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[Dem Vorsitzenden wird ein Dokument überreicht.]

M. MOUNIER: Das ist es, Herr Vorsitzender.

VORSITZENDER: Trägt das Affidavit eine L-Nummer?

M. MOUNIER: Herr Vorsitzender, ich möchte hier bemerken, daß Nummer L-170 mit der auf dem »Dokumentenbuch Major Alexander« erwähnten Nummer identisch ist. Das Dokument betrifft die Experimente von Dr. Rascher. Es ist dieselbe Nummer.

VORSITZENDER: Da dieses Dokument bereits als Beweismittel innerhalb der Reihe »L«-L-170, glaube ich, vorgelegt worden ist, wird der Gerichtshof es im Augenblick als vorgelegt betrachten und seine Zulässigkeit später noch einmal untersuchen.

M. MOUNIER: Ich möchte jedenfalls den Vorsitzenden daran erinnern, daß ich den Teil hier zitiere, der in dem den Verteidigern mitgeteilten Schriftsatz enthalten ist und den ich für wichtig halte. Dieser Auszug wird völlig zitiert.

VORSITZENDER: Auf welche Teile wollen Sie sich beziehen?

M. MOUNIER: Auf Seite 20 bis 21.

VORSITZENDER: Wollen Sie es lesen?

M. MOUNIER: Das überlasse ich der Entscheidung des Gerichtshofs. Wenn der Gerichtshof die Verlesung als überflüssig ansieht, werde ich mich begnügen, darauf hinzuweisen, daß in diesem Dokument vor allem die Art und Weise interessant ist, auf die Herr Dr. Hallervorden die Lieferung von Gehirnen, die er zu untersuchen beabsichtigte, anordnete. Er sagte:

»Ich hörte, daß die Männer im Begriffe waren, dies auszuführen, nämlich, in verschiedenen Instituten Menschen mit Kohlenmonoxyd zu töten.« Dies erklärte Dr. Hallervorden dem amerikanischen Untersuchungsrichter, Major Alexander. »Ich ging zu ihnen und sagte: Hört mal zu, meine Freunde, wenn ihr schon all diese Leute umbringt, hebt zumindest die Gehirne auf, damit man sie verwerten kann. Sie fragten mich darauf: ›Wieviele können Sie untersuchen?‹ – ›Eine unbegrenzte Zahl, je mehr desto besser,‹ antwortete ich. Ich gab ihnen Klammern, Gefäße, Büchsen und die benötigten Anweisungen zur Fixierung der Gehirne usw.«

Ich möchte den Gerichtshof auf die wirklich unerhörte Grausamkeit diesen Leuten gegenüber aufmerksam machen, die lediglich deswegen getötet werden sollten, damit man ihre Gehirne untersuchen konnte. Hallervorden sagte aus:

»Sie wurden in den verschiedenen Gebäuden ausgesucht, und zwar auf ganz einfache und schnelle Art und Weise. In der Mehrzahl dieser Institute reichte die Anzahl der Ärzte nicht aus. Infolgedessen überließen sie die Auswahl der Patienten, die getötet werden sollten- weil sie entweder zu viel zu tun hatten, oder weil sie einfach uninteressiert waren –, den Wärtern und Wärterinnen. Wer immer müde erschien, oder vom Standpunkt der Wärter ein ›Fall‹ war, kam auf die Liste und wurde in die Todeszentrale gebracht. Das ärgste an der Sache waren die vom Personal verübten Mißhandlungen. Es wählte diejenigen aus, die es nicht leiden konnte und setzte sie auf die Liste.«

Ich sollte meine Ausführungen hier beenden, Herr Vorsitzender, aber was ich nachfolgend tun möchte, wenn der Gerichtshof nicht Dr. Stahmer hören...

VORSITZENDER: Jawohl, wir möchten jetzt hören, was Herr Dr. Stahmer zu sagen hat.

DR. STAHMER: Ich habe der Verwertung dieses Protokolls zu widersprechen, denn ich kann keinerlei Verbindung herstellen zwischen diesem Vorgang und dem Angeklagten Göring. Der Angeklagte Göring ist mit diesen Vorgängen völlig unbekannt, und es ist auch nicht ersichtlich, was er mit diesen Dingen zu tun hat. Das ist bisher auch meines Erachtens von der Anklagebehörde nicht klargestellt...

VORSITZENDER: Es tut mir leid, Sie zu unterbrechen, Herr Dr. Stahmer. Sie werden reichlich Gelegenheit haben, uns zu beweisen, daß das gegen Göring angeführte Beweismaterial den Angeklagten nicht betrifft. Sie werden dazu zu gegebener Zeit Gelegenheit haben. Was uns gegenwärtig beschäftigt ist eine technische Frage, und zwar, ob dieses Dokument überhaupt zugelassen werden kann. Es ist dies noch nicht der gegebene Augenblick für Sie zu beweisen, daß das Dokument sich nicht auf Göring bezieht, und daß Göring nichts davon wußte. Das können Sie in Ihrer Verteidigung tun. Das ist also kein Einspruch gegen die Zulässigkeit des Dokuments. Die Erklärung, daß Göring nichts vom Dokument und den Experimenten wußte, stellt ein Argument dar. Haben Sie mich verstanden?

DR. STAHMER: Jawohl.

M. MOUNIER: Herr Vorsitzender, ich wollte nur bei der Darstellung......

VORSITZENDER: Ja, Herr Mounier, fahren Sie fort!

M. MOUNIER: Herr Vorsitzender, ich erlaube mir, Ihnen mitzuteilen, daß mein Freund Elwyn Jones mir soeben sagt, daß das Dokument unter den gegebenen Umständen, unter denen es eingereicht worden ist, als Beweismittel bereits angenommen wurde. Es handelt sich um ein Dokument mit dem Titel »Neuropathologie und Neurophysiologie einschließlich Elektro-Encephalographie, im kriegführenden Deutschland«. Diese Referenzen befinden sich übrigens in der englischen Abschrift, die ich die Ehre gehabt habe, Ihnen im kleinen Dokumentenbuch vorzulegen. Ich wollte mit der Verlesung dieses Auszuges sagen, Herr Vorsitzender.......

VORSITZENDER: Es wäre vielleicht besser, wenn der Gerichtshof das Original im Augenblick behält.

M. MOUNIER: Ich wollte durch dieses kurze Zitat zeigen, wie grausam das Verfahren war, dem die Menschen ausgesetzt wurden, um das für die sogenannten Versuche nötige Material zu gewinnen. Dies betrifft nach der Anklage Hermann Göring. Denn diese Versuche wurden, wie der Gerichtshof feststellen wird, zwecks Erlangung wissenschaftlicher oder pseudo-wissenschaftlicher Erfahrungen über die Auswirkungen aller etwa möglichen Unfälle auf das Gehirn von Fliegern durchgeführt. Diese Versuche stehen mit denen von Dr. Rascher in Verbindung, über die ein Briefwechsel vorhanden ist, der dem Angeklagten Göring bekannt sein mußte, da ihn die Luftwaffe, deren Oberbefehlshaber er war, unmittelbar anging.

Als Beispiel zitiere ich einen Brief vom 24. Oktober 1942, den Himmler an Dr. Rascher gerichtet hat und den ich dem Gerichtshof als RF-1409 vorlege. Um Zeit zu sparen, werde ich diesen Brief nicht verlesen; ich werde mich lediglich auf ein anderes bereits verlesenes Dokument beziehen. Es ist dies Dokument 343-PS, das bereits von der Amerikanischen Delegation am 20. Dezember 1945 als US-463 vorgelegt worden ist. Es handelt sich um ein Schreiben, welches beweist, daß Feldmarschall Milch schon am 20. Mai 1942 von dem Angeklagten Göring beauftragt worden war, der SS seinen besonderen Dank für die Hilfe, die sie der Luftwaffe auf dem Gebiete der pseudo-medizinischen Experimente geleistet hatte, auszusprechen. Wir sind daher der Ansicht, daß die Verantwortung des Angeklagten Göring einwandfrei feststeht.

Herr Vorsitzender! Ich habe also damit die Punkte, die den Angeklagten Göring betreffen und auf die ich die Aufmerksamkeit des Gerichtshofs lenken wollte, behandelt und abgeschlossen. Meine Ausführungen über den Angeklagten Göring enthalten eine Schlußfolgerung, die ich mit Erlaubnis des Gerichtshofs nicht verlesen werde. Es ist ein Auszug aus einem alten und zumindest in Deutschland sehr bekannten Buche aus dem Jahre 1669, dem »Simplizius Simplizissimus« von Grimmelshausen. In diesem Werk erzählen verschiedene Personen ihre Träume. Diese Träume scheint unglücklicherweise die nationalsozialistische Regierung verwirklicht zu haben.

Ich gehe nunmehr zu dem Angeklagten Seyß-Inquart über, dessen Fall vor allem unsere Freunde in den Niederlanden interessiert, deren Sache hier von Frankreich vertreten wird:

Herr Vorsitzender, meine Herren! Die Französische Anklagevertretung wird also so kurz wie möglich die einzelnen gegen Seyß-Inquart vorliegenden Beschuldigungen sowohl im Namen der Regierung der Niederlande als auch in ihrem eigenen Namen vorbringen.

Die Stellung Seyß-Inquarts, die Rolle, die er beim Anschluß Österreichs spielte, wurde im Verlaufe der Verhandlungen gründlich untersucht. Seine Tätigkeit in Holland jedoch verdient heute besonders hervorgehoben zu werden.

Am 13. Mai 1940 verließ die Holländische Regierung die Niederlande, um sich in ein befreundetes und verbündetes Land zu begeben, wo ihre Anwesenheit ein Beweis für ihren festen Willen war, in keiner Weise ihre Souveränitätsrechte aufzugeben.

Am 29. Mai 1940 wurde der Angeklagte Seyß-Inquart, der den Rang eines Reichsministers ohne Portefeuille innehatte, zum Reichskommissar für die besetzten Niederlande ernannt. Von diesem Tage an, also bis zur Kapitulation der Deutschen Wehrmacht, muß der Angeklagte Seyß-Inquart kraft seines Amtes für alle Handlungen der sogenannten deutschen Zivilverwaltung als verantwortlich betrachtet werden.

Aus den von ihm gehaltenen Reden geht tatsächlich klar hervor, daß er nicht nur mit rein verwaltungsmäßigen Vollmachten betraut war, sondern auch politische Machtbefugnisse hatte. Er wird also umsonst zu behaupten versuchen, wie er es übrigens in dem Verhör durch meinen Freund, Herrn Thomas Dodd, bereits getan hat, daß er in den Niederlanden nur ein Beamter war, der den Auftrag hatte, unter die Befehle ein Siegel zu setzen, und daß er vorher in Österreich praktisch nichts anderes als ein Telegraphist gewesen ist.

Diese Verhöre stammen vom 18. September 1945, Seite 20 und 22. Ich gehe nicht weiter darauf ein. Ich wollte diese Verhöre nicht vorlegen, um die Zeit des Gerichtshofs nicht zu sehr in Anspruch zu nehmen; wir hätten nämlich alle diese Vernehmungen beim Kreuzverhör verlesen müssen; alle diese Schriftstücke werden dem Gerichtshof zur Unterrichtung zur Verfügung bleiben.

VORSITZENDER: Herr Mounier, ist das Verhör eingereicht worden?

M. MOUNIER: Nein, Herr Vorsitzender; ich weiß sehr wohl, daß Sie dieses Dokument laut den Statuten nicht als Beweis annehmen können, da nach der Vorschrift...

VORSITZENDER: Es kann eingereicht werden, wenn es den Verfahrensvorschriften entspricht.

M. MOUNIER: Herr Vorsitzender, meine Absicht ist folgende: Ich möchte...

VORSITZENDER: Herr Mounier, ich glaube, daß Sie mich falsch verstehen. Nach dem Statut haben die Anklagevertreter das Recht, die Angeklagten zu verhören, und hier handelt es sich um das Verhör eines der Angeklagten. Wenn die Anklagebehörde will, kann sie ihr Verhör als Beweismaterial vorlegen. Sie kann jedoch auch davon Abstand nehmen. In einem solchen Fall ist das Verhör kein Beweismittel. Es braucht dem Angeklagten nicht vorgehalten zu werden, bis es Beweismittel geworden ist.

M. MOUNIER: Ja, Herr Vorsitzender, ich will mich nicht auf diese Vernehmung des Angeklagten beziehen. Ich wollte nur sagen, daß ich hoffe, daß wir während des Kreuzverhörs dem genannten Angeklagten seine eigenen Aussagen entgegenhalten können.

Mit Erlaubnis des Gerichtshofs möchte ich zunächst auf die terroristische Tätigkeit des Angeklagten Seyß-Inquart eingehen. Sie kommt in folgenden Maßnahmen zum Ausdruck:

Zunächst in einem ganzen System von Kollektivgeldstrafen.

Im März 1941 richtete er ein System von Kollektivgeldstrafen für die holländischen Städte ein, in denen angebliche Widerstandselemente tätig waren. So wurde Amsterdam mit einer Geldstrafe von 2500000 Gulden belegt.

Ferner führte der Angeklagte Seyß-Inquart das Geiselsystem ein. Am 18. Mai 1942 erließ er einen Aufruf, in dem er von der Verhaftung von 450 Personen in wichtigen Stellungen sprach, die lediglich verdächtig waren, mit der Widerstandsbewegung in Verbindung zu stehen.

Tatsächlich hat der Angeklagte Seyß-Inquart gegenüber Oberst Thomas Dodd eingestanden...... Ich unterbreche, Herr Vorsitzender; ich habe diese Verhöre nicht eingereicht. Ich übergehe diesen Auszug. Ich möchte nur allgemein darauf hinweisen und bitte den Gerichtshof, dies nicht als Verstoß gegen das Statut zu betrachten, daß Seyß-Inquart sich auch hier im Schatten des Reichskanzlers, des Führers Hitler, zu verbergen versuchte.

Durch einen Erlaß vom 7. Juli 1942 ordnete der Angeklagte an, daß die deutschen Gerichte, deren Richter von ihm selbst ernannt wurden, nicht nur für alle Rechtsfälle zuständig sein sollten, die deutsche Staatsangehörige in Holland betrafen, sondern auch für Staatsangehörige, die im Verdacht standen, dem Reiche, der Nazi-Partei oder deutschen Bürgern feindlich gesinnt zu sein.

Zu gleicher Zeit übrigens führte der Angeklagte Seyß-Inquart die Todesstrafe für diejenigen ein, welche die ihnen von der Wehrmacht oder der Sicherheitspolizei übertragenen Sicherheitsmaßnahmen nicht ordnungsgemäß durchführten, oder es unterließen, die deutschen Kommandostellen über Verbrechen, die gegen die Besatzungsmacht geplant waren und von denen sie Kenntnis hatten, zu benachrichtigen.

VORSITZENDER: Herr Mounier, Sie haben einen Aufruf vom 18. Mai 1942 zitiert, ohne uns jedoch die Nummer anzugeben.

M. MOUNIER: Herr Präsident, ich muß darauf hinweisen, daß ich mich ganz allgemein auf den amtlichen Bericht der Niederländischen Regierung, RF-1429, beziehe. Die Regierung hat einen Bericht vorgelegt...

VORSITZENDER: Steht das in diesem Bericht?

M. MOUNIER: Ja, Herr Vorsitzender.

VORSITZENDER: Trifft das auch beim Dokument vom 7. Juli 1942 zu, von dem Sie gesprochen haben?

M. MOUNIER: Jawohl, Herr Vorsitzender.

Der Angeklagte Seyß-Inquart hat ferner den SS- Obergruppenführer Rauter zum Generalkommissar für das Sicherheitswesen ernannt. Letzterer ist für die Morde an Tausenden von Holländern verantwortlich, die mit passiver Zustimmung Seyß-Inquarts hingerichtet worden sind, da Rauters Ernennung stets aufrechterhalten und nie rückgängig gemacht wurde.

Andererseits wirft die Holländische Regierung dem Angeklagten Seyß-Inquart vor, eine ganze Reihe von Sondergerichten geschaffen zu haben.

Im Mai 1943 schuf er die Polizei-Schnellgerichte. Durch eine Verordnung Hitlers wurden sogar die holländischen Kriegsgefangenen, die kurz nach Beendigung der Feindseligkeiten entlassen worden waren, wieder interniert. Daraufhin machte sich in den holländischen Betrieben ein Starker Widerstand bemerkbar. Diese neuen Schnellgerichte verurteilten mehrere holländische Bürger, die daraufhin hingerichtet wurden. Übrigens hat Seyß-Inquart im Verlaufe einer Versammlung von holländischen Verrätern mit diesen terroristischen Maßnahmen geprahlt und die Verantwortung dafür für sich in Anspruch genommen.

Seyß-Inquart war in Holland der höchste Vertreter Hitlers. Zusammen mit Sauckel muß er deshalb für die Massendeportierungen von Arbeitern aus Holland nach dem Reich während der Jahre 1940 bis 1945 verantwortlich gemacht werden. Wenngleich die deutschen Militärbehörden bei der Erfassung von Arbeitskräften in Holland auch ihrerseits mitwirkten, so waren die Beamten Sauckels nichtsdestoweniger der Befehlsgewalt des Reichskommissars Seyß-Inquart unterstellt; dieser muß daher für ihre Handlungen die Verantwortung tragen. Der Angeklagte Seyß-Inquart unterzeichnete die Verordnung des Reichskommissars Nr. 26/1942, die im amtlichen holländischen Bericht wiedergegeben ist. Darin wird die Zwangsverschickung von niederländischen Arbeitskräften nach Deutschland angeordnet. Wer für Deutschland nicht arbeiten wollte, bekam kein Essen. Die Besatzungsmacht führte sogar Riesenrazzien in den Straßen von Rotterdam und Den Haag durch, um Arbeitskräfte für Befestigungsarbeiten der Wehrmacht zu beschaffen.

Unter dem Reichskommissariat des Angeklagten Seyß-Inquart wurde die holländische Wirtschaft, ebenso wie die aller übrigen besetzten Länder, ausgeplündert. Während des Winters 1941 zu 1942 wurden auf Befehl Seyß-Inquarts Wollsachen für das deutsche Heer an der Ostfront beschlagnahmt. Im Jahre 1943 fand eine Beschlagnahme von Textilien und Gebrauchsgegenständen zugunsten der ausgebombten deutschen Bevölkerung statt. Durch eine von der Besatzungsmacht mit »Aktion Böhm« bezeichnete Maßnahme wurden die Holländer gezwungen, Wein und verschiedene Gegenstände zu verkaufen, die als Geschenke für die deutsche Bevölkerung zum Weihnachtsfeste 1943 Verwendung finden sollten.

Auf dem Gebiet des schwarzen Marktes derselbe Eingriff: zur Durchführung des Vierjahresplans leistete Seyß-Inquart den Angeklagten Göring und Speer bei der Plünderung der holländischen Wirtschaft wirksame Hilfe. Man kann sagen, daß auf diese Weise ein riesiger schwarzer Markt ins Leben gerufen und aufrechterhalten wurde.

Der Vierjahresplan bediente sich für seine sogenannten Erwerbungen besonderer Aufkäufer. Wenn jedoch holländischerseits eingegriffen werden sollte, so wurde dies durch die Deutsche Polizei verhindert.

Im Jahre 1940 erließ der Angeklagte Seyß-Inquart eine Verordnung, die den deutschen Behörden in Holland gestattete, das Eigentum aller Personen zu beschlagnahmen, die einer gegen das Reich gerichteten Tätigkeit bezichtigt werden konnten. Der Besitz der königlichen Familie wurde auf Befehl des Angeklagten Seyß-Inquart durch den Generalkommissar für das Sicherheitswesen beschlagnahmt. Die Besatzungstruppen konnten alles an sich nehmen, was ihnen nützlich schien. Diese Plünderung kam in besonders grausamer Weise in der mißbräuchlichen Beschlagnahme der notwendigsten Lebensmittel zum Ausdruck.

Dies wird auch in dem amtlichen Bericht der Holländischen Regierung erwähnt, der vom Wirtschaftsreferenten der Französischen Anklagebehörde als RF-139 und RF-140 bereits vorgelegt wurde. Daraus geht hervor, daß schon zu Beginn der Besetzung Lebensmittellager und landwirtschaftliche Produkte mit Einverständnis Seyß-Inquarts systematisch beschlagnahmt und nach Deutschland gebracht wurden. Als 1944, nach der Befreiung Süd-Hollands, im Norden ein Streik ausbrach, verbot Seyß-Inquart zwecks Brechung des Streiks jeden Lebensmitteltransport vom Nordosten nach dem Westen. Auf diese Weise war es unmöglich, im Westen Lebensmittellager für den Winter einzurichten. Aus diesen Gründen ist er für die Hungersnot, die im Winter 1944/1945 herrschte, und die den Tod von 25000 Menschen zur Folge hatte, verantwortlich.

Die Plünderung der Kunstgegenstände ging auf die gleiche Weise vor sich. Der Angeklagte Seyß-Inquart muß für den organisierten Raub von Kunstwerken in Holland verantwortlich gemacht werden, da er seinen Freund, Dr. Mühlmann, der Fachmann auf diesem Gebiet war, hierfür in seinen Stab berufen hat.

In diesem Zusammenhang beziehe ich mich auf die Dokumente, die vom Wirtschaftsreferenten der Französischen Anklagebehörde als RF-1342, RF-1343 und RF-1344 vorgelegt wurden.

Schließlich hat der Angeklagte Seyß-Inquart eine ganze Reihe von Maßnahmen ergriffen, die eine Verletzung internationaler Gesetze darstellten und den Niederlanden großen Schaden zufügten. Im Jahre 1941 hatten die holländischen Behörden eine Devisenkontrolle eingeführt, die einen Überblick über die mit deutschem Geld getätigten Erwerbungen von Waren, öffentliche Anleihen und so weiter gestatten sollte, und zwar mit dem Ziele, die völlige Beraubung der holländischen Wirtschaft hinsichtlich ihrer Reichtümer an Waren und Devisen zu verhindern.

Am 31. März 1941 hob der Angeklagte Seyß-Inquart die Devisengrenze zwischen dem Reiche und dem holländischen Gebiet auf. Damit öffnete er den Weg für alle Mißbräuche, die von der Besatzungsmacht auf dem Gebiete des Geldwesens verübt wurden. Hinzu kamen noch die unannehmbaren Forderungen der Deutschen bezüglich der Besatzungskosten (500000000 Reichsmark am 24. März 1941).

Ferner wurde die Grenzkontrolle zwischen Holland und Deutschland auf Befehl Görings aufgehoben, um die Plünderung der holländischen Wirtschaft zu beschleunigen. Als das Kriegsglück sich wendete, besonders nach dem 1. September 1944, begannen die systematischen Zerstörungen. Die Ziele, die die Deutschen in den Niederlanden verfolgten, waren:

1. Zerstörung oder Außerbetriebsetzung der Fabriken, Werften, Docks, Hafeneinrichtungen, Bergwerke, Brücken, Eisenbahneinrichtungen.

2. Überschwemmung der Westgebiete Hollands.

3. Aneignung von Rohmaterial, halbfertigen Erzeugnissen, Fertigwaren und Maschinen, teils durch Requirierung, teils gegen Bezahlung und häufig durch bewaffneten Diebstahl.

4. Zwangsweise Hinterlegung von Wertgegenständen, Diamanten und so weiter und deren ungesetzliche Aneignung.

Die Folge aller dieser Maßnahmen, für die der Angeklagte Seyß-Inquart ganz oder teilweise verantwortlich ist, war, daß die Niederlande in unsagbares und unverdientes Elend gestürzt wurden.

Herr Vorsitzender! Ich habe nunmehr den Fall Seyß-Inquart beendet.

VORSITZENDER: Herr Mounier! Wieviel Zeit werden Sie voraussichtlich heute Nachmittag beanspruchen? Wie ich erfahre, soll anschließend der Fall Heß behandelt werden; es ist wichtig, daß dieser noch heute beendet wird, damit dem Sowjetischen Hauptanklagevertreter ein ganzer Tag für seinen Eröffnungsvortrag zur Verfügung steht.

M. MOUNIER: Herr Vorsitzender. Sowohl gestern als auch heute habe ich mich sehr bemüht, den vom Gerichtshof geäußerten Wünschen Rechnung zu tragen. Ich verstehe sehr wohl, daß Sie bemüht sind, den Prozeß soweit wie möglich abzukürzen. Deshalb habe ich heute Morgen meine Ausführungen sehr kurz gehalten. Deshalb auch erkläre ich im Namen der Französischen Anklagebehörde, daß ich darauf verzichte, den Fall der anderen Angeklagten, wie beabsichtigt, vorzutragen. Jedoch bitte ich den Gerichtshof ergebenst, die von uns eingereichten Schriftstücke zu berücksichtigen, mit Ausnahme der Fälle. Keitel und Jodl, zu denen mein Kollege und Freund, Herr Quatre, zu Beginn der Nachmittagssitzung einige Erläuterungen geben wird; er wird sich so kurz wie möglich fassen. Damit wird die Britische Delegation die zwei Stunden zur Verfügung haben, die sie für den Vortrag des Falles Heß benötigt.

Mit Genehmigung des Gerichtshofs wird also Herr Quatre um 14.00 Uhr für eine Stunde das Wort ergreifen und es dann der Britischen Delegation überlassen.

VORSITZENDER: Herr Mounier! Ich wollte an Sie noch eine Frage richten, und zwar bezüglich der Dokumente, die sich auch gegen die anderen Angeklagten, also nicht nur gegen Keitel und Jodl, richten. Wurden diese den betreffenden Angeklagten übergeben?

M. MOUNIER: Jawohl, Herr Vorsitzender, dies ist geschehen.

VORSITZENDER: Wir unterbrechen die Sitzung nunmehr.