[Das Gericht vertagt sich bis
2. Februar 1946, 10.00 Uhr.]
Neunundvierzigster Tag.
Samstag, den 2. Februar 1946.
Vormittagssitzung.
GERICHTSMARSCHALL: Mit Erlaubnis des Gerichtshofes möchte ich bekanntgeben, daß die Angeklagten Kaltenbrunner, Seyß-Inquart und Streicher wegen Erkrankung von der Sitzung abwesend sind.
M. FAURE: Meine Herren! Ich möchte den Gerichtshof bitten, jetzt das Dossier vorzunehmen, das »Luxemburg« betitelt ist.
Der Gerichtshof weiß schon durch die gestrige Zeugenaussage des Herrn Präsidenten Reuter, welches die wichtigsten Tatsachen im Fall Luxemburg waren. Ich werde meine Erklärung hierzu also etwas abkürzen können; jedoch ist es absolut erforderlich, daß ich dem Gerichtshof einige Dokumente vorlege.
Die Annektierung Luxemburgs bietet einen ganz besonderen Charakter dadurch, daß sie die völlige Aufgabe der Souveränität dieses besetzten Landes mit sich brachte.
Es handelt sich also um einen Fall, der im klassischen Recht »debellatio« heißt; mit anderen Worten: Einstellung der Feindseligkeiten durch das Verschwinden der Person des öffentlichen Rechts von einer der kriegführenden Parteien.
Die totale Einverleibung Luxemburgs zeigt den verbrecherischen Vorsatz eines Angriffs durch das Reich gegen diesen Staat, dem gegenüber sich Deutschland durch diplomatische Verträge gebunden hatte, namentlich durch den Vertrag von London vom 11. Mai 1867 und den Schiedsgerichts- und Vergleichsvertrag vom 2. September 1929. Der Gerichtshof weiß durch die Aussage von Herrn Reuter, daß diese Abkommen zweimal bestätigt worden sind: erstens am 26. August 1939 durch eine spontane diplomatische Demarche, die von Herrn von Radowitz, dem Deutschen Gesandten in Luxemburg unternommen wurde, und zweitens, wie dem Gerichtshof bereits vorgetragen wurde, durch eine beruhigende Erklärung, die noch wenige Tage vor dem Einfall in Luxemburg abgegeben wurde.
Da Luxemburg im Gegensatz zu Elsaß und Lothringen, die französische Departements waren, einen Staat bildete, mußten die Deutschen, um diesen de facto-Anschluß durchzuführen, besondere Regelungen bezüglich der Unterdrückung der öffentlichen Einrichtungen treffen. In zwei Verordnungen vom 29. Oktober 1940 wurden die Auflösung der Abgeordnetenkammer und des Staatsrates angeordnet und die luxemburgischen politischen Parteien verboten.
Diese zwei Verordnungen unterbreite ich als Dokument RF-801 und RF-802. Ich bitte den Gerichtshof, von diesen Texten, die amtliche Texte sind, lediglich amtlich Kenntnis nehmen zu wollen.
Schon am 26. August 1940 hatte eine deutsche Verordnung die verfassungsmäßige Formel aufgehoben, wonach im Namen des Souveräns Recht gesprochen wird. An Stelle dieser Verfassungsformel setzte sie eine andere, wonach im Namen des Volkes Recht gesprochen werde. Am 15. Oktober 1941 wurde diese Formel nochmals abgeändert, diesmal noch unverhohlener, nämlich: »Im Namen des deutschen Volkes«.
Nun werde ich in meinen zusätzlichen Ausführungen demselben Gedankengang folgen, wie bei meinen Äußerungen über Elsaß und Lothringen, und werde nur die Umstände, die für Luxemburg von besonderer Bedeutung sind, näher beleuchten.
Wie es im Elsaß und in Lothringen der Fall war, haben die Deutschen auch in Luxemburg versucht, das Nationalgefühl auszutilgen und alle Äußerungen der traditionellen Kultur dieses Landes unmöglich zu machen.
In diesem Zusammenhang zitiere ich zwei Verordnungen vom 28. August 1940 und vom 23. Oktober 1940, welche alle Vereinigungen mit kulturellem oder erzieherischem Ziel verbieten.
Wie im Elsaß und in Lothringen befahlen die Deutschen die Germanisierung der Familiennamen und Vornamen. Dies war das Ziel einer Verordnung über Abänderung der Vornamen und Familiennamen in Luxemburg vom 31. Januar 1941; Dokument RF-803.
Ich möchte noch bemerken, daß die Baskenmütze auch in Luxemburg nach Verordnung vom 14. Februar 1941 nicht mehr getragen werden durfte.
Zur gleichen Zeit als die Deutschen die nationalen Einrichtungen Luxemburgs unterdrückten, stellten sie in ihrer gewohnten Weise ihre eigene Verwaltung auf. Es wurde ein Gauleiter in der Person von Gustav Simon ernannt, der vorher Gauleiter von Koblenz- Trier gewesen war. Was die Verwaltung anbetrifft, so wurde das Gebiet des Großherzogtums Luxemburg als »Bezirk« des Chefs der Zivilverwaltung verwaltet, aber durch deutsche Verwaltungsbehörden.
Was die Partei, die nationalsozialistische Partei, anbelangt, wurde Luxemburg offiziell dem Reich als vom Moselgau abhängig angegliedert. Ich will mich nicht mit der Einführung der deutschen Zivil- und Strafgesetzgebung aufhalten, die unter denselben Bedingungen in Luxemburg stattfand wie im Elsaß und in Lothringen. Hierfür dürfte die Vorlage des amtlichen Regierungsberichts des Großherzogtums als ausreichender Beweis angesehen werden.
Was die Staatsangehörigkeit und den Wehrdienst anbetrifft, bemerken wir, daß die Maßnahmen in Luxemburg denen in anderen angegliederten Ländern gleich waren. Am 30. August 1942 wurden zwei Verordnungen veröffentlicht. Hier ist zu bemerken, daß diese beiden Verordnungen, deren eine sich mit der Staatsangehörigkeit, die andere mit dem Militärdienst befaßt, das gleiche Datum tragen. Die Verordnung für den Militärdienst wird als Dokument RF-804, und die Verordnung über die Staatsangehörigkeit als Dokument RF-805 eingereicht. Die Gesetzgebung über die Staatsangehörigkeit enthält außerdem eine besondere Bestimmung für Luxemburg, obwohl sie dem allgemeinen Geiste der deutschen Gesetzgebung entspricht, wie wir sie in den angegliederten Ländern kennengelernt haben.
Die Deutschen hatten in Luxemburg verschiedene Nazi-Organisationen geschaffen, deren wichtigste die sogenannte »Volksdeutsche Bewegung« war.
Nun kommt das, was ich besonders hervorheben möchte, die Verfügung über die Staatsangehörigkeit vom 30. August 1942. Danach wurde die deutsche Staatsangehörigkeit denjenigen Personen verliehen, die dieser Volksdeutschen Bewegung beitraten. Aber diese Staatsangehörigkeit war widerrufbar. Dies ist im letzten Absatz bestimmt, in Paragraph 1 der Verordnung, unserem Dokument RF-805. Tatsächlich hatte die Verleihung der Staatsangehörigkeit in diesem Sonderfall eine vorläufige Geltungsdauer von zwei Jahren. Als die Deutschen den Luxemburgern den Wehrdienst auferlegten, zwangen sie gleichzeitig die jungen Luxemburger, in den vormilitärischen Einheiten der Hitlerjugend zu dienen. Dies wird in einer Verordnung vom 25. August 1942 über die Hitlerjugendlager, Dokument RF-806, bestimmt.
Schließlich wurde wie in Elsaß-Lothringen auch in Luxemburg die Zwangsarbeit eingeführt, nicht nur für Männer, sondern auch für Frauen, und zwar für im militärischen Interesse gelegene Arbeit. Diese Vorschrift geht namentlich aus drei Verordnungen hervor, nämlich vom 23. Mai 1941, vom 10. Februar 1943 und vom 12. Februar 1943. Die zwei letzten Verordnungen lege ich als Dokumente RF-807 und RF-808 vor.
Nun möchte ich einen Luxemburg allein betreffenden anderen Umstand erwähnen. Der Beweis dafür liegt im offiziellen Bericht des Großherzogtums, welcher dem Gerichtshof schon vorliegt, Seite 4, Abschnitte 7 und 8. Das Zitat ist sehr kurz; ich habe nicht den ganzen offiziellen luxemburgischen Bericht dem Dokumentenbuch beigefügt. Ich zitiere nur einen Satz:
»Durch Verordnung im Verordnungsblatt Luxemburg für 1942, Seite 232, wurde ein Teil der luxemburgischen Bevölkerung gezwungen, dem Sicherheits- und Hilfsdienst beizutreten, einer halbmilitärischen Organisation mit Uniform, in welcher militärische Übungen durchgeführt wurden. Ein Teil dieser Leute wurde zwangsmäßig nach Deutschland geschickt, um dort während der alliierten Luftangriffe höchst gefährliche Aufgaben durchzuführen.«
Die Nazis trachteten ganz besonders danach, Luxemburg zu nazifizieren. In diesem Land erfanden sie ein besonderes Verfahren. Es ist ein Plan, dessen Grundgedanke das sprachliche Element war. Sie entwickelten die offizielle These, daß das Großherzogtum Luxemburg dem deutschen Sprachraum angehöre. Die Propaganda über dieses Thema ging dahin, daß der luxemburgische Dialekt ein fränkischer Dialekt des Mosellandes und eine Abart des Hochdeutschen sei.
Nachdem sie dieses Thema entwickelt hatten, führten sie eine Volkszählung durch, worüber der Zeuge gestern vor dem Gerichtshof berichtet hat. Ich weise darauf hin, daß diese Zählung am 10. Oktober 1941 stattfand. Ich wollte den Zeugen darüber verhören, denn der Regierungsbericht brachte nichts über das Ergebnis dieser Zählung. Der Gerichtshof weiß, warum die deutsche Behörde die Zählung sofort unterbrochen hat: Die Anzahl der Personen, die sich dem Wunsch der Deutschen fügten, war nämlich lächerlich gering.
Nach diesem Mißerfolg betrachteten die Deutschen den luxemburgischen Dialekt nicht mehr als politischen Freund. Ich lege Dokument RF-809 vor, ein Rundschreiben vom 13. Januar 1942, das den Beamten den Gebrauch des Dialekts in allen mündlichen, beziehungsweise telefonischen Gesprächen mit dem Publikum verbot, was eine große Anzahl von Personen stören konnte.
Die Nazifizierung wurde andererseits betrieben durch die Schaffung von Gruppen, die von dem üblichen Geist durchdrungen waren. Ich habe schon erwähnt, daß die wichtigste dieser Gruppen in Luxemburg die »Volksdeutsche Bewegung« war, und ich möchte nur noch hinzufügen, was in dem offiziellen luxemburgischen Bericht steht. Es steht da folgendes:
»Der Beitritt zur Volksdeutschen Bewegung war die conditio sine qua non für die Beamten, um in ihren Posten zu verbleiben; für die Angestellten, um ihre Stellung zu behalten; für diejenigen wie Advokaten, Ärzte usw., die freie Berufe ausübten, um weiter arbeiten zu können; für die Industriellen, um ihre Fabriken zu behalten und überhaupt für alle, um ihr Brot verdienen zu können. Der Zwang offenbarte sich durch Entlassungen, Ausweisungen aus dem Lande und Deportation ganzer Familien.«
Die Strafe gegenüber denjenigen Luxemburgern, die sich diesen Bestrebungen nicht fügten, war von einer Formel begleitet, welche ich dem Gerichtshof verlesen werde. Diese Formel, die die nationalsozialistische Einstellung sehr deutlich erkennen läßt, wird im offiziellen Bericht wiedergegeben. Es ist ein sehr kurzes Zitat:
»Infolge ihrer Einstellung bieten diese Personen nicht die Gewähr dafür, daß sie allezeit oder ohne Vorbehalt und während oder außerhalb der Ausübung ihrer beruflichen Tätigkeit ihre Pflichten erfüllen werden, Pflichten, die durch die Einführung der Zivilverwaltung und die deutschbewußte Haltung der Bevölkerung begründet sind.«
Die Nazis versuchten auch in Luxemburg das SA-Korps zu entwickeln.
VORSITZENDER: Herr Faure, haben wir diesen Regierungsbericht in Händen? Haben Sie ihn eingereicht?
M. FAURE: Der Bericht der Luxemburgischen Regierung wurde dem Gerichtshof von meinem Kollegen, Herrn Dubost, vorgelegt. Da ich ihn hier nur kurz zitiere, habe ich ihn meinem Dokument nicht beigefügt.
VORSITZENDER: Jawohl, es würde mir helfen, wenn Sie mir beim Zitieren aus einem Dokument, das sich nicht im Dokumentenbuch befindet, die Seite angeben würden, auf der ich dieses Zitat finden kann.
M. FAURE: Ich werde sogleich die Seite dem Gerichtshof angeben, die Seite des Zitats, welches ich eben verlesen habe.
Mein Mitarbeiter teilt mir mit, daß es sich auf Seite 4 des Berichts über Luxemburg befindet.
Die Nazis benützten natürlich alle möglichen Zwangsmittel, um den Beitritt zu ihren Organisationen, namentlich zu der SA und zu dem motorisierten Korps der SA, das mit den Buchstaben »NSKK« bezeichnet wird, zu erreichen.
Ich möchte nun dem Gerichtshof zeigen, daß die Nazis besonders versucht haben, die Jugend zu erfassen, weil sie glaubten, es sei leichter, jungen Leuten, und ich muß sagen, sogar Kindern, die Nazi-Anschauung und -Vorschriften beizubringen. Ich glaube, daß ich in dieser Beziehung das Dokument RF-810 zitieren kann. Es ist ein Rundschreiben vom 22. Mai 1941, das an die Direktoren der Hochschulen gerichtet war. Es ist ein sehr kurzes Dokument, und ich werde mir erlauben, es zu verlesen. Ich zitiere:
»Auf Anordnung des Gauleiters sind sämtliche Lehrkräfte verpflichtet, das Buch des Führers ›Mein Kampf‹ bis zum 1. VI. 41 zu kaufen. Bis zum 1. IX. 41 ist mir eine schriftliche, ehrenwörtliche Erklärung jeder einzelnen Lehrkraft vorzulegen, daß sie das Werk gelesen hat.«
Die Deutschen dachten also, daß das zwangsweise Lesen von »Mein Kampf«, wofür sie eine Frist von drei Monaten vorsahen, damit die Professoren diese wichtige Lehre in sich aufzunehmen vermöchten, diese überzeugen würde, und daß sie darnach ihre Schüler in dem offiziellen Geist unterrichten würden. Hier ist ein anderes Dokument, das Dokument RF-811. Ich werde mir erlauben, dieses Dokument zu verlesen. Es ist nicht sehr lang, aber kennzeichnend, Es ist ein Auszug aus dem Rundbuch, Verfügungen an die Schüler des Athenäums:
»Luxemburg, den 16. Juni 1941.
1. Ich mache es allen Schülern zur Pflicht, beim Erscheinen eines Lehrers zu Beginn der Unterrichtsstunde und beim Verlassen der Klasse, am Schluß der Stunden, aufzustehen.
2. Der Deutsche Gruß wird in folgender Weise erwiesen:
a) Erheben des rechten ausgestreckten Armes in Schulterhöhe.
b) Es wird gerufen ›Heil Hitler‹.
3. Die Schüler sind verpflichtet, die Lehrkräfte mit demselben Gruß, mit dem diese den Unterricht beginnen bzw. schließen, wieder zu grüßen.
4. Ich erwarte auch von allen Schülern, daß sie auf der Straße den Deutschen Gruß erweisen, besonders den Herren gegenüber, von denen sie wissen, daß sie sich freudig zum Deutschen Gruß bekennen.«
Diese deutschen Methoden erreichten ihren Höhepunkt mit der Auferlegung des Treueides auf Hitler. Dieser Treueid wurde den Gendarmen und Polizisten auferlegt. In dieser Beziehung möchte ich auf die Aussagen des Herrn Reuter verweisen, der nämlich berichtet, daß die Widerspenstigen deportiert und zum großen Teil erschossen wurden. Als Beweis für diese Tatsache lege ich auch den Bericht der Luxemburger Regierung vor, der die entsprechenden Angaben auf Seite 12 bringt.
Selbstverständlich fügten sich die Luxemburger, wie auch in den anderen angeschlossenen Gebieten, diesen deutschen Unternehmungen nicht; und auch hier versuchte man, diesen Widerstand durch Terror zu brechen. Hier muß ich einen besonderen Text anführen; es ist eine Verordnung vom 2. Juni 1941. Dies wird Dokument RF-812 mit dem Titel »Verordnung über die Einführung des Gesetzes über die Geheime Staatspolizei vom 10. Februar 1936 in Luxemburg«. Dieser Titel genügt, um den Stoff anzugeben.
Die Gestapo richtete in Luxemburg Ausnahmegerichte ein; ein Ausnahmegericht, das »Standgericht« hieß und SS-Gerichte. Diese Gerichtsbarkeiten, wenn man diesen Ausdruck hier gebrauchen darf, sprachen sehr zahlreiche Urteile aus politischen Gründen aus. Eine genaue Aufstellung dieser Urteile ist als Beilage dem Regierungsbericht angefügt. Von einem einzigen Gericht, dem »Standgericht«, wurden 16 Todesurteile und 300 Freiheitsstrafen ausgesprochen. Aber dieses Gericht war nicht das einzige, und der Bericht fügt noch hinzu, und das hat der Zeuge bestätigt, daß ungefähr 500 Todesurteile in diesem Lande gefällt wurden, was in Anbetracht der nicht sehr großen Bevölkerungszahl sehr bedeutend ist.
Hier darf vielleicht auch erwähnt werden, daß hinsichtlich der Germanisierung Deportationsmaßnahmen, die dem Gerichtshof durch Zeugenaussagen von Herrn Reuter schon bekannt sind und im Bericht weiter genannt werden, gegen die geistige Elite des Landes, die Geistlichkeit und auch diejenigen, die im Heer gedient hatten, systematisch durchgeführt wurden. Dieser Umstand beweist ganz klar den Willen der Deutschen, den sozialen, geistigen und moralischen Rahmen dieses Landes zu zerstören.
Der Luxemburger Bericht gibt als Beilage Namenlisten von deportierten Offizieren, Anwälten, Leuten, die sich im politischen Leben des Großherzogtums betätigt hatten, sowie von Schriftstellern und führenden Kaufleuten. Ich möchte hier nur eine sehr kennzeichnende Zahl angeben. Es wurden 75 Geistliche ausgewiesen oder deportiert. Wenn man dies mit der Gesamtbevölkerungszahl Luxemburgs vergleicht, sieht man ein, daß die Deutschen die Religionsausübung lahmlegen wollten.
Übrigens erwähnt der offizielle Bericht noch, daß die Güter der religiösen Orden beschlagnahmt, und daß die Mehrzahl der dem Kultus gewidmeten Gebäude zerstört oder entweiht wurden.
Nun kurz noch über die landwirtschaftliche Ansiedlung. Die Organisation »Für deutsches Volkstum und Siedlung« übernahm es, die Güter der deportierten Luxemburger zugunsten der Südtiroler zu liquidieren, welche im Großherzogtum angesiedelt wurden.
Es gab auch eine wirtschaftliche und industrielle Kolonisierung. Hier finden wir dieselben Methoden, dieselben Plünderungen, und ich möchte darauf nicht zurückkommen, denn der Gerichtshof kennt ja deren Entwicklungsprozeß. Ich möchte hier jedoch ein Beispiel anführen, welches Luxemburg betrifft. Erstens, weil ich der Ansicht bin, daß dokumentarische Beispiele in allen Fällen gut sind, und auch, weil man aus diesem Beispiel vom Standpunkt der Anklage aus kennzeichnende Schlußfolgerungen ableiten kann.
Das Dokument, das ich vorlegen werde, bezieht sich auf einen Einzelfall, einen Fall unter vielen anderen. In diesem Falle wollten die deutschen Behörden Einzelpersonen und wirtschaftliche Unternehmen dazu zwingen, ihre Aktiva, die Kontrolle ihrer Unternehmen Deutschen zu überlassen.
Das ist die Kolonisierung, die darin bestand, deutsche Staatsangehörige in wirtschaftlich bedeutende und vermögende Unternehmen einzusetzen. Das Reichswirtschaftsministerium beschäftigte sich selbst mit diesen ungesetzlichen Verfahren, die dazu bestimmt waren, Einzelpersonen zu enteignen und die besetzten Länder wirtschaftlich zu germanisieren.
Das Dokument, das ich jetzt verlesen werde, trägt die Nummer RF-813. Es wurde von der Luxemburger Regierung vorgelegt und ist übrigens ein Originaldokument. Als Kopf steht: »Der Reichswirtschaftsminister, – Berlin, den 5. Januar 1942«, und als Unterschrift: »Im Auftrag gezeichnet Dr. Saager.«
Es handelt sich also um einen Untergeordneten, welcher amtlich auf Befehl seines Ministers handelte. Es ist Dokument RF-813, das vorletzte meines Dossiers. Dieser Brief trägt die Aufschritt »Geheim«, betrifft: »Accumulateurs Tudor S. A. Brüssel« und ist an die Akkumulatorenfabrik, zu Händen von Herrn von Holtzendorf, Berlin, Askanischer Platz 3, gerichtet. Der Gerichtshof wird verstehen, daß der Reichswirtschaftsminister sich an die deutsche Firma wendet, welche aus dem Druck, der auf diese Luxemburger Firma ausgeübt wird, Vorteil ziehen soll:
»Unter Bezugnahme auf die mit Ihnen wiederholt geführten Besprechungen bestätige ich Ihnen, daß es im Reichsinteresse liegt und als sehr erwünscht anzusehen wäre, wenn Sie eine maßgebliche Beteiligung an der Accumulateurs Tudor S. A. erwerben würden. Dieses Reichsinteresse ist nicht zuletzt auch aus wehrwirtschaftlichen Gründen gegeben.
Für den Erwerb einer maßgeblichen Beteiligung käme vor allen Dingen der Aktienbesitz des Herrn Léon Laval, früher in Luxemburg, zur Zeit in Bad Mergentheim, in Betracht. Dies gilt sowohl für seinen persönlichen Aktienbesitz als auch für das bei der Sogéco liegende Paket von 3000 Stück«.
Ich komme jetzt zum wichtigsten Absatz dieses Briefes:
»Ich ersuche daher, die darnach erforderlichen Verhandlungen unverzüglich in Angriff zu nehmen, wobei ich darauf hinweise, daß sie zunächst die staatspolizeiliche Genehmigung der Geheimen Staatspolizei zur Führung von Verhandlungen mit Herrn Laval einzuholen haben und ferner deren Einverständnis zur Übertragung der Aktien auf Sie, im Falle der Abgabebereitschaft des Herrn Laval. Die Geheime Staatspolizei ist von mir bereits über den Sachverhalt unterrichtet worden. Darüber hinaus bin ich bereit, sofern dies nach dem Ergebnis Ihrer Verhandlungen erforderlich sein sollte, der Geheimen Staatspolizei nochmals die Dringlichkeit Ihres Auftrages zu bestätigen.«
Nun muß ich dem Gerichtshof zusätzlich noch das Dokument RF-814 bekanntgeben. Es ist die Fortsetzung desselben Manövers, aus dem man ersieht, wie das Reichswirtschaftsministerium sich mit der Gestapo selbst in Verbindung setzt, um die Plünderung von Privatpersonen durchzuführen. Dieses Schreiben wurde an eine Privatperson, Herrn Ingenieur Dr. Léon Laval, den man dazu zwingen wollte, seine Aktien zu verkaufen, gerichtet.
Hier ist der Text dieses Schreibens, es ist datiert: Luxemburg, den 14. Januar 1942. Am Titelkopf steht: »Einsatzkommando der Sicherheitspolizei und des SD in Luxemburg.«
»Sie haben sich für den 19. Januar 1942 und die fol genden Tage in Ihrer Wohnung zur Verfügung des Vertreters der Akkumulatorenfabrik AG, Berlin, Herrn Direktor von Holtzendorf, zu halten.«
Der Gerichtshof erkennt den Namen des Herrn von Holtzendorf, welcher ja der Empfänger des Schreibens des vorher erwähnten Dokuments war.
»Herr von Holtzendorf, der im Besitze einer besonderen Berechtigung des Reichssicherheits-Hauptamtes ist, wird mit Ihnen geschäftliche Angelegenheiten besprechen.
Heil Hitler.«
Unterschrieben: »Hartmann«.
Daß ich diese zwei, im Rahmen des Prozesses an und für sich nicht sehr wichtigen Dokumente verlesen habe, bedeutet nicht, wie der Gerichtshof wohl versteht, daß ich die Tatsache der Enteignung der Akkumulatorgesellschaft für überaus wichtig halte. Nichtsdestoweniger stellt diese Enteignung eine zum Nachteil der Gesellschaft verübte ungesetzliche Handlung dar. Ich wollte nur damit zeigen – und ich glaube, daß es ein wichtiger Punkt in diesem Prozeß ist –, ja ich wollte unterstreichen – und dies werde ich jedesmal tun, wenn ich dazu Gelegenheit habe –, in welchem Maße die verschiedenen deutschen Dienststellen zusammenarbeiteten, von denen die Angeklagten hier die leitenden Persönlichkeiten waren. Viele glauben manchmal, daß alle deutschen Verbrechen der Gestapo zuzuschreiben sind; es ist sicher, daß die Gestapo eine ganz charakteristische kriminelle Organisation gewesen ist, aber die Gestapo wurde nicht von selbst in Gang gesetzt, die Gestapo handelte im Auftrag von und in Verbindung mit den Zivilverwaltungen und dem Kommando der Wehrmacht.
Sie hörten gestern bezüglich der »Pontificalia« des Bistums Straßburg und auch in der Frage der Straßburger Universität, wie auch da der zivile Minister oder dessen Vertreter sich an das ausführende Organ der Polizei wandte, und wir bemerken auch dieselbe Methode anläßlich der eben verlesenen wirtschaftlichen Dokumente.
Ich bin nun am Schluß des ersten Kapitels meiner Anklageschrift angelangt. Es ist mir angenehm, dem Gerichtshof mitzuteilen, daß die Arbeit der Dokumentierung und der Vorbereitung dieses Kapitels unter Mitarbeit meines Assistenten, Herrn Albert Lentin, durchgeführt wurde.
Jetzt möchte ich dem Gerichtshof das erste Dossier des zweiten Kapitels, das sich mit der Übernahme der Souveränität beschäftigt, überreichen.
Das erste Dossier befaßt sich mit allgemeinen Auffassungen, die ich dem Gerichtshof vorzulegen gedenke, bevor ich die Dokumente zum Beweis bringe. Infolgedessen hat der Gerichtshof jetzt ein Aktenheft mit dem Titel »Exposé« vor sich, für dessen ersten Teil es kein Dokumentenbuch gibt.
Die Deutschen haben die Gebiete von fünf Mächten besetzt, wenn man das einverleibte Luxemburg, das eben behandelt wurde, nicht dazu zählt. Von diesen fünf Ländern haben drei ihre Regierungsbehörden behalten. Es handelt sich um Dänemark, Norwegen und Frankreich. Es muß aber gesagt werden, daß das Los dieser drei Länder sehr verschieden war. Die Regierung Dänemarks war eine legitime Regierung; die Regierung Frankreichs war eine de facto-Regierung, welche anfänglich eine wirkliche Autorität auf unbesetztem Gebiet ausübte. Die Regierung Norwegens war auch eine de facto-Regierung, und sie blieb das Symbol aller Scheinregierungen. Die zwei anderen Mächte aber, Belgien und die Niederlande, konnten keine Behörden mit regierungsmäßigem Charakter behalten, sondern nur Verwaltungsbehörden, deren höchste die Generalsekretariate der Ministerialabteilungen waren. Angesichts dieser Frage haben die Deutschen, wie ich schon erwähnt habe, ihre Beherrschungsmethoden differenziert, aber sie haben keine spezifischen Methoden ausgearbeitet, welche der Innenorganisation jedes in Betracht zu ziehenden Landes entsprochen hätten. Vom ersten Augenschein an ist also die Frage ziemlich verwickelt.
Wenn man diese Frage zunächst allgemein betrachtet, sieht man, daß die widerrechtliche Übernahme der Souveränität durch die Besatzungsmacht drei verschiedene Formen angenommen hat.
Erste Form: Die Ausübung der direkten gesetzgeberischen Gewalt, damit meinen wir die Ausübung dieser Gewalt in dem Maße, bei dem die Gewalt die Befugnisse der Besatzungstruppen nach dem Völkerrecht übersteigt.
Zweite Form: Indirekte Ausübung der gesetzgebenden Gewalt durch Vermittlung der Lokalbehörden. Dieser Begriff kann nochmals unterteilt werden, nämlich die Ausübung der gesetzgebenden Gewalt einerseits durch einfachen Befehl. Dies ist der Fall, wenn die Lokalbehörden Verwaltungsbehörden sind.
Andererseits durch Druck; dies ist der Fall, wenn die Lokalbehörden Regierungscharakter de facto oder de jure haben.
Übrigens ist noch festzustellen, daß der Druck manchmal derart war, daß er dem direkten Befehl gleichkam. Unter Druck verstehen wir auch die Inanspruchnahme von Verrätern.
Dritte Form: Die dritte Form ist ganz einfach die Gewaltanwendung. Darunter verstehen wir nicht Einzelfälle von Gewaltanwendung, denn diese sind im vorliegenden Fall nicht von Interesse, sondern die Gewaltanwendung, die auf den Befehl einer zuständigen Besatzungsbehörde zurückgeht und die infolgedessen unter die Verantwortung einer höheren Instanz fällt.
Wenn wir die ausübenden Organe dieser Usurpation bezeichnen wollen, dann stellen wir fest, daß diese Organe in fünf Kategorien eingeteilt werden können.
1. In erster Linie haben wir die Einsetzung eines Reichskommissars, welche nur in Norwegen und Holland durchgeführt wurde, das heißt einerseits in einem Lande, das wenigstens dem Scheine nach und eine gewisse Zeitlang Regierungsgewalt beibehielt; und andererseits in einem Land, das nichts beibehielt als gewisse Verwaltungsbehörden.
2. Zum zweiten die Militärverwaltung: Die Militärverwaltungen haben in allen besetzten Ländern Machtbefugnisse ausgeübt, die in keinem Verhältnis standen zu denen, die ihnen gesetzmäßig zustanden. Hier muß ich feststellen, daß nur diese zwei ersten Organe, nämlich der Reichskommissar und die Militärbehörde, diese Usurpation durch direkten Erlaß von Gesetzen und Maßregeln ausführen konnten. In den zwei Ländern, wo es einen Reichskommissar gab, wurden natürlich die Befugnisse zwischen dem Reichskommissar und der Militärbehörde aufgeteilt.
3. Ein drittes Organ dieser Usurpation war die diplomatische Verwaltung, welche vom Auswärtigen Amt abhängig war. Diplomatische Vertreter gab es nur in den Ländern, welche noch Regierungsbehörden besaßen und wo es keinen Reichskommissar gab, also in Dänemark und Frankreich. Diese diplomatischen Vertreter des Reiches haben, im Gegensatz zum Reichskommissar und zur militärischen Besatzungsbehörde, keine Befugnis, eine rechtswidrige, aber formell bestehende Befugnis, Gesetze oder Verordnungen zu erlassen. Jedoch ist die Rolle, die sie in der Usurpation hier gespielt haben, in keiner Weise zweitrangig. Diese Rolle ist im Gegenteil sehr wichtig. Ihre Haupttätigkeit übte sich selbstverständlich im Druck aus, den sie auf die lokalen Behörden ausübten, bei denen sie beglaubigt waren.
Hier möchte ich zwei Punkte hervorheben. Logisch betrachtet, könnte man der Ansicht sein, daß in einem besetzten Land wie Frankreich, das Eingreifen der Besatzungsmacht bei den Lokalbehörden ausschließlich der Zuständigkeit der diplomatischen Vertretung oblag. Aber dem ist nicht so. Die Militärbehörde griff ebenfalls sehr oft ein, und zwar durch direkten Kontakt mit den französischen Behörden. Umgekehrt beschränkten sich die diplomatischen Vertreter nicht auf ihre natürlichen Amtsbefugnisse.
Dies ist eine Eigenart der Nazi-Methode, daß jeder seine Befugnisse überschritten hat. Übrigens, wenn man darüber nachdenkt, ist das notwendig für das ganze Unternehmen.
Da die Usurpation der Souveränität in einem militärisch besetzten Lande eine unerlaubte und abnormale Handlung ist, fällt sie auch nicht unter die normalen Zuständigkeiten der Kategorien öffentlicher Tätigkeiten, welche in der Auffassung der zivilisierten Nationen als Begriff feststehen. Also werden die Befugnisse sowohl von den Diplomaten als auch von den Militärs übertreten und ebenso gab es Überschneidungen. Die Diplomaten und Militärs befassen sich mit denselben Fragen. Das werden wir zum Beispiel in der Frage der Propaganda und bezüglich der Judenverfolgung beobachten. Im allgemeinen handeln die Militärbehörden viel offenkundiger, die diplomatische Verwaltung übt ihre Tätigkeit mit Vorliebe auf Gebieten aus, die der Öffentlichkeit verborgen bleiben. Es besteht zwischen ihnen eine dauernde Verbindung in allen Fragen, die das besetzte Land betreffen.
4. Das vierte Organ der Usurpation ist die Polizeiverwaltung. Die Deutsche Polizei ist in allen besetzten Ländern eingerichtet. Sehr oft in der Form von verschiedenen, getrennten Verwaltungen nach den Prinzipien, die dem Gerichtshof vorgelegt wurden, als die Amerikanische Anklagebehörde das Räderwerk dieses großen, verwickelten und furchtbaren Polizeiorgans der Nazis beschrieb.
Die Polizei hat auch keine begrenzten oder ausschließlichen Zuständigkeitsbereiche. Sie arbeitet ständig in enger Zusammenarbeit mit den anderen Organen, die wir schon bezeichnet haben.
5. Das fünfte Organ, das wir hier anführen müssen, bestand aus den örtlichen Zweigstellen der Nazi-Partei, Formationen gleicher Geistesrichtung, die die Staatsangehörigen des besetzten Landes zu gruppieren versuchten. Diese Organisationen dienten den deutschen Behörden als Helfer und in einem bestimmten Fall, in Norwegen, bildeten sie sogar die Grundlage einer sogenannten Regierung.
Ich wollte dieses Bild hier aufzeichnen, weil ich der Ansicht bin, daß hier eine interessante Schlußfolgerung für die Anklage in Bezug auf Fragen gezogen werden kann, die ich schon während meiner Ausführungen über Luxemburg erwähnt habe. Wir sehen ja, daß die deutsche Usurpation der Souveränität durch die Tätigkeit verschiedener Organe, die in dieser Tätigkeit verbündet waren, verwirklicht wurde. In den besetzten Ländern war die Usurpation nicht nur ausschließlich das Werk eines Beamten oder eines Gesandten oder eines militärischen Befehlshabers. Dabei darf nicht vergessen werden, daß diese Usurpation die Ausführung von Verbrechen möglich gemacht hat. In den Ländern, wo es einen Reichskommissar gab, gab es auch eine Militärverwaltung. In einem Lande, das ausschließlich unter der Gewalt der Armee stand, gab es auch diplomatische Agenten, und in allen Ländern gab es Polizeibehörden. In allen diesen besetzten Ländern wurden als Resultat der Besetzung und der Usurpation der Souveränität systematische Verbrechen und Vergehen begangen. Der Gerichtshof kennt schon eine ganze Anzahl dieser Verbrechen. Einige andere werden hier noch vorgebracht werden. Aus dem Gesagten sehen wir, daß die Verantwortung für diese Vergehen nicht nur diese oder jene Verwaltung berührt, sondern daß sie sie alle berührt.
Wenn es auch wahr ist, daß es in Belgien keine diplomatische Vertretung gab, so existierte doch eine derartige diplomatische Vertretung in Frankreich und Dänemark. So mußte also das Auswärtige Amt und sein Chef die Umstände der Besetzung kennen, die in ihren Haupterscheinungen in den verschiedenen Ländern ähnlich waren.
Außerdem hatten, wie ich oben sagte, diese nebeneinander bestehenden Behörden ihre Befugnisse nicht genau abgegrenzt. Selbst wenn diese Abgrenzung der Befugnisse bestanden hätte, müßte man bemerken, daß die Verantwortung und die Mittäterschaft jedes einzelnen in der Handlung der anderen durch ihre Kenntnis dieser Handlungen und durch ein wenigstens stillschweigendes Einverständnis mit diesen Aktionen genügend bewiesen worden wäre. Aber diese Aufteilung existierte ja nicht; wir werden zeigen, daß alle diese Stellen verbunden und Mittäter in der gemeinsamen Aktion waren.
Aus dieser Tatsache ist jedoch noch eine weitere Folgerung zu ziehen. Die Verbindung und die Mittäterschaft der verschiedenen Organe zieht eine allgemeine Verantwortung aller führenden Persönlichkeiten und Organisationen, die hier angeklagt sind, mit sich.
Ich werde meine Gedanken durch ein Beispiel klarer machen. Wenn zum Beispiel alle Vergehen und alle Verbrechen ohne jede andere Einmischung nur das Werk des Heeres wären, vielleicht würde es dann möglich sein, für irgendeine Persönlichkeit oder Organisation, die keine militärischen Befugnisse hatte, hier zu behaupten, daß sie diese Vergehen und Verbrechen nicht kannte. Ich glaube, daß sogar in diesem Fall diese These schwer zu verteidigen wäre in Anbetracht des außergewöhnlichen Ausmaßes der Unternehmungen, die wir dargestellt haben und die es unmöglich machten, daß irgend jemand in höherer Stellung davon nichts wußte. Tatsächlich aber, da mehrere Verwaltungen zusammen verantwortlich sind, geht daraus notwendigerweise hervor, daß die anderen Behörden auch verantwortlich sind; denn es handelte sich hier nicht mehr um die Angelegenheit einer Verwaltung oder selbst dreier Verwaltungen, sondern um die Angelegenheit aller Verwaltungen und diese erstreckt sich auf das gemeinsame Element aller staatlichen Behörden.
Ich werde bald über den Befehl betreffs der Judendeportation sprechen und beweisen, daß im Falle Frankreich dieser Befehl aus einer gemeinsamen Aktion der Militärverwaltung, der diplomatischen Verwaltung und der Sicherheitspolizei hervorging. Daraus ergibt sich, daß
1. der Chef des Oberkommandos,
2. der Reichsaußenminister und
3. der Chef der Sicherheitspolizei und des Reichssicherheitshauptamtes,
alle drei Personen notwendigerweise auf dem laufenden waren und daher mit dieser Aktion einverstanden waren; denn es ist klar, daß sie durch ihre Dienststellen über solche wichtigen Maßnahmen, deren Beschlüsse außerdem bei jeder Staffel von drei verschiedenen Verwaltungen gemeinsam gefaßt waren, unterrichtet wurden.
Diese drei Persönlichkeiten sind also verantwortlich und schuldig; aber soll man annehmen, daß durch einen außergewöhnlichen Zufall unter den Personen, die das Reich als Minister oder unter ähnlichen Titeln leiteten, diese drei und nur diese drei Personen Verbrecher waren, und daß sie übereingekommen waren, ihre verbrecherischen Handlungen den anderen vorzuenthalten? Das wäre selbstverständlich ein Unsinn. Durch die Tatsache der engen Verbindung aller ausführenden Dienststellen in einem modernen Staat müssen alle führenden Persönlichkeiten des Reiches die Usurpation der Souveränität in den besetzten Ländern sowie die daraus folgenden Vergehen und Verbrechen notwendigerweise kennen und billigen.
In diesem Kapitel werde ich dann zunächst über Dänemark sprechen, das einen Sonderfall bildet. Dann werde ich von der Zivilverwaltung in Norwegen und Holland sprechen und mit der Militärverwaltung, dem Regime in Belgien und Frankreich, schließen.
Nach der Pause möchte ich den Zeugen erscheinen lassen, den ich gestern vor dem Gerichtshof schon erwähnt habe. Ich möchte aber noch folgendes hinzufügen. Gestern hatte der Verteidiger von Seyß-Inquart darum gebeten, diesen Zeugen am Montag ins Kreuzverhör zu nehmen. Nun ist aber mein Zeuge, Herr Vorrink, unbedingt gezwungen, Nürnberg heute Abend zu verlassen. Ich denke also, daß der Herr Verteidiger des Angeklagten Seyß-Inquart vielleicht gewillt sein wird, ihn heute ins Kreuzverhör zu nehmen. Ich möchte ihn jedenfalls von dieser Änderung meines gestrigen Vorschlages in Kenntnis setzen.
VORSITZENDER: Wäre es denn nicht möglich, wenn der Verteidiger von Seyß-Inquart den Zeugen ins Kreuzverhör nehmen will, daß der Zeuge zu einem späteren Zeitpunkt zurückkäme?
M. FAURE: Der Zeuge wird zu einem späteren Zeitpunkt selbstverständlich zurückkommen, wenn es notwendig ist.
VORSITZENDER: Das wollte ich sagen. Also lassen Sie den Zeugen heute Abend abfahren. Er soll zu einem ihm gelegenen Zeitpunkt hierher zurückkommen, wenn der Verteidiger ihn ins Kreuzverhör nehmen will.