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[Zum Zeugen gewandt]:

Haben Sie den Zeitpunkt angegeben, an dem man begann, diese Vorbereitungen zu treffen?

PAULUS: Ich habe es zu Anfang gesagt; meine persönliche Beobachtung ging auf meinen Dienstantritt am 3. September 1940 zurück.

GENERAL RUDENKO: Auf welche Weise und unter welchen Umständen wurde die Beteiligung der Satelliten gewährleistet?

PAULUS: Aus eigener Beobachtung kann ich dazu folgendes berichten: Etwa im September 1940, gerade in der Zeit, in der ich diese operative Ausarbeitung für den Angriff auf die Sowjetunion bekommen hatte, bei dem von Anfang an die Ausnutzung des rumänischen Gebiets für den Aufmarsch des deutschen rechten, also Südflügels, in Rechnung gestellt wurde, wurde eine Militärmission unter der Führung des damaligen Generals der Kavallerie Hansen nach Rumänien entsandt. Es wurde als Lehrtruppe eine ganze Panzerdivision, die 13. Panzerdivision, nach Rumänien verlegt. Es war für die in die Zukunftsplanungen. Eingeweihten klar, daß diese Maßnahme nur dem Ziele dienen konnte, den zukünftigen Kriegspartner für die ihm zugedachten Aufgaben bereit zu machen.

Ferner bezüglich Ungarns: Im Dezember 1940 kam zum Oberkommando des Heeres nach Zossen in das Hauptquartier der Chef der operativen Gruppe des ungarischen Generalstabes, Oberst László. Er erbat eine Beratung in Organisationsfragen. Das ungarische Heer befaßte sich damals gerade mit der Frage der Umbildung seiner in Brigaden gegliederten Verbände in Divisionen und ferner mit der Aufstellung von motorisierten Truppen unter Panzerverbänden. Der Chef der Organisationsabteilung im Generalstabe des Heeres, der damalige Generalmajor Buhle und ich, wir berieten den Oberst László. Zu der gleichen Zeit wie dies erfolgte, waren mehrere ungarische Militärkommissionen in Berlin anwesend, dabei auch der ungarische Kriegsminister, General Bartha, die mit deutschen Stellen bezüglich Kriegsrüstungslieferungen verhandelten.

Es war uns allen, die wir in die Zukunftsplanungen eingeweiht waren, klar, daß alle diese Maßnahmen, auch die Abgabe der Waffen an andere Armeen, in der damaligen Lage nur denkbar war, wenn diese Waffen auch bei den zukünftigen kriegerischen Vorhaben zu einer Ausnutzung für uns kamen.

Bezüglich Ungarn einen weiteren Punkt: Infolge der Entwicklung der Lage in Jugoslawien hatte sich Hitler Ende März 1941 entschlossen, Jugoslawien anzugreifen. Ich wurde am 27. oder 28. März in Berlin in die Reichskanzlei befohlen, wo gerade eine Besprechung stattgefunden hatte zwischen Hitler, Keitel und Jodl, und an der der Oberbefehlshaber des Heeres und der Generalstabschef des Heeres teilnahmen, beziehungsweise dazu befohlen war.

Bei meinem Eintreffen orientierte mich der Generalstabschef des Heeres, General Halder, dahin, daß Hitler sich entschlossen habe, Jugoslawien anzugreifen, und zwar einmal, um eine Flankenbedrohung für die beabsichtigte Operation gegen Griechenland auszuschalten, die von Belgrad über Nisch nach Süden führende Bahnlinie in die Hand zu bekommen und dann aber auch, um für die Zukunft, für den Fall »Barbarossa«, von Anfang an die rechte Schulter frei zu haben.

Ich wurde beauftragt, unter Mitnahme einer Anzahl entsprechender zuständiger Generalstabsoffiziere des Heeres nach Wien zu fahren, an deutsche Befehlsstellen entsprechende Befehle zu übermitteln und zu erläutern, und dann vor allem sofort weiter zu fahren nach Budapest zum ungarischen Generalstab, um mit ihm den Aufmarsch der deutschen Truppen auf ungarischem Territorium und die Beteiligung der ungarischen Truppen an dem Angriff gegen Jugoslawien zu vereinbaren.

Ich traf am 30. März früh in Budapest ein und führte die Verhandlung mit dem Generalstabschef des ungarischen Generalstabes, General der Infanterie Werth, ferner mit dem Chef der operativen Gruppe des ungarischen Generalstabes, dem Oberst László. Die Besprechungen verliefen reibungslos und sehr schnell und führten schnell zu dem gewünschten Ergebnis. Dieses Ergebnis wurde in Karten niedergelegt. Die mir vom ungarischen Generalstab überreichte Karte enthielt nicht nur den Aufmarsch der gegen Jugoslawien vorgesehenen Angriffstruppen, sondern auch eine Kräftegruppe an der karpatho-ukrainischen Grenze, die dort vorgesehen war als Rückendeckung gegen die Sowjetunion.

Die Tatsache des Vorhandenseins und der Aufstellung dieser Kräftegruppe ist ein Zeichen, daß auch ungarischerseits die Auffassung bestand, daß ein Angriff an deutscher Seite gegen Jugoslawien als ein aggressiver Akt von der Sowjetunion ausgelegt werden mußte.

Was nun das Prinzipielle der Einbeziehung Ungarns in die Vorbereitung und später bei der Durchführung der beabsichtigten Operationen betrifft, so ist mir damals die Auffassung Hitlers bekanntgeworden, die dahin ging: Er hatte die Auffassung, daß Ungarn bestrebt wäre, mit deutscher Hilfe die 1918 verlorenen Gebiete wieder zu erringen und zu erweitern, und außerdem, daß es befürchten würde, gegenüber einem mit Deutschland kriegsverbündeten Rumänien in das Hintertreffen zu geraten.

In diesem Gesichtspunkt sah Hitler Ungarn auch in der Linie seiner Politik; aber er war, wie ich das selber an mehreren Beispielen beobachten konnte, Ungarn gegenüber sehr zurückhaltend, und das hatte zwei Gründe: Einmal glaubte er die Geheimhaltung über zukünftige kriegerische Vorhaben bei Ungarn nicht gewährleistet wegen seiner engen Beziehungen zum deutschlandfeindlichen Ausland und zweitens, weil er Ungarn nicht früh, vorzeitig territoriale Versprechungen machen wollte. Ich kann dafür ein Beispiel anführen; das ist die Frage des Ölgebietes von Dragowitsch. Später, bei Eröffnung des Angriffs gegen Sowjetrußland erhielt die dort kämpf ende deutsche 12. Armee von der obersten Führung auch den ausdrücklichen Befehl, unter allen Umständen das Ölgebiet von Dragowitsch vor dem Eintreffen der Ungarn in die Hand zu nehmen.

Bezüglich dieses zukünftigen Partners war nach meiner Beobachtung das Verfahren Hitlers so, daß er zwar mit seiner sicheren Beteiligung rechnete und ihm deshalb auch die Rüstung lieferte und an der Ausbildung half; daß er sich aber den Zeitpunkt, wann er diesen Verbündeten in seine Pläne einschaltete, vorbehielt.

Drittens, die finnische Frage:

Im Dezember 1940 erfolgte ein erster Besuch des finnischen Generalstabschefs, Generalleutnant Heinrichs, im Hauptquartier des Oberkommandos des Heeres in Zossen. Generalleutnant Heinrichs hatte eine Besprechung mit dem Generalstabschef des Heeres, deren Inhalt mir nicht mehr erinnerlich ist. Er hielt aber einen Vortrag über den finnisch-russischen Krieg 1939/1940 vor den Generalstabsoffizieren des Oberkommandos des Heeres und den damals gerade im Anschluß an die Kriegsspiel-Besprechung anwesenden Generalstabschefs der Heeresgruppen.

Dieser Vortrag vor den Generalstabsoffizieren hatte seine große Bedeutung damals in dem Umstand, daß er in dieselbe Zeit fiel, in der gerade die Weisung Nummer 21 vom 18. Dezember herauskam. Dieser Vortrag hatte seine Bedeutung, indem er Kriegserfahrungen aus dem Kampfe mit der Roten Armee vermittelte und im übrigen auch einen Einblick gab und ein Werturteil über den Wert der finnischen Truppen, als zukünftiger möglicher Kriegspartner.

Einen zweiten Besuch des finnischen Generalstabschefs habe ich in Zossen im Oberkommando des Heeres etwa in der zweiten Maihälfte 1941 erlebt. Der finnische Generalstabschef kam damals aus Salzburg, wo er Besprechungen gehabt hatte beim Oberkommando der Wehrmacht. Der Gegenstand seiner Besprechung im Anschluß daran in Zossen beim Generalstab des Heeres war das Zusammenwirken der finnischen Südkräfte bei einer »Operation Barbarossa«, Zusammenwirken mit der Heeresgruppe Nord, die aus dem Aufmarschraum Ostpreußen in Richtung Leningrad vorzugehen hatte. Es wurde damals die Vereinbarung dahin getroffen, daß das Antreten der finnischen Südkräfte sich nach Maßgabe des Vorwärtskommens der deutschen Heeresgruppe Nord richten sollte, und daß ebenso dann das spätere gemeinsame Vorgehen gegen Leningrad von besonderen Verständigungen und Abmachungen, die sich aus der Entwicklung der Lage noch ergaben, abhängig gemacht werden sollte.

Das sind die persönlichen Beobachtungen, die ich über das erste Inerscheinungtreten und das Einbeziehen der Verbündeten in die Vorbereitungen der Aggression beobachtet habe.

GENERAL RUDENKO: Unter welchen Umständen wurde der bewaffnete Überfall auf die USSR durchgeführt, der von der Hitler-Regierung und von dem deutschen OKW vorbereitet wurde?

PAULUS: Der Angriff auf die Sowjetunion erfolgte, wie ich ausgeführt habe, nach einem von langer Hand vorbereiteten und sorgsam getarnten Plan. Die Angriffstruppen waren zunächst in der Tiefe des Aufmarschraumes aufgestellt. Sie wurden erst auf besondere Weisungen abschnittsweise in die Ausgangsstellungen vorbefohlen und traten dann auf der ganzen langen Front von Rumänien bis Ostpreußen, ausgeschlossen hiervon blieb der finnische Kriegsschauplatz, zu gleicher Zeit zum Angriff an.

So, wie der operative Plan im Großen, wie ich eingangs ausgeführt habe, gewissermaßen gedanklich ausprobiert worden war, so wurde auch der Einsatz der Truppen im einzelnen in den Stäben der Heeresgruppen, Armeen, Korps, Divisionen in Kriegsspielen durchgesprochen und dementsprechend in Befehlen bis in die Einzelheiten schon längere Zeit vor Kriegsbeginn festgelegt.

Ein großes Täuschungsunternehmen, das von Norwegen und von der französischen Küste aus organisiert wurde, sollte die Absicht einer Landung in England im Juni 1941 vortäuschen und damit die Aufmerksamkeit von dem Osten ablenken. Aber nicht nur für die operative, sondern auch für die taktische Überraschung waren alle Maßnahmen getroffen; zum Beispiel das Verbot der sichtbaren Aufklärung an und über der Grenze vor Kriegsbeginn. Das bedeutete einerseits, daß man mögliche Verluste, die entstehen konnten, durch Verzicht auf die Aufklärung in Kauf nahm im Interesse der Überraschung; es bedeutete andererseits aber auch, daß man eine Überraschung über die Grenze herüber durch den Gegner nicht befürchtete.

Alle diese Maßnahmen zeigen, daß es sich hier um einen verbrecherischen Überfall handelte.

GENERAL RUDENKO: Wie würden Sie die Ziele bezeichnen, die Deutschland mit dem Überfall auf die Sowjetunion verfolgte?

PAULUS: Die Zielsetzung, Wolga-Archangelsk, die weit über die deutsche Kraft ging, charakterisiert an sich schon die Maßlosigkeit der Eroberungspolitik Hitlers und der nationalsozialistischen Staatsführung. Strategisch hätte das Erreichen dieser Ziele die Zerschlagung der Streitkräfte der Sowjetunion bedeutet. Mit dem Gewinnen dieser genannten Linie wären erobert und unterworfen worden die Hauptgebiete Sowjetrußlands mit der Hauptstadt Moskau und damit der politischen und wirtschaftlichen Führungszentrale. Wirtschaftlich hätte das Gewinnen der genannten Linie die Inbesitznahme der wichtigsten Ernährungsgebiete, der wichtigsten Bodenschätze, einschließlich der Ölquellen des Kaukasus und der wichtigsten Produktionsstätten Rußlands und ferner des Hauptverkehrsnetzes des europäischen Rußland bedeutet.

Wie sehr es Hitler auf die Gewinnung wirtschaftlicher Ziele in diesem Krieg ankam, dafür kann ich ein Beispiel, das ich persönlich miterlebt habe, anführen. Am 1. Juni 1942, gelegentlich einer Oberbefehlshaber-Besprechung im Bereich der Heeresgruppe Süd in Poltawa, erklärte Hitler:

»Wenn ich das Öl von Maikop und Grozny nicht bekomme, dann muß ich diesen Krieg liquidieren.«

Es waren für die Ausnutzung und für die Verwaltung der zu erobernden Gebiete die Wirtschafts- und Verwaltungs-Organisationen schon längst vor Kriegsbeginn gebildet und bereitgestellt worden. Zusammenfassend möchte ich sagen:

Die gesamte Zielsetzung bedeutete die Eroberung zwecks Kolonisierung der russischen Gebiete, unter deren Ausnutzung und Ausbeutung und mit deren Hilfsmitteln der Krieg im Westen zu Ende geführt werden sollte, mit dem Ziele der endgültigen Aufrichtung der Herrschaft über Europa.

GENERAL RUDENKO: Die letzte Frage: Wen halten Sie für schuldig an der verbrecherischen Entfesselung des Krieges gegen die Sowjetunion?

PAULUS: Darf ich nochmal um die Frage bitten?

GENERAL RUDENKO: Ich wiederhole die Frage: Wen halten Sie...

VORSITZENDER: Der Gerichtshof möchte General Rudenko auf Folgendes aufmerksam machen:

Der Gerichtshof ist der Ansicht, daß eine Frage, wie Sie sie gerade gestellt haben, nämlich, wer schuldig an dem Angriff auf das Sowjetgebiet sei, eine der Hauptfragen ist, die der Gerichtshof zu entscheiden hat. Es ist also nicht eine Frage, über die der Zeuge seine Meinung äußern sollte. Wollte der Verteidiger hiergegen Einspruch erheben?

DR. LATERNSER: Jawohl, Herr Präsident, das wollte ich einwenden; die Sache ist erledigt.

GENERAL RUDENKO: Vielleicht gestattet mir der Gerichtshof die Frage etwas anders zu formulieren?

VORSITZENDER: Ja.

GENERAL RUDENKO: Wer von den Angeklagten war aktiver Teilnehmer an der Entwicklung des Angriffskrieges gegen die Sowjetunion?

PAULUS: Von den Angeklagten, soweit sie in meinem Blickfeld lagen, die ersten militärischen Berater Hitlers. Das ist der Chef des Oberkommandos der Wehrmacht, Keitel, der Chef des Wehrmachtführungsamtes Jodl und Göring in seiner Eigenschaft als Reichsmarschall, als Oberbefehlshaber der Luftwaffe und als Bevollmächtigter auf dem rüstungswirtschaftlichen Gebiet.

GENERAL RUDENKO: Ich schließe das Verhör ab und fasse zusammen: Wenn ich Ihre Aussagen richtig verstehe, so hat die Hitler-Regierung und das OKW einen Angriffskrieg gegen Sowjetrußland schon lange vor dem 22. Juni zum Zwecke geplant, dieses Territorium der Sowjetunion zu kolonisieren.

PAULUS: Es unterliegt für mich keinem Zweifel, nach der ganzen Entwicklung, wie ich sie geschildert habe, in Verbindung auch mit den ganzen Weisungen, wie sie in der bekannten grünen Mappe herausgegangen sind.

GENERAL RUDENKO: Das sind alle Fragen, Herr Vorsitzender.

VORSITZENDER: Wünscht ein Mitglied der Französischen Anklagebehörde Fragen zu stellen?

FRANZÖSISCHER ANKLÄGER: Nein.

VORSITZENDER: Die Britische?

BRITISCHER ANKLÄGER: Nein.

VORSITZENDER: Vereinigte Staaten?

ANKLÄGER DER VEREINIGTEN STAATEN: Nein.

VORSITZENDER: Ein Herr von der Verteidigung?

DR. LATERNSER: Herr Präsident, ich bitte, mir als Verteidiger des Generalstabs Gelegenheit zu geben, die Fragen, die ich an den Zeugen zu richten habe, morgen Vormittag zu stellen. Der Zeuge ist für die Verteidigung jedenfalls überraschend von der Anklagebehörde gestellt worden, und ich halte eine Besprechung über die zu stellenden Fragen, insbesondere wegen der Wichtigkeit der Zeugenaussage, für unbedingt erforderlich. Ich bitte daher, das Kreuzverhör morgen zum Sitzungsbeginn durchführen zu dürfen.

VORSITZENDER: General Rudenko, wenn die Anklagevertretung keinen Einspruch dagegen erhebt, dann ist der Gerichtshof der Ansicht, daß diesem Gesuch stattgegeben werden sollte.

GENERAL RUDENKO: Wenn es dem Gerichtshof genehm ist, hat die Anklagebehörde nichts dagegen.

VORSITZENDER: Sehr gut. Ich weiß nicht, ob nicht ein anderer Verteidiger es vorziehen würde, jetzt das Kreuzverhör vorzunehmen?

DR. NELTE: Herr Präsident, ich nehme an, daß dann sämtliche Verteidiger morgen früh ihr Kreuzverhör mit dem Zeugen, General Paulus, vornehmen können.

VORSITZENDER: Jawohl, gewiß. Ich habe nur wissen wollen, ob ein anderer Verteidiger möglicherweise vorziehen würde, jetzt das Kreuzverhör vorzunehmen.

DR. NELTE: Ich persönlich würde nach der Pause meine Fragen stellen können.

VORSITZENDER: Gut. Dann kann sich der Zeuge zurückziehen, und das Verfahren kann fortgesetzt werden. Der Zeuge wird morgen früh wieder aufgerufen werden. Inzwischen können Sie mit Ihrer Sache fortfahren.