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[Zum Zeugen gewandt]

Nun würde mich interessieren, Herr Zeuge, was verstehen Sie unter Hitler-Regierung? Verstehen Sie da die Parteileitung oder verstehen Sie darunter das Reichskabinett, oder was verstehen Sie darunter?

PAULUS: Ich verstehe darunter alle die Verantwortlichen.

DR. SAUTER: Ich bitte, die Frage etwas präziser zu beantworten.

PAULUS: Ich habe in meinen Ausführungen gestern lediglich das aus meinem Bereich, was ich persönlich erlebt habe, auseinandergesetzt.

Ich habe über die einzelnen Persönlichkeiten der Regierung als solche nicht die Absicht gehabt, irgendwelche Aussagen zu machen, weil das sich meiner Kenntnis entzieht.

DR. SAUTER: Ja, Sie sprechen aber doch von Hitler- Regierung.

PAULUS: Damit meine ich den Begriff der Hitlerschen Staatsführung.

DR. SAUTER: Der Hitlerschen Staatsführung, also in erster Linie wohl das Reichskabinett?

PAULUS: Ja, was verantwortlich ist für die von der Regierung gegebenen Anordnungen.

DR. SAUTER: Aus diesem Grunde interessiert mich nun folgendes: Der Angeklagte Funk, der da drüben sitzt, war auch Mitglied des Reichskabinetts und der Angeklagte von Schirach wird von der Anklagebehörde auch zum Reichskabinett gezählt. Wissen Sie etwas darüber, ob der Angeklagte Funk und der Angeklagte Schirach, so wie zum Beispiel Sie, in diese Pläne Hitlers eingeweiht waren?

PAULUS: Das ist mir nicht bekannt.

DR. SAUTER: Ist Ihnen bekannt, ob während des Krieges, nachdem Sie doch beim OKW waren, überhaupt Kabinettssitzungen stattgefunden haben?

PAULUS: Das ist mir auch nicht bekannt.

DR. SAUTER: Ist Ihnen bekannt, daß Hitler, im Interesse der Geheimhaltung seiner kriegerischen Pläne, sogar angeordnet hat, daß zu Beratungen zwischen ihm und seinen militärischen Beratern die Mitglieder des Reichskabinetts, wie zum Beispiel Funk, überhaupt nicht zugezogen werden durften?

PAULUS: Das ist mir nicht bekannt.

DR. SAUTER: Ist Ihnen nicht bekannt geworden, vielleicht aus dem Munde des Herrn Jodl oder des Herrn Keitel, daß Hitler sogar verboten hat, daß Mitglieder des Reichskabinetts, zivile Mitglieder des Reichskabinetts, an solchen militärischen Sitzungen teilnehmen?

PAULUS: Da ist mir nichts darüber bekannt geworden.

DR. SAUTER: Eine andere Frage: Nachdem Stalingrad eingeschlossen war und die Lage aussichtslos geworden war, sind mehrere Ergebenheitstelegramme an Hitler gesandt worden aus der Festung heraus. Wissen Sie davon?

PAULUS: Ich weiß von sogenannten Ergebenheitstelegrammen nur vom Schluß, wo es versucht wurde, über dieses Furchtbare, was dort geschehen war, noch einen Sinn herauszufinden, um diesem ganzen Leiden und Sterben der Soldaten noch einen Sinn zu geben. Infolgedessen wurden diese Dinge in dem Telegramm als Heldentat, die für immer in der Erinnerung bleiben sollte, hingestellt. Ich bedauere, daß ich damals, aus der ganzen Situation geboren, das habe durchgehen lassen und das nicht unterbunden habe.

DR. SAUTER: Die Telegramme stammen von Ihnen?

PAULUS: Ich weiß nicht, welche Telegramme gemeint sind, mit Ausnahme des letzten.

DR. SAUTER: Mehrere Ergebenheitstelegramme, in denen »Aushalten bis zum letzten Mann« versprochen worden war, also diejenigen Telegramme, über die das deutsche Volk entsetzt war, die sollen Ihre Unterschrift haben?

PAULUS: Dann bitte ich, mir die vorzulegen, sie sind mir nicht bekannt.

DR. SAUTER: Wissen Sie ungefähr, was in dem letzten Telegramm stand?

PAULUS: In dem letzten war kurz skizziert die Leistung, die die Armee vollbracht hat und herausgestrichen, daß dieses Nichtkapitulieren als Beispiel für die Zukunft gelten möge.

DR. SAUTER: Die Antwort darauf war, glaube ich, Ihre Beförderung zum Generalfeldmarschall?

PAULUS: Das ist mir nicht bekannt, daß das eine Antwort darauf war.

DR. SAUTER: Aber Sie sind doch zum Generalfeldmarschall befördert worden und tragen auch diesen Titel; denn die Erklärung, die ich eben dem Gerichtshof vorgelegt habe, ist unterzeichnet: Paulus, Generalfeldmarschall.

PAULUS: Dazu muß ich erklären, daß... Diese Erklärungen hier?

DR. SAUTER: Ja.

PAULUS: Ich mußte ja den Titel nehmen, der mir verliehen worden ist.

DR. SAUTER: In dieser Erklärung, die ich dem Gerichtshof als Beweismittel vorgelegt habe, befindet sich der Schlußsatz:

»Ich trage die Verantwortung dafür, daß ich der Durchführung meines Befehls vom 14. Januar 1943 über Abgabe aller Kriegsgefangenen...«

das heißt aller russischen Kriegsgefangenen....

PAULUS: Jawohl.

DR. SAUTER:

»... an die russische Seite nicht überwacht habe, ferner, daß ich mich...«

PAULUS: Jawohl.

DR. SAUTER:

»... der Gefangenenfürsorge«,

also auch für die russischen Gefangenen,

»nicht mehr gewidmet habe.«

Mir fällt auf, Herr Zeuge, und ich bitte, mir darüber eine Erklärung abzugeben, warum haben Sie denn in diesem ausführlichen Schreiben die Hunderttausende von deutschen Soldaten ganz vergessen, die unter Ihrem Oberbefehl standen und unter Ihrem Oberbefehl Freiheit, Gesundheit und Leben verloren haben? Kein Wort davon.

PAULUS: Nein.

DR. SAUTER: Nein?

PAULUS: Darum handelt es sich in diesem Schreiben nicht. Dieses Schreiben an die Sowjetregierung setzte sich auseinander mit dem, was in dem Kessel von Stalingrad der russischen Zivilbevölkerung und den russischen Kriegsgefangenen angetan worden ist. An diesem Platze konnte ich für meine Soldaten nicht sprechen.

DR. SAUTER: Nein, kein Wort finden?

PAULUS: Nein, konnte ich hier nicht sprechen, sondern das hätte an anderem Ort geschehen müssen. Es ist allerdings so, daß alle die operativen Befehle, die zu diesen entsetzlichen Erscheinungen bei Stalingrad geführt haben, trotz meiner Einwendungen... ich habe um den 20. Januar herum in Zusammenfassung noch der vorhergegangenen Schilderungen ausgeführt, daß die Zustände des Elends und des Leidens durch Kälte, Hunger und Seuchen ein Maß angenommen hatten, daß die Zustände unerträglich geworden und daß ein Weiterkämpfen über die menschliche Kraft ging.

Die mir darauf von der Obersten Führung erteilte Antwort lautete:

»Kapitulation ausgeschlossen. Die 6. Armee erfüllt ihre historische Aufgabe damit, durch Aushalten bis zum äußersten den Wiederaufbau der Ostfront zu ermöglichen.«

DR. SAUTER: Und deshalb haben Sie dann an der Fortführung des von Ihnen geschilderten Verbrechens bis zum letzten Ende mitgewirkt?

PAULUS: Das ist richtig.

DR. SAUTER: Denn nach Ihrer eigenen Darstellung war ja alles von Anfang an ein Ihnen klares und Ihnen längst zum Bewußtsein gekommenes Verbrechen?

PAULUS: Das habe ich nicht gesagt, daß das ein von Anfang an mir zum Bewußtsein gekommenes Verbrechen ist, sondern, daß sich das bei der rückschauenden Betrachtung so darstellt. Denn meine Erkenntnisse resultieren ja gerade aus meinen Erlebnissen von Stalingrad.

DR. SAUTER: Dann würde mich doch noch interessieren zum Schluß: War Ihnen nicht von Anfang an klar – wie Sie mit der Ausarbeitung der Pläne für den Überfall auf Rußland beauftragt wurden, und zwar als Spezialist für derartige Aufgaben –, war Ihnen da nicht von Anfang an klar, daß dieser Überfall auf Rußland nur unter Verletzung völkerrechtlicher Verträge ausgeführt werden konnte, durch die Deutschland gebunden war?

PAULUS: Ja, unter Verletzung des Völkerrechts, aber nicht unter den Erscheinungen, wie sie sich nachher abspielten.

DR. SAUTER: Nein, ich frage, ob Ihnen das klar war, daß dieser Plan nur unter Verletzung völkerrechtlicher Verträge ausgeführt werden konnte?

PAULUS: Es war mir klar, daß ein Überfall nur erfolgen konnte unter Verletzung des Vertrages, der seit dem Herbst 1939 mit Rußland bestanden hat.

DR. SAUTER: Ich habe sonst keine Frage, danke sehr.