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[Das Gericht vertagt sich bis 14.00 Uhr.]

Nachmittagssitzung.

GENERALMAJOR ZORYA: Herr Präsident, gemäß dem Antrag der sowjetischen Delegation bitte ich nunmehr um die Erlaubnis, den Feldmarschall der früheren deutschen Armee, Friedrich Paulus, zum Verhör in den Saal führen zu lassen. Der Hauptanklagevertreter der USSR, General Rudenko, wird das Verhör leiten.

VORSITZENDER: Gut, führen Sie den Zeugen jetzt vor!

[Der Zeuge betritt den Zeugenstand.]

Wollen Sie bitte Ihren Namen nennen?

ZEUGE FRIEDRICH PAULUS: Friedrich Paulus.

VORSITZENDER: Sprechen Sie mir diesen Eid nach: Ich schwöre bei Gott dem Allmächtigen und Allwissenden, daß ich die reine Wahrheit sagen, nichts verschweigen und nichts hinzusetzen werde.

[Der Zeuge spricht die Eidesformel nach.]

VORSITZENDER: Bitte setzen Sie sich!

GENERAL RUDENKO: Ihr Name ist Friedrich Paulus?

PAULUS: Ja.

GENERAL RUDENKO: Sie sind im Jahre 1898 geboren?

PAULUS: 1890.

GENERAL RUDENKO: Sie sind im Dorf Breitenau, Bezirk Kassel in Deutschland geboren?

PAULUS: Jawohl.

GENERAL RUDENKO: Sind Sie deutscher Staatsangehörigkeit?

PAULUS: Jawohl.

GENERAL RUDENKO: Sie sind Generalfeldmarschall der früheren deutschen Armee?

PAULUS: Jawohl.

GENERAL RUDENKO: Zuletzt waren Sie Oberbefehlshaber der 6. Armee vor Stalingrad?

PAULUS: Jawohl.

GENERAL RUDENKO: Sagen Sie, Herr Zeuge, haben Sie am 8. Januar 1946 an die USSR eine Erklärung, abgegeben?

PAULUS: Jawohl, die habe ich gegeben.

GENERAL RUDENKO: Sie bestätigen diese Erklärung?

PAULUS: Ich bestätige sie.

GENERAL RUDENKO: Sagen Sie, Herr Zeuge, was wissen Sie über die Vorbereitungen der Hitler-Regierung und des deutschen Oberkommandos für einen bewaffneten Überfall auf die Sowjetunion?

PAULUS: Aus persönlichem Erleben kann ich hierzu Folgendes berichten: Am 3. September 1940 trat ich meinen Dienst beim Oberkommando des Heeres als Oberquartiermeister I des Generalstabes an. Als solcher hatte ich den Chef des Generalstabes zu vertreten, und im übrigen die Aufträge allgemein operativer Art, die er mir zuwies, zu erledigen. Bei meinem Dienstantritt fand ich in meinem Arbeitsbereich unter anderem eine noch unfertige operative Ausarbeitung vor, die einen Angriff auf die Sowjetunion behandelte. Diese operative Arbeit war ausgeführt worden von dem damaligen Generalmajor Marx, Chef des Generalstabes der 18. Armee, der zu diesem Zweck vorübergehend zum Oberkommando des Heeres kommandiert gewesen war.

Der Generalstabschef des Heeres, Generaloberst Halder, wies mir die Weiterführung dieser auf Grund der Weisungen des Oberkommandos der Wehrmacht auszuführenden Arbeit zu, und zwar auf folgender Grundlage:

Es sollte eine Prüfung der Angriffsmöglichkeiten gegen Sowjetrußland vorgenommen werden, und zwar hinsichtlich des Geländes, des Kräfteansatzes, des Kräftebedarfs und so weiter. Es war dazu noch angegeben, daß etwa 130 bis 140 deutsche Divisionen im ganzen für diese Operation zur Verfügung stehen würden. Es war ferner von Anfang an die Ausnutzung des rumänischen Gebiets für den Aufmarsch des deutschen Südflügels mit in Rechnung zu stellen. Am Nordflügel war eine Beteiligung Finnlands am Kriege in Rechnung gezogen, blieb aber für operative Ausarbeitung des Heeres außer Betracht. Es waren dann ferner noch als Grundlage für die vorzunehmenden Arbeiten angegeben als Absicht des OKW die Ziele der Operation:

1. Vernichten der in Westrußland stehenden Teile der russischen Wehrmacht; verhindern, daß kampfkräftige Teile in die Tiefe des russischen Raumes entkommen.

2. Erreichen einer Linie, aus der die russische Luftwaffe nicht mehr wirksam Reichsgebiet angreifen konnte, und als Endziel war gegeben das Erreichen der Linie Wolga-Archangelsk.

Die Ausarbeitung, die ich eben gekennzeichnet habe, fand Anfang November ihren Abschluß durch zwei Kriegsspiele, mit deren Leitung der Generalstabschef des Heeres mich beauftragte. Es waren hierbei eingeteilt die älteren Generalstabsoffiziere im Oberkommando des Heeres. Als Grundlage für diese Kriegsspiele war als Kräfteansatz angenommen worden, südlich des Pripjet-Gebietes der Ansatz einer Heeresgruppe, und zwar aus dem südlichen Polen und aus dem rumänischen Gebiet mit dem Ziel: Erreichen des Dnjepr, Kiew und südlich. Nördlich des Pripjet- Gebietes eine Heeresgruppe, die stärkste, aus dem Raume um Warschau und nördlich, mit der allgemeinen Stoßrichtung auf Minsk-Smolensk, mit der Absicht, sie später auf Moskau anzusetzen und ferner eine weitere Heeresgruppe, die Heeresgruppe Nord, aus dem ostpreußischen Raum, Ansatzrichtung durch die baltischen Länder auf Leningrad. Die Schlußfolgerung, die damals aus diesen Kriegsspielen gezogen wurde, war, daß man für den Ernstfall disponieren solle, zunächst einmal bis zum Erreichen einer allgemeinen Linie Dnjepr-Smolensk-Leningrad, und daß man dann die Fortführung der Operationen der Entwicklung der Lage, den sich herausstellenden Versorgungs- und Nachschubverhältnissen und so weiter anzupassen habe. Es fand im Anschluß an diese Kriegsspiele und unter Auswertung der dabei gewonnenen theoretischen Erfahrungen noch eine Besprechung und Aussprache statt durch den Generalstabschef des Heeres mit den Generalstabschefs der Heeresgruppen, die für den Osten vorgesehen waren. Im Anschluß an diese Aussprache erfolgte noch durch den damaligen Chef der Abteilung Fremde Heere Ost, dem Oberst Kienzl, ein Vortrag über Rußland, die geographischen und wirtschaftlichen Verhältnisse, Angaben über die Rote Armee und so weiter, wobei bemerkenswert war, daß irgendwelche Vorbereitungen für einen Angriff von seiten Sowjetrußlands nicht bekannt geworden waren.

Mit diesen Kriegsspielen und Besprechungen, die ich eben zitiert habe, fanden die theoretischen, gedanklichen Überlegungen und Planungen für diesen Offensivplan ihren Abschluß. Unmittelbar darauf, beziehungsweise in dieser Zeit, am 18. Dezember 1940, gab das Oberkommando der Wehrmacht die Weisung Nummer 21 heraus. Dies war die Grundlage für alle militärischen und wirtschaftlichen Vorbereitungen, die gemäß dieser Weisung zu treffen waren. Beim Heere, beim Oberkommando des Heeres, wirkte sich die Verfügung dahin aus, daß nunmehr daran gegangen wurde, die Aufmarschanweisungen für die Truppen für den Aufmarsch zu dieser Operation zu entwerfen und auszuarbeiten. Diese ersten Aufmarschanweisungen wurden am 3. Februar '41, nach einem Vortrag des Oberbefehlshabers des Heeres auf Obersalzberg durch Hitler genehmigt. Sie gingen daraufhin an die Truppe heraus. Es folgten in der Folgezeit noch mehrere Ergänzungen. Für den Angriffsbeginn hatte das Oberkommando der Wehrmacht die Zeit berechnet, die es ermöglichen würde, auf dem russischen Territorium größere Truppenbewegungen durchzuführen; das wurde von Mitte Mai ab erwartet. Dementsprechend waren die Vorbereitungen abgestellt. Dieser Termin erfuhr eine Änderung, als Hitler sich Ende März entschlossen hatte, auf Grund der Entwicklung der Lage in Jugoslawien dieses Land anzugreifen. Es wurde infolgedessen durch die Befehle von Anfang April 1941 dieser Termin für den voraussichtlichen Beginn der Operation um etwa fünf Wochen, das heißt...

VORSITZENDER: Sprechen Sie bitte etwas langsamer! Ich glaube, Sie fangen am besten dort noch einmal an, wo Sie sagten, daß Hitler Ende März sich entschlossen hatte, eine Änderung durchzuführen.

PAULUS: Infolge seines Entschlusses, Jugoslawien anzugreifen, mußte der voraussichtliche Termin für den Angriffsbeginn um etwa fünf Wochen verschoben werden, das heißt auf die zweite Junihälfte. Tatsächlich ist dieser Angriff ja dann auch in der zweiten Junihälfte, am 22. 6. 41, angetreten worden.

Abschließend stelle ich fest, daß die Vorbereitung zu diesem Überfall auf die Sowjetunion, der am 22.6.41 realisiert wurde, bereits im Herbst 1940 lief.

GENERAL RUDENKO: Auf welche Weise und unter welchen Umständen wurde...

VORSITZENDER: Einen Augenblick! Hat der Zeuge das Datum angegeben? Er sagte, daß die Vorbereitungen für diesen Angriff getroffen wurden; was ich jedoch wissen mochte ist, ob der Zeuge das Datum angegeben hat, wann mit den Vorbereitungen begonnen wurde.