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[Zum Zeugen gewandt]:

Ist Ihnen bekannt, ob deutsche Kriegsgefangene in der russischen Rüstungsindustrie beschäftigt worden sind?

PAULUS: Ich habe darüber keine authentischen oder irgendwelche persönlichen Kenntnisse erhalten. Die Kriegsgefangenen, mit denen ich persönlich Kontakt hatte, in den Lagern, wo ich gewesen bin, arbeiteten für die unmittelbaren Lagerbedürfnisse oder in der unmittelbaren Nähe der Lager, in der Landwirtschaft oder im Wald. Es ist mir auch aus Zeitungen bekanntgeworden, daß deutsche Arbeitsverbände, die sich zu freiwilligen Verbänden zusammengeschlossen hatten, in der Industrie arbeiteten und dort mit Stolz die Ergebnisse ihrer Leistungen bekanntgaben. Aber speziell in welchem Fache dieser Industrien, darüber habe ich keinen Überblick.

DR. SERVATIUS: Ich habe keine Fragen mehr.

DR. KUBUSCHOK, VERTEIDIGER DES ANGEKLAGTEN VON PAPEN, VERTEIDIGER FÜR DIE REICHSREGIERUNG: Auf eine gestern von Ihnen getane Äußerung sind Sie heute bereits gefragt worden, wie weit die Kenntnis einzelner Mitglieder der Reichsregierung über entscheidende Entschlüsse gegangen ist. Aus Ihrer Antwort war zu entnehmen, daß Sie die Reichsregierung in ihren Persönlichkeiten nicht als eine homogene Menge ansehen.

In diesem Prozeß tritt immer wieder die Schwierigkeit auf, daß man von normalen Verhältnissen ausgeht. Insbesondere unterliegt man immer der Vorstellung, daß wichtigste politische und militärische Entschlüsse, wie sonst üblich, im Schoße des Gremiums der Regierung und im Schoße der militärischen höchsten Stellen, also jeweils in einem Gremium einer größeren Personeneinheit beraten und beschlossen werden.

Ist dies, Herr Zeuge, nach Kenntnis aus Ihrer hohen militärischen Stellung auch für die Regierung Adolf Hitlers anzunehmen? Hat Adolf Hitler in seiner Persönlichkeit und seinen Methoden – ja, höflich gesprochen, als ein Mann besonderer Art – hier ein ganz anderes Verfahren angewandt? Hat er die Entschlüsse meistenteils lediglich aus sich heraus gefaßt, oder alle höchstens in engster Beratung mit den wenigsten Mitarbeitern? Tritt infolgedessen hier die Erscheinung auf, daß führende Persönlichkeiten politischer und militärischer Art von den kommenden Geschehnissen kein Wissen hatten?

PAULUS: Ich muß dazu sagen, daß meine militärische Verwendung im Generalstab des Heeres mir einen Einblick in die Gepflogenheiten der Staatsführung und der Reichsregierung nicht gegeben hat. Jedoch stelle ich mir unter dem Gremium einer Reichsregierung eine Gemeinschaft vor, die, ganz gleich geartet welche Methoden das Staatsoberhaupt auch anzuwenden versucht, für das, was von seiten der Regierung geschieht, dem Volke gegenüber sich so verantwortlich fühlt, daß sie, auch wenn es das Staatsoberhaupt – wie in diesem Falle Hitler in seiner gewohnten, brutalen und eigenmächtigen Art versuchte – ihn nicht einfach gewähren läßt und alles hinnimmt, sondern selbst, auch wenn dies nicht gefordert war, sich in die Dinge einschaltete und zum Wohl des Volkes rechtzeitig die notwendigen Maßnahmen ergreift, allerspätestens in dem Zeitpunkt, wo es für die ganze Welt offenbar war, daß es sich bei dieser Staatsführung um einen wahnsinnigen Verbrecher handelte.

DR. KUBUSCHOK: Herr Zeuge, Sie gehören zu dem erwähnten zweiten Kreise, und es steht ja fest, daß Sie auch nicht eingegriffen haben; und zwar werden dabei sicherlich wichtige Gründe vorgelegen haben. Ich glaube, daß es besser ist, wenn Sie sich über die weitergehenden Persönlichkeiten nicht ein Werturteil erlauben, sondern daß Sie dasjenige, was ich Sie in tatsächlicher Hinsicht gefragt habe, beantworten. Meine Frage ging dahin, ob nach Ihrer Kenntnis nicht bloß in Ihrer militärischen Position, sondern nach Ihrer Kenntnis an exponierter führender Stellung bekannt ist, daß – mit Recht oder mit Unrecht kann für die tatsächliche Feststellung dahingestellt bleiben – die Methoden in militärischen und politischen Dingen so gewesen sind, oder ob sie es nicht gewesen sind, ob also nach Ihrer Kenntnis die Entschlüsse so gefaßt worden sind, daß ein großes Gremium auf politischer und militärischer Seite zusammentrat, beriet und beschloß, oder ob die Entschlüsse im wesentlichen von einem engeren Kreise, vielleicht manchmal lediglich in der Person Hitlers, wahrscheinlich getroffen worden sind?

PAULUS: Wie die Entschlüsse der Reichsregierung zustande kamen, ist mir nicht bekannt. Ich habe in meiner vorherigen Antwort infolgedessen auch nur meine grundsätzliche Auffassung zu dieser Frage gegeben, und ich glaube, sie damit beantwortet zu haben. Ich kann es mir nicht vorstellen, daß ein Mann allein das alles gemacht hat oder machen konnte. Er brauchte ja schließlich, um sich auch nur in kleinem Kreise durchzusetzen, die Mitarbeit der allernächsten Mitarbeiter; sonst war es gar nicht möglich, sich auszuwirken.

DR. KUBUSCHOK: Die Mitarbeit der nächsten zuständigen Mitarbeiter – glauben Sie zum Beispiel, daß irgendein Fachminister, Arbeitsminister oder sonst irgendein Minister besonders fachlicher Art, von Hitler bezüglich seiner Aggressionspläne befragt worden ist?

VORSITZENDER: Herr Verteidiger, der Zeuge hat schon erklärt, daß er nicht weiß, wie die entscheidenden Maßnahmen der Reichsregierung zustande gekommen sind. Was er darüber denkt, ist tatsächlich nicht erheblich. Er weiß es eben nicht.

DR. KUBUSCHOK: Haben Sie, Herr Zeuge, den Eindruck, daß die Angriffspläne von Hitler viele Jahre vorher gefaßt worden sind, oder glauben Sie, daß sie jeweils aus den gegebenen Umständen in der von Ihnen immer behaupteten intuitiven Art gefaßt worden sind?

PAULUS: Das entzieht sich vollkommen meiner Kenntnis. Meine Beobachtung der Dinge beginnt mit dem 3. September 1940; was ich von dieser Zeit an bis Januar 1942 beobachtet habe, habe ich gestern ausgeführt. Über die Zeit vorher kann ich nichts angeben.

DR. HORN, VERTEIDIGER DES ANGEKLAGTEN VON RIBBENTROP: Herr Zeuge, Sie sagten vorhin, daß Sie Mitglied einer Vereinigung gewesen seien, die sich zum Ziele gesetzt habe, Deutschland von dem Verderben zurückzureißen. Ich frage Sie, welche Möglichkeiten zur Durchführung dieser Absichten standen Ihnen und den übrigen Mitgliedern dabei zur Verfügung?

PAULUS: Es stand uns die Möglichkeit zur Verfügung, uns dem deutschen Volke hörbar und verständlich zu machen und nach den Ereignissen nicht nur militärischer Art, sondern auch nach den Ereignissen des 20. Juli hielten wir es für unsere Pflicht, dem deutschen Volke unsere Auffassung zu sagen über die Erkenntnisse und unsere Überzeugung, die wir mittlerweile gewonnen hatten, wobei die Initiative besonders ausging aus den Reihen der von mir bei Stalingrad geführten Armee, wo wir es miterlebt haben, daß durch die Befehle dieser Staats- und Kriegsführung, gegen die wir nunmehr auftraten, über 100000 deutsche Soldaten an Hunger, Kälte und Schnee umgekommen sind, wo wir in Konzentration die Entsetzen und Schrecken des Eroberungskrieges kennengelernt haben.

DR. HORN: Hatten Sie noch andere Möglichkeiten außer denen der Propaganda?

PAULUS: Wir hatten nichts außer der Möglichkeit, durch den Rundfunk und durch die von uns aufgestellten Zeitungen aufs deutsche Volk zu wirken.

VORSITZENDER: Was geht den Gerichtshof all dies an?

DR. HORN: Ich wollte feststellen, Schlüsse ziehen über die Glaubwürdigkeit des Zeugen.

VORSITZENDER: Ich kann nicht sehen, inwiefern dies für seine Glaubwürdigkeit von Bedeutung ist.

DR. HORN: Es ist durchaus möglich, daß wir Kenntnisse haben, daß noch andere Möglichkeiten zur Verfügung gestanden hätten, die der Zeuge nicht erwähnt hat.

VORSITZENDER: Der Gerichtshof ist der Ansicht, daß das, was der Zeuge dachte oder tat, während er sich in russischer Kriegsgefangenschaft befand, nichts mit seiner Glaubwürdigkeit zu tun hat; das gilt zumindest für die von Ihnen gestellten Fragen, die deshalb nicht zugelassen werden.

DR. HORN: Ich bitte, noch eine Frage stellen zu dürfen.

VORSITZENDER: Selbstverständlich.

DR. HORN: Hatten Sie während Ihrer Gefangenschaft Gelegenheit, Ihre militärischen Kenntnisse und Erfahrungen in irgendeiner Stellung zur Verfügung zu stellen oder zu verwenden?

PAULUS: In keinerlei Stellung und in keinem Falle.

DR. HORN: Danke.

VORSITZENDER: Meiner Meinung nach endet damit das Kreuzverhör. Wünscht der Russische Anklagevertreter weitere Fragen zu stellen?

GENERAL RUDENKO: Nein, Herr Präsident, wir betrachten die Fragen als erschöpft.

MR. BIDDLE: General, Sie sagten, daß Sie, als Sie am 3. September 1940 Generalquartiermeister der Armee wurden, einen unvollendeten Plan für den Angriff gegen die Sowjetunion vorfanden. Wissen Sie, wie lange sich der Plan schon in Bearbeitung befand, bevor Sie ihn sahen?

PAULUS: Ich kann nicht genau sagen, wie lange die Bearbeitungszeit gedauert hat; nach meiner Schätzung muß sie aber etwa zwei bis drei Wochen gedauert haben.

MR. BIDDLE: Wissen Sie, wer den Befehl für die Vorbereitung dieses Planes erteilt hatte?

PAULUS: Ich nehme an, daß dies dieselbe Ausgangsstelle war, nämlich das OKW, über das Oberkommando des Heeres; der Generalstabschef des Heeres hatte dem Generalmajor Marx die gleichen Unterlagen gegeben, die er mir gegeben hat.

MR. BIDDLE: Wieviele Mitglieder des Generalstabs und des Oberkommandos der Deutschen Wehrmacht waren gewöhnlich bei den Sitzungen über den Barbarossaplan anwesend?

PAULUS: Die zuständigen Ressorts, die Operationsabteilung, die Abteilung »Fremde Heere«, der Generalquartiermeister für die Versorgung und der Transportchef. Das sind im allgemeinen die Hauptabteilungen, die dabei beteiligt waren.

MR. BIDDLE: Wieviele Mitglieder des Generalstabs und des Oberkommandos der Deutschen Wehrmacht waren mit den Befehlen und Anweisungen vertraut, nachdem diese unterschrieben waren?

PAULUS: Im Laufe der Zeit, also zu dem Zeitpunkt etwa Dezember, als die Aufmarschanweisungen bearbeitet wurden, waren mehr oder weniger sämtliche Generalstabsoffiziere Mitwisser und in Kenntnis gesetzt; wieviele vorher zu den einzelnen Zeitabschnitten, kann ich jetzt mit Genauigkeit nicht mehr angeben.

GENERAL NIKITCHENKO: Was stellte der Generalstab des deutschen Heeres genau dar. War er nur mit der Ausarbeitung technischer Fragen beschäftigt und somit lediglich ein ausführendes Organ, das die technischen Probleme auf Grund der Anweisungen des Oberkommandos ausarbeitete, oder war der Generalstab eine Organisation, die von sich aus Pläne vorbereitete, ausarbeitete und dem Oberkommando ihre eigenen Erwägungen vorlegte?

PAULUS: Technisch ausführendes Organ, die gegebenen Weisungen technisch auszuführendes Organ.

GENERAL NIKITCHENKO: Demnach war also der Generalstab ein technischer Apparat?

PAULUS: So war es in der Praxis. Der Generalstab als solcher war ein beratendes Organ für den Oberbefehlshaber des Heeres, und er war kein ausführendes Organ.

GENERAL NIKITCHENKO: Wie weit ging die Gewissenhaftigkeit des Generalstabs bei der Ausführung der Anweisungen, die er vom Oberkommando erhielt?

PAULUS: Er hat diese Anweisungen vollkommen ausgeführt.

GENERAL NIKITCHENKO: Gab es irgendwelche Widersprüche zwischen dem Generalstab und dem Oberkommando?

PAULUS: Es ist bekannt, daß gewisse Verschiedenheiten der Auffassungen vorlagen, ohne daß ich diese jetzt im einzelnen umreißen kann. Jedenfalls weiß ich durch den mir vorgesetzten Generalstabschef selbst, daß er sehr häufig in Meinungsverschiedenheiten mit dem Oberkommando der Wehrmacht sich befand.

GENERAL NIKITCHENKO: Konnten diejenigen Offiziere, die mit der Politik, die vom Oberkommando durchgeführt wurde, nicht einverstanden waren, ihre Stellungen beim Generalstab beibehalten, und behielten sie diese oder nicht?

PAULUS: Es kamen politische Fragen hierbei nicht zum Austrag. Es wurden politische Fragen im allgemeinen im Kreise des Oberkommandos des Heeres nicht besprochen.

GENERAL NIKITCHENKO: Ich spreche nicht im eigentlichen Sinne über die politischen Fragen. Ich spreche über die Politik der Kriegsplanung, die Politik der Vorbereitungen und Angriffe. Das meine ich. Wissen Sie, ob vorgesehen war, den Teil der Sowjetunion, der von den deutschen Truppen besetzt war, umzuwandeln in ein...

PAULUS: Mir ist nicht bekannt geworden, was im einzelnen geplant war. Meine Kenntnis erschöpft sich in der Kenntnis der Planungen, die in der sogenannten »Grünen Mappe« für die Ausnutzung des Landes enthalten waren.

GENERAL NIKITCHENKO: Was bedeutet Ausnutzung?

PAULUS: Von der wirtschaftlichen Ausnutzung des Landes, um mit ihren Hilfsquellen den Krieg im Westen zu Ende zu führen und auch für die Zukunft die Herrschaft in Europa sicherzustellen.

GENERAL NIKITCHENKO: Unterschied sich der Charakter dieser Ausbeutung von der wirtschaftlichen Ausbeutung innerhalb Deutschlands?

PAULUS: Ich habe darüber keine persönlichen Eindrücke oder Überblicke bekommen, da ich in Rußland selbst nur dreiviertel Jahre die Armee geführt habe und früh schon, im Januar 1943 in Gefangenschaft gekommen bin.

GENERAL NIKITCHENKO: Ist Ihnen über die Anweisungen, welche von den Regierungsorganen in Deutschland und vom Oberkommando über die Behandlung der Sowjetbevölkerung durch die Armee gegeben wurden, etwas bekannt?

PAULUS: Ich erinnere mich, daß eine Weisung ergangen ist – ich kann aber jetzt nicht mehr das Datum sagen- in der über die ganze Art der Kriegsführung im Osten bestimmte Richtlinien aufgestellt wurden. Ich glaube, daß diese grundlegende Verfügung bereits in der sogenannten »Grünen Mappe« mitenthalten ist; es kann sich aber auch um Sonderbefehle handeln, die zum Ausdruck brachten, daß auch der Bevölkerung gegenüber keine falsche Rücksicht zu nehmen sei.

GENERAL NIKITCHENKO: Was meinen Sie mit »keine falsche Rücksicht nehmen?« Vielleicht ist die Übersetzung nicht richtig?

PAULUS: Das bedeutete, daß nur die militärischen Notwendigkeiten für alle Maßnahmen Gültigkeit haben sollten.

VORSITZENDER: Gab es Divisionen, die ausschließlich aus SS-Truppen bestanden und die unter Ihrem Kommando waren?

PAULUS: Ich habe unter meinem Kommando keine SS-Truppen gehabt während der Zeit meiner Armeeführung, wie ich mich erinnere. Auch im Kessel von Stalingrad hatte ich zwanzig deutsche Infanterie- und Panzer-Divisionen und motorisierte Divisionen und zwei rumänische Divisionen, keine SS-Verbände.

VORSITZENDER: Ich verstehe, daß die SA keine Einheiten aufstellte. Nicht wahr?

PAULUS: SA-Einheiten habe ich nicht erlebt, aber die SS-Verbände, das ist bekannt.

VORSITZENDER: Hatten Sie irgendwelche Zweigstellen der Gestapo bei Ihrer Armee?

PAULUS: Nein, hatte ich auch nicht.

VORSITZENDER: General Rudenko, ich habe Sie schon gefragt, ob Sie weitere Fragen zu stellen haben; ich glaube, Sie haben Nein gesagt.

GENERAL RUDENKO: Ja.

VORSITZENDER: Der Zeuge kann abtreten.