[Pause von 10 Minuten.]
M. FAURE: Ich möchte dem Gerichtshof zunächst ankünden, daß ich mit seiner Erlaubnis heute Nachmittag den Zeugen van der Essen verhören möchte. Wir haben für diesen Zeugen schon einen formellen Antrag eingereicht.
VORSITZENDER: Jawohl, Herr Faure.
M. FAURE: Dieser Zeuge wird also zu Beginn der Nachmittagssitzung aufgerufen werden können.
Die Ausführungen, die ich vorhin verlesen habe, bezogen sich auf Norwegen. In den Niederlanden benutzten die Nazis im Gegensatz zu Norwegen nicht die dortige Partei als eine Art offizielle Regierung. Die Regierungsgewalt lag ausschließlich beim Reichskommissar, der eine Art Ministerium aufstellte, das aus vier deutschen Generalbevollmächtigten bestand, welche für die Verwaltung, für die Justiz, für die öffentliche Sicherheit, für das Finanzwesen und die wirtschaftlichen Angelegenheiten sowie für Sonderfälle zuständig waren.
Diese Organisation vom 3. Juni 1940 ergibt sich aus einer Verordnung, die im amtlichen Holländischen Verordnungsblatt 1940, Nummer 5, wiedergegeben ist. Dieses Verordnungsblatt wurde dem Gerichtshof schon eingereicht. Ich werde diese Texte nicht noch einmal besonders einreichen, jedoch bitte ich den Gerichtshof, hiervon amtlich Kenntnis zu nehmen.
Die verschiedenen Bevollmächtigten wurden durch Erlaß vom 5. Juni 1940 ernannt.
Die lokalen Behörden sind in den höheren Dienststellen nur durch Generalsekretäre der Ministerien vertreten, welche vom Reichskommissar und den deutschen Kommissaren völlig abhängig sind.
Die Verordnung vom 29. Mai 1940, welche sich in dem Holländischen Verordnungsblatt 1940, Seite 8, befindet, gibt im Paragraph 1 folgende Einzelheiten:
»Der Reichskommissar übt... alle Befugnisse aus, die... bisher dem König und der Regierung zustanden.«
Und im Paragraph 3 steht:
»Die Generalsekretäre der niederländischen Ministerien sind dem Reichskommissar... verantwortlich.«
Wenn die Nazi-Partei auch nicht die Regierung gebildet hat, so wurde sie jedoch offiziell anerkannt.
Hierzu verlese ich dem Gerichtshof den Erlaß vom 30. Januar 1943, welcher sich gleicherweise im Holländischen Verordnungsblatt 1943, Seite 63, befindet, und ich lese daraus folgenden Abschnitt. Ich zitiere:
»Träger des politischen Willens des niederländischen Volkes ist die National-Sozialistische Beweging der Nederlanden.«
»Ich habe daher angeordnet, daß zur Sicherung des Einklanges der Verwaltung mit den Aufgaben der Nationalsozialistischen Beweging der Nederlanden alle mir unterstellten deutschen Dienststellen bei Durchführung wichtiger Verwaltungsmaßnahmen, insbesondere aber in allen Personalangelegenheiten, das Einvernehmen mit dem Leiter der National-Sozialistischen Beweging der Nederlanden zu pflegen haben.«
Der Gerichtshof weiß bereits, und zwar weil es sowohl allgemein als auch durch die Aussage des bereits vernommenen Zeugen bekannt ist, wie schmählich unwahr die Behauptung ist, daß die nationalsozialistische holländische Partei den politischen Willen des Volkes dieses Landes darstellte.
Nachdem wir diese zwei Formen des Einsatzes der einheimischen Partei als Exponenten der Souveränität untersucht haben, möchte ich jetzt dem Gerichtshof die Hauptlinien der von den Deutschen begangenen Anmaßungen darstellen.
In erster Linie waren die Deutschen bestrebt, die besetzten Länder zur Teilnahme am Krieg heranzuziehen oder doch wenigstens Rekrutierungsmöglichkeiten für die Deutsche Wehrmacht zu eröffnen.
In Norwegen schufen die Nazis die »SS-Norge«. Diese Einheit wurde dann später als »Germanische SS Norwegen« bezeichnet. Als Beweis lege ich dem Gerichtshof RF-926 vor. Es ist der Befehl vom 21. Juli 1942 und betrifft: »Germanske SS-Norge«.
Ich zitiere Absatz 2 dieser Verordnung, die von Quisling stammt:
»›Die Germanske SS-Norge‹ ist ein nationalsozialistischer Soldatenorden, der aus Männern mit nordischem Blut und nordischen Ideen bestehen soll. Sie ist eine selbständige Unterabteilung des Nasjonal-Samling, dem NS-Führer unmittelbar unterstellt und ihm gegenüber verantwortlich. Sie ist gleichzeitig eine Abteilung des ›Stor-Germanske-SS‹ (großdeutsche SS) und muß zur Verwirklichung des Werkes beitragen, nämlich: die germanischen Völker einer neuen Zukunft entgegenzufüh ren und die Grundlage für eine germanische Gemeinschaft zu schaffen.«
Dieses Beispiel zeigt uns wieder einmal, daß die Tätigkeit der sogenannten Norwegischen Regierung eine ganz offensichtliche Maßnahme zur Germanisierung darstellt.
Um die Rekrutierung für diese Legion zu erleichtern, schreckten die deutschen oder norwegischen Nazis nicht davor zurück, das Zivilrecht umzustoßen und die herkömmlichen Grundsätze des Familienrechts aufzuheben; sie erließen ein Gesetz, nach dem Minderjährige zum Eintritt in das Regiment Nordland nicht mehr der elterlichen Zustimmung bedurften. Dieses Gesetz ist vom 1. Februar 1941, Norwegisches Verordnungsblatt 1941, Seite 153; ich lege es als Dokument RF-927 vor.
In den Niederlanden waren die Deutschen gezwungen, die bestehende Gesetzgebung noch viel mehr umzuändern, um diese Rekrutierung zu ermöglichen. Da sie keine Scheinregierung ins Leben gerufen hatten und die gesetzliche Regierung sich immer noch im Kriegszustand mit dem Reich befand, fielen die Freiwilligen unter Artikel 101 folgende des holländischen Strafgesetzbuches, welche den Eintritt in die Wehrmacht eines fremden Staates, der sich mit den Niederlanden im Kriegszustand befindet, sowie die Hilfeleistung für den Feind unter Strafe stellen. Infolge der tatsächlichen Besetzung des Landes war kaum zu erwarten, daß diese Strafen wirklich verhängt werden würden; aber es ist sehr bemerkenswert und aufschlußreich, festzustellen, daß der Reichskommissar am 25. Juli 1941 einen Erlaß herausgab – Holländisches Verordnungsblatt 1941, Nummer 135 –, worin er erklärte, daß die Niederländer, die in der Deutschen Wehrmacht, in der Waffen-SS oder in der Freiwilligenlegion »Niederlande« Dienst taten, nicht unter die vorgenannten Strafgesetze fielen. Dieser Erlaß wurde als rückwirkend bis zum 10. Mai 1940 erklärt.
Wenn man also nach dem geltenden Recht Verbrechen begangen hat, so ist es sehr praktisch, das Gesetz abzuändern, um die betreffenden Verbrechen unter den Tisch fallen zu lassen.
Ein anderer Erlaß vom 25. Juli 1941 – Holländisches Verordnungsblatt 1941, Seite 548 – sieht vor, daß der Eintritt in die Deutsche Wehrmacht nicht mehr den Verlust der niederländischen Staatsangehörigkeit nach sich zieht.
Schließlich erklärt ein Erlaß vom 8. August 1941 – Holländisches Verordnungsblatt 1941, Seite 622 –, daß der Erwerb der deutschen Staatsangehörigkeit nicht mehr den Verlust der holländischen Staatsangehörigkeit nach sich zieht, mit Ausnahme des Falles, wo der Verzicht ausdrücklich ausgesprochen wird. Obwohl sich dieser letzte Erlaß mit einer Einzelheit zu beschäftigen scheint, ist er doch bemerkenswert, denn er kennzeichnet den Anfang eines Planes, späterhin eine doppelte deutsch-niederländische Staatsangehörigkeit zu schaffen. Dies paßt in das allgemeine Verfahren des Germanisierungsplans hinein.
Hinsichtlich der für den Wehrmachtseinsatz ergriffenen Maßnahmen möchte ich noch die Stellungnahme der Anklagevertretung klarstellen; ich knüpfe dabei an das Verhör und Kreuzverhör des Zeugen Vorrink an, der am Samstag vernommen wurde.
Die Anklage ist nicht der Ansicht, daß die verbrecherische Eigenschaft dieser militärischen Rekrutierung von der Tatsache abhängt, daß diese Personen durch Zwang oder Druck zum Militärdienst gepreßt wurden. Druck und Zwang stellen einen besonderen und erschwerenden Umstand dar; aber sie sind für den verbrecherischen Tatbestand, den wir hier vorwerfen, nicht wesentlich. Die Tatsache, Personen, wenn auch Freiwillige, in den besetzten Ländern für die Deutsche Wehrmacht rekrutiert zu haben, wird von uns als ein Verbrechen betrachtet, welches übrigens von der inneren Gesetzgebung aller betroffenen Länder bestraft wird. Diese Gesetzgebung ist auf die in diesen Ländern verübten Verbrechen anwendbar, und zwar auf Grund der für die Gesetzgebung geltenden Zuständigkeitsgrundsätze.
Es ist übrigens ziemlich unwichtig, außer wenn man alle Einzelheiten wissen will, ob der Wehrmachtseintritt dieser Verräter durch besonderen Druck begünstigt wurde, je nach der Lage des Einzelfalles, oder ob es ohne Druck ging. Ich möchte dazu noch sagen, und zwar ganz allgemein, daß die Anklage nicht der Ansicht ist, daß die Anwerbung von Verrätern, sei es für das Heer oder sei es für eine andere Tätigkeit, für die Nazi-Machthaber einen mildernden Umstand oder einen Schuldausschließungsgrund darstellt. Im Gegenteil, es ist charakteristisch für ihre verbrecherische Tätigkeit, und die Verantwortung der Verräter schließt die ihrige keineswegs aus. Wir bringen im Gegenteil auf ihr Schuldkonto die Korruption, die sie in die besetzten Länder hineinzutragen versuchten, indem sie sich an die in diesen Ländern möglicherweise vorhandenen moralisch schwachen Elemente wandten und jedem einzelnen die Möglichkeit einer unmoralischen und verbrecherischen, gegen das eigene Land gerichteten Dienstleistung nahezulegen versuchten.
In dieser Richtung verliefen die ersten Maßnahmen im Rahmen der deutschen Herrschaftsanmaßung: Anwerbung von Truppen. Eine zweite allgemeine Linie ergibt sich aus einer Menge von Maßnahmen, die auf Einführung des Führerprinzips und Abschaffung der öffentlichen Freiheiten abzielten. Als Beispiel möchte ich einige davon anführen.
In Norwegen wurden die politischen Parteien verboten; es ist die deutsche Verordnung vom 25. September 1940, Verordnungsblatt 1940, Seite 19. Eine andere Verordnung verbot jede Tätigkeit zugunsten des königlichen Hauses; es ist dies die Verordnung vom 7. Oktober 1940, Verordnungsblatt 1940, Seite 10. Die wohlerworbenen Rechte der Beamtenschaft wurden aufgehoben, indem Beamte aus politischen Gründen versetzt oder ihres Amtes enthoben werden konnten; deutsche Verordnung vom 4. Oktober 1940, Seite 24.
Schließlich schuf ein norwegisches Gesetz vom 18. September 1943, Dokument RF-928, eine sehr charakteristische Einrichtung, nämlich die des »Fylkesfoerer« als Vertreter der Partei, der nur dem Ministerpräsidenten und keiner anderen Staatsautorität unterstellt war; in seinem »Fylke« (Bezirk) übte er die höchste politische Kontrolle über alle öffentlichen Behörden seiner »Fylkes« aus.
Alle Berufe wurden Zwangsverbänden eingegliedert, in denen das Führerprinzip galt.
In Holland sehen wir gleichfalls die Auflösung der gewählten Körperschaften; es geschah dies durch Erlaß vom 11. August 1941, Verordnungsblatt 1941, Seite 637, der den Erlaß vom 21. Juni 1940, Verordnungsblatt 1940, Seite 54 bestätigte; die Auflösung der politischen Parteien durch Verordnung vom 4. Juli 1941, Verordnungsblatt 1941, Seite 583; die Gründung der Arbeitsfront durch Erlaß vom 30. April 1942, Verordnungsblatt 1942, Seite 211; die Schaffung des Nährlandes, Verordnung vom 22. Oktober 1941, Verordnungsblatt 1941, Seite 838 und so weiter.
Ich habe nur einige grundsätzliche Beispiele gegeben und werde zum Schluß eine Verordnung vom 12. August 1941 zitieren, Verordnungsblatt 1941, Seite 34. Diese Verordnung schuf eine besondere juristische Zuständigkeit für alle Vergehen und Verbrechen, die gegen den politischen Frieden, gegen die politischen Interessen gerichtet oder aus politischen Gründen begangen wurden. Tatsächlich wurden die Friedensrichter, die mit diesen Unterdrückungsmaßnahmen beauftragt waren, immer aus den Mitgliedern der Nazi-Partei ausgesucht.
Eine dritte allgemeine Linie dieser Usurpationspolitik kann als der systematische Kampf gegen die einheimische Elite und gegen das geistige Leben bezeichnet werden. Hier spürten die Nazis immer den größten Widerstand gegen ihre Absichten. Ihre Maßnahmen richteten sich gegen Universitäten und Lehranstalten.
In Holland gab ein Erlaß vom 25. Juli 1941, Verordnungsblatt 1941, Seite 599, der Verwaltung das Recht, die Privatinstitute willkürlich zu schließen.
In den Niederlanden wurde die Universität Leyden am 11. November 1941 geschlossen.
Ein Erlaß des Reichskommissars vom 10. Mai 1943, Verordnungsblatt 1943, Seite 127, forderte von den Studenten eine Loyalitätserklärung, welche folgendermaßen abgefaßt wurde:
»Unterfertigter... erklärt hiermit feierlich, daß er die in den besetzten niederländischen Gebieten geltenden Gesetze, Verordnungen und sonstigen Anordnungen nach Ehre und Gewissen befolgen und sich jeder gegen das Deutsche Reich, die Deutsche Wehrmacht oder die niederländischen Behörden gerichteten, sowie solcher Handlungen und Äußerungen enthalten wird, die unter den jeweils gegebenen Verhältnissen die öffentliche Ordnung an den Universitäten und Hochschulen gefährden.«
In Norwegen wurden strenge Maßnahmen gegen die Universität Oslo getroffen. Als Beweis lege ich Dokument RF-933 vor. Ich darf den Gerichtshof darauf aufmerksam machen, daß das Dokument nicht in der richtigen Reihenfolge erscheint; es ist das letzte Dokument meines Dokumentenbuches. Dokument RF-933 ist ein Artikel der »Deutschen Zeitung« vom 1. Dezember 1943. Dieser Artikel wurde in einer norwegischen Zeitung gedruckt und trägt die Überschrift: »Notwendige Säuberungsmaßnahmen in Oslo, Auskämmung der illoyalen Elemente der Studentenschaft«. Ich werde lediglich einige Absätze dieses Textes verlesen. Ich fange mit dem zweiten Absatz an:
»Die Studentenschaft der Universität Oslo...«
Ich bitte um Entschuldigung, ich möchte auch den ersten Absatz verlesen:
»Im Auftrag von Reichskommissar Terboven gab SS- Obergruppenführer und General der Polizei Reddieß am Dienstag Nachmittag in der Aula den Studenten der Osloer Universität folgendes bekannt:
Die Studentenschaft der Universität Oslo hat sich seit der Besetzung Norwegens, damit also seit 1940, bemüht, als Widerstandsgruppe gegen die deutsche Besatzungsmacht und der vom Deutschen Reich anerkannten Norwegischen Staatsführung in Erscheinung zu treten.«
Ich unterbreche hier das Zitat und fahre mit Absatz 5 fort:
»Zum Schutze der Interessen der Besatzungsmacht sowie zur Sicherung von Ruhe und Ordnung im Innern dieses Landes ist scharfes Durchgreifen das Gebot der Stunde. Ich habe Ihnen daher im Auftrage des Herrn Reichskommissars folgende Eröffnungen zu machen:
1. Die Studentenschaft der Universität Oslo wird in ein Sonderlager nach Deutschland übergeführt.
2. Die Studentinnen werden von der Universität entlassen, haben sich auf schnellstem Wege in ihren Heimatort zu begeben und dort unverzüglich polizeilich anzumelden. Sie dürfen diesen Ort ohne polizeiliche Genehmigung bis auf weiteres nicht verlassen.«
Ich unterbreche hier das Zitat und komme zum vorletzten Absatz, zweite Seite des Dokuments RF-933:
»Sie sind dem Herrn Reichskommissar dafür Dank schuldig, daß nicht weitaus drakonischere Maßnahmen Anwendung finden. Darüber hinaus aber ist durch diese Maßnahme von einem Großteil von ihnen für die Zukunft die Gefahr des Verwirkens von Leben und Gut abgewandt worden.«
Was das religiöse Leben betrifft, so steigerten die Deutschen ihre Schikanen. Als Beispiel überreiche ich Dokument RF-929. Ich lese vor:
»Oslo Nr. 6263 – 28. 5. 1941 2210.
An die Kdr. der Sipo u. d. SD in Bergen – Stavanger – Drontheim – Tromsö –.
Betrifft: Gottesdienstbewachung während der Pfingstfeiertage – Vorgang ohne –
Es wird gebeten, die Gottesdienste während der Pfingstfeiertage zu überwachen und über das Ergebnis hierher zu berichten. – Der BDS der Sipo u. d. SD – Oslo. gez. Unterschrift« – unleserlich – »SS-Hauptsturmführer.«
Nun ein Bericht, der auf Grund dieses Befehls zur Überwachung der Kirche erstattet wurde. Ich lege diesen Bericht als Dokument RF-930 vor. Ich werde dieses Dokument, das sehr kurz ist, verlesen:
»Drontheim, den 5. Juli 1941.
An den Befehlshaber der Sipo und des SD in Oslo.
Betrifft: Gottesdienstüberwachung während der Pfingstfeiertage.
Bezug: Dort. FS Nr. 6263 vom 28. 5. 1941.
Die Gottesdienstüberwachung während der Pfingst feiertage ergab keine wesentlichen neuen Momente. Domprobst Fjellby setzt seine tendenziöse Predigttätigkeit fort, jedoch geschickt genug, um jede Redewendung als auf religiöse Dinge abgestellt und nicht politisch gemeint, verteidigen zu können.«
Der Rest des Schreibens ist zur Hälfte verbrannt.
Ich möchte schließlich, um darüber nicht zu ausführlich zu werden, zwei typische Beispiele angeben, einerseits für die durchgehende Sittenwidrigkeit der deutschen Methoden und andererseits für die gerechten Proteste, die diese Methoden bei den dafür zuständigen Behörden hervorgerufen haben.
Das erste Beispiel dafür ist Holland, die holländischen Richter waren mit Recht empört über das deutsche Verfahren der willkürlichen Inhaftierungen in Konzentrationslagern. Sie hatten die Möglichkeit, ihre Mißbilligung in einer Form auszudrücken, die sich im Rahmen ihrer normalen juristischen Tätigkeit hielt. Im Zusammenhang mit einem besonderen Fall faßte der Appellationsgerichtshof von Leeuwarden einen Beschluß, aus dem ich dem Gerichtshof einen Auszug verlesen möchte. Dieser Beschluß liegt dem Gerichtshof als Dokument RF-931 vor.
»Da das Gericht sich mit der vom erstinstanziellen Richter ausgesprochenen Strafe und der hierfür gegebenen Begründung nicht einverstanden erklären kann, glaubt es, daß die Strafe wie folgt festgesetzt werden muß:
Da der Gerichtshof hinsichtlich des aufzuerlegenden Strafmaßes der Tatsache Rechnung zu tragen wünscht, daß seit einiger Zeit verschiedene durch niederländische Richter gegenüber Niederländern männlichen Geschlechts ausgesprochene Strafen entgegen den gesetzlichen Vorschriften und entgegen der Absicht des Gesetzgebers und des Richters, in Lagern auf eine Art und Weise verbüßt wurden oder werden, die die Strafe in einem dem Richter bei der Festsetzung des Strafmaßes unmöglich vorhersehbarem oder sogar erwartbarem Maße verschärft;
Da der Gerichtshof unter Berücksichtigung der Möglichkeit, daß jetzt auszusprechende Strafen auf diese Weise verbüßt werden, zur Entlastung seines Gewissens davon Abstand nimmt, den Beschuldigten zu einer Gefängnisstrafe zu verurteilen, deren Dauer in diesem Falle der Schwere des vom Angeklagten begangenen Vergehens entspricht, weil dieser möglicherweise seine Strafe in der oben geschilderten Weise abzubüßen hätte;
Da das Gericht sich aus dieser Erwägung heraus darauf beschränken wird, den Beschuldigten zu einer nachstehend festzusetzenden Gefängnisstrafe zu verurteilen unter Abzug der erlittenen Untersuchungshaft, derart, daß die Strafe im Augenblick des Urteilsspruches als durch die Untersuchungshaft fast ganz verbüßt gilt;...«
Dieses Beispiel ist besonders deshalb interessant, weil, wie ich jetzt sagen möchte, der Angeklagte Seyß-Inquart, gerade wegen dieses Beschlusses des Appellationsgerichtshofs, den Präsidenten des Appellationsgerichtshofs durch einen Erlaß vom 9. April 1943 abgesetzt hat. Dieser Erlaß liegt gleichfalls als Dokument vor, und zwar ebenfalls als RF-931. Beide Dokumente hängen zusammen.
»Auf Grund des Par. 3 meiner Verordnung Nr. 108/40 (vierte Verordnung über besondere verwaltungsrechtliche Maßnahmen) entlasse ich mit sofortiger Wirkung Dr. Jur. E. F. Viehoff aus seinem Amte als Ratsherr am Oberlandesgericht in Leeuwarden.« Gezeichnet: »Seyß- Inquart«.
Das zweite Beispiel, das ich zum Schluß angeben möchte, stammt aus Norwegen und behandelt einen feierlichen Protest der norwegischen Bischöfe. Der besondere Anlaß für diesen Protest war folgender:
Der Polizeiminister hatte sich durch einen Erlaß vom 13. Dezember 1940 angemaßt, das Berufsgeheimnis der Priester aufzuheben; in diesem Erlaß war vorgesehen, daß Priester, die sich weigerten, das Berufsgeheimnis zu verletzen, von ihm mit Gefängnisstrafen belegt werden können.
Am 15. Januar 1941 wandten sich die norwegischen Bischöfe an das Ministerium für Unterricht und Kultus und überreichten ihm eine Denkschrift. In dieser Denkschrift erhoben sie Protest gegen diese ungeheuerliche Anmaßung der Polizei, und gleichzeitig protestierten sie gegen andere Übergriffe und Gewaltakte der Nazi-Organisationen und gegen Ungesetzlichkeiten auf juristischem Gebiet.
Dieser Protest der norwegischen Bischöfe ist in einem Hirtenbrief, der im Februar 1941 an die verschiedenen Pfarrgemeinden gerichtet wurde, wiedergegeben. Ich lege ihn als Dokument RF-932 vor. Ich möchte einen Auszug aus diesem Dokument zitieren, Seite 9 oben:
»Die kürzlich veröffentlichte. Verordnung des Polizeiministeriums vom 13. Dezember 1940 greift tief in die seelsorgerische Tätigkeit der Priester ein. Nach dieser Verordnung kann das Berufsgeheimnis der Priester vom Polizeiministerium aufgehoben werden. Unsere Verschwiegenheitspflicht ist nicht nur gesetzlich festgelegt, sondern war auch immer eine Grundvoraussetzung der Tätigkeit der Kirche und der Priester bei ihrer seelsorgerischen Arbeit und wenn sich ihnen die Menschen in ihrer Not anvertrauten.
Es ist eine unabdingbare Voraussetzung für diese Tätigkeit der Kirche, daß ein Mensch volles und unbedingtes Vertrauen in die Tatsache haben kann, daß der Priester durch seine Verschwiegenheitspflicht unlöslich gebunden ist. – Dies ist sowohl in der norwegischen Gesetzgebung als auch in den kirchlichen Vorschriften aller Zeiten und aller christlichen Länder festgelegt. Diese Magna Charta des Gewissens aufzuheben, bedeutet einen Eingriff in den Lebensnerv der kirchlichen Tätigkeit, und zwar einen Eingriff, der dadurch einen wahrhaft gefährlichen Charakter erhält, daß nach Paragraph 5 der Verordnung das Polizeiministerium den betreffenden Priester festnehmen lassen kann, um damit ohne Einschaltung des Gerichts eine Aussage zu erzwingen.«
Ende des Zitats.
Wir stehen jedoch erst im ersten Jahr der Besetzung; trotzdem sind die kirchlichen Stellen Norwegens schon in der Lage, nicht nur gegen einen besonders unerträglichen Einzelfall, sondern auch gegen die Gesamtheit der angewandten Besetzungsmethoden zu protestieren; dies ist auf Seite 16 des Hirtenbriefes zu finden; ich verlese dem Gerichtshof diese Stelle, letzter Absatz:
»Deshalb haben die Bischöfe dem Ministerium einzelne Bekanntmachungen und offizielle Verlautbarungen vorgelegt, die die Regierungsmaßnahmen der letzten Zeit betreffen, nach Ansicht der Kirche im Widerspruch mit den Geboten Gottes stehen und den Eindruck erwecken, daß im Lande revolutionäre Zustände herrschen und nicht etwa eine Besetzung, unter der die Gesetze aufrechterhalten werden sollen, solange sie nicht direkt mit den Besatzungserfordernissen unvereinbar sind.«
Das ist eine sehr genaue Darstellung der Rechtslage. Ich möchte jetzt noch einen Satz aus diesem Brief verlesen, der diesem letzten auf Seite 16 vorangeht.
»Wenn die weltliche Obrigkeit die Willkür und die Ungerechtigkeit erlaubt und einen Druck auf die Seele ausübt, dann wird die Kirche zum Schutze des Gewissens. Eine menschliche Seele bedeutet mehr als die ganze Welt.«
Ich möchte den Gerichtshof bitten, jetzt das Aktenstück »Belgien« zur Hand zu nehmen.
Ich möchte den Gerichtshof gleich darauf aufmerksam machen, daß dieses Aktenstück kein Dokumentenbuch enthält. Diese Ausführungen beziehen sich auf allgemeine Tatsachen und werden durch einen Bericht der Belgischen Regierung, der bereits von meinem Kollegen als RF-394 eingereicht worden ist, bekräftigt und bewiesen. Das Thema, das ich gegenwärtig behandle, ist übrigens allgemeiner Natur und betrifft die Militärverwaltung, nämlich die zwei Fälle: Belgien und Frankreich. Ich beginne mit dem Aktenstück Belgien.
In Belgien ist die widerrechtliche Usurpation der nationalen Souveränität durch die Besatzungsmacht dem Militärkommando zuzuschreiben, das entweder durch direkte Anordnungen oder durch Befehle an die belgischen Verwaltungsbehörden regierte; die Verwaltungsbehörden waren in diesem Fall die Generalsekretäre der Ministerien.
Über die Einzelheiten dieser Herrschaftsanmaßung möchte ich dem Gerichtshof zwei Absätze des belgischen Berichts verlesen, und zwar aus Kapitel IV, das der Germanisierung und Nazifizierung gewidmet ist; es ist Seite 3, Absatz 3:
»Als die gesetzliche Regierung von Belgien sich nach Frankreich und dann nach London zurückgezogen hatte, waren es die Generalsekretäre der Ministerien, die höchsten Beamten in der Hierarchie, welche gemäß Artikel 5 des Gesetzes vom 10. Mai 1940 im Rahmen ihrer amtlichen Tätigkeit und in dringenden Fällen alle Befugnisse der Staatsgewalt ausübten.«
Mit anderen Worten vereinigten diese hohen Beamten, die mindestens während der ersten Monate der Besatzung die Absicht hatten, die Besatzungsmacht soweit wie möglich von der Verwaltung des Landes fernzuhalten, die Regierungs- und Verordnungsgewalt in ihren Händen. Auf Befehl der Deutschen wurde diese Verordnungsgewalt dann schließlich zu einer wirklichen Gesetzgebungsgewalt.
Diese Art, durch Generalsekretäre zu regieren, gefiel den Deutschen derart, daß sie sie selbst annahmen. Indem sie diese Posten von belgischen Strohmännern bekleiden ließen, konnten sie in Belgien unter dem Anschein der Legalität ganz radikale Reformen durchführen, welche aus diesem Land einen nationalsozialistischen Vasallenstaat machen sollten.
Schon jetzt wird die Feststellung interessieren, daß die Deutschen nicht zögerten, durch eine im amtlichen Bericht wiedergegebene Verordnung vom 14. Mai 1942 die richterliche Kontrolle hinsichtlich der Gesetzmäßigkeit dieser Beschlüsse der Generalsekretäre aufzuheben, um das öffentliche Leben im Wege über diese lokalen Behörden in der Hand zu behalten. Dies stand im Widerspruch zu Artikel 107 der belgischen Verfassung.
In den folgenden Absätzen des belgischen Berichts wird weiter klargelegt, wen die Verantwortung für die Verletzungen der öffentlichen Ordnung trifft. Ich zitiere hier den genauen Wortlaut dieses Berichts, Seite 4, Absatz 3:
»Schließlich ist es völlig belanglos, ob die Abänderung der gesetzmäßigen Einrichtung auf Grund von deutschen Verordnungen oder auf Grund von Beschlüssen der Generalsekretäre erfolgte; die Deutschen sind dafür verantwortlich; die Generalsekretäre waren ihnen gegenüber nur treue Ausführungsorgane.«
Ich glaube, daß es auch interessant wäre, die drei folgenden Absätze des Berichts zu lesen, weil sie hinsichtlich der von den Deutschen bei der Übernahme der Staatshoheit angewandten Methoden charakteristische Tatsachen enthüllen:
»Falls zur Unterstützung dieser Behauptung noch ein weiteres Argument notwendig sein sollte, wird es genügen, daran zu erinnern, daß die Besatzungsmacht alles daran setzte, um in das von Grund auf umzugestaltende Gebäude getreue und nationalsozialistische Agenten einzubauen. Das war eine richtige Termitenarbeit.
Die Verordnung vom 7. März 1941 versetzte unter dem Vorwand der Verjüngung des Verwaltungsapparates eine große Anzahl von Beamten in den Ruhestand. Selbstverständlich wurden diese durch deutschfreundliche Beamte ersetzt.
Schließlich setzten die Deutschen an die Spitze des Innenministeriums einen ihrer treuesten Helfershelfer, der sich, wie wir weiterhin sehen werden, das Recht anmaßen konnte, Ratsherren, ständige Abgeordnete, Bür germeister usw. zu ernennen, und dieses Recht zu gewissen Ernennungen, zum Beispiel von Kreiskommissären, sogar dahingehend ausnützen konnte, daß er Kreaturen des Feindes auf gute Posten setzte.«
Der belgische Bericht gibt dann noch ein besonders klares Bild über die Verletzungen der öffentlichen Ordnung Belgiens seitens der Deutschen. Er teilt diese Verletzungen in zwei Gruppen ein. Die erste ist betitelt: »Abänderung der vorher bestehenden verfassungsmäßigen Einrichtungen.« Unter diesem Titel stehen insbesondere die Verordnung vom 18. Juli 1940, welche mit sofortiger Wirkung jede öffentliche politische Tätigkeit abschaffte, dann eine Reihe von Erlassen, durch welche die Deutschen die Wahl von Gemeinderatsmitgliedern abschafften, die in Zukunft von der Zentralbehörde ernannt werden sollten.
Das bedeutete den Umsturz des traditionellen demokratischen Verwaltungssystems der Gemeinden. Im gleichen Sinn haben die Deutschen in Verletzung des Artikels 3 der belgischen Verfassung durch eine Verordnung vom 26. Januar 1943 die Eingliederung vieler Gemeinden in große Stadtgemeinden durchgeführt. Der Bericht erwähnt schließlich in diesem Teil die Steuerbefreiung, die entgegen der Verfassung, Personen gewährt wurde, die bei der Deutschen Wehrmacht oder Waffen-SS dienten. Wir finden hier ein neues Beispiel des ganz verbrecherischen und großangelegten deutschen Versuchs der Rekrutierung in den besetzten Gebieten.
Die zweite Gruppe trägt die Überschrift: »Einführung neuer Institutionen in das öffentliche Leben Belgiens auf nationalsozialistischer und ständischer Grundlage.«
Solche Einrichtungen wurden tatsächlich von den deutschen Behörden geschaffen. Die bedeutendsten sind der »National-Verband für Landwirtschaft und Lebensmittelversorgung« und »Die Warenzentralstellen«. Der Bericht beschreibt die Wesenszüge dieser Einrichtungen und beweist, daß diese Organisationen auf totalitären Gedanken aufgebaut waren, und daß in ihnen das Führerprinzip galt, wie wir es bei ähnlichen Einrichtungen in den Niederlanden gesehen haben.
Ich möchte nunmehr den Schluß des belgischen Berichts über die Germanisierung verlesen, der kurz, aber höchst aufschlußreich ist:
»Wir glauben, daß die vorangegangene Darstellung zur Genüge bewiesen hat, daß die Verfassung und die Gesetze des belgischen Volkes von der deutschen Besatzungsmacht planmäßig verletzt wurden und das, wie ganz klar erwiesen ist, nicht um der eigenen Sicherheit willen, sondern um auf klug vorbedachte Weise Belgien zu einem nationalsozialistischen und daher eingliederungsfähigen Staate zu machen, da sich nun einmal zwei nationalsozialistische Nachbarstaaten notwendigerweise gegenseitig ausschalten und der Stärkere den Schwächeren verschluckt.
Diese Politik stellt eine Verletzung der internationalen Gesetze und Gebräuche dar, ebenso der Erklärung von Brüssel von 1874 und des Haager Abkommens von 1899.«
Ich will keine weiteren Einzelheiten darüber bringen, wie in Belgien die widerrechtliche Machtergreifung auch auf anderen Gebieten in Erscheinung trat, da dem Gerichtshof bereits viele Beweise vorgebracht wurden, besonders in den Ausführungen über die Wirtschaft und in der Darstellung des Herrn Dubost. Da jedoch die Behandlung Belgiens mit der von Frankreich eng zusammenhing, werden die Angaben, die ich in den zwei nächsten Kapiteln meiner Anklagerede bringen werde, sich besonders auf diese beiden Länder beziehen. Bevor ich jedoch meine jetzigen Ausführungen abschließe, möchte ich die Ungesetzlichkeiten erwähnen, die von den Deutschen gegen die Universitäten von Belgien begangen wurden.
Auch hier finden wir wieder die – im übrigen ganz unverständliche – Feindschaft der Nazi-Lehrer und Nazi-Führer gegenüber den Kulturzentren. Diese Feindschaft äußerte sich besonders heftig gegen die vier großen belgischen Universitäten, die auf eine so schöne Tradition geistigen Lebens zurückblicken.
Ich möchte jetzt den Gerichtshof darauf aufmerksam machen, daß die Bemerkungen, die ich hierüber vorzutragen beabsichtige, den Anlagen des belgischen Berichts entnommen sind, aus dem ich einige Auszüge verlesen habe. Ich muß betonen, daß diese Anlagen nicht als Dokumente vorgelegt wurden, obwohl sie einer der Originalurkunden beigefügt sind, woraus ihre Echtheit hervorgeht. Ich werde diese Anlagen zu einem späteren Zeitpunkt übersetzen und vorlegen lassen und bitte daher den Gerichtshof, die Angaben, die ich machen werde, als Ausführungen zu betrachten, die einerseits durch die Vorlage von Dokumenten und andererseits durch Zeugenaussage bewiesen werden, da ich für diese Fragen einen Zeugen vorgeladen habe. Ich bitte zu entschuldigen, daß die Anhänge nicht tatsächlich mit dem Dokument vorgelegt wurden; ich werde, wenn der Gerichtshof damit einverstanden ist, meine Ausführungen über diesen Punkt fortsetzen.
VORSITZENDER: Herr Faure, auf welche Anlagen beziehen Sie sich?
M. FAURE: Auf die Dokumente, die dem belgischen Bericht als Anlagen beigefügt sind, und zwar verhält es sich damit folgendermaßen: das eigentliche Kapitel über dieses Thema ist vollständig in dem bereits vorgelegten belgischen Gesamtbericht erhalten. Daneben ist ein weiteres Exemplar desselben Kapitels im Original zusammen mit einer Reihe von Anlagen gefestigt worden. Aus diesem Grunde wurden die Anlagen nicht gleichzeitig mit dem Hauptbericht, von dem dieser weitere Bericht ja nur einen Teil darstellt, übersetzt und vorgelegt. Die Anlagen sind beigeheftete Aufzeichnungen, in denen die Ereignisse beschrieben werden, die sich bei den Universitäten abgespielt haben. Aber, wie ich dem Gerichtshof bereits angedeutet habe, möchte ich diesen Punkt insbesondere durch Vernehmung eines Zeugen beweisen. Ich dachte also, daß ich Ausführungen machen könnte, die eine Behauptung der Anklagebehörde darstellen und für die ich den Beweis durch Vernehmung eines Zeugen erbringen werde. Außerdem werde ich die Anlagen vorlegen, sobald sie ins Deutsche übersetzt worden sind, was noch nicht geschehen ist.
VORSITZENDER: Jawohl, der Gerichtshof ist mit Ihrem Vorschlag einverstanden.
M. FAURE: Ich möchte zuerst erwähnen, daß die Deutschen auf der Universität Gent bei den Studenten besondere Propaganda mit dem Ziel der Germanisierung dieser jungen Generation betrieben. Zu diesem Zweck benutzten sie eine Organisation, die »Gentsch Studenten Verband« hieß. Ihre Bemühungen, diese Organisation in die Höhe zu bringen, brachten ihnen jedoch nicht den erhofften Erfolg. Sie richteten auf dieser wie auch auf den anderen Universitäten ein wahres Spionagesystem unter einer raffinierten Tarnung, nämlich der von »Gast-Professoren« ein, also von deutschen Professoren, die angeblich eingeladen worden waren, die aber in Wirklichkeit Beobachter und Spione waren.
Der Bericht eines dieser eingeladenen Professoren ist in Belgien aufgefunden worden; darin werden sowohl die angewandten Methoden als auch die Grunde für das vollständige Versagen der deutschen Bemühungen um Einflußnahme dargestellt.
Die Deutschen verhafteten und deportierten auf allen Universitäten Professoren und Studenten. Diese Maßnahmen fanden besonders dann statt, wenn sich die Studenten mit Recht weigerten, den deutschen ungesetzlichen Befehlen, die sie zum Arbeitsdienst zwangen, Folge zu leisten.
Was die Universität von Brüssel betrifft, so muß bemerkt werden, daß diese Universität gleich am Anfang einen deutschen Kommissar erhielt, und daß vierzehn Professoren entgegen den Bestimmungen aus ihrem Amt entfernt wurden. Späterhin sah sich die Universität von Brüssel gezwungen, ihre Vorlesungen einzustellen, und zwar auf Grund eines charakteristischen Vorfalls:
Als drei Lehrstühle neu zu besetzen waren, verweigerten die Deutschen die Bestätigung der von der Universität satzungsgemäß vorgeschlagenen Kandidaten. Sie beschlossen, selbst ihnen passend erscheinende Professoren zu ernennen. Wir erkennen daraus klar den grundsätzlichen Versuch der Deutschen, sich in alle Dinge einzumischen und überall Leute ihrer eigenen Richtung einzusetzen.
Am 22. November 1941 teilte die deutsche Militärverwaltung dem Rektor der Universität diese Entscheidung mit. Die Universität beschloß daraufhin, sozusagen zu streiken, und trotz aller Bemühungen der Deutschen dauerte der Streik der Brüsseler Universität bis zur Befreiung an.
Hinsichtlich der belgischen Universitäten möchte ich nun dem Gerichtshof etwas verlesen. Es betrifft die Universität von Loewen. Bevor ich jedoch verlese, möchte ich dem Gerichtshof die näheren Umstände bekanntgeben: Die Deutschen hatten in dieser Universität, wie auch in anderen, den Studenten die Arbeitspflicht auferlegt. Das wußten wir schon. Mein nachfolgendes Zitat bezieht sich jedoch auf eine weitere Forderung, die besonders beleidigend war. Die Deutschen wollten den Rektor der Universität, Monsignore van Wayenberg, zwingen, eine Liste der Studenten einschließlich ihrer Adressen vorzulegen, die für die Arbeitspflicht in Frage kamen und sich ihr entzogen hatten. Sie wollten damit den Rektor zur Denunziation zwingen, und zwar unter Androhung von schweren Strafmaßnahmen. Der Kardinal und Erzbischof von Mecheln intervenierte in dieser Angelegenheit und richtete am 4. Juni 1943 ein Schreiben an General von Falkenhausen, den Militärbefehlshaber in Belgien. Ich möchte dieses Schreiben dem Gerichtshof verlesen; es ist in einer Veröffentlichung wiedergegeben, die ich hier bei mir habe und die in Belgien herausgekommen ist; sie trägt den Titel »Kardinal van Roey und die deutsche Besatzung in Belgien«. Ich möchte dieses Schreiben nicht als Dokument vorlegen. Ich bitte den Gerichtshof, es als ein Zitat aus einem öffentlichen Werk zu behandeln. So schreibt der Erzbischof von Mecheln, Kardinal van Roey:
»In einer mündlichen Mitteilung, um deren schriftliche Bestätigung ich vergeblich gebeten habe, hat mich der Chef der Militärverwaltung, Herr Reeder, davon verständigt, daß, falls der Rektor der katholischen Universität Loewen auf seiner Weigerung, die Adressenliste der Studenten des ersten Jahrgangs herauszugeben, bestehen sollte, die Besatzungsmacht folgende Maßnahmen ergreifen wird:
Schließung der Universität; Verbot für die Studenten, sich in einer anderen Universität einzuschreiben; Zwangsarbeit in Deutschland für alle Studenten; und im Falle, daß sich diese der Maßnahme entziehen sollten, Vergeltungsmaßnahmen gegen ihre Familien.
Diese Mitteilung ist umso erstaunlicher, als einige Tage zuvor, auf Grund eines Schreibens des Rektors an Eure Exzellenz, der erstgenannte vom Kreiskommandanten von Loewen die Mitteilung erhielt, daß die Universität wegen der Liste nicht mehr beunruhigt werden würde. Es ist wahr, daß der Chef der Militärverwaltung, Herr Reeder, mir mitgeteilt hat, daß diese Antwort auf einem Mißverständnis beruhe.
Als Präsident des Verwaltungsrates der Universität Loewen habe ich die belgischen Bischöfe, die diesen Rat bilden, von der mir gemachten schwerwiegenden Mitteilung in Kenntnis gesetzt. Ich habe die Pflicht, Ihnen im Namen aller Bischöfe mitzuteilen, daß es uns unmöglich ist, dem Rektor anzuraten, daß er eine Liste seiner Studenten übergebe und daß wir die von ihm bisher eingenommene passive Einstellung billigen.
Eine Aushändigung dieser Liste würde tatsächlich eine Mitarbeit an Maßnahmen bedeuten, die die belgischen Bischöfe in einem Hirtenbrief vom 15. März 1943 verurteilt haben, da sie dem internationalen Recht, dem Naturrecht und der christlichen Moral widersprechen. Sollte die Universität Loewen Strafmaßnahmen unterworfen werden, weil sie diese Mitarbeit verweigert, so würden wir sie für das Opfer ihrer Pflicht halten. Wie schwer und schmerzvoll auch die Schwierigkeiten sein würden, die sie einstweilen durchzumachen hätte, so würde doch ihre Ehre nicht befleckt werden. Wie der berühmte Bischof von Mailand, St. Ambrosius, so glauben auch wir, daß Ehre über allem steht: Nihil praeferendum honestati.
Außerdem kann sich Eure Exzellenz nicht der Tatsache verschließen, daß die katholische Universität Loewen dem Heiligen Stuhl untersteht. Sie ist nach kanonischem Recht vom Papst gegründet worden und untersteht der Leitung und Aufsicht seitens der Römischen Kongregation der Seminare und Universitäten. Der Hei lige Stuhl hat die Ernennung des Monsignore van Wayenberg zum Rektor Magnificus der Universität gebilligt. Sollten die angekündigten Maßnahmen ausgeführt werden, so würden sie einen heftigen Angriff gegen die Rechte des Heiligen Stuhles darstellen. Auch Seine Heiligkeit, der Papst, wird von der außerordentlichen Gefahr, die unserer katholischen Universität droht, in Kenntnis gesetzt werden.«
Ich werde die Verlesung dieses Schreibens hier beenden, doch möchte ich die Aufmerksamkeit des Gerichtshofs darauf lenken, daß trotz dieses Protestes und entgegen den Erwägungen der einfachen praktischen Interessen, die die Deutschen in einem korrekten Verhalten hier hätten finden können, der Rektor am 5. Juni 1943 verhaftet und von der deutschen Militärjustiz zu achtzehn Monaten Gefängnis verurteilt wurde.
Ich möchte bemerken, daß, nachdem wir vor diesem Gerichtshof bereits so viele schmerzliche Tatsachen gehört haben, wir fast den Eindruck haben könnten, als ob ein derartiges Ereignis, wie die ungerechtfertigte Verhaftung und Verurteilung eines Prälaten, eines Universitätsrektors, eine Verhaftung, die überdies keine tragischen Folgen hatte, als ob ein derartiges Ereignis von minderer Bedeutung sei.
Ich glaube jedoch, daß wir unser verstandsmäßiges Urteil nicht auf unsere Empfindlichkeit abstellen dürfen, die sich an das Grauen völlig gewöhnt hat; wenn wir darüber nachdenken, so sehen wir, daß eine derartige Gewalttat sehr aufschlußreich ist. Die Tatsache, daß die Deutschen eine solche Behandlung für den Ausdruck der Gerechtigkeit hielten, ist kennzeichnend für die Germanisierungsversuche und für die Folgen, die diese Germanisierung für die ganze Welt nach sich gezogen hätte.
VORSITZENDER: Wir vertagen uns nunmehr.