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VORSITZENDER: Der Gerichtshof hat die Frage der Einreichung von Originaldokumenten erwogen und wünscht, daß folgendes Verfahren beobachtet wird:

Erstens wünscht der Gerichtshof, daß Originaldokumente beim Generalsekretär des Gerichtshofs hinterlegt werden, wo immer das möglich ist. Zweitens, wo es nicht möglich ist, Originaldokumente zu hinterlegen oder wo dies mit größten Schwierigkeiten verbunden wäre, wird der Gerichtshof Photokopien von Originaldokumenten zulassen unter der Voraussetzung, daß eine Bestätigung der Photokopie darüber beigelegt wird, daß es eine getreue Kopie der Originaldokumente ist, daß das Original ein authentisches Dokument ist, und daß die Quelle des Originaldokuments und der derzeitige Verwahrungsort angegeben wird. Drittens wird der Gerichtshof einstweilen Photokopien zulassen gegen Zusicherung der Parteivertreter, eine Bestätigung, wie ich soeben angegeben habe, sobald wie möglich beizubringen. Ist das klar, Oberst Pokrowsky?

OBERST POKROWSKY: Ich möchte den Gerichtshof bitten, mir eine Sache zu erklären: Ist es so zu verstehen, daß der Gerichtshof nur eine frühere Entscheidung und Übung bestätigt, die bei den von unseren britischen und amerikanischen Kollegen vorgelegten Beweismitteln festgelegt worden ist, oder führt der Gerichtshof etwas Neues ein? Ich frage deshalb, weil die Photokopie eines Dokuments, das ungefähr ebenso war wie das, durch das diese Verzögerung in meinem Vortrag entstanden ist, von diesem Gerichtshof unter den Nummern US-95 oder 2788-PS angenommen worden ist; deshalb verstehe ich nicht, ob es sich hier um eine neue Entscheidung handelt oder um die Bestätigung einer alten.

VORSITZENDER: Ich glaube, was Sie soeben vorbrachten, ist richtig, daß dieses besondere Dokument keinerlei Bestätigung darüber aufweist, daß es eine getreue Abschrift ist. Der Gerichtshof erwartet, daß die Vereinigten Staaten eine solche Bestätigung über die Richtigkeit der Abschrift und über die Authentizität des Originaldokuments vorlegen und die Quelle sowie den gegenwärtigen Aufbewahrungsort des Originaldokuments angeben werden.

OBERST POKROWSKY: Ich bitte um Entschuldigung, aber ich glaube, die Frage, die ich gerne präzisieren möchte, und die für jede Anklagevertretung von großem Interesse ist, ist folgende: Muß ich und mit mir alle Anklagevertreter die Entscheidung des Gerichtshofs so verstehen, daß wir ergänzendes Beweismaterial zu allen Photokopien hinzufügen sollen, auch zu denen, die schon früher vom Gerichtshof angenommen wurden, oder betrifft das nur die Dokumente, welche die Sowjetdelegation in der Zukunft vorlegen wird?

VORSITZENDER: Sicher. Wenn eine Urkunde in Form einer Photokopie angenommen und keine Bestätigung darüber beigebracht wurde, daß es die richtige Abschrift eines authentischen Dokuments ist, so muß eine solche Bestätigung beigebracht werden. Wir wünschen, daß die Bestätigung sich auch darauf beziehen soll, daß es sich um ein authentisches Dokument handelt und den gegenwärtigen Verwahrungsort angibt. Und das gilt in gleicher Weise für alle Hauptanklagevertreter.

OBERST POKROWSKY: Jetzt verstehe ich, daß der Gerichtshof seine bisherige Übung beibehält, daß wir nämlich fernerhin Photokopien vorlegen dürfen; aber wir müssen die Beglaubigung noch hinzufügen und, wenn es möglich ist, müssen wir die Originaldokumente vorlegen. Ich glaube, ich habe richtig verstanden.

VORSITZENDER: Ja, wir wünschen, wenn möglich, Originaldokumente. Wenn es nicht möglich oder sehr schwierig ist, dann werden wir Photokopien zulassen. Inzwischen, und zu Ihrer Erleichterung werden wir, da dieser Verfahrensvorgang vielleicht bisher noch nicht genügend festgelegt war, Photokopien ohne Bestätigung gegen Ihre Zusicherung zulassen, später eine solche Bescheinigung vorzulegen. Ist dies nun klar?

OBERST POKROWSKY: Sicher; es wird also die bisherige Übung beibehalten. Ich erlaube mir, Ihre Aufmerksamkeit auf den Absatz zu lenken, bei dem mein Bericht durch dieses Mißverständnis unterbrochen wurde. Es sind die drei letzten Zeilen auf Seite 196 des vor Ihnen liegenden Dokumentenbuches:

»Das Ziel der von der Sudetendeutschen Partei mit der Tschechoslowakischen Regierung zu führenden Verhandlungen wäre letzten Endes das, durch den Umfang und die schrittweise Präzisierung der zu stellenden Forderungen den Eintritt in die Regierung zu vermeiden. Bei den Verhandlungen müsse klar herausgestellt werden, daß allein die Sudetendeutsche Partei Verhandlungspartner der Tschechoslowakischen Regierung wäre, nicht die Reichsregierung....«

Hier lasse ich einige Zeilen aus und gehe zu Seite 199 Ihres Dokumentenbuches über:

»... Für die weitere Zusammenarbeit wurde Konrad Henlein auf einen möglichst engen Kontakt mit dem Herrn Reichsminister und mit dem Leiter der Volksdeutschen Mittelstelle, sowie dem Deutschen Gesandten in Prag als dem dortigen Vertreter des Herrn Reichsaußenministers verwiesen. Die Aufgabe des Deutschen Gesandten in Prag würde darin bestehen, nicht offiziell, sondern in mehr privat gehaltenen Gesprächen mit den tschechoslowakischen Staatsmännern die Forderungen der Sudetendeutschen Partei als vernünftig zu unterstützen, ohne auf den Umfang der Forderungen der Partei unmittelbaren Einfluß zu nehmen.

Abschließend wurde die Frage der Zweckmäßigkeit eines Zusammengehens der Sudetendeutschen Partei mit den übrigen Minderheiten in der Tschechoslowakei, insbesondere den Slowaken, erörtert. Der Herr Reichsminister entschied dahin, daß man der Partei die Freiheit lassen müßte, mit den anderen Minderheitengruppen, deren paralleles Vorgehen zweckmäßig erscheinen könnte, lose Fühlung zu halten. Berlin, am 29. März 1938.«

Eine beigelegte Anwesenheitsliste über die Konferenz am 29. März 1938, 12.00 Uhr mittags, werden Sie, Herr Vorsitzender und meine Herren Richter, auf Seite 200, Band 1, Teil 1 des Dokumentenbuches finden, und zwar ist der Teil, den ich zitieren will, mit Rotstift unterstrichen.

»Anwesend: Herr Reichsminister von Ribbentrop, Staatssekretär von Mackensen, Herr Ministerialdirektor Weizsäcker, Herr Gesandter Eisenlohr in Prag, der Gesandte Stiebe, Legationsrat von Twardovsky, Legationsrat Altenburg, Legationsrat Kordt (vom Auswärtigen Amt), SS-Obergruppenführer Lorenz, Professor Haushof er (Volksdeutsche Mittelstelle), Konrad Henlein, Karl Hermann Frank, Dr. Künzel, Dr. Kreisel (Sudetendeutsche Partei).«

Es ist nicht schwer, die richtigen Schlüsse über die wahren Absichten der Nazi-Verschwörer gegen die Tschechoslowakei zu ziehen. Wenn man in Betracht zieht, daß wir unter den an dieser Besprechung Anwesenden folgende Personen finden: den Angeklagten Ribbentrop, zwei Botschafter, zwei Vertreter der sogenannten »Volksdeutschen Mittelstelle«, einschließlich eines SS-Obergruppenführers, den zukünftigen Staatssekretär des Böhmisch-Mährischen Protektorats, Karl Hermann Frank, und den Führer der sogenannten Sudetendeutschen Partei, Konrad Henlein, einen bezahlten hitlerischen Agenten und Provokateur.

Deutsche diplomatische Vertretungen leiteten die Zweigstellen der Nazi-Partei im Ausland. Zu diesem Zweck erhielt der Leiter der AO, Gauleiter Bohle, den Rang eines Staatssekretärs im Auswärtigen Amte.

Am 3. Juni 1938 wurden zwei Dokumente durch den SS-Angehörigen Lorenz, einem Teilnehmer an der soeben behandelten Konferenz, verfaßt. Ich werde beide verlesen. Das erste Dokument bezieht sich auf ein Interview mit Ward Price, das beweist, daß Henlein unter der unmittelbaren Kontrolle der SS handelte und der SS Rechenschaft über seine Tätigkeit geben mußte. Diese Urkunde enthält die unmittelbare Drohung, eine durchgreifende Operation zur Lösung der sogenannten sudetendeutschen Frage vorzunehmen. Ich verlese diese kurze Urkunde im ganzen und lege sie dem Gerichtshof unter der Nummer USSR-270 vor. Das zitierte Dokument befindet sich auf Seite 202 des ersten Bandes, Teil I des Dokumentenbuches:

»Henlein ist von SS-Obergruppenführer Lorenz wegen des in der Auslandspresse erschienenen Interviews mit Ward Price zur Rede gestellt worden. Henlein gab ungefähr folgende Erklärungen ab:

Ward Price sei bei der Beerdigung der Erschossenen von Eger zugegen gewesen. Er habe dort an den Mitarbeiter Henleins, Sebekovsky, die Bitte gerichtet, er wolle mit Henlein sprechen. Henlein waren die Interviews Ward Prices mit dem Führer bekannt. Er habe sich mit Ward Price beim Tee zusammengesetzt und mit ihm gesprochen. Ein Interview habe er ihm nicht gegeben. Während der Unterredung habe man sich über die sudetendeutsche und tschechische Frage in der Form unterhalten, daß man von einer Blinddarmkrankheit gesprochen habe. In dem Zusammenhang habe Henlein gesagt, man könne doch nicht in regelmäßigen Abständen immer Blinddarmreizungen ertragen, das beste wäre natürlich eine radikale Blinddarmoperation.

Nachdem Ward Price seine Veröffentlichungen gemacht habe, hätte bei Henlein die Absicht bestanden, Ward Price zu desavouieren. In dem Moment sei jedoch über die Gesandtschaft in Prag eine Anweisung des Außenministers gekommen, Henlein möge sich mit Ward Price gütlich einigen, da W. P. das Vertrauen des Führers besäße; er könne nun nicht von Sudetendeutschen irgendwie angegriffen werden. Daraufhin habe sich Henlein erneut mit W. P. zusammengesetzt und einen Rückzieher gemacht, in dem er die ›Schuld auf die Mitglieder der S.d.P. übernommen habe‹. Aus diesem Grunde habe er auch W. P. einen Brief geschrieben, so daß die Angelegenheit damit erledigt sei. – Lorenz.«

Die zweite Urkunde auf Seite 203 wird dem Gerichtshof von uns als USSR-268 vorgelegt und zeigt, daß Henlein auf Grund unmittelbarer Weisungen der SS und des Leiters der hitlerischen Verschwörung nur zum Zwecke einer Provokation mit der Tschechoslowakischen Regierung über die Lösung der sudetendeutschen Frage verhandelte. Diese Verhandlungen wurden von den Führern der faschistischen Verschwörung, die die Weisung für Henleins weitere Schritte gaben, genau verfolgt.

Ich will jetzt aus diesem Dokument zitieren:

»Bei der Besprechung zwischen SS-Obergruppenführer Lorenz und Henlein stellte Henlein folgende Frage:

Wie soll ich mich verhalten, wenn die Tschechen unter dem ausländischen Druck plötzlich meine sämtlichen Forderungen erfüllen und als Gegenforderungen stellen: Eintritt in die Regierung?‹ Es sei klar, daß diese Frage nicht sofort akut würde, daß man sich mit Verhandlungen noch sehr lange plagen müsse. Immerhin bitte er zu seiner Orientierung für den Fall, daß er nicht mehr mit Deutschland in Verbindung treten könne, um Weisungen, wie er sich dieser Frage gegenüber verhalten solle.

Er selbst schlage folgendes vor: Wenn die Tschechen alles geben, antworte ich ›Ja‹ mit der Forderung, daß die Außenpolitik der Tschechei geändert würde. Das würden die Tschechen nie zugeben.

Es ist Henlein versprochen worden, diese Frage beim Außenminister zu klären. – Lorenz.«

Ein sehr kurzer Auszug aus einem als »geheime Reichssache« bezeichneten Dokument...

VORSITZENDER: Ist es jetzt nicht vielleicht Zeit für die Vertagung? Es ist jetzt schon ein Viertel nach Fünf.