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[Zum Zeugen gewandt]

Herr Zeuge, Sie haben davon gesprochen, daß holländische Jugendliche in die SS gekommen sind. Können Sie sagen, wie groß diese Zahl, die Gesamtzahl ungefähr war?

VORRINK: Ich schätze diese Zahl auf einige Tausende.

RA. BABEL: Wieviele gingen davon nach Ihrer Ansicht freiwillig in die SS und wieviele gezwungen?

VORRINK: Eine genaue Zahl darüber kann ich natürlich nicht angeben, aber ich bin der Meinung, daß minderjährige Jungen, wenn sie ohne Genehmigung ihrer Eltern eintreten, nicht freiwillig eintreten; sie können die Tragweite ihrer Handlung überhaupt nicht beurteilen.

RA. BABEL: Danach habe ich Sie nicht gefragt, sondern ich habe Sie gefragt, wieviele nach Ihrer Ansicht freiwillig eingetreten sind und wieviele nichtfreiwillig? Ich bitte, diese Frage zu beantworten und keine andere.

VORRINK: Ich habe schon gesagt, daß ich genaue Zahlen darüber nicht verfüge.

RA. BABEL: Ja, aber ungefähr, schätzungsweise.

VORRINK: Es sind bestimmt einige Hunderte gewesen, die gezwungen worden sind.

RA. BABEL: Gut, und die Gesamtzahl haben Sie mit einigen Tausenden angegeben.

VORRINK: Das sind zum Beispiel Jugendliche gewesen, die aus irgendwelchen Gründen das elterliche Haus verlassen haben und von den »Grünen« oder dem Sicherheitsdienst aufgegriffen wurden und dann in der SS gepreßt wurden. Diese Beispiele habe ich persönlich in unsere holländische Konzentrationslagern begegnet, und als alter Jugendführer hab ich das Vermögen, mit solchen junge Leute zu reden und sie dazu zu bringen, mir aus ihrem Leben zu erzählen.

RA. BABEL: Sie sagen gepreßt? Was verstehen Sie unter »gepreßt«?

VORRINK: Das bedeutet, daß sie bedroht werden mit Gefängnisstrafen, wenn sie nicht bereit sind, bei der SS zu gehen.

RA. BABEL: Das haben Sie selbst gehört?

VORRINK: Jawohl.

RA. BABEL: Sie haben weiter angegeben, daß Tausende von Arbeitern aus ihren Organisationen ausgetreten seien, Zehntausende, glaube ich, haben Sie sogar gesagt? Ist dies freiwillig geschehen, oder welche Gründe waren dafür maßgebend?

VORRINK: Die Gründe waren, daß die Arbeiter sich weigerten, in einer nazifizierte Gewerkschaft sich dem Führerprinzip zu fügen. Sie wollten in ihre alte Gewerkschaften sein, wo sie mitbestimmend ihre Organisationen führen helfen können.

RA. BABEL: Der Austritt an sich ist also, wenn ich Sie richtig verstehe, freiwillig erfolgt?

VORRINK: Ja.

RA. BABEL: Sie haben weiter gesagt, in der Judenfrage, daß zunächst gesagt worden ist, es passiert den Juden nichts, trotzdem haben sich viele Selbstmorde ereignet. Warum: was war der Grund dieser Selbstmorde, wenn gesagt worden ist, Euch passiert nichts?

VORRINK: Das sind unter den Juden die Vernünftigen gewesen; wir lebten in Holland nämlich nicht auf einer Insel, und wir wußten all das, was zwischen 1933 und 1940 in Deutschland passiert war. Wir wußten, daß in Deutschland die Juden bis zum Tode verfolgt worden waren; ich habe persönlich in meinem Besitz auch jetzt noch einige eidesstattliche Erklärungen von ausgewanderte Juden, die uns genau von Stunde bis Stunde darüber unterrichtet habe, wie sie gequält, gemartert worden sind von der SS während der Zeit vor dem Kriege. Das war den holländischen Juden bekannt, und sie waren in dieser Hinsicht, meiner Auffassung nach, vernünftiger, indem sie wußten, das Schicksal kommt auch über uns.

RA. BABEL: Sie haben das in einer Weise zunächst behauptet, nach der anzunehmen war, daß das in größerem Umfange vielleicht vorgekommen ist. Ist das der Fall gewesen, oder war das nur vereinzelt?

VORRINK: Wenn das in Holland, sagen wir ungefähr 30 oder 50 Leuten passiert ist, dann ist das nach holländische Begriffe, wo wir ein Menschenleben sehr hoch schätzen, ist das großen Umfang.

RA. BABEL: Sie haben das Wort »Nazi-Analphabet« gebraucht, haben Sie aus Ihrer persönlichen – ich will mich mal ausdrücken – nicht freundlichen Einstellung gegen uns Deutsche Anhaltspunkte dafür, daß sich diese Bezeichnung rechtfertigt? Haben Sie irgendeinen Deutschen kennengelernt, der Analphabet war?

VORRINK: Ich wundere mich über diese Frage. Ein Nazi-Analphabet, damit habe ich gemeint, ein Mann, der über Sachen urteilt, wovon er kein Kenntnis hat und die Leute, die eingesetzt wurden, um über die Arbeit eines Schriftstellers zu urteilen, das waren Leuten, die nur damit beauftragt waren, nachzuprüfen, ob vielleicht in diesem Buch irgendein Jude auftrat, der in eine, sagen wir menschlich schöne oder gute Fassung dahin gestellt war. Dann konnte so ein Buch nach Nazi-Auffassung nicht erscheinen. Und ich will hinzufügen, daß ich das Wort Nazi-Analphabet gebrauche seit den Tagen, da in die deutsche Städte, das Land von Goethe und Schiller, Trümmerhaufen vorgefunden wurden von verbrannte Bücher, die wir in Holland gelesen, und die wir in Holland bewundert haben.

RA. BABEL: Ich habe Ihre Aussage also dahin aufgefaßt, daß Sie irgendwelche positive Tatsachen dafür, die dieses beschimpfende Wort rechtfertigen, nicht angeben können. Ich danke.

DR. PANNENBECKER, VERTEIDIGER DES ANGEKLAGTEN FRICK: Ich habe nur eine Frage, Herr Zeuge: Sie haben eben erklärt, daß Jugendlichen Gefängnis angedroht wurde, wenn sie nicht in die SS eintraten. Ist das dahin zu verstehen, daß sie eine Gefängnisstrafe bekommen würden, sonst, für eine Straftat, die sie vorher begangen hatten, oder dahin, daß sie Gefängnis bekommen sollten, allein deshalb, weil sie nicht in die SS eintraten?

VORRINK: Sie haben natürlich deswegen Gefängnisstrafe bekommen, weil die Leute sie androhten – ich meine, ob sie das wirklich gemacht hätten, das kann ich nicht kontrollieren – sie haben sie eben angedroht. Das war doch eine der meist üblichen Methoden der Nazis, einfach zu sagen: »wenn Sie dies oder das, was wir wollen nicht machen, so stecken wir Sie ins Gefängnis«, und die Beispiele dafür sind so viele und so mannigfach, daß man sich in dieser Hinsicht überhaupt keine Illusionen hingeben braucht.

DR. PANNENBECKER: Aber es ist richtig, daß es sich dabei im wesentlichen um Jugendliche handelte, die ihrem Elternhaus entlaufen waren, Differenzen mit ihren Eltern hatten?

VORRINK: Das sind die Fälle, die mir persönlich bekannt sind.

VORSITZENDER: Will ein anderer Verteidigungsanwalt den Zeugen befragen?