[Keine Antwort.]
Herr Faure?
M. FAURE: Ich habe weiter keine Fragen. Der Zeuge kann den Gerichtssaal verlassen.
Ich bitte den Gerichtshof, nunmehr das Dokumentenbuch vorzunehmen, das den Schluß des Kapitels über die Angriffe auf die Souveränität enthält und die Überschrift »Frankreich« trägt.
Frankreich wird wie Belgien der Verwaltung einer Militärbesatzung unterstellt. Auf der anderen Seite besteht in Frankreich eine diplomatische Vertretung. Außerdem muß man die Polizeiverwaltung beachten, die immer eine bedeutende Rolle gespielt hat, die immer umfangreicher geworden ist und die sich ganz besonders nach der Ernennung des Generals Oberg 1942 ausgedehnt hat.
Was diesen letzten Teil meines Kapitels über die Angriffe auf die Souveränität betrifft, möchte ich mich darauf beschränken, einige Fälle zu erwähnen, die sich infolge der Herrschaft dieser Usurpatoren in Frankreich abgespielt haben, sowie auf gewisse neue Methoden, die von den Deutschen in diesem Lande angewandt wurden. Das übrige ist bereits ausführlich behandelt worden, und ich werde auch selbst noch auf die Folgen der Tätigkeit der Deutschen in Frankreich eingehen.
Ich möchte die Aufmerksamkeit des Gerichtshofs auf vier Gesichtspunkte lenken:
Erstens: Die deutschen Behörden haben sich von Anfang an in Frankreich eine besondere Schlüsselstellung gesichert. Ich möchte die Zerstückelung Frankreichs in fünf verschiedene Zonen behandeln. Diese Zerstückelung, die die Deutschen erzwangen, hat in gewissem Maße einen Ausgleich für die besondere Situation geschaffen, die sich für sie durch das Bestehen des unbesetzten französischen Gebietes ergab.
Ich habe bereits vorhin gesagt, daß das Waffenstillstandsabkommen vom 22. Juni 1940, das dem Gerichtshof vorgelegt worden ist, die Errichtung einer Demarkationslinie zwischen einer besetzten und einer sogenannten unbesetzten Zone vorsah. Man konnte damals glauben, daß diese Demarkationslinie im wesentlichen den Erfordernissen der militärischen Bewegungen in der besetzten Zone entspräche. Man konnte weiterhin daraus schließen, daß sich die Trennung der Zonen nur in der Ausübung der normalen Rechte einer Besatzungsarmee in der besetzten Zone ausdrücken würde.
Ich habe bereits Gelegenheit gehabt, dem Gerichtshof zu diesem Thema die Zeugenaussage von Herrn Leon Noël vorzulegen. Sie enthält mündliche Versicherungen, die hierüber von den jetzt angeklagten Generalen Keitel und Jodl abgegeben worden waren.
In der Tat ist diese Abgrenzung der Zonen mit äußerster Strenge und in ganz unerwarteter Weise ausgelegt und vorgenommen worden. Wir haben bereits die wichtigen Folgen für das Wirtschaftsleben des Landes gesehen. Auch für die örtliche Verwaltung, die bei der Erfüllung ihrer Aufgaben dauernd gestört wurde, und für das Leben der Bevölkerung, die sich zwischen den verschiedenen Teilen des französischen Gebiets nicht frei bewegen konnte, hat sie wichtige Folgen gehabt. Die Deutschen haben sich also auf diese Art und Weise Druckmittel für die französischen Behörden verschafft. Dieses Druckmittel war um so vorteilhafter, als es sehr elastisch und stets anwendbar war.
Die Deutschen konnten die Zonentrennungsvorschriften bald lockern, bald verschärfen. Ich zitiere als Beispiel den Auszug aus einem Dokument, das ich als Beweisstück RF-1051 vorlege. Dieses Dokument ist ein Schreiben vom 20. 12. 1941, das Herr Schleier von der Deutschen Botschaft an den Französischen Delegierten de Brinon gerichtet hat und das sich mit Passierscheinen für deutsche Zivilisten befaßt, die die unbesetzte Zone betreten wollten. Die französischen Behörden der de-facto-Regierung hatten gegen die Tatsache protestiert, daß sie von den Deutschen gezwungen wurden, diese Personen, die einen deutschen Ausweis besaßen, in das unbesetzte Gebiet hereinzulassen, wo sie sich allen Geschäften widmen konnten, und besonders der Spionage, wie man sich vorstellen kann. Das Schreiben, das ich jetzt zitiere, beantwortet diesen französischen Protest und ich möchte nur den letzten Absatz verlesen, also den zweiten Absatz auf Seite 2 dieses Dokuments RF-1051:
»Falls die Französische Regierung bei der Behandlung von Passierscheinanträgen, die mit deutscher Genehmigung zur Vorlage gelangen, Schwierigkeiten bereiten sollte, würde die bisher bei der Ausstellung von Passierscheinen für französische Staatsangehörige geübte Großzügigkeit nicht mehr im gleichen Umfange aufrechterhalten werden können.«
Was ich hier vortrage ist aber lediglich ein erstes Beispiel für die Teilung des Landes. Diese erste Teilung war durch das Waffenstillstandsabkommen begründet, obwohl auch dieses übertreten wurde und anfechtbar war. Dagegen wurden die anderen Trennungen einfach ohne jede Ankündigung und ohne jeden Vorwand von den Deutschen angeordnet und vorgenommen. Ich muß erwähnen, daß die Abtrennung der Departements Oberrhein, Niederrhein und Mosel von dem Rest Frankreichs, die – ich glaube dies schon bewiesen zu haben – von Deutschland praktisch einverleibt wurden, die erste zusätzliche Teilung darstellte.
Eine zweite Teilung traf die Departements Nord und Pas-de-Calais. Diese Departements wurden tatsächlich der deutschen Militärverwaltung in Belgien angeschlossen. Diese Tatsache geht aus den Überschriften der Verordnungen des deutschen Militärbefehlshabers hervor, die ebenso wie das belgische Amtsblatt dem Gerichtshof vorliegen. Diese Trennung wurde nicht nur von der Militärverwaltung des deutschen Oberkommandos gemacht, sondern sie bestand auch für die französische Verwaltung. Diese Verwaltung war in den betreffenden Departements nicht ausgeschaltet, aber ihre Verbindungen mit der Zentralverwaltung waren sehr erschwert.
Da ich diesen Punkt nicht weiter auszuführen beabsichtige, möchte ich nur ein Dokument als Beispiel zitieren, das ich als Beweisstück RF-1052 vorlege. Es ist ein Brief des Militärbefehlshabers vom 17. September 1941, mit dem er ablehnt, die telegrafischen und telefonischen Verbindungen mit dem Restfrankreich wiederherzustellen. Ich zitiere den einzigen Satz, den dieser Brief enthält:
»Nach Entscheidung des Oberkommandos der Wehrmacht kann dem Antrag auf Zulassung einer unmittelbaren Telegrammverbindung der Regierung in Vichy mit den Dienststellen der beiden Nord-Departements zur Zeit noch nicht entsprochen werden.«
Die dritte Teilung bestand in der Errichtung einer sogenannten verbotenen Zone in der unbesetzten Zone. Die Schaffung dieser verbotenen Zone entsprach zweifellos den künftigen Plänen der Deutschen für die Angliederung von gewissen Teilen Frankreichs. Ich habe hierhergehörige Dokumente zu Beginn meines Vortrages verlesen. Für diese verbotene Zone waren keine besonderen Verwaltungsvorschriften getroffen, aber es bedurfte einer besonderen Ermächtigung, um in sie hineinzugelangen oder sie zu verlassen. Den Personen, die diese Zone verlassen hatten und in andere Bezirke geflüchtet waren, war die Rückkehr nur nach und nach unter großen Schwierigkeiten möglich.
Die Verwaltungs- und Wirtschaftsbeziehungen zwischen dieser Zone und den anderen Zonen wurden ständig behindert. Diese Tatsache ist wohl bekannt, aber trotzdem möchte ich ein Dokument als Beispiel zitieren, und ich lege dieses Dokument vor als Nummer RF-1053. Es ist ein Brief des Militärbefehlshabers vom 22. November 1941, gerichtet an die Französische Delegation.
Ich werde mich darauf beschränken, den Inhalt dieses Briefes dahingehend zusammenzufassen, daß der deutsche Militärbefehlshaber seine Genehmigung zu der Reise eines Ministers der de-facto-Regierung in Vichy erteilte, der sich in die besetzte Zone begeben wollte, ihm aber nicht gestattete, sich in die verbotene Zone zu begeben.
Damit der Gerichtshof sich die Lage dieser fünf Zonen deutlich vorstellen kann, habe ich in das Dokumentenbuch eine Karte von Frankreich mit aufgenommen, aus der diese Trennungen ersichtlich sind. Diese Karte von Frankreich trägt die Nummer RF-1054. Ich glaube aber nicht, daß es notwendig ist, daß ich sie als eigentliches Beweisstück einreiche. Sie ist lediglich dazu bestimmt, dem Gerichtshof diese weitgehende Zerstückelung Frankreichs zu veranschaulichen. Sie zeigt einerseits die angegliederten Departements, andererseits die Departements Nord und Pas-de-Calais, deren Abgrenzung auf der Karte sichtbar ist, die verbotene besetzte Zone und dann die Demarkationslinie. Es ist übrigens die Reproduktion einer Karte, die in Paris vom Verlag Girard & Barere während der Besatzung gedruckt und verkauft wurde.
Um mit der Frage der Teilung Frankreichs fertig zu werden, möchte ich den Gerichtshof daran erinnern, daß die deutsche Armee am 11. November 1942 in die sogenannte unbesetzte Zone eindrang. Die deutschen Behörden haben damals erklärt, daß sie nicht beabsichtigen, dieses Gebiet vom Militär besetzen zu lassen, sondern lediglich ein Operationsgebiet daraus zu machen, wie man es nannte. Die deutschen Behörden haben diesen von ihnen erfundenen Rechtsbegriff ebensowenig respektiert wie die Bestimmungen des Besatzungsrechtes. Der Beweis für diese Rechtsverletzungen im sogenannten Operationsgebiet ist bereits wiederholt vorgelegt worden, und wird am Ende meiner Anklagerede nochmals berührt werden.
Außerdem war diese Teilung begreiflicherweise höchst unangenehm für ein Land, dessen Oberfläche verhältnismäßig klein und dessen Leben sehr zentralisiert ist.
Ich möchte jetzt die zweite Abneigung der Souveränität behandeln, die in der von den Deutschen ausgeübten Kontrolle über die Gesetzgebung der Französischen de-facto-Regierung bestand.
Natürlich hat die deutsche Militärverwaltung getreu ihrer Lehre niemals aufgehört, durch eigene Verordnungen eine wirkliche gesetzgebende Macht über die Franzosen auszuüben. Aber andererseits – und das möchte ich jetzt im Hinblick auf die französische Macht, die die Deutschen noch vorgaben als souverän anzuerkennen – übten sie eine tatsächliche Zensur der Gesetzgebung aus. Ich werde hierfür jetzt erneut als Beispiele einige Dokumente zitieren.
Das erste Dokument, das ich vorlege, ist RF-1055. Es ist ein Brief des Militärbefehlshabers in Frankreich an den Französischen Generaldelegierten, datiert vom 29. Dezember 1941. Die Unterschrift unter diesem Brief läßt sich als die des Dr. Best feststellen, von dem ich heute früh im Zusammenhang mit Dänemark gesprochen habe, wo er später eine politische und polizeiliche Funktion ausübte. Ich glaube, es ist nicht nötig, den Text dieses Briefes zu verlesen. Ich möchte lediglich die Überschrift verlesen:
»Betrifft: Gesetzentwurf über den französischen Haushaltsplan 1942 und über das neue französische Finanzgesetz.«
Die deutschen Behörden glaubten für die Aufstellung des Budgets der Französischen de-facto-Regierung zuständig zu sein. Dabei hatte dies mit den Notwendigkeiten ihrer Militärbesetzung gar nichts zu tun. Die Deutschen prüften nicht nur die von der Französischen Regierung vorgeschlagenen Gesetze, sondern ihre Anregungen trugen auch die Form von Befehlen. Ich will im Augenblick kein Dokument zitieren, denn ich werde zwei Dokumente darüber vorlegen: eins über Propaganda, ein anderes über die Behandlung der Juden.
Eine dritte Überschreitung ihrer Machtbefugnisse bestand in der Intervention der deutschen Behörden bei der Ernennung und Einsetzung von Beamten. Gemäß der bereits angewendeten Methode lege ich einige Dokumente als Beispiel zu diesem Thema vor. Als erstes werde ich ein Dokument vorlegen, das die Nummer RF-1056 trägt. Es ist ein Brief des Generals von Stülpnagel, Militärbefehlshaber in Frankreich, an de Brinon vom 23. September 1941. Der Inhalt dieses Briefes braucht nicht ganz verlesen zu werden. Er befaßt sich mit der Sabotage der Ernte und den mit der Lebensmittelversorgung verbundenen Schwierigkeiten. Ich verlese lediglich den letzten Absatz dieses Dokuments RF-1056:
»Ich muß daher jetzt mit allem Nachdruck verlangen, daß beschleunigt eine einheitliche Führung und Steuerung der für die Versorgung der Bevölkerung notwendigen Maßnahmen gewährleistet wird, und sehe die Erreichung dieses Ziels nur dadurch möglich, daß beide Ministerien in der Hand eines energischen und sachverständigen Mannes zusammengefaßt werden.«
Es handelt sich also um ein Eingreifen in die Zusammensetzung eines Ministeriums, einer scheinbaren Regierungsbehörde. Über die Kontrolle der Ernennung von Beamten lege ich Dokument RF-1057 vor. Es ist ein Brief des Militärbefehlshabers vom 29. November 1941. Ich will den Inhalt des Briefes lediglich dahingehend zusammenfassen, daß die deutschen Behörden gegen die Ernennung des Präsidenten des Verbindungskomitees für Zuckerrübenerzeugung Einspruch erhoben. Dies hatte bestimmt nichts mit den militärischen Notwendigkeiten zu tun. Alsdann lege ich Dokument RF-1058 vor, ebenfalls ein Brief des Militärbefehlshabers. Dieser Brief ist sehr kurz und ich will ihn verlesen:
»Ich ersuche zu veranlassen, daß der Unterpräfekt von St. Quentin, M. Planacassagne, von seinem Amt abberufen und möglichst rasch durch einen geeigneten Beamten ersetzt wird. M. Planacassagne ist seinem Amt nicht gewachsen.«
Ich werde jetzt einen allgemeinen Text zitieren. Ich lege Dokument RF-1059 vor. Dies ist ein geheimes Rundschreiben vom 10. Mai 1942, vom Militärbefehlshaber, Chef des Verwaltungsstabes, an alle Hauptkommandanturen gerichtet. Hier finden wir erneut die Unterschrift von Dr. Best.
»Betrifft: Aufsicht über die französische Personalpolitik im besetzten Gebiet. Die Umbildung der Französischen Regierung eröffnet gewisse Möglichkeiten einer positiven Beeinflussung der französischen Personalpolitik im besetzten Gebiet. Ich ersuche deshalb, laufend diejenigen französischen Beamten namhaft zu machen, die als in deutschem Sinne besonders brauchbar in Erscheinung treten, und auf die die französische Regierung bei der Besetzung wichtiger Ämter hingewiesen werden kann.«
So wird dieses allumfassende Netz der deutschen Kontrolle und der deutschen widerrechtlichen Besitzergreifungen immer weiter gespannt.
Ich lege jetzt Dokument RF-1060 vor. Dieses Dokument ist eine Vernehmung von Otto Abetz, dem früheren Botschafter in Frankreich. Diese Vernehmung fand am 17. November 1945 vor den Kommissaren Berge und Saulas von der allgemeinen Informationsstelle (Renseignements généraux) in Paris statt. Dieses Dokument bestätigt, daß die Deutschen sich in die französische Verwaltung einmischten und es enthält im übrigen Einzelheiten über die doppelte Verwaltungskontrolle durch den Militärbefehlshaber und die Gestapo.
»Der Militärbefehlshaber in Frankreich stützt sich auf die verschiedenen Konventionen des internationalen Rechtes.« –
So erklärt Otto Abetz, und ich brauche nicht zu sagen, daß wir seiner Auffassung vom internationalen Recht keineswegs beistimmen.
»Der Militärbefehlshaber hielt sich für verantwortlich für die Aufrechterhaltung der Ordnung und Sicherheit im besetzten Gebiet und betrachtete sich insoweit als den obersten Richter. Zu diesem Zweck beanspruchte er das Recht, seine Zustimmung zur Ernennung aller französischen Beamten zu geben, die Posten in der besetzten Zone bekleiden sollten. Für die in der freien Zone wohnenden Beamten, welche ihre Pflichten in der besetzten Zone auszuüben hatten, war die Zustimmung des Militärbefehlshabers für ihre Ernennung ebenfalls notwendig.
In der Praxis machte der Militärbefehlshaber von dem dementsprechend beanspruchten und so festgelegten Recht lediglich bei der Ernennung hoher Staatsbeamter Gebrauch, und auch dann nur im Sinne eines ›Vetorechts‹, d.h. er griff nicht in die Auswahl der Beamten ein, die ernannt werden sollten, sondern er begnügte sich damit, zu gewissen vorgeschlagenen Namen Bemerkungen zu machen. Diese Bemerkungen stützten sich auf Auskünfte, die der Militärbefehlshaber von seinen Kreis- oder Ortskommandanturen, von seinen verschiedenen Verwaltungs- und Wirtschaftsämtern in Paris und durch die Gestapo erhielt, die damals noch immer unter dem Befehl des Militärbefehlshabers standen. Nach dem 11. November 1942 änderte sich dieser Zustand infolge der Besetzung der freien Zone. In sämtlichen Fällen, die die Sicherheit der deutschen Armee berührten, verlangten die deutschen Militärbehörden in dieser Zone, bei der Ernennung von Beamten zu Rate gezogen zu werden.
Die Gestapo ihrerseits erwarb in beiden Zonen eine tatsächliche Unabhängigkeit gegenüber den militärischen Kreis- und Ortsbehörden und dem Militärbefehlshaber. Sie beanspruchte das Recht, bei jeder Ernennung eingreifen zu können, die in irgendeiner Weise die Interessen ihrer polizeilichen Aufgaben berühren könnte. Da ich vom November 1942 bis Dezember 1943 nach Deutschland zurückberufen war, war ich selbst nicht Zeuge der Streitigkeiten, die sich aus diesem Zustand ergaben und die in höchstem Grade die angebliche Souveränität der Vichy-Regierung kompromittierten.
Als ich nach Frankreich zurückkam, hatte sich die Situation sehr verschlimmert, da die Gestapo sowohl in der besetzten als auch in der freien Zone das Recht beanspruchte, die Ernennung von Präfekten von ihrer Zustimmung abhängig zu machen. Sie ging sogar so weit, daß sie die von der Französischen Regierung zu ernennenden Beamten selbst vorschlug. Mit meiner Unterstützung nahm der Militärbefehlshaber den Kampf gegen diese zu weit gehenden Forderungen wieder auf, und es gelang ihm, teilweise die Situation wiederherzustellen, die vor November 1942 bestand.«
Das Dokument, das ich soeben verlesen habe, stellt einen Übergang auf den vierten Punkt dar, den ich dem Gerichtshof unterbreiten möchte. Ich möchte hiermit das Gericht auf das Nebeneinander- und Miteinanderarbeiten der verschiedenen Stellen hinweisen, das auf eine Machtergreifung hinzielte, d.h. des Militärbefehlshabers, der Botschaft und der Polizei. Was die Polizei betrifft, werde ich im letzten Teil meiner Anklagerede noch ausführlicher darauf zurückkommen.
Zum Thema der Errichtung einer Deutschen Botschaft in Frankreich lege ich dem Gerichtshof Dokument RF-1061 vor. Diese Urkunde ist in mein Dokumentenbuch als die amtlich beglaubigte Übersetzung eines amtlich beglaubigten Dokuments aus den Akten Otto Abetz in Paris aufgenommen. Andererseits ist das Dokument auch in der amerikanischen Dokumentensammlung enthalten, in der es die Nummer PS-3614 trägt. Es ist jedoch dem Gerichtshof noch nicht vorgelegt worden.
Es handelt sich um die offizielle Ernennung von Abetz zum Botschafter. Ich möchte dieses Dokument RF-1061 verlesen. Ich zitiere:
»z. Zt. Fuschl, 3. August 1940. Auf die an das Oberkommando der Wehrmacht gerichtete, von diesem dem Auswärtigen Amt fernmündlich weitergegebene Anfrage des Generalquartiermeisters vom 23. Juli 1940.
Der Führer hat den bisherigen Gesandten Abetz zum Botschafter ernannt und auf meinen Vortrag folgendes verfügt:
I. Der Botschafter Abetz hat in Frankreich folgende Aufgaben:
1. Beratung der militärischen Stellen in politischen Fragen.
2. Ständiger Kontakt mit der Vichy-Regierung und ihren Beauftragten im besetzten Gebiet.
3. Einflußnahme auf die maßgebenden politischen Persönlichkeiten des besetzten und unbesetzten Gebietes in dem von uns gewünschten Sinne.
4. Politische Leitung von Presse, Rundfunk und Propaganda in dem besetzten, und Einflußnahme auf erfaßbare Instrumente der öffentlichen Meinungsbildung im unbesetzten Gebiet.
5. Betreuung der aus Internierungslagern zurückkehrenden reichsdeutschen, französischen und belgischen Staatsangehörigen.
6. Beratung der Geheimen Feldpolizei und Geheimen Staatspolizei bei der Beschlagnahme politisch wichtiger Dokumente.
7. Sicherstellung und Erfassung des öffentlichen Kunstbesitzes, ferner des privaten und vor allem jüdischen Kunstbesitzes, auf Grund besonderer hierzu erteilter Weisungen.
II. Der Führer hat hierbei ausdrücklich angeordnet, daß ausschließlich Botschafter Abetz für die Behandlung aller politischen Fragen im besetzten und unbesetzten Frankreich verantwortlich ist. Soweit durch seine Aufgabe militärische Interessen berührt werden sollten, wird Botschafter Abetz nur im Einvernehmen mit dem Militärbefehlshaber in Frankreich handeln.
III. Botschafter Abetz wird dem Militärbefehlshaber in Frankreich als mein Beauftragter zugeteilt. Sein Sitz bleibt, wie bisher, Paris. Die Weisung der Durchführung seiner Aufgaben erhält er von mir und ist mir ausschließlich hierfür verantwortlich.
Ich wäre dankbar, wenn das OKW mit möglichster Beschleunigung die erforderlichen Befehle an die beteiligten militärischen Stellen ergehen lassen würde. gez. Ribbentrop.«
Die Tatsache einer engen Zusammenarbeit zwischen der Militärverwaltung und der Verwaltung der Auswärtigen Angelegenheiten geht aus diesem Dokument hervor, einer Zusammenarbeit, die ich bereits mehrfach in diesem Prozeß als eines der entscheidenden Elemente für die Verantwortung bezeichnet habe und für die ich später Beispiele verbrecherischer Art geben werde.
Ich möchte jetzt dem Gerichtshof mitteilen, daß ich Dokument RF-1062 nicht vorlegen werde. Obgleich ich von dem Wert dieses Dokuments überzeugt bin, das sich auf amtlich beglaubigte französische Akten stützt, bin ich nicht im Besitz des deutschen Originaltextes. Unter diesen Umständen könnten durch die Übersetzung Schwierigkeiten entstehen, und es ist natürlich notwendig, daß jedes vorgelegte Dokument Garantien bietet, die über jede Diskussion erhaben sind.
Ich werde jetzt zu dem letzten Dokument übergehen, das ich hier als RF-1063 vorlege. Es handelt sich hier um eine Einzelheit, wenn man so sagen darf, des Themas »Zusammenarbeit der deutschen Stellen«, aber manchmal können Dokumente über Einzelheiten formeller Natur von gewissem Interesse sein. Es handelt sich um eine Notiz, die in den deutschen Archiven in Paris gefunden worden ist; sie ist datiert vom 5. November 1943 und enthält den Aktenplan der Deutschen Botschaft. Ich werde lediglich die ersten drei Zeilen dieser Notiz vorlesen.
»Die Akten sind in Anlehnung an die Gliederung der Militärverwaltung in Frankreich in 10 Hauptgruppen eingeteilt...«
Es folgt dann eine Aufstellung über die Methoden und Gruppen, nach denen die Akten sortiert werden.
Ich möchte lediglich darauf hinweisen, daß die Deutsche Botschaft, eine vom Auswärtigen Amt abhängige Zivilverwaltung, und der Militärbefehlshaber bei ihrer engen Zusammenarbeit soweit gingen, daß alle ihre Aktenvorgänge in übereinstimmender Weise geordnet waren.
Ich habe nunmehr mein zweites Kapitel beendet, das einer allgemeinen Untersuchung der Machtergreifung in den besetzten Gebieten gewidmet war. Ich möchte darauf hinweisen, daß die gesamten Akten, ebenso wie mein Vortrag vor dem Gerichtshof, mit Hilfe meines Assistenten M. Monneray, zusammengestellt worden sind.
Ich bitte den Gerichtshof jetzt, die Akten des dritten Kapitels vorzunehmen, in dem es sich um die geistige Germanisierung und die Propaganda handelt.
Als ich hier über die Zwangsarbeit und die wirtschaftlichen Plünderungen sprach, hatte ich gesagt, daß sich die Deutschen die zur Verfügung stehenden Arbeitskräfte, Waren und Rohmaterialien in den besetzten Gebieten angeeignet haben. Sie haben diese Länder ihrer Reserven beraubt. Nun, in der gleichen Art und Weise sind die Deutschen hinsichtlich intellektueller und moralischer Güter vorgegangen. Sie wollten sich die geistigen Reserven aneignen und sie ausschalten. Dieser Ausdruck, »Geistige Reserven«, der sehr bezeichnend ist, ist nicht von der Anklagevertretung, sondern von den Deutschen selbst geprägt worden. Ich zitiere dem Gerichtshof einen weiteren Auszug des Werkes, das unter RF-5 vorgelegt worden ist. Es handelt sich um ein Buch, das in Berlin veröffentlicht und von der Nazi-Partei herausgegeben wurde. Der Verfasser war Dr. Friedrich Didier. Dieses Werk enthält eine Einleitung des Angeklagten Sauckel. Der Titel lautet: »Europa arbeitet in Deutschland.«
In diesem Buche heißt ein Kapitel »Menschenführung und Betreuung«. Der Autor beschäftigt sich mit der geistigen Orientierung der Fremdarbeiter, die zu Millionen zwangsweise nach Deutschland gebracht worden waren.
Dieses Interesse an der geistigen Einstellung so wichtiger Elemente der Bevölkerung der besetzten Gebiete ist an sich bemerkenswert. Andererseits ist es ganz klar, daß diese Sorge sich auch auf sämtliche Bewohner der besetzten Gebiete erstreckt. Der Verfasser hat sich hier nur auf sein Thema beschränkt. Zur Einleitung meines Kapitels habe ich dieses Zitat gewählt, weil mir die deutschen Propagandaplanungen darin besonders glücklich formuliert zu sein scheinen.
Ich zitiere Seite 69 des vorgelegten Buches:
»Die Frage der Menschenführung liegt beim Ausländereinsatz nicht so einfach wie beim deutschen Arbeitskameraden. Im Ausländereinsatz kommt beispielsweise der Beseitigung seelischer Hemmungen eine weit höhere Bedeutung zu: der Ausländer muß sich an eine ihm fremde Arbeitsumgebung gewöhnen. Seine etwa vorhandenen weltanschaulichen Bedenken müssen ausgeräumt werden. Die Einstellung der Angehörigen früherer Feindstaaten ist ebenso wirksam zu Widerlegen wie die Auswirkung fremder Weltanschauungen.«
In den besetzten Gebieten versuchten die Deutschen, die geistigen Reserven zu vernichten und jedem Menschen seine Weltanschauung zu nehmen, um sie durch die notwendigen Anschauungen zu ersetzen. Das war der Zweck der Propaganda. Diese Propaganda wurde bereits in Deutschland verbreitet und weiterhin fortgesetzt. Aber wir sehen aus dem vorgeführten Beispiel, daß man sich darin auch mit der geistigen Einstellung des deutschen Arbeiters beschäftigt, obgleich man dieses Problem für einfacher hält.
Wenn man heute von der Nazi-Propaganda spricht, neigt man oft dazu, ihre Bedeutung zu unterschätzen. Dafür werden zwar Gründe angeführt, aber sie sind nicht stichhaltig.
Auf der einen Seite sind wir, wenn wir die Werke und die Themen der Propaganda betrachten, durch ihre Grobheit, ihren offensichtlich heuchlerischen Charakter und ihre geistige und künstlerische Armut betroffen.
Aber man darf nicht vergessen, daß die Nazi-Propaganda einerseits alle Mittel anwandte, die gröbsten, aber auch gleichzeitig verstecktere und oft geschickte Methoden. Andererseits sind es diese am dicksten aufgetragenen Behauptungen, die den größten Eindruck auf einfache Geister machen. Schließlich dürfen wir nicht vergessen, daß diese Schriften und Filme, die wir lächerlich finden, unsere hauptsächlichste und bald einzige geistige Nahrung dargestellt hätten, wenn die Deutschen den Krieg gewonnen hätten.
Es wird auch oft behauptet, daß die deutsche Propaganda nur sehr schwache Ergebnisse erzielt habe. In der Tat, ihre Ergebnisse sind sehr unbedeutend, besonders, wenn man die Reichweite der ihr zur Verfügung stehenden Mittel in Betracht zieht. Die unterdrückten Völker haben auf die deutschen Nachrichten und die Ermahnungen nicht gehört, sondern sie haben sich der Widerstandsbewegung angeschlossen. Man muß aber auch dabei berücksichtigen, daß der Krieg andauerte, daß der Rundfunk der frei gebliebenen Länder eine großartige Gegenpropaganda verbreitete, und daß schließlich die Deutschen nach einer gewissen Zeit militärische Rückschläge erlitten haben.
Wenn die Ereignisse anders verlaufen wären, hätte vielleicht die Propaganda im Laufe der Zeit bei den wichtigeren Elementen der Bevölkerung Billigung gefunden. Das wäre schlimmer gewesen als die Unterdrückung selbst. Es ist ein glücklicher Umstand, daß nur eine schwache Minderheit in den verschiedenen Ländern durch die Nazi-Propaganda verführt worden ist. Aber, so gering diese Minderheit auch gewesen sein mag, so ist sie doch für uns ein Anlaß zur Trauer und berechtigten Klage.
Die Schlagworte der Nazi-Propaganda erscheinen was weniger kindisch und weniger lächerlich, wenn wir an die wenigen Elenden denken, die davon beeinflußt wurden und sich einer Legion oder der Waffen- SS anschlossen, um gegen ihr eigenes Land und gegen die Menschheit zu kämpfen. Der Tod dieser Männer in diesem entehrenden Kampf oder nach ihrer Verurteilung hat ihr Verbrechen gesühnt. Aber für jeden dieser Toten und jedes dieser Verbrechen ist die Nazi-Propaganda verantwortlich!
Schließlich sind wir nicht sicher, ob wir heute die tatsächlichen Auswirkungen der Nazi-Propaganda genau kennen und den Schaden ermessen können, der uns angetan worden ist. Die Nationen zählen Ihre sichtbaren Wunden, aber die Propaganda ist ein Gift, das sich im geistigen Organismus ausbreitet und keine sichtbaren Spuren hinterläßt. Es gibt in der Welt noch Menschen, die infolge der Propaganda, der sie ausgesetzt waren, vielleicht ohne sich darüber klar zu sein, das Recht zu haben glauben, einen ihrer Mitmenschen zu verachten oder zu beseitigen, weil er Jude oder Kommunist ist. Solche Menschen sind zu Mitschuldigen und gleichzeitig zu Opfern des Nazismus geworden.
Einer meiner Kollegen hat ausgeführt, daß die körperliche Gesundheit der Bevölkerung in den besetzten Ländern gelitten habe; ihre moralische Gesundheit scheint widerstandsfähiger zu sein, aber sie bedarf noch auf einige Zeit einer sorgfältigen Beobachtung.
Die Französische Anklagebehörde ist daher der Ansicht, daß diesem Kapitel über die geistige Germanisierung und die Propaganda ein Platz in der Anklagerede zusteht. Die Propaganda ist ein verbrecherisches Vorhaben an sich; ein Verbrechen wider den Geist, wie Herr de Menthon es bezeichnete. Aber in der Gesamtheit der Nazi-Verbrechen stellt sie gleichzeitig ein Mittel dar und einen erschwerenden Umstand, da sie deren Erfolg vorbereitete und aufrechterhalten sollte.
Die Deutschen selbst haben sie, wie aus zahlreichen Zitaten hervorgeht, als eine der zuverlässigsten Waffen des totalen Krieges betrachtet. Insbesondere aber diente sie als Mittel der Germanisierung, die wir jetzt behandeln. Ich muß hinzufügen, daß die deutsche Propaganda sich ständig und Jahre hindurch in Gebieten von beträchtlichem Ausmaß weiterentwickelt hat. Sie ist in derart mannigfaltigen Formen aufgetreten, daß wir – besonders im Hinblick auf die Verantwortung gewisser Personen und Organisationen – nur einige Grundzüge feststellen und charakteristische Dokumente zitieren können.
Mit dem im Jahre 1933 geschaffenen Ministerium für Volksaufklärung und Propaganda hat das Reich bereits seit geraumer Zeit eine amtliche Propaganda organisiert. Goebbels war der Leiter dieses Ministeriums, in dem der Angeklagte Fritzsche bedeutende Aufgaben hatte. Aber dieser Minister und sein Amt waren nicht die einzig Verantwortlichen für Propagandatragen.
Wir werden zeigen, daß der Minister und das Ministerium des Äußern in gleichem Maße verantwortlich waren. Wir werden ebenfalls zeigen, daß die Partei aktiv an der Propaganda beteiligt war. Endlich möchte ich schon hier erwähnen, daß die Militärbefehlshaber in den besetzten Gebieten Propagandaorgane eingerichtet haben, die eine sehr starke Aktivität entwickelten. Diese Feststellung gehört an sich zu dem Material, aus dem hervorgeht, daß die deutschen Militärbefehlshaber Aufgaben durchgeführt haben, die normalerweise nicht als militärisch angesehen werden.
Die Beschuldigung einer gemeinsamen Verantwortung wird in erster Linie durch die abnorme Erweiterung des Tätigkeitsbereiches der Militärbefehlshaber und des Oberkommandos der Wehrmacht gerechtfertigt, abgesehen von Verbrechen, die im Bereich ihrer direkten Zuständigkeit begangen wurden.
Immer weist die deutsche Propaganda zwei sich ergänzende Merkmale auf: ein negatives und ein positives. Bei der negativen, in gewissem Maße zerstörerischen Seite handelt es sich darum, gewisse Freiheiten, gewisse früher vorhandene geistige Möglichkeiten zu unterdrücken oder zu beschränken. In positiver Hinsicht handelt es sich darum, Dokumente und Propagandainstrumente hervorzubringen und die Propaganda sichtbar, hörbar und in eindringlicher Weise zu verbreiten. Es wurde von maßgeblicher Seite behauptet, daß es zwei verschiedene Stimmen gebe, die Stimme, die die Wahrheit unterschlägt, und die Stimme, die die Lüge verbreitet. Diesen Dualismus einer Propaganda, die sowohl eine restriktive als auch konstruktive Politik anwendet, gibt es auf allen Gebieten des Gedankenausdruckes.
Im ersten Teile meiner Ausführungen werde ich die Bestimmungen erwähnen, die die Deutschen für Versammlungen und Vereinigungen erlassen haben. Die deutschen Behörden haben immer Maßnahmen ergriffen, um die Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit in den besetzten Gebieten zu unterdrücken. Das betrifft zu gleicher Zeit das Problem der politischen Rechte und das der Gedankenfreiheit: Auf Grund einer Verordnung vom 21. August 1940, die im amtlichen deutschen Verordnungsblatt am 16. September 1940 veröffentlicht wurde, war in Frankreich jede Vereinigung oder Versammlung ohne Erlaubnis der deutschen Militärverwaltung untersagt. Man darf nicht glauben, daß die Deutschen ihre Macht nur Vereinigungen und Verbänden gegenüber ausübten, die ihnen feindlich gesinnt waren oder politischen Charakter hatten. Sie wollten die Verbreitung eines jeden geistigen oder sittlichen Einflusses verhindern, den sie nicht unmittelbar beaufsichtigten. In diesem Zusammenhang lege ich dem Gerichtshof als ein einfaches Beispiel Dokument RF-1101 vor, ein Schreiben des Militärbefehlshabers in Frankreich vom 13. Dezember 1941 an den Generalbevollmächtigten der Französischen Regierung.
Es handelt sich hier um Jugendvereine. Selbst wenn es sich um Vereine oder Gruppen öffentlichen Rechts handelte, gaben die Deutschen ihre Zustimmung nur unter der Bedingung, daß sie nicht nur eine Kontrolle über diese Formationen, sondern auch einen wirklichen Einfluß durch sie ausüben könnten.
Ich werde den ersten Absatz dieser Urkunde RF-1101 verlesen:
»Das Secrétariat Général de la Jeunesse hat in einem Schreiben vom 11. November 1941 seine Absicht mitgeteilt, im besetzten Gebiet sogenannte Centres sociaux de la Jeunesse einzurichten, die der staatspolitischen Erziehung der Jugend und ihrer Betreuung im Hinblick auf ihre sittliche Gefährdung dienen sollen.
Die Eröffnung der Centres sociaux de la Jeunesse bedarf, ebenso wie die Einrichtung von Jugendlagern, der Genehmigung durch den Militärbefehlshaber in Frankreich.
Bevor zu dem Plane der Errichtung von Centres sociaux de la Jeunesse endgültig Stellung genommen werden kann, erscheint es erforderlich, daß noch nähere Angaben darüber gemacht werden, wer Träger der Centres in den einzelnen Gemeinden sein soll, unter welchen Gesichtspunkten die besonders wichtige Auswahl der Leiter dieser social-centres getroffen wird, welche Kreise der Jugend besonders erfaßt werden sollen, und welche Pläne im einzelnen für die Unterrichtung und Erziehung der Jugendlichen vorgesehen sind.«
Ich werde jetzt Dokument RF-1102 vorlegen. Dieses ist eine Note, eine Niederschrift...
VORSITZENDER: Herr Faure, können Sie mir sagen, wieviel Zeit Sie für das Thema Propaganda noch benötigen werden?
M. FAURE: Ungefähr zwei Stunden, zweieinhalb Stunden.
VORSITZENDER: Wie lautet Ihr Programm, nachdem Sie das Thema Propaganda beendet haben werden?
M. FAURE: Herr Vorsitzender! Wie ich zu Beginn meiner Anklagerede angegeben habe, besteht mein Vortrag aus 4 Teilen.
Das Propagandakapitel ist das dritte Kapitel.
Das vierte Kapitel betrifft die verwaltungsmäßige Organisation der verbrecherischen Handlungen. Es entspricht mehr dem zweiten Teile des vierten Punktes der Anklageschrift, der sich mit den Verfolgungen befaßt; ein ziemlich großer Teil bezieht sich auf die Verfolgung der Juden in den besetzten Westgebieten.
Nach diesem Kapitel werde ich meine Anklagerede beendet haben. Wünscht der Gerichtshof außerdem, daß ich den weiteren Inhalt des französischen Programms angebe?
VORSITZENDER: Ja, wir möchten das gern wissen.
M. FAURE: Folgendes ist vorgesehen:
Herr Mounier wird sich mit dem Teile der Akten beschäftigen, der eine Untersuchung und Zusammenfassung der individuellen Beschuldigungen der Anklage darstellt.
Außerdem wird Herr Gerthoffer kurz über Plünderung von Kunstschätzen sprechen. Diese Frage ist bisher noch nicht behandelt worden und gehört in den Rahmen dieses Vortrags.
VORSITZENDER: Dann werden wir jetzt vertagen.
M. FAURE: Herr Vorsitzender! Ich möchte fragen, ob der Gerichtshof damit einverstanden ist, wenn ich morgen im Verlaufe meines Vortrags über Propaganda einige Lichtbilder zeige, die dieses Kapitel veranschaulichen.
VORSITZENDER: Ja, bitte.
RA. BABEL: Hoher Gerichtshof! Der Sinn und Zweck einer der Fragen, die ich an den Zeugen gerichtet habe, scheint mißverstanden worden zu sein. Ich wollte in keiner Weise das Verhalten der Widerstandsbewegung, das, wie mir bewußt ist, der patriotischen Liebe entsprang, verurteilen oder gar verächtlich machen. Ich wollte damit lediglich nachweisen, daß Taten, die den deutschen Truppen zur Last gelegt werden, in vielen Fällen durch das Verhalten der Zivilbevölkerung veranlaßt worden sind, und daß gegen das Völkerrecht verstoßende Handlungen gegen Deutsche nicht in gleicher Weise beurteilt werden, wie Verfehlungen, die Angehörigen der Deutschen Wehrmacht zur Last gelegt werden. Ich bin der Ansicht, daß diese Frage im Rahmen der Anklage gegen die Organisationen...
VORSITZENDER: Verzeihen Sie, Herr Babel, Sie haben Ihr Kreuzverhör bereits abgeschlossen und der Gerichtshof wünscht nicht...
RA. BABEL: Herr Vorsitzender! Ich habe aber geglaubt, durch diese Erklärung dem Gerichtshof zu dienen.
VORSITZENDER: Wir brauchen keinerlei Klarstellungen. Wir verstehen vollkommen, was Sie mit Ihrem Kreuzverhör sagen wollten und werden Sie in aller Ausführlichkeit anhören, wenn Sie sich zur geeigneten Zeit äußern.
RA. BABEL: Ich machte es nur, da ich dachte, daß Sie uns...
VORSITZENDER: Der Gerichtshof hat den Zweck des Kreuzverhöre begriffen. Wir können fortgesetzte Unterbrechungen nicht dulden. Wir haben etwa 20 Angeklagte und etwa 20 Verteidiger und, wenn diese alle ständig aufstehen würden wie Sie, und Einspruch erheben, so würden wir diesen Prozeß niemals zu Ende führen können.