[Zum Zeugen gewandt:]
Sagen Sie, Herr Zeuge, als die Regierung, die Macht an Seyß-Inquart überging mit dem Erlaß vom 18. Mai 1940, war da die Königin oder Mitglieder der Holländischen Regierung noch auf dem holländischen Territorium?
VORRINK: Nein. Sie waren nicht mehr auf dem holländischen Territorium.
DR. STEINBAUER: Hat die Regierung Seyß-Inquart, der Reichskommissar, die bisherigen Beamten der Regierung belassen?
VORRINK: Ja.
DR. STEINBAUER: Ist Ihnen bekannt, daß von den neun Generalsekretären, die noch aus der königlichen Zeit stammten, nur einer abberufen wurde?
VORRINK: Ja.
DR. STEINBAUER: Ist Ihnen weiter bekannt, daß von den elf Provinz-Kommissaren aus politischen Gründen nur vier von der Regierung abberufen wurden?
VORRINK: Die genaue Zahl kenne ich nicht, aber das ist möglich, daß das stimmt.
DR. STEINBAUER: Ist Ihnen weiter bekannt, wieviel Bürgermeister, die noch aus der Königinzeit stammten, bei Beendigung der Besetzung da waren? Insbesondere, ist es richtig, daß noch mehr als die Hälfte königlicher Bürgermeister da waren?
VORRINK: Es ist möglich, ja.
DR. STEINBAUER: Dann haben Sie die Frage nicht ganz beantwortet, die der Herr Ankläger an Sie gestellt hat. Er hat Sie gefragt, welche politischen Parteien waren im Zeitpunkt der Invasion in Holland im Parlament? Welche Parteien?
VORRINK: Das war nun so: Die Katholische Partei, zwei Protestantisch-Christliche Parteien, zwei Liberal-Fortschrittliche Parteien, die Sozial-Demokratische Partei und die Kommunistische Partei und dann noch einige Splitter-Parteien.
DR. STEINBAUER: Wir möchten jetzt auf zwei Themen eingehen, die Sie auch erwähnt haben, das ist Schule und Kirche. Ist es richtig, daß das holländische Schulwesen unter der ganzen Zeit Seyß-Inquarts unter Leitung eines Holländers gestanden ist, van Hann?
VORRINK: Das hat während der ganzen Zeit unter einem Holländer gestanden. Aber diesen Holländer betrachten wir nicht als einen Holländer. Dieser Holländer steckt nämlich heute im Gefängnis, wegen Verrat an seinem Vaterland.
DR. STEINBAUER: Jedenfalls war es kein Deutscher.
VORRINK: Ein holländischer Verräter war es.
DR. STEINBAUER: Ist es richtig, daß Seyß-Inquart für das holländische Schulwesen großes Interesse zeigte?
VORRINK: Daran kann ich mich nicht erinnern.
DR. STEINBAUER: Daß er zum Beispiel die Elementarschule um eine achte Klasse vermehrte?
VORRINK: Das ist ja nicht richtig.
DR. STEINBAUER: Hat er auf diese Weise erreicht, daß die halbwüchsige Jugend später in den Arbeitsdienst oder die Arbeitsverpflichtung hineingekommen ist?
VORRINK: Richtig.
DR. STEINBAUER: Hat er auch Interesse gezeigt einem alten holländischen Wunsche Rechnung zu tragen, hinsichtlich der Rechtschreibung in niederländischer Sprache und eine eigene Studienkommission eingesetzt?
VORRINK: In dieser Hinsicht hat er sich bemüht die Sache, von der er überhaupt keine Kenntnis trug und hat sich von falschen Leuten informieren lassen.
DR. STEINBAUER: Aber er war bemüht, sagen Sie?
VORRINK: Er war bemüht, ja, in falscher Richtung.
DR. STEINBAUER: Ist es richtig, daß er bemüht war, die Zahl der Lehrer zu vermehren?
VORRINK: Nein, das war er bestimmt nicht.
DR. STEINBAUER: Daß er insbesondere Junglehrer anstellte und dadurch wo anders einsparte?
VORRINK: Das hat er getan in dieser Hinsicht, indem er versucht hat, damit einen gewissen Einfluß auf die holländische Jugend zu bekommen, ja.
DR. STEINBAUER: Ist Ihnen bekannt, daß Seyß-Inquart zum Beispiel in Rotterdam Maßnahmen gegen die dortige Handelshochschule über Einspruch rückgängig gemacht hat?
VORRINK: Wollen Sie nochmal wiederholen, das habe ich nicht verstanden.
DR. STEINBAUER: Seyß-Inquart hat Maßnahmen getroffen, welche dem Widerspruch Rechnung getragen haben, daß die Handelshochschule in Rotterdam nicht beeinträchtigt wird in ihrem Wirken?
VORRINK: Nichts ist mir da bekannt.
DR. STEINBAUER: Dann zur Frage der Kirchen; sind außer den Verschickungen, wie Sie sagen, aus politischen Gründen im allgemeinen der Religionsausübung der Katholischen Kirche und der Protestantischen Kirche Schwierigkeiten gemacht worden oder nicht?
VORRINK: Es sind bezüglich Religionsausübung ganz große Schwierigkeiten gemacht worden durch die Deutschen. Die Deutschen haben regelmäßig in den Gottesdienst Spitzel hineingeschickt, die damit beauftragt waren, die Reden der Pfarrer zu hören und eventuell zu denunzieren.
DR. STEINBAUER: Ja, aber –; das ist ja auch wo anders vorgekommen. Sagen Sie, das, was mich interessiert, konnten aber die Pastoren oder der katholische Geistliche, an sich seinen Gottesdienst ausüben, frei nach seinem Ermessen, nach seiner Einteilung?
VORRINK: Sehr bestimmt nicht frei nach seinem Ermessen.
DR. STEINBAUER: Ist Ihnen bekannt, daß während der ganzen Besatzungszeit in den Kirchen aller Konfessionen das Gebet für die Königin zugelassen war?
VORRINK: Es war bestimmt nicht zugelassen. Es sind verschiedene Pfarrer gerade deswegen verhaftet worden.
DR. STEINBAUER: Ist Ihnen bekannt, daß Seyß-Inquart verhindert hat, daß siebenundzwanzig Klöster, die für deutsche Bombenflüchtlinge beschlagnahmt werden sollten, freigestellt und deren Beschlagnahme abgelehnt hat; ist das richtig?
VORRINK: Ist mir nicht bekannt.
DR. STEINBAUER: Ist Ihnen aber vielleicht bekannt, daß er verhindert hat die Zerstörung der jüdischen Tempel in Rotterdam und im Haag? Die Polizei wollte sie zerstören, und er hat es verhindert; ist Ihnen etwas bekannt?
VORRINK: Ich weiß es nicht, ob er das hat verhindern wollen, aber allerdings sind sie zerstört worden, und die Leute, die die Zerstörung gemacht haben, sind ganz ungestraft davongekommen und gehörten zu denjenigen, die später zu den schlimmsten Judenverfolgungen mitgearbeitet haben.
DR. STEINBAUER: Herr Zeuge, ist Ihnen bekannt, daß Seyß-Inquart es durchgesetzt hat, daß von den in das Reich verschickten Geistlichen der katholischen und protestantischen Konfession zwei Drittel wieder nach Holland zurückkehren konnten?
VORRINK: Ist mir nicht bekannt.
DR. STEINBAUER: Ist Ihnen nicht bekannt, daß er verhindert hat, daß wertvolle Kulturschätze, insbesondere Bibliotheken, die schon zum Abtransport bereit standen, in Holland blieben und nicht weggekommen sind?
VORRINK: Ich weiß nicht, ob er persönlich sich dafür eingesetzt hat; ich kann nur sagen, daß ungeheure Mengen von unseren Kunstgegenständen und Büchern von den Deutschen abtransportiert worden sind, und allerdings ist er dann ohnmächtig gewesen, das zu verhindern.
DR. STEINBAUER: Dann haben Sie gesagt, daß Radio verboten wurde, weil es die Widerstandsbewegung angeregt hat. Würden Sie als Leiter einer Bewegung das Radio zulassen, das gegen Sie spricht?
VORRINK: Ich würde die Radio unbedingt zulassen, weil ich der Auffassung bin, daß ein Mensch nur deswegen seine menschliche Würde ausüben kann, wenn er in der Möglichkeit ist, Meinung und Gegenmeinung frei auf sich einwirken zu lassen.
DR. STEINBAUER: Ist Herr Mussert mit der Regierungsbildung betraut worden, oder ist es vielmehr unterblieben, weil Seyß-Inquart dagegen war?
VORRINK: Was sich da genau abgespielt hat hinter den Kulissen, ist mir nicht bekannt. Aber vielleicht haben Sie in dieser Hinsicht recht, daß Seyß-Inquart kein Freund von Mussert war. Ich bin persönlich als Gefangener im Gefängnis nachts einmal aus meiner Zelle herausgeholt und wurde beauftragt, einen Aufsatz über die nationalsozialistische Bewegung Hollands zu schreiben, und ich wurde beauftragt, meine Meinung über Mussert persönlich wiederzugeben. Als ich erwiderte, »warum soll ich das machen, Sie wissen doch, Wie ich über Mussert und über sämtliche Nazis denke«, haben sie geantwortet: »Sie können es nicht schlimm genug schreiben.« Ich hab' das verstanden als eine der vielen Machenschaften in den verschiedenen deutschen Nazi-Cliquen, die gegeneinander kämpften.
DR. STEINBAUER: Danke, ich habe keine Fragen mehr.
RA. BABEL, VERTEIDIGER DER SS UND DES SD: