung von Männern und Frauen für die Reichsverteidigung. Es wurden also nicht nur Männer, sondern auch Frauen für kriegswichtige Arbeiten herangezogen.

Ich werde dem Gerichtshof in diesem Zusammenhang einen Auszug aus einem Zeitungsartikel verlesen, der diese Verordnung kommentiert und auf die Maßnahmen eingeht, die Gauleiter Wagner in dieser Hinsicht zu ergreifen beabsichtigte.

Dies wird Dokument RF-748; ein Auszug aus der Zeitung »Straßburger Neueste Nachrichten« vom 23. Februar 1943.

»In seiner Karlsruher Rede hat Gauleiter Robert Wagner darauf hingewiesen, daß die Maßnahmen der totalen Mobilmachung auch im Elsaß durchgeführt werden und zwar ohne bürokratische Hemmungen. Nachdem die elsässischen Arbeitsämter die erste Gruppe der zum Arbeitseinsatz vorgesehenen Mädchen und Frauen zur Abgabe der Meldebogen aufgefordert haben, nehmen wir Gelegenheit, in einer Unterredung mit der Sachbearbeiterin des Arbeitsamtes Straßburg, noch einmal die wesentlichen, für den Arbeitseinsatz der Frau geltenden Gesichtspunkte zusammenzufassen.«

»Prinzipiell werden alle Frauen, die bisher nie im Haushalt tätig gewesen sind und allein für ihren Ehemann zu sorgen hatten, ohne eine weitere Familie zu besitzen, ganztägig zur Arbeit herangezogen. Mancher Ehemann, der bisher noch niemals seine Hilfe der Hausfrau ange boten hat, wird nun, um ihr die Arbeitslast zu erleichtern, tätig mitzupacken im Haushalt oder einen Teil der Besorgungen übernehmen müssen. Mit gutem Willen werden sich hier schon Auswege finden lassen.

Soweit als möglich werden alle Frauen mit abgeschlossener Berufsausbildung in ihren Berufen eingesetzt, wenn dieselben als kriegswichtig anerkannt werden. Dieses trifft selbstverständlich für alle pflegerischen Berufe zu«.

Auch hier zeigt sich wieder eine komische und plumpe Darstellung, die uns aber nicht über den genauen Charakter dieser Maßnahmen hinwegtäuschen kann, die die französischen Frauen zwangen, für die deutschen Kriegsanstrengungen zu arbeiten.

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