[Die Vertreter der Britischen, Amerikanischen und Russischen Anklagebehörden stellen keine Fragen.]
VORSITZENDER: Hat einer der Herren Verteidiger an diesen Zeugen Fragen zu stellen?
[Keine Antwort.]
Dann kann der Zeuge abtreten.
M. FAURE: Herr Präsident, bedeutet das, daß der Zeuge dem Gerichtshof nicht länger zur Verfügung zu stehen hat? Kann er nach Hause fahren?
VORSITZENDER: Gewiß.
[Der Zeuge verläßt den Zeugenstand.]
M. FAURE: Ich war bei meinen Ausführungen am Ende des zweiten Teiles stehengeblieben, das heißt, ich habe schon die Ausmerzung des französischen Bildungswesens und zweitens die Einführung deutscher Gesetzgebung behandelt.
Ich komme jetzt zu dem dritten Teil, der sich auf die Umsiedlungsmaßnahmen in Elsaß und Lothringen bezieht. Die deutschen Behörden haben in diesen annektierten Departements tatsächlich ihre charakteristischen Umsiedlungsmethoden angewandt. Da ich den luxemburgischen Zeugen früher als vorgesehen verhört habe, so ist der Gerichtshof bereits über die Umsiedlungsmaßnahmen in den annektierten Gebieten unterrichtet.
Die Lage von Elsaß und Lothringen, die ich jetzt schildern möchte, entspricht auch der des Großherzogtums Luxemburg. Das Hauptmotiv dieser Methoden, die von den Deutschen angewandt wurden, war die Kolonisierung, durch die Deutsche angesiedelt wurden, die sich den Grundbesitz und das Vermögen der ausgewiesenen Einwohner aneigneten.
Ein zweiter Vorteil lag in der Ausmerzung derjenigen Elemente, die als schwer assimilierbar betrachtet wurden. Ich möchte hierzu zitieren und dies wird Dokument RF-749 sein, was Gauleiter Wagner in einer Rede in Zabern gesagt hat. Ich zitiere diese Rede nach den »Straßburger Neueste Nachrichten« vom 15. Dezember 1942.
»Heute gilt es sich zu entscheiden. In einer Zeit des größten Ringens der Nation, an dem auch Sie teilnehmen müssen, kann ich dem, der da sagt: Ich bin Franzo se! nur sagen: Mach, daß du raus kommst! In Deutschland haben nur Deutsche Platz.«
Von Anfang an haben die Deutschen zunächst Einzelpersonen oder kleinere Gruppen, und zwar Juden und Lehrer ausgewiesen. Jedoch geht aus Dokument RF-701, das ich heute Morgen bereits zitiert habe und das den ersten allgemeinen Protest der französischen Abordnung vom 3. September 1940 darstellt, hervor, daß die Deutschen den Elsässern und Lothringern die Rückkehr nur unter der Bedingung gestatteten, daß sie sich als deutschstämmig erklärten. Der Gerichtshof wird verstehen, daß diese Voraussetzung für die Rückkehr dieser Flüchtlinge einer Ausweisung gleichkam.
Massenausweisungen begannen im September 1940. Ich lege hierzu das Dokument RF-750 vor. Es ist eine weitere Note der Französischen Waffenstillstandskommission, die aus den Akten des Obersten Gerichtshofs stammt. Ich verlese Absatz 2 dieses Dokuments.
»Seitdem ist der Französischen Regierung bekannt geworden, daß die deutschen Behörden Massenausweisungen von Familien vornehmen, die in den drei Ostdepartements leben. Täglich werden französische Staatsbürger gezwungen, plötzlich ihren gesamten Besitz aufzugeben. Sie werden in Gruppen von 800 bis 1000 Personen nach dem unbesetzten Frankreich abgeschoben.«
Das war noch am 19. September. Am 3. November nahmen die Deutschen eine systematische Ausweisungsaktion gegen die Einwohner des Moseldepartements vor. Diese Aktion wurde mit großer Niedertracht durchgeführt. Die Deutschen kündigten zunächst den Lothringern in gewissen Ortschaften an, daß sie die Wahl hätten, entweder nach Ostdeutschland oder nach Frankreich zu gehen. Sie ließen ihnen nur einige Stunden, um sich zu entscheiden. Andererseits wollten sie den Eindruck erwecken, daß diese Aktion auf Grund einer Vereinbarung mit den französischen Behörden getroffen worden sei.
Die Umsiedlung wurde unter besonders erschwerenden Umständen durchgeführt. Die Lothringer konnten nur sehr wenig persönliche Gebrauchsgegenstände und einen Betrag von 2000 Franken, für Kinder nur 1000 Franken, mitnehmen. Am 18. November waren bereits vier Züge mit Lothringern, die man aus ihrer Heimat vertrieben hatte, in Lyon eingetroffen. Die Ankunft dieser schwer geprüften Lothringer im unbesetzten Frankreich war für sie eine Gelegenheit, ihre patriotischen Gefühle zum Ausdruck zu bringen. Über die gesamten Tatsachen, die ich hier vorgetragen habe, lege ich dem Gerichtshof Dokument RF-751 vor. Es ist eine Protestnote der französischen Abordnung vom 18. November 1940, die die Unterschrift des französischen Generals Doyen trägt.
Ich werde Auszüge aus diesem Dokument RF-751, vom 3. Absatz ab, Seite 1 verlesen:
»Frankreich sieht sich einem Gewaltakt gegenübergestellt, der im formellen Gegensatz steht sowohl zum Waffenstillstandsabkommen als auch zu der kürzlich abgegebenen Versicherung des Wunsches nach Zusammenarbeit zwischen den beiden Ländern. Im Gegenteil sogar, im Artikel 16 des Waffenstillstandsabkommens, den die deutsche Abordnung insbesondere bezüglich der Ostgebiete des öfteren angeführt hat, heißt es, daß die Flüchtlinge in den Gebieten wieder angesiedelt werden sollen, in denen sie früher ansässig waren. Die Schaffung neuer Flüchtlinge stellt somit einen Vertragsbruch dar.
Frankreich sieht sich einer Rechtsverletzung gegenüber, die sich gegen eine friedliche Bevölkerung richtet; das Reich hat dieser Bevölkerung nichts vorzuwerfen, die seit Jahrhunderten in diesen Gebieten ansässig ist und sie zu besonderem Wohlstand gebracht hat.
Der unerwartete Entscheid der deutschen Behörden stellt auch eine unmenschliche Handlung dar. Mitten im Winter mußte die Bevölkerung ohne Vorbereitungen ihr Heim verlassen und durfte nur ein Minimum persönlicher Habe und Geld mitnehmen, das nicht einmal genügte, um ein paar Wochen damit leben zu können. Tausende von Franzosen sind auf diese Weise plötzlich ins Unglück gestürzt worden, ohne daß das bereits schwer geprüfte Land, das durch die Plötzlichkeit und den Umfang dieser unerwarteten Maßnahmen überrascht wurde, in der Lage gewesen wäre, ihnen sofort ein Auskommen sichern zu können.
Dieser Auszug und die Umstände, unter denen er sich abspielte, haben bei der französischen Nation einen der schmerzlichsten und Besorgnis erregendsten Eindrücke hervorgerufen. Besondere Erregung wurde hervorgerufen durch die Angaben, die man den Lothringern gemacht hatte und nach denen die Französische Regierung die Ursache ihres Unglücks gewesen sei. Tatsächlich sollten die Anschläge, die in einigen Dörfern angebracht waren, diesen Eindruck erwecken. Die Einwohner dieser Dörfer wurden vor die Wahl gestellt, entweder nach Ostdeutschland oder in das unbesetzte Frankreich zu übersiedeln.«
In einer Klammer der Note heißt es noch: »Der Text dieses Anschlages ist beigefügt«. Wir sind aber nicht im Besitz dieses Textes.
»Den gleichen Eindruck sollte die Behauptung hervorrufen, daß diese Leute auf Grund der durch Radio Bordeaux übertragenen Aufrufe veranlaßt worden seien, selbst ihren Abtransport zu beantragen. Selbst wenn man zugibt, daß solche Aufrufe erlassen wurden, so muß man dazu feststellen, daß der Rundfunksender Bordeaux unter deutscher Kontrolle stand. Die Gutgläubigkeit dieser Lothringer ist somit mißbraucht worden, wie ihre Reaktion bei der Ankunft in der freien Zone zeigte.«
Ungeachtet dieser Proteste gingen die Ausweisungen weiter. Insgesamt erreichte sie eine Zahl von ungefähr 70000 Personen. Diese Zahl wurde durch die Deportation von Elsässern und Lothringern nach Ostdeutschland und nach Polen noch vergrößert. Diese Deportationen sollten Beängstigung hervorrufen und in erster Linie die Familien derjenigen treffen, die mit vollem Recht beschlossen hatten, sich den deutschen Forderungen hinsichtlich des Arbeits- und Militärdienstes zu entziehen.
Zu diesem Thema möchte ich noch eine französische Protestnote vom 3. September 1942 vorlegen. Das ist Dokument RF-752. Da dem Gerichtshof derartige Urkunden, die das gleiche Thema behandeln, wiederholt vorgelegt worden sind, möchte ich dieses Dokument nur vorlegen, um dessen Existenz, also dieses Protestes, unter Beweis zu stellen. Ich halte eine Verlesung des Inhalts für unnötig.
Zum Schluß möchte ich nur noch eine kurze Stelle zitieren. Es handelt sich um ein Dokument der Amerikanischen Anklagebehörde, R-114. Es ist eine Aufzeichnung über eine Besprechung zwischen mehreren SS-Beamten über die allgemeinen Richtlinien für die Behandlung der deportierten Elsässer.
Ich möchte darauf hinweisen, daß dieses Dokument, R-114, von meinem amerikanischen Kollegen als US-314 vorgelegt wurde. Das Dokument trägt die französische Nummer RF-753. Ich möchte aus diesem Dokument nur einen Absatz verlesen, um das Bild, das ich über diese Deportationen gegeben habe, zu vervollständigen. Ich möchte noch bemerken, daß dieser Text hier noch nicht verlesen wurde.
Der Satz, den ich zitiere, steht auf Seite 2 des Dokuments. Am Ende dieser Seite 2 fängt ein Absatz mit dem Buchstaben »D« an:
»Zur weiteren Aussiedlung sind vorgesehen Angehörige der Patois-Gruppe. Der Gauleiter möchte im jetzigen Patois-Gebiet nur die Personen belassen, die sich im Brauchtum, in ihrer Sprache und ihrer sonstigen Einstellung zum Deutschtum bekannt haben.
Zu den unter a – d angeführten Fällen ist zu bemerken, daß das rassische Problem in den Vordergrund gestellt worden ist, und zwar in der Weise, daß rassisch wertvolle Personen in das Altreich und rassisch minderwertige nach Frankreich ausgesiedelt werden sollen.«
Schließlich möchte ich dem Gerichtshof einige Sätze eines Zeitungsartikels aus den »Straßburger Neueste Nachrichten« vom 31. August 1942 verlesen. Es handelt sich hier um ein einfaches Zitat, es ist kein Dokument:
»Am 28. August wurden nachstehend aufgeführte Familien aus den Kreisen Mülhausen und Gebweiler ins Reich umgesiedelt, um in der einheitlich nationalsozialistischen Umgebung eine gefestigte deutsche Haltung wiederzufinden.
Es handelt sich dabei in mehreren Fällen um Personen, die aus ihrer staatsfeindlichen Einstellung keinen Hehl machten, indem sie feindliche Agitation betrieben, in provozierender Weise in der Öffentlichkeit französisch sprachen, sich den Anordnungen über die Jugend erziehung nicht fügten oder sonst bei den verschiedensten Gelegenheiten eine illoyale Haltung zeigten. In anderen Fällen haben sie als Eltern nicht verhindert, daß ihre Kinder unerlaubt über die Grenze gegangen sind. Sie haben damit Ihre Aufsichtspflicht gröblich verletzt und eindeutig ihre Unzuverlässigkeit erwiesen. Für unzuverlässige Menschen ist aber im Elsaß kein Platz«.
Ich möchte den Gerichtshof darauf hinweisen, daß diese Deportationen oder Umsiedlungen den Verlust des Vermögens zur Folge hatten. Dies ist nicht nur eine Tatsache, es gibt sogar eine deutsche Verordnung darüber, die am 28. Januar 1943 auf Seite 48 des »Verordnungsblattes für Lothringen« unter der Überschrift veröffentlicht wurde: »Verordnung über die Betreuung von Vermögen aus Anlaß der Absiedlung in Lothringen (Betreuungsverordnung)«.
Ich lege diese Verordnung als RF-754 vor. Ich möchte den ersteh Artikel und den ersten Absatz des zweiten Artikels verlesen. Ich glaube, daß der Titel an sich schon bezeichnend ist:
Ȥ 1:
Mit der Betreuung des Vermögens der Personen, die aus Lothringen in das Großdeutsche Reich oder in dem deutschen Hoheitsbereich unterstehende Gebiete abgesiedelt werden, wird die Überleitungsstelle Lothringen des Chefs der Zivilverwaltung in Metz beauftragt.
§ 2:
Die Überleitungsstelle ist berechtigt, das Vermögen der Abgesiedelten sicherzustellen, es zu verwalten und soweit angeordnet, es zu verwerten.«
Die Bedenken, die bezüglich der Form bestanden, gehen aus dieser Verordnung hervor. Es handelt sich um »Betreuung«, aber wir wissen bereits, was dieser Begriff in der Nazi-Sprache bedeutet. Wir haben bereits gesehen, wie Kunstgegenstände und jüdisches Vermögen »betreut« wurden. Hier ist sogar ausdrücklich gesagt worden, daß die »Betreuung« das Recht zur Verwertung gibt.
Andere Anordnungen sind noch viel deutlicher. Hier ist Dokument RF-755, eine Verordnung vom 6. November 1940, über die Anmeldung volks- und reichsfeindlichen Vermögens in Lothringen. Ich lege ferner Dokument RF-756 zum gleichen Thema vor. Es ist eine Anordnung vom 13. Juli 1940 und betrifft volks- und reichsfeindliches Vermögen im Elsaß. Diese beiden Verordnungen, von denen eine sich auf das Elsaß und die andere auf Lothringen bezieht, ermöglichen die Beschlagnahme und Einziehung von Vermögen, die als feindliche Vermögen gelten.
Um nun ein Bild über das Ausmaß des Begriffs »feindliches Vermögen« zu geben, werde ich das Dokument RF-756 verlesen. Paragraph 2 der Verordnung lautet:
»Als volks- oder reichsfeindliches Vermögen gelten Vermögenswerte aller Art, ohne Rücksicht auf die Eigentumsverhältnisse, die volks- oder reichsfeindlichen Zwecken dienen oder dienen sollen. Diese Vorschriften gelten für das Vermögen:
a) aller politischen Parteien, einschließlich ihrer Nebenorganisationen und angeschlossenen Verbände,
b) der Logen und ähnlicher Zusammenschlüsse,
c) der Juden,
d) von Franzosen, die im Elsaß seit dem 11. November 1918 Vermögen erworben haben,
e) von Angehörigen anderer Feindstaaten.
Der Abteilungschef für Verwaltung und Polizei entscheidet, welche Vermögenswerte außer den oben angeführten gleichfalls als volks- oder reichsfeindlich zu gelten haben. Er entscheidet auch in Zweifelsfällen.«
Wir sehen also, daß es sich hier trotz der Überschrift nicht um eine Treuhandverwaltung feindlichen Vermögens handelt, die man im Rahmen des Kriegsrechts in allen Ländern vornimmt, sondern zunächst um eine endgültige Beschlagnahme. Diese Maßnahmen wurden sogar auch auf das Vermögen zahlreicher Personen angewendet, die nicht als feindlich anzusehen waren. Ebenfalls sehen wir die völlig willkürliche Macht, die die Verwaltung besaß.
Diese Verordnungen wurden durch außerordentlich zahlreiche Vorschriften vervollständigt. Obgleich diese widerrechtlichen Aneignungen im Elsaß und in Lothringen eine ausnehmend wichtige Rolle gespielt haben, möchte ich hier nicht weiter darauf eingehen; denn die Anklage hat bereits über das Thema Enteignung gesprochen. Ich werde mich also darauf beschränken, zwei Verfahren zu erwähnen, die besonders im Elsaß und in Lothringen durchgeführt wurden; die landwirtschaftliche und die industrielle Aussiedlung.
Der Ausdruck: Landwirtschaftliche Aussiedlung ist nicht von der Anklagebehörde erfunden worden, sondern ein deutscher Ausdruck. Hierzu lege ich Dokument RF-757 vor. Dieses Dokument ist die Verordnung vom 7. Dezember 1940 über die Neuordnung des Siedlungsraumes in Lothringen. Ich lese den Anfang dieses Dokuments RF-757:
»Der durch die Aussiedlung in Lothringen freigewordene Grundbesitz ist vornehmlich zur Neubildung deutschen Bauerntums und für Wohnsiedlungszwecke zu verwerten. Zu diesem Zweck, insbesondere um die hierzu erforderlichen Planungen zu gewährleisten, verordne ich auf Grund der mir vom Führer erteilten Ermächtigung:
§ 1:
(1) Der Grundbesitz der aus Lothringen ausgesiedelten Personen wird zugunsten des Chefs der Zivilverwaltung in Lothringen beschlagnahmt und eingezogen.«
Jedoch Paragraph 2:
»Der auf Grund der Verordnung über das volks- und reichsfeindliche Vermögen in Lothringen vom 7. August 1940 beschlagnahmte land- und forstwirtschaftliche Grundbesitz wird eingezogen und nach Bedarf in die planmäßige Neubildung des Gebietes einbezogen.
§ 3:
(1) Nach Bedarf kann auch, abgesehen von den Fällen der §§1 und 2, sonstiger Grundbesitz gegen angemessene Entschädigung in die planmäßige Neuordnung einbezogen werden.
(2) Über die Angemessenheit und Art der Entschädigung entscheiden der Chef der Zivilverwaltung oder die von ihm bestimmten Stellen unter Ausschluß des Rechtsweges.«
Der Gerichtshof kann also das deutsche Vorgehen in einer Weise verfolgen, die ich für absolut beweiskräftig halte.
Eine erste Verordnung, die ich vorhin zitierte, erwähnte nur die Betreuung des Vermögens deportierter und umgesiedelter Personen; in der zweiten Verordnung ist schon von Beschlagnahme die Rede – bezieht sich aber noch auf den Begriff volks- oder reichsfeindlich.
Die dritte Verordnung ist noch vollständiger, weil sie förmliche Beschlagnahmemaßnahmen beinhaltet, die nicht mehr als Maßnahmen »zur Betreuung« des durch Deportation freigewordenen Grundbesitzes bezeichnet werden.
Diese landwirtschaftliche Aussiedlung, die ich soeben erwähnt habe, ist von besonderer Wichtigkeit für Lothringen; im Elsaß dagegen stoßen wir auf zahlreiche Maßnahmen, die eine richtige »industrielle Aussiedlung« bedeuteten. Diese Maßnahmen bestanden in der Enteignung französischer Industrieunternehmen zugunsten deutscher Firmen. Hierzu liegen ebenfalls Protestnoten der Französischen Waffenstillstandskommission vor.
Ich lege drei derartige Protestnoten, die Dokumente RF-758, RF-759 und RF-760 vom 27. April 1941, 9. Mai 1941 und 8. April 1943, vor. Ich halte es für besser, diese Dokumente nicht zu verlesen; ich möchte den Gerichtshof nur bitten, diese Dokumente als Beweis für das Vorliegen dieser Proteste zu betrachten. Ich glaube, daß diese Dokumente nur eine Wiederholung des Themas der wirtschaftlichen Plünderung darstellen, das bereits behandelt worden ist.
Zum Schluß möchte ich noch erwähnen, daß die Deutschen sogar so weit gegangen sind, daß sie gefordert haben, daß das Vermögen französischer Firmen im nicht annektierten Frankreich beschlagnahmt und ins Elsaß überwiesen wurde; auf diese Weise sind die Firmen ausgeplündert und im wahrsten Sinne des Wortes zu Kolonien gemacht worden. Es handelt sich hier um Vermögenswerte von Firmen, die im anderen Teil Frankreichs der Verwaltung ordnungsmäßiger Beauftragten unterstanden.
Ich glaube, daß es interessant ist, als Beispiel für dieses Verfahren ein sehr kurzes Dokument heranzuziehen, das ich als RF-761 vorlegen möchte. Es entstammt dem Archiv der Französischen Waffenstillstandskommission und wurde bei der Waffenstillstandskommission von dem Direktor der Gesellschaft, auf die sich dieses Dokument bezieht, eingereicht. Es ist teils in deutsch, teils in französischer Übersetzung abgefaßt und von dem deutschen Kommissar einer französischen Firma, der »Elsaß-Lothringischen Elektrizitätsgesellschaft« unterzeichnet. Diese Firma war auf völlig widerrechtliche Weise der Verwaltung dieses Kommissars unterstellt worden. Wie aus der Urkunde entnommen werden kann, war dieser Kommissar nach Paris gegangen, um den Rest des Vermögens dieser Gesellschaft an sich zu bringen. Er hat das Dokument abgefaßt, unterschrieben und von dem französischen Generaldirektor gegenzeichnen lassen.
Dieses Dokument ist insofern interessant, als es ein Beispiel für die Unverschämtheit der Maßnahmen und die höchst eigenartige Rechtsauffassung der Deutschen ist.
»Ich bin am heutigen Tage von dem Unterzeichneten darüber belehrt worden, daß ich in Zukunft keinerlei Rechtshandlungen vornehmen darf, die das Vermögen der früheren Société Alsacienne et Lorraine d'Electricité betreffen. Wenn ich dieser Belehrung zuwiderhandle, mache ich mich strafbar. Paris, den 10. März 1941, unterzeichnet: Hucka, F. P. Kommissar Garnier.«
Diese wirtschaftliche deutsche Kolonisierung in den annektierten Gebieten sollte als Versuch für die Anwendung der gleichen Methoden in größerem Ausmaß dienen.
Dem Gerichtshof wird hierzu später ein Dokument über einen solchen Kolonisierungsversuch im französischen Departement Ardennes vorgelegt werden. Über die deutschen Annektionsmethoden im Elsaß und in Lothringen könnte ich noch zahlreiche andere Fälle und Dokumente anführen, und zwar bloß solche, die vom Gesichtspunkt der Anklage von Bedeutung sind.
Ich habe mich jedoch darauf beschränkt, um dem Gerichtshof Zeit zu sparen und um den Erfordernissen dieses Prozesses gerecht zu werden, wo so viele Dinge zur Sprache gebracht werden. Ich habe mich hier mit besonders charakteristischen Dokumenten und Anführungen begnügt. Ich glaube jedoch, daß dieser Dokumentenbeweis genügt, um dem Gerichtshof einen Eindruck über das besonders charakteristisch verbrecherische Vorgehen der Deutschen zu vermitteln; vor allem bei den Einberufungen zum Militärdienst. Es ist ein Verbrechen gegen das gemeine Recht, da es den Tod nach sich zieht. Ich denke, der Gerichtshof wird neben diesem Verbrechen auch einen Einblick in das große Leid erhalten haben, das die Bevölkerung dieser schon im Laufe der Geschichte schwer geprüften Provinzen fünf Jahre lang erfahren hat.
Ich habe verschiedene Einzelheiten angeführt, die amüsant oder lächerlich wirken können, weil ich es für richtig halte, daß man sich den Druck, den die deutsche Verwaltung darstellte, von allen Gesichtswinkeln aus, selbst dem des Privatlebens, vergegenwärtigen kann; dieser allgemeine Druck war wie eine Zerstörung und Umnachtung, die sich ohne Ausnahme vor allem auf die Departements und annektierten Gebiete erstreckten.
Ich nehme an, der Gerichtshof wünscht, daß ich meine weiteren Ausführungen über das Großherzogtum Luxemburg erst morgen mache.
Andererseits möchte ich den Gerichtshof bitten, über eine Zeugenfrage zu entscheiden. Ich möchte hier einen Zeugen vernehmen und ich habe soeben erst den schriftlichen Antrag gestellt. Ich bitte zu entschuldigen, daß dies nicht früher erfolgt ist, da über diesen Punkt eine Ungewißheit bestand.
Wenn der Gerichtshof einverstanden ist, bitte ich darum, daß dieser Zeuge morgen, Sonnabend Vormittag, vernommen wird. Der Name des Zeugen ist: Herr Vorrink, holländischer Staatsangehöriger. Gleichzeitig möchte ich darauf hinweisen, daß die Verteidiger schon heute Abend darüber zu unterrichten sind und daß die Fragen, die ich zu stellen beabsichtige, mit gewissen Punkten der Germanisierung in Holland im Zusammenhang stehen werden.
VORSITZENDER: Wollen Sie diesen Zeugen morgen bringen?
M. FAURE: Sofern der Gerichtshof damit einverstanden ist.
VORSITZENDER: Ja gewiß, laden Sie diesen Zeugen morgen vor!
M. FAURE: Wenn es dem Gerichtshof genehm ist, kann dieses Verhör im Laufe der morgigen Verhandlung nach der Pause stattfinden.
VORSITZENDER: Gewiß.
DR. GUSTAV STEINBAUER, VERTEIDIGER DES ANGEKLAGTEN SEYSS-INQUART: Herr Präsident! Ich möchte den Prozeß nicht verzögern, aber ich glaube, daß es im Interesse der Rechtsfindung ist, wenn ich bitte, den holländischen Zeugen nicht morgen, sondern erst Montag zu vernehmen, da anzunehmen ist, daß der erkrankte Angeklagte Seyß- Inquart bereits am Montag im Gerichtssaal anwesend sein wird.
VORSITZENDER: Herr Faure, wäre es Ihnen recht, den Zeugen erst am Montag vorzuladen?
M. FAURE: Ich möchte der Verteidigung keine Schwierigkeiten bereiten, aber der Zeuge möchte sobald wie möglich wieder abreisen. Vielleicht darf ich vorschlagen, daß er morgen vernommen wird und daß nach seinem Verhör der Verteidiger von Seyß-Inquart mitteilt, ob er ihn ins Kreuzverhör nehmen will. In diesem Falle wird der Zeuge bis Montag hier bleiben.
Wenn andererseits der Verteidiger nach dem Verhör ein Kreuzverhör nicht für nötig hält, dann ist es nicht entscheidend, ob Seyß-Inquart anwesend ist oder nicht. Aber der Gerichtshof hat natürlich hier allein zu entscheiden.
VORSITZENDER: Es scheint mir ein durchaus vernünftiger Vorschlag zu sein.
DR. STEINBAUER: Bitte, ich bin mit dem Vorschlag des Anklägers einverstanden und überlasse die Entscheidung dem Gerichtshof.
VORSITZENDER: Dann werden wir jetzt vertagen.