[Das Gericht vertagt sich bis
14. Februar 1946, 10.00 Uhr.]
Neunundfünfzigster Tag.
Donnerstag, 14. Februar 1946.
Vormittagssitzung.
VORSITZENDER: Ich habe eine Erklärung abzugeben, die die Herren Verteidiger betrifft. Der Gerichtshof wird Sonnabend, 10.00 Uhr vormittags, eine öffentliche Sitzung abhalten, um den Antrag der Verteidigung auf Vertagung anzuhören.
Von jeder Seite wird ein Vertreter angehört werden, das heißt, ein Vertreter der Anklage und ein Vertreter der Verteidigung. Jedem stehen fünfzehn Minuten Sprechzeit zur Verfügung. Nach dieser öffentlichen Sitzung wird sich der Gerichtshof zurückziehen und in nichtöffentlicher Sitzung über verwaltungstechnische Angelegenheiten beraten.
OBERST POKROWSKY: Gestern habe ich mich während meines Vortrags auf vier Photos bezogen. Zwei dieser Photos wurden auch dem Gerichtshof vorgelegt. Sie sind von Deutschen aufgenommen und zeigen das Kriegsgefangenenlager von Uman. Ich bitte um Entschuldigung, daß wir gestern aus technischen Gründen die beiden anderen Photos nicht rechtzeitig vorlegen konnten. Auf einer dieser Photographien wird die Essensverteilung gezeigt, und auf der anderen sieht man, wie die hungrigen sowjetischen Kriegsgefangenen dabei sind, Abfälle von Viehfutter zu durchsuchen und das Gefundene verzehren.
Ich lege nunmehr dem Gerichtshof diese beiden Photos unter USSR-358 und USSR-359 vor.
Die Untersuchung der ausgegrabenen Leichen, die man bei der Feststellung der faschistischen Verbrechen in dem sogenannten Lager Slavuta vornahm, hat ergeben, daß:
»... die Kommandantur und die Lagerwächter wiederholt raffinierte Foltermethoden angewandt haben. Unter den gerichtsmedizinisch exhumierten und untersuchten Leichen hat man vier Leichen von Kriegsgefangenen gefunden, die mit blanker Waffe ermordet worden waren und Kopfwunden bis tief in die Hirnschale hinein zeigten, die von Bajonettstichen herrührten.«
Der Gerichtshof findet die von mir verlesene Stelle auf Seite 153 des Dokumentenbuches:
»Trotz völliger Erschöpfung und Arbeitsunfähigkeit wurden die kranken und verwundeten Kriegsgefangenen von den Hitler-Faschisten gezwungen, solche körperliche Arbeit zu leisten, die ihre Kräfte weit überstieg. Sie mußten schwere Lasten tragen und die Leichen der ermordeten Russen wegschaffen. Die Kriegsgefangenen, die vor Erschöpfung umfielen, wurden von ihren Wächtern auf der Stelle erschossen. Nach Aussage des katholischen Priesters Milewsky aus der Stadt Slavuta war auf dem Weg von und zur Arbeitsstätte ein Grabhügel neben dem anderen, die wie Meilensteine an den Seiten lagen.«
Die faschistischen Verbrecher hatten nicht immer die Geduld, den Tod des einen oder anderen Kriegsgefangenen abzuwarten; viele Menschen wurden lebendig begraben. Ich zitiere das von mir dem Gerichtshof bereits vorgelegte Dokument. Dieses Zitat finden Sie ebenfalls auf Seite 153 Ihres Dokumentenbuches:
»Auf Grund der Tatsache, daß zahlreiche Sandkörner tief in den Atmungsorganen bei vier Leichen von Kriegsgefangenen, selbst in den feinsten Bronchien, gefunden wurden, die nur dann so tief eindringen können, wenn Menschen lebendig begraben werden, stellte der gerichtsmedizinische Sachverständige fest, daß im ›Großlazarett‹ die Wachtposten des Lagerkommandanten Russen mit vollem Wissen der deutschen Ärzte lebendig begraben hatten.«
Der ehemalige Kriegsgefangene Pankin, ein früherer Insasse des »Großlazaretts«, weiß von einem Fall zu berichten, daß im Februar 1943 ein bewußtloser Kranker ins Leichenhaus gebracht wurde, in dem er sein Bewußtsein wieder erlangte. Als dem Barackenchef gemeldet wurde, daß ein noch lebender Mann in das Leichenhaus gebracht worden sei, befahl jener, ihn dort zu lassen. Der Kranke wurde begraben.
Die ungeheuerlichen Zustände zwangen die Kriegsgefangenen, trotz des großen Wagnisses einzeln oder in Gruppen zu entfliehen. Diese Märtyrer suchten nach der Flucht aus der Hölle des »Lazaretts« bei der Bevölkerung der Stadt Slavuta und in den umliegenden Dörfern Schutz. Die Hitler-Verbrecher erschossen erbarmungslos jeden, der einem flüchtigen Kriegsgefangenen irgendwelche Hilfe gewährte.
Die Stadt Slavuta gehörte zum Bezirk Shepetow. Am 15. Januar 1942 erließ der Gebietskommissar von Shepetow, Dr. Worbs, einen besonderen Befehl, in dem es heißt, daß, falls es unmöglich sein sollte, die unmittelbar Schuldigen zu finden, in jedem einzelnen Falle zehn Geiseln zu erschießen seien.
Der Priester Zhurkowsky berichtete, daß sechsundzwanzig friedliche Bürger verhaftet und erschossen wurden, weil sie Kriegsgefangenen bei der Flucht behilflich waren. Die ärztliche Untersuchung der 525 Gefangenen, die aus dem »Großlazarett« befreit wurden, ergab, daß in 435 Fällen äußerste Entkräftung vorlag, 59 hatten offene, infizierte Wunden, während 31 Opfer neuropsychiatrische Störungen aufwiesen.
Die Kommission stellte fest, ich zitiere mit Erlaubnis des Gerichtshofs die vorletzten und letzten Absätze der linken Spalte auf Seite 5, die sich in Ihrem Dokumentenbuch auf Seite 154 befinden:
»Während der Besetzung von Slavuta, die zwei Jahre dauerte, rotteten die Hitleristen ungefähr 150000 Offiziere und Soldaten der Roten Armee aus. Unterstützt wurden sie dabei von den Ärzten Dr. Borbe und Dr. Sturm sowie von dem übrigen ärztlichen Personal.«
Da sich die Nazi-Mörder über den verbrecherischen Charakter ihrer Handlung klar waren, benutzten sie jedes Mittel, um die Spuren ihrer Verbrechen zu verdecken. Sie versuchten, sorgfältig die Plätze, wo die russischen Kriegsgefangenen begraben waren, zu verheimlichen. So waren zum Beispiel auf dem Grabkreuz Nummer 623 acht Familiennamen angegeben, obwohl sich bei der Öffnung des Grabes herausstellte, daß es zweiunddreißig Leichen enthielt. Dasselbe wiederholte sich, als man Grab Nummer 624 öffnete. Andere Gräber enthielten eine Schicht Erde zwischen den Leichen, die dort begraben waren. Als man Grab Nummer 625 öffnete, wurden zehn Leichen herausgenommen; unter einer 30 Zentimeter dicken Erdschicht wurden jedoch noch zwei Lagen von Leichen gefunden. Eine ähnliche Erfahrung wurde gemacht, als die Gräber Nummer 627 und 628 geöffnet wurden. Viele Gräber wurden durch Blumenbeete, eingepflanzte Bäume, Wege und so weiter getarnt. Keine Tarnung kann jedoch die blutigen Verbrechen der Hitler-Banditen verbergen.
Wenn ich mich nicht irre, so wurde von einem der an diesem Prozeß Beteiligten, der offenbar vergaß, wo und unter welchen Umständen er sich hier befindet, der Wunsch geäußert, daß man den Regeln des Deutschen Rechts folgen möge. Der Gerichtshof erteilte sofort die notwendige Aufklärung und wies das Verlangen nach Anwendung des Deutschen Rechts selbstverständlich zurück. Ich bin nunmehr durchaus imstande, dem Gerichtshof Dokumente zu unterbreiten, die meiner Ansicht nach für unseren Fall von Bedeutung sind, obwohl diese im völligen Einklang mit den vom Deutschen Recht aufgestellten Gesetzen abgefaßt sind.
Unter den zahlreichen, von den Truppen der Roten Armee in den Polizeiarchiven der Stadt Shitomir beschlagnahmten Dokumenten befindet sich ein Schriftwechsel. Es handelt sich dabei um eine polizeiliche Untersuchung. Die Verfasser dieses Dokuments haben nie damit gerechnet, daß es in einer Sitzung des Internationalen Militärgerichtshofs für die Bestrafung der Hauptkriegsverbrecher vorgelegt werden könnte. Die Dokumente, die in diesem Schriftwechsel enthalten sind, waren ausschließlich für die Polizeichefs bestimmt und unter Berücksichtigung aller Erfordernisse des Deutschen Rechts und der polizeilichen Untersuchungsmethoden des faschistischen Deutschlands abgefaßt. Von diesem Standpunkt aus gesehen werden diejenigen, die diese Dokumente zu prüfen wünschen, vollständig befriedigt sein.
Gleichzeitig ist dieser Schriftwechsel auch für uns nützlich. Auf diesen verhältnismäßig wenigen Seiten ist soviel enthalten, daß ich sie für die Behandlung in mehrere Abschnitte zerlegen muß, damit Sie ihren Inhalt vollständig und unter allen Gesichtspunkten würdigen können. Ich lege Ihnen diesen Schriftwechsel in der deutschen Photokopie und in russischer Übersetzung vor. Ich wiederhole, es handelt sich dabei um eine polizeiliche Untersuchung. Ich lege das Schriftstück als Dokument USSR-311 vor. Wir haben, dem Wunsche des Gerichtshofs folgend, bereits die Originaldokumente aus Moskau verlangt und werden diese, vielleicht schon heute, dem Dokumentenbuch, in das vorläufig nur die ordnungsgemäß beglaubigten Photokopien aufgenommen werden konnten, hinzufügen können.
Am 24. Dezember 1942 sollten achtundsiebzig Kriegsgefangene aus dem Arbeits- und Erziehungslager Berditschew der »Sonderbehandlung« unterworfen werden. Sämtliche achtundsiebzig Gefangene waren Sowjetbürger. In dem Schriftwechsel ist ein Bericht enthalten, der von SS-Obersturmführer Kuntze am 27. Dezember 1942 an seine vorgesetzte Dienststelle erstattet wurde. Sie finden diese Stelle auf Seite 170 Ihres Dokumentenbuches. Am Schluß des ersten Absatzes befindet sich ein Satz, der in Ihrem Text mit Rotstift unterstrichen ist. Dieser Satz lautet:
»Irgendwelche Unterlagen über kommunistische Betätigung der Kgf. während der Sowjetzeit bestehen hier nicht.«
Kuntzes nächster Satz klärt die Frage vollkommen, wie und warum diese Gefangenen in das Arbeitserziehungslager kamen. Er stellt fest:
»Es hat also den Anschein, daß auch die Wehrmacht diese Kgf. seinerzeit der hiesigen Dienststelle zur Sonderbehandlung zur Verfügung gestellt hat...«
Wir haben den Eindruck gewonnen, daß die Kriegsgefangenen in dieses Lager von seiten der militärischen Stellen eingewiesen worden sind. Ein SS- Obersturmführer, in diesem Falle zweifellos ein Fachmann, stellt fest, daß sie vor allem aus dem Grunde dorthin eingewiesen wurden, um einer Sonderbehandlung ausgesetzt zu werden.
Um das reichhaltige Material, das dieses Schriftstück enthält, zusammenzufassen, will ich Ihnen mit meinen eigenen Worten sagen, daß die achtundsiebzig Mann, um die es sich hier handelt, nur den Rest einer größeren Gruppe darstellen.
Der SS-Beamte, Sturmscharführer Fritz Knop, meldet, Seite 163 Ihres Dokumentenbuches: »... wurde seinerzeit ein Teil der Kriegsgefangenen mit einem Lkw. irgendwo in der Gegend ausgesetzt. Späterhin sind weitere beabsichtigte Aussetzungen auf Einspruch der Wehrmacht unterblieben.«
Ich werde etwas später näher ausführen, welcher Art diese Aussetzungen waren und welche Einsprüche die Wehrmacht dagegen erhob.
Gestatten Sie mir nunmehr, zur Darlegung des Kerns der Sache überzugehen. Ich glaube, daß es am besten wäre, dies mit den Worten eines der Dokumente zu schildern. Ich zitiere:
»Kommandeur der Sicherheitspolizei und des SD Shitomir.
Berditschew, den 24. 12. 42.
Auf Anordnung erscheint der SS-Sturmscharführer und Kriminalpolizei-Obersekretär Fritz Knop, 18. 2. 97 in Neuklinz, Krs. Köslin, geboren, und macht folgende Angaben:
Seit Mitte August bin ich Dienststellenleiter der Außendienststelle Berditschew des Kommandeurs der Sicherheitspolizei und des SD in Shitomir. Am 23. 12. 42 besichtigte der zur Zeit stellv. Kommandeur, SS-Hauptsturmführer Kallbach, die hiesige Dienststelle und auch das Arbeitserziehungslager, das meiner Dienststelle untersteht. In diesem Arbeitserziehungslager befinden sich seit Ende Oktober oder Anfang November 78 ehem. Kriegsgefangene, die aus dem Stalag in Shitomir s. Z. entlassen waren, da sie nicht arbeitsfähig waren. Diese Kriegsgefangenen sind damals m. W. in einer größeren Anzahl entlassen und dem Kommandeur der Sipo und SD zur Verfügung gestellt worden.«
Ich glaube nicht, daß eine ins einzelne gehende Erklärung darüber notwendig wäre, was die Verlegung dieser Kriegsgefangenen und ihre Überstellung an die Sicherheitspolizei auf Grund besonderer SS- und SD-Richtlinien bedeutete, insbesondere, wenn es sich um Leute handelte, die zur physischen Vernichtung vorgesehen waren.
Ich zitiere weiter, wobei diese Stelle bei Ihnen ebenfalls auf Seite 163 zu finden ist:
»In Shitomir hat man dann von ihnen eine kleine Anzahl noch einigermaßen arbeitsfähiger Männer herausgesucht und die restlichen 78 dem hiesigen Arbeitslager überstellt.«
Ich lasse noch zwei Absätze fort.
»Bei den sich im hiesigen Lager befindlichen 78 Kriegsgefangenen handelte es sich ausschließlich um Schwerkriegsbeschädigte. Einigen der Kgf. fehlten beide Beine, einigen wiederum beide Arme, anderen wieder eins der Glieder. Nur wenige von ihnen hatten wohl noch ihre Glieder, waren aber durch andere Verwundungen so stark versehrt, daß sie irgendwelche Arbeiten nicht verrichten konnten. Diese letzteren hatten dann die anderen zu betreuen.
Bei der Besichtigung des Arbeitserziehungslagers am 23. 12. 42 ordnete SS-Hauptsturmführer Kallbach an, daß die inzwischen durch Todesfälle übriggebliebenen 68 oder 70 Kgf. am heutigen Tage sonderzubehandeln sind. Zu diesem Zweck stellte er einen Lkw. mit dem Fahrer, SS-Mann Schäfer, von der Kommandeurdienststelle zur Verfügung, der heute um 11.30 Uhr hier eintraf.
Mit den Vorbereitungen für die Exekution habe ich heute früh die Angehörigen der hiesigen Dienststelle, SS-Unterscharführer Paal, SS-Rottenf. Hesselbach und SS-Sturmmann Vollprecht beauftragt.«
Ich werde mit Ihrer Erlaubnis noch einen weiteren Teil des Zitats auslassen, den sie bereits in Ihren Akten haben. Ich glaube, daß ich ihn aus Gründen der Zeitersparnis übergehen kann. In ihm ist die Rede über die Technik der Exekution. Eine Stelle jedoch scheint mir wichtig. Ich zitiere:
»Während sonst die Exekutionen der Juden innerhalb des Arbeitslagers stattfanden, und zwar an einer Stelle, die vom Lager selbst nicht eingesehen werden konnte, hatte ich aus Zweckmäßigkeitsgründen für die heutige Exekution angeordnet, daß sie sich eine geeignete Stelle außerhalb des Lagers in dem freien Gelände hinter dem Stalag auszusuchen hätten.
Über die drei mit der Erschießung der Kgf. beauftragten Männer war mir bekannt, daß sie bereits in Kiew bei Großexekutionen von mehreren tausend Personen teilgenommen hatten. Auch an der hiesigen Dienststelle waren sie in früherer Zeit, das heißt, auch zu meiner Zeit mit Erschießungen von mehreren hundert Personen beauftragt.«
Ich möchte Ihre Aufmerksamkeit auf einen Umstand lenken, der erneut zeigt, welche Bedeutung die Hitler- Banditen dem Wort »Exekution« und »Sonderbehandlung« beilegten. Hier werden in ein und demselben Satz die Ausdrücke »Massenexekution« und »Erschießungen« in dem genau gleichen Sinn verwendet, und die etwas weiter oben angewandten Ausdrücke »Aussetzung mit Lastwagen irgendwohin in die Nähe« und »Sonderbehandlung« sind leicht zu verstehen. Zweifellos sind diese vier Ausdrücke gleichbedeutend. Nach dieser Unterbrechung fahre ich mit dem Zitat fort. Indem ich mich nur auf eine sinngemäße Wiedergabe beschränke, verkürze ich weiterhin den Text der in Ihrem Dokumentenbuch abgedruckten Schriftstücke und gehe zum nächsten Absatz über; Seite 165: »An Waffen führten die Männer eine deutsche MP, ein automatisches russ. Gewehr, eine Pistole 0,8 und m. W. noch einen Karabiner mit sich. Ich möchte noch bemerken, daß ich den SS-Hauptscharführer Wenzel als Beamten den drei Männern beigeben sollte, daß dieses aber von dem SS-Sturmmann Vollprecht mit dem Bemerken abgeschlagen wurde, sie seien zu dritt stark genug.
Auf Vorhalt: Es ist mir nicht der Gedanke gekommen, durch ein größeres Kommando den reibungslosen Verlauf der Exekution zu sichern, da die Exekutionsstelle nicht einzusehen war...«
VORSITZENDER: Sind die Worte »auf Vorhalt« im Originaldokument enthalten?
OBERST POKROWSKY: Das ist der Text dieser Erklärung, dieser Aussagen, die die Person, die das Dokument unterzeichnet hat, ihrem Polizeichef abgegeben hat.
Ich zitiere mit Erlaubnis des Gerichtshofs die deutschen Originaldokumente. Den Verantwortlichen an den Exekutionen wurde vorgeworfen, daß es durch ihre Unvorsichtigkeit und Nachlässigkeit zu einem »Zwischenfall«, wie sie es nennen, gekommen sei. Und nun machen sie auf Vorhalt der ihnen vorgelegten Beschuldigung ihre Aussagen über diesen »Zwischenfall«:
»Auf Vorhalt: Es ist mir nicht der Gedanke gekommen, durch ein größeres Kommando den reibungslosen Verlauf der Exekution zu sichern, da die Exekutionsstelle nicht einzusehen war und auch die Häftlinge durch ihre körperliche Behinderung nicht fähig waren, zu flüchten.
Etwa gegen 15.00 Uhr erhielt ich einen Anruf vom Stalag, daß ein Kamerad meiner Dienststelle vom Sonderauftrag verwundet und ein Mann geflüchtet sei. Darauf entsandte ich sofort mit einem Fuhrwerk SS-Hauptscharführer Wenzel und SS-Oberscharführer Fritsch zur Exekutionsstelle. Einige Zeit später erhielt ich einen zweiten Anruf vom Stalag, wodurch mir mitgeteilt wurde, daß zwei Kameraden von der Dienststelle tot seien.«
Ich glaube, es ist nicht nötig, über einige rein technische Einzelheiten zu sprechen und lasse hier einen beträchtlichen Teil der Hinweise, die ich ursprünglich geben wollte, fort. Ich gehe wieder zu der Aussage von Knop über, die er seinem Polizeikommandanten abgab. Diese Stelle finden Sie auf Ihrer Seite 166:
»Ich möchte darauf hinweisen, daß der Vorfall bei der zweiten Exekution geschehen ist. Dieser ist vorausgegangen eine Erschießung von etwa 20 Kgf. ohne besonderen Zwischenfall. Unmittelbar nach meiner Rückkehr habe ich fernmündlich dem Kommandeur in Shitomir Meldung erstattet.
Weitere Angaben habe ich nicht zu machen. Ich versichere, daß sie wahrheitsgemäß sind und bin darauf hingewiesen, daß bei nicht wahrheitsgemäßen Angaben meine Bestrafung und Ausschluß aus der SS erfolgt.
v. g. u. Fritz Knop, SS-Sturmscharführer, geschlossen: Kuntze, SS-Obersturmführer.«
Sodann wurde der Henker selbst vernommen. Darüber besitzen wir eine Urkunde. Sie finden die Auszüge daraus auf Seite 166 Ihres Dokumentenbuches. Ich zitiere das Vernehmungsprotokoll:
»Weiter erscheint auf Anordnung der SS-Rottenführer der Waffen-SS, Friedrich Hesselbach, 24. 1. 09 in Freudingen, Krs. Wittgenstein/Westf. geboren, und macht folgende Angaben:
Mit dem Gegenstand der Vernehmung bin ich bekannt gemacht worden. Ich wurde darauf hingewiesen, daß bei nicht wahrheitsgemäßen Angaben meine Bestrafung und Ausschließung aus der SS erfolgt.«
Nach diesem formalen Teil des Verhörs, bei dem er über die ihn gegebenenfalls zu erwartenden Strafen aufgeklärt wurde, hat Hesselbach zur Sache folgendes ausgesagt:
»Gestern abend teilt mir der SS-Unterscharführer Paal mit, daß ich am heutigen Tag bei der Erschießung der Kgf. teilzunehmen habe. Späterhin erhielt ich auch einen entsprechenden Auftrag von SS-Hauptscharführer Wenzel in Gegenwart von SS-Sturmscharführer Knop.
Heute morgen gegen 8 Uhr fuhren wir, SS-Hauptscharführer Berger, SS-Unterscharführer Paal, SS- Sturmmann Vollprecht und ich, mit einem von der Lederfabrik ausgeliehenen Lkw., der von einem ukr. Kraftfahrer gesteuert wurde, in das Gelände – etwa 11/2 km hinter dem Stalag – um mit 8 Häftlingen unseres Ge fängnisses die Grube auszuheben.«
Weiter beschreibt er, wie man das Grab ausgrub. Ich glaube, das brauche ich nicht zu verlesen. Dann kehrten sie zurück:
»Am Eingang stieg Vollprecht aus, weil es Paal angeordnet hatte. Paal hatte damit den Zweck verfolgt, unser Vorhaben durch eine größere Anzahl von SS-Männern bei den Lagerinsassen nicht zu verraten. Mit dem Aufladen der Kgf. waren demnach nur Paal und ich beschäftigt, außerdem noch einige Milizmänner. Beim ersten Transport hatte auf Anweisung von Paal der Transport fast ausschließlich aus Beinamputierten bestanden.«
Ich lasse wieder einige Absätze aus, die für uns nicht von Interesse sind, und zitiere die auf Seite 6 der russischen Übersetzung unterstrichenen Stellen. Diese befinden sich auf Seite 168 Ihres Dokumentenbuches:
»Nachdem ich die ersten drei Häftlinge erschossen hatte, hörte ich plötzlich oberhalb der Grube ein Geschrei. Da der vierte Häftling gerade beim Hinlegen war, habe ich diesen schnell abgeknallt und bemerkte dann beim Aufblicken, daß am Lkw. ein wüstes Durcheinander war. Ich hatte auch unmittelbar vorher Schüsse fallen hören, und die Häftlinge sah ich links und rechts vom Wagen das Weite suchen. Über den einzelnen Ablauf der Dinge, die am Lkw. vor sich gingen, kann ich genaue Angaben nicht mehr machen, zumal ich in größerer Entfernung von etwa 40-50 m stand und das Ganze ein wüstes Bild darbot. Ich weiß jetzt nur noch zu sagen, daß ich die beiden Kameraden am Boden lie gen sah, und daß zwei Häftlinge mit den erbeuteten Waffen auf mich und den Kraftfahrer schossen. Ich habe dann meine restlichen vier Patronen, die ich im Magazin hatte, auf die uns beschießenden Häftlinge verschossen, führte einen Magazinwechsel aus und spürte plötzlich einen Einschlag dicht neben mir. Ich fühlte mich getroffen, mußte aber dann doch feststellen, daß dies ein Irrtum war, den ich jetzt auf eine gewisse Schockwirkung zurückführe. Jedenfalls habe ich die Patronen des zweiten Magazins auf die Flüchtenden verschossen, ohne sagen zu können, daß ich jemanden getroffen hätte.«
Ich darf Sie darauf hinweisen, daß der letzte Teil der Aussage von Hesselbach die Organisation von Suchkommandos nach den verstreuten, flüchtigen Krüppeln betrifft; sie hatten aber keinen Erfolg.
Und jetzt möchte ich einige Auszüge aus dem letzten Dokument dieses Schriftwechsels verlesen. Es ist dies ein schriftlicher Bericht des SS-Obersturmführers Kuntze. Am Schluß dieses Berichts heißt es, daß das Begräbnis der getöteten SS-Männer um 14.00 Uhr auf dem Polizei- und SS-Heldenfriedhof in Hegewalde stattfand.
Mir scheint auch diese Einzelheit von Interesse zu sein. Ich werde jetzt den ersten Teil dieses Berichts verlesen, wobei ich den ersten Teil, der bei Ihnen im Dokumentenbuch abgedruckt ist, auslassen werde, um möglichst viel Zeit zu sparen. Kuntze wiederholt, warum die achtundsiebzig Menschen nach der Inspektion des Lagers durch Kallbach zur Vernichtung bestimmt wurden.
Die Kriegsgefangenen waren ihrer Verwundungen wegen eine beträchtliche Belastung für das Lager:
»Aus diesen Gründen ordnete SS-Hauptsturmführer Kallbach an, daß am 24. Dezember die Exekution der ehemaligen Kgf. durchgeführt werden sollte. Es konnte weder an der hiesigen Dienststelle noch bei der Außendienststelle festgestellt werden, aus welchen Gründen von dem früheren Kommandeur diese versehrten Kgf. übernommen und in das Arbeitserziehungslager eingewiesen wurden. Irgendwelche Unterlagen über kommunistische Betätigung der Kgf. während der Sowjetzeit bestehen hier nicht. Es hat also den Anschein, daß auch die Wehrmacht diese Kgf. seinerzeit der hiesigen Dienststelle zur Sonderbehandlung zur Verfügung gestellt hat, da sie wegen ihrer körperlichen Verfassung für einen Arbeitseinsatz nicht in Frage kamen.
Die Exekution wurde dann für den 24. 12. von SS-H'stuf. Kallbach angeordnet. Am 24. 12. gegen 17.00 Uhr meldete der Außendienststellenleiter von Berditschew, SS-Sturmscharführer Knop, fernmündlich, daß bei der angeordneten Sonderbehandlung die beiden Angehörigen der Außendienststelle, SS-U'scharf. Paal und SS-Sturmm. Vollprecht, von den Häftlingen überfallen und mit ihren eigenen Waffen erschossen worden sind.«
Ich übergehe jetzt einen beträchtlichen Teil der geschwätzigen Ausführungen des SS-Obersturmführers Kuntze und möchte nunmehr drei Absätze verlesen, die Sie auf Seite 172 und 173 finden:
»Es sind also von den 28 Häftlingen 4 in der Grube und 2 auf der Flucht erschossen worden, während die restlichen 22 flüchten konnten.
Die sofort von SS-Rttf. Hesselbach eingeleiteten Verfolgungsmaßnahmen der Geflüchteten durch ein Kommando des in der Nähe befindlichen Stalags waren zwar zweckmäßig, aber ohne Erfolg. Die Allgemeinfahndung ist sofort von dem Leiter der Außendienststelle Berditschew bei sämtlichen Polizei- und Wehrmachtsdienststellen eingeleitet worden. Diese durfte allerdings mit Schwierigkeiten verbunden sein, da die Namen der Flüchtigen nicht bekannt sind. Es standen lediglich die Namen der Sonderzubehandelnden fest, so daß eine Gesamtfahndung nach den bereits Exekutierten und Geflüchteten eingeleitet werden mußte.
Am 25. 12. fand unter meiner Leitung die Sonderbehandlung der restlichen 20 ehem. Kgf. an derselben Stelle statt. Da zu befürchten war, daß die geflüchteten Häftlinge in kürzester Zeit Verbindung mit einer Bande aufgenommen haben könnten, habe ich veranlaßt, daß das Stalag wiederum ein Kommando von 20 mit MG und Karabiner bewaffneten Soldaten zur Sicherung der Umgebung abstellte. Die Exekution ist ohne Zwischenfall verlaufen.«
Man muß sich nur vorstellen, wie diese armen, bein- und armlosen zwanzig Krüppel unter starker SS- und Soldatenbewachung, die sogar mit Maschinengewehren ausgerüstet war, zur Hinrichtung geführt wurden. Ich zitiere weiter:
»Als Vergeltungsmaßnahmen ordnete ich an, daß durch die Gendarmerie in den umliegenden Ortschaften sofort eine Überprüfung sämtlicher bereits entlassener Kgf. auf ihre politische Betätigung während der Sowjetzeit durchgeführt würde und 20 Aktivisten und KP-Mitglieder aus diesen Reihen festgenommen und der Sonderbehandlung zugeführt werden.«
Bevor ich das Beweismaterial über diese furchtbaren Verbrechen der Nazis abschließe, möchte ich den Gerichtshof auf einige Tatsachen aufmerksam machen.
Zuerst möchte ich auf die »Einwände der Wehrmacht«, über die der SS-Mann Knop berichtete, eingehen, Knop sagte aus; Sie finden diesen Satz auf Seite 163:
»Späterhin sind weitere beabsichtigte Aussetzungen auf Einspruch der Wehrmacht unterblieben. Ich möchte nicht falsch verstanden werden. Es war wohl so, daß die Wehrmacht nicht auf diese Aussetzungen hin intervenierte, vielmehr soll von seiten der Wehrmacht bei der Entlassung und Überstellung sofort der Wunsch geäußert worden sein, die Kgf. irgendwo unterzubringen.«
Was für ein »Obdach« hier gemeint ist, ist nicht schwer zu erraten. Das ist das Obdach, wohin sie, um mit Knops Worten zu sprechen, in Lkw's »irgendwo in der Gegend« ausgesetzt wurden.
Der zweite mir äußerst wichtig erscheinende Punkt ist das Ausmaß der Verbrechen. In Bezug auf die Henker Paal, Hesselbach und Vollprecht schreibt Knop:
»Über die drei mit der Erschießung der Kgf. beauftragten Männer war mir bekannt, daß sie bereits in Kiew bei Großexekutionen von mehreren tausend Personen teilgenommen hatten. Auch an der hiesigen Dienststelle waren sie in früherer Zeit, das heißt auch zu meiner Zeit, mit Erschießungen von mehreren hundert Personen beauftragt.«
Mit Bezug auf Hesselbach möchte ich zwei vielleicht nicht allzu wichtige, aber aufklärende Punkte erwähnen. Der erste ist die Ausdrucksweise; hier sind seine Worte:
»Nachdem ich die ersten drei Häftlinge erschossen hatte, hörte ich plötzlich oberhalb der Grube ein Geschrei. Da der vierte Häftling gerade beim Hinlegen war, habe ich diesen schnell abgeknallt....«
Jeder Bandit und Gewohnheitsmörder würde sich wahrscheinlich beim Erzählen über die Ermordung eines Menschen einer solchen Sprache bedienen. Für die faschistischen Henker ist das kurze Wort »abgeknallt« gut genug, um den Mord an einem Soldaten zu bezeichnen, der ehrenvoll für sein Vaterland gekämpft hat und dann dienstuntauglich geworden ist. Die Henker halten es noch nicht einmal für nötig, festzustellen, wen sie in Wirklichkeit ermorden. Auf Grund dieses Umstandes entstand ein Durcheinander innerhalb der Polizei. Die Suchkommandos wurden sowohl nach den Entflohenen als auch nach den Erschossenen ausgesandt.
Zweitens: Bereits eine vorbeipfeifende Kugel erweckt in ihm die Vorstellung, verwundet zu sein. Und Menschen dieses Typs werden von ihren Vorgesetzten »Helden« genannt.
Es wäre eine Unterlassungssünde, wenn ich nicht die außergewöhnliche Brutalität unterstreichen wollte, die Kuntze, dieser typische Vertreter der SS, an den Tag legte. Zwanzig unschuldige, aufs Geratewohl gefangene Personen mußten ermordet werden. Wofür? Nur weil es zweiundzwanzig arm- und beinlosen Invaliden gelungen war, dem Tode zu entrinnen.
Der Gerichtshof ist sich natürlich der Tatsache voll bewußt, daß auch diese zweiundzwanzig Invaliden nach allen Gesetzen, nach allen Gesetzen Gottes und der Menschen, nicht in den Händen von Henkern umkommen, sondern als Kriegsgefangene unter dem Schutz der Deutschen Regierung stehen sollten.
Besonders wertvoll ist das Geständnis Kuntzes über die Motive, aus denen heraus die militärischen Behörden Invaliden in das Lager zur »Sonderbehandlung« schickten. Er sagt offen aus, daß der Grund hierfür in der körperlichen Verfassung der Gefangenen bestand, die sie für irgendeine Arbeit unbrauchbar machte.
In diesem Zusammenhang überreiche ich dem Gerichtshof mehrere Dokumente. Diese bezeugen, daß sich die Vertreter der Deutschen Wehrmacht und der deutschen Behörden manchmal für die Kriegsgefangenen interessiert haben, aber nur unter dem Gesichtspunkt, Arbeitssklaven zu erhalten. In Ihrem Besitz befindet sich bereits ein Rundschreiben des Oberkommandos der Wehrmacht, nach dem die russischen Kriegsgefangenen tätowiert werden mußten, und aus dem hervorgeht, daß diese Tätowierung nicht als eine ärztliche Maßnahme zu betrachten sei. Ich lege Ihnen noch ein weiteres schändliches Dokument vor. Es trägt die folgenden Zeichen: »AZ 2, 24.82 h, Chef Kriegsgef. Nr. 3142/42, Berlin-Schöneberg, 20. Juli 1942, Badensche Straße 51.«
Dieses Dokument hat die Nummer USSR-343. Ich habe keine Absicht, dieses Dokument zu verlesen, da es mit den bereits verlesenen fast identisch ist. Aber es ist bezeichnend dafür, wie weit die Nazi-Verschwörer von dem Leitsatz abgegangen sind: »Ein Staat kann alles tun, was nötig erscheint, um Kriegsgefangene zu halten, aber nicht mehr.« Ein unbarmherzig hartes Zuchthausregime, Verhöhnungen und Folterungen am laufenden Band brachten die sowjetischen Menschen in einen derartigen Grad der Verzweiflung, daß sie die bis an die Zähne bewaffneten Lagerwachen angriffen. Wir sind über solche wirklich heldenhafte Taten unterrichtet. Aussagen von Augenzeugen befinden sich in unseren Händen. Ich unterbreite Ihnen die persönliche Aussage des Zeugen Lampe – unsere Nummer USSR-314 –, der von Ihnen hier vor einigen Tagen vernommen wurde, und die Aussagen des Zeugen Ricol, unsere Nummer USSR- 315. Ich werde nur die Stellen der Aussagen verlesen, die sich auf Seite 348 Ihres Dokumentenbuches befinden.
Hierin wird gezeigt, wie Anfang Februar 1945 achthundert Kriegsgefangene der Roten Armee, die in dem Vernichtungslager Mauthausen interniert waren, aus der faschistischen Hölle entflohen, nachdem sie die Wachen entwaffnet und den Drahtverhau, der elektrisch geladen war, durchbrochen hatten. Lampe bezeugt, wie brutal die SS-Leute jene behandelten, die sie fassen konnten. Ich zitiere einige Zeilen:
»Diejenigen, die ins Lager zurückkehrten, wurden bestialisch gequält und daraufhin erschossen. Ich persönlich habe die Flüchtlinge gesehen, die man in den Block Nummer 20 zurückführte.«
Ich unterbreche das Zitat, um zu erklären, daß der Block Nummer 20 als Todesblock bezeichnet wurde.
»Sie wurden verprügelt, und einem von ihnen floß das Blut aus dem Kopf. Hinter ihnen gingen 10 SS-Leute, darunter 3 oder 4 Offiziere, sie hatten Reitpeitschen und lachten laut. Es machte den Eindruck, als ob sie schon im voraus an den Qualen Genuß hatten, denen sie diese drei Unglücklichen aussetzen wollten. Die Tapferkeit der Aufständischen und die Grausamkeit der Repressali en hinterließen bei allen Gefangenen im Lager Mauthausen (Österreich) eine unauslöschbare Erinnerung.«
Gegenüber den sowjetischen Menschen zeigten die faschistischen Verschwörer alle den gleichen Haß. Wenn es unter ihnen auch zu Auseinandersetzungen kam, so handelte es sich doch immer nur um die zur Vernichtung ihrer Opfer anzuwendenden Mittel. Einige bemühten sich, Kriegsgefangene unverzüglich umzubringen; andere hielten es für vernünftig, ihr Blut und ihre Kraft in Fabriken, militärischen Unternehmungen und bei der Anlage militärisch wertvoller Einrichtungen und so weiter auszusaugen.
Jeder lang andauernde Krieg ruft einen Arbeitermangel in Industrie und Landwirtschaft hervor. Das faschistische Deutschland löste dieses Problem, indem es weiße männliche und weibliche Sklaven importierte. Die Kriegsgefangenen stellten ein großes Kontingent dieser Sklaven. Ihnen wurden die schwersten Arbeiten zugewiesen, wobei sie massenhaft an Erschöpfung, Überarbeitung, Hunger und brutaler Mißhandlung umkamen.
Ich lege das Dokument 744-PS vor und zitiere daraus die folgenden drei Absätze:
»Der Führer hat am 7. 7. für die Durchführung des erweiterten Eisen- und Stahlprogramms die unbedingte Sicherstellung der nötigen Kohleförderung und hierzu die Deckung des Kräftebedarfs aus Kriegsgefangenen befohlen.«
Ich lasse einige Sätze über die technische Durchführung dieser Frage aus, und führe Punkt 2 dieser Anordnung an:
»Alle im Osten seit 5. 7. 43 anfallenden Kriegsgefangenen sind den Lagern des OKW zuzuführen und von dort unmittelbar oder im Ringtausch über andere Bedarfsträger dem GBA zum Einsatz im Kohlenbergbau zur Verfügung zu stellen.«
Punkt 4 ist besonders wichtig. Er enthält eine Anweisung, nach der alle Männer von 16 bis 55 Jahren als Kriegsgefangene zu behandeln sind. Ich verlese Punkt 4:
»Die in den Bandenkämpfen des Operationsgebietes, der Heeresgebiete, der Ostkommissariate, des Generalgouvernements und des Balkans gemachten männlichen Gefangenen im Alter von 16 bis 55 Jahren gelten künftig als Kriegsgefangene. Das gleiche gilt für diese Männer in neu eroberten Gebieten des Ostens.«
Das zweite Dokument, 744-PS, ist eine vom Chef des OKW am 8. Juli 1943 herausgegebene Anweisung, die diesen Befehl wiederholt und von Keitel unterschrieben wurde. Im Text des von Keitel unterschriebenen Dokuments ist eine Nachschrift enthalten. Sie ist an alle höheren SS-Behörden gerichtet und von Himmler unterschrieben. Der Text wurde schon am 20. Dezember 1945 verlesen. Ich werde deshalb hier nur den Inhalt anführen. Es handelt sich um den Transport von Kindern, Altersschwachen und jungen Frauen. Himmler weist darauf hin, wie und durch welche Methoden sie durch Sauckels Organisation nach Deutschland zu senden sind. Auch in diesem Fall handeln Himmler, Keitel und Sauckel in vollem Einverständnis als eine Einheit.
Ich betrachte das Dokument, das wir Ihnen als USSR-354 vorlegen, als besonders wichtig. Es ist ein Bericht über das Gefangenenlager Minsk, der im Büro Rosenbergs am 10. Juli 1944 zusammengestellt worden ist.
VORSITZENDER: Ist dieses Dokument schon vorgelegt worden?
OBERST POKROWSKY: Dieses Dokument wurde noch nicht verlesen.
Ich erlaube mir, einige Auszüge zu verlesen, und zwar steht es auf Seite 183:
»Das Gefangenenlager Minsk beherbergt auf einem Raum von etwa der Größe des Wilhelmsplatzes ca. 100000 Kriegsgefangene und 40000 Zivilgefangene. Die Gefangenen, die auf diesen engen Raum zusammengepfercht sind, können sich kaum rühren und sind dazu gezwungen, ihre Notdurft an dem Platz zu verrichten, wo sie gerade stehen. Bewacht wird das Lager von einem Kommando aktiver Soldaten in Kompaniestärke. Die Bewachung des Lagers ist bei der geringen Stärke des Wachkommandos nur möglich unter Anwendung brutaler Gewalt.«
Ich übergehe übrigens einen Absatz und verlese den nächsten, der den gleichen Gedankengang zum Ausdruck bringt:
»Die einzig mögliche Sprache des schwachen Wachkommandos, das ohne Ablosung Tag und Nacht seinen Dienst versieht, ist die Schußwaffe, von der rücksichtslos Gebrauch gemacht wird.«
Weiterhin beklagen sich die Verfasser dieses Dokuments über die Unmöglichkeit, unter den Gefangenen eine Auswahl in physischer und rassischer Hinsicht für die verschiedenen Schwerarbeiten zu treffen. Ich zitiere weiter:
»Am zweiten Tag wurde der O.T. die Auslese von Zivilgefangenen unter Hinweis auf einen Befehl des Generalfeldmarschalls Kluge untersagt, wonach sich dieser selbst die Entscheidung über die Entlassung von Zivilgefangenen vorbehielt.«
Ich werde zwei Dokumente verlesen, die darlegen, daß die Hitleristen in ihrem Haß gegen das Sowjetvolk die Anwendung tierischer Grausamkeit und systematischer Verhöhnung, deren sie sich den sowjetischen Kriegsgefangenen gegenüber befleißigten, noch für zu milde hielten und eine Verschärfung verlangten.
Am 29. Januar 1943 wurde eine vom Chef des OKH unterschriebene Verordnung über die »Rechte der Selbstverteidigung gegen Kriegsgefangene« erlassen. Dieses Dokument trägt die Nummer 3868/42 und ist bei der US-Delegation unter 696-PS registriert. Da dieses Dokument noch nicht verlesen wurde, legen wir es als Beweisstück USSR-355 vor. Ich werde einige Auszüge aus diesem Dokument verlesen. Den zu verlesenden Satz finden Sie auf Seite 185 Ihres Dokumentenbuches. Er beginnt folgendermaßen:
»Immer wieder wird von Wehrmacht- und Parteidienststellen die Frage der Behandlung der Kgf. aufgeworfen und zum Ausdruck gebracht, daß die im Abkommen von 1929 (H.Dv.38/2) vorgesehenen Bestrafungsmöglichkeiten nicht ausreichen.«
Dieses Dokument erklärt, daß das frühere Abkommen hinsichtlich der Behandlung aller Kriegsgefangenen, mit Ausnahme der sowjetischen Kriegsgefangenen, in Kraft bleibt. Was die sowjetischen Kriegsgefangenen betrifft, so wird ihre Behandlung durch die vom OKW, Abteilung für Kriegsgefangene, herausgegebene Weisung Nummer 389/42 S vom 24. März 1942, bestimmt.
Das zweite Dokument ist ein Rundschreiben der Kanzlei der Nazi-Partei und trägt die Nummer 12/43 s. Dieses Rundschreiben wurde vom Leiter der Partei- Kanzlei des Obersten Stabes des Führers, am 12. Februar 1943 herausgegeben. Es ist von Bormann unterzeichnet und wurde vom Reichsleiter an die Gauleiter und die kommandierenden Offiziere militärischer Einheiten versandt. Es erwähnt den Geheimbefehl Nummer 3868/42 s des Chefs des Generalstabs und beweist hiermit eindeutig, daß die Führer der Nazi-Partei und das Militärkommando in gleicher Weise für die bestialische Behandlung der Sowjetkriegsgefangenen verantwortlich sind.
Für alle Kriegsgefangenen, mit Ausnahme der sowjetischen, bleiben die Weisungen der Dienstvorschriften der Kriegsflotte in Kraft, während für die Sowjetkriegsgefangenen die »Anordnungen des OKW zur Geltung kommen«, von denen ich eben gesprochen habe.
So kann auch hier, wie ich bereits dem Gerichtshof mitteilte, das gemeinsame verbrecherische Ziel und die gemeinsame Führung zwischen der Nazi-Partei und dem OKW festgestellt werden.
Ich betone diesen Tatbestand ganz besonders und erinnere Sie daran, daß all dies in einem Lande geschah, dessen Vertreter schon im Jahre 1902 folgendes erklärt hatten:
»Daß die Kriegsgefangenschaft weder Rache noch Strafe ist, sondern lediglich Sicherheitshaft, deren einziger Zweck es ist, die Kriegsgefangenen an der weiteren Teilnahme am Kampf zu verhindern. Obwohl die Kgf. ihre Freiheit verlieren, verlieren sie nicht ihre Rechte. Mit anderen Worten: Die Kriegsgefangenschaft ist nicht eine Art der Gnade von seiten der Gefangennehmenden, sondern ein Recht der entwaffneten Soldaten.«
VORSITZENDER: Oberst Pokrowsky, dieses Dokument ist uns schon mehr als einmal verlesen worden.
OBERST POKROWSKY: Ich verlese es nicht, sondern erinnere nur an seinen Inhalt.
VORSITZENDER: Ich glaube, daß Sie dem Gerichtshof ein gewisses Erinnerungsvermögen zugestehen können. Wie ich bereits sagte, ist dieses Dokument schon mehr als einmal verlesen worden.
OBERST POKROWSKY: Uns steht weiter eine amtliche, von Lammers unterschriebene Dienstnotiz zur Verfügung. Dieses Dokument ist unter 073-PS registriert. Wir legen es als Beweisstück USSR-361 vor. Das Dokument ist noch nicht verlesen worden. Sie werden die von mir zitierte Stelle in Ihrem Dokumentenbuch auf Seite 191 finden. Darin heißt es:
»Kriegsgefangene sind Ausländer. Ihre Beeinflussung ist also... Auslandspropaganda, damit also Sache des Auswärtigen Amtes.«
Ich lasse einige Sätze aus:
»Ausgenommen von dieser Regelung sind die Sowjetgefangenen, die dem Reichsminister für die besetzten Ostgebiete unterstellt wurden, weil für sie die Genfer Konvention nicht gilt und sie eine besondere politische Stellung einnehmen.«
Im Zusammenhang damit lege ich ein anderes, ebenfalls deutsches Dokument als Beweisstück USSR-356 vor. Diese Notizen wurden am 15. September 1941 im Hauptquartier des Amtes AuslandAbwehr für den Chef des Stabes des OKW zusammengestellt. Ich werde einige Auszüge verlesen und beginne auf Seite 192 Ihres Dokumentenbuches:
»Das Genfer Kriegsgefangenenabkommen gilt zwischen Deutschland und der USSR nicht, daher gelten lediglich die Grundsätze des allgemeinen Völkerrechts über die Behandlung von Kriegsgefangenen. Diese haben sich seit dem 18. Jahrhundert dahin gefestigt, daß die Kriegsgefangenschaft weder Rache noch Strafe ist, sondern lediglich Sicherheitshaft, deren einziger Zweck es ist, die Kriegsgefangenen an der weiteren Teilnahme am Kampf zu verhindern. Dieser Grundsatz hat sich im Zusammenhang mit der bei allen Heeren geltenden Anschauung entwickelt, daß es der militärischen Auffassung widerspreche, Wehrlose zu töten oder zu verletzen; er entspricht zugleich dem Interesse eines jeden Kriegführenden, seine eigenen Soldaten im Falle der Gefangennahme vor Mißhandlungen geschützt zu wissen.
Die als Anl. 1 beigefügten Anordnungen für die Behandlung sowjetischer Kriegsgefangener gehen, wie sich aus den Einführungssätzen ergibt, von einer grundsätzlich anderen Auffassung aus.«
Um Zeit zu sparen, lasse ich einige Sätze aus und zitiere den Schluß des Absatzes:
»... und außerdem vieles beiseite gestellt, was nach der bisherigen Erfahrung nicht nur als militärisch zweckmäßig, sondern auch zur Aufrechterhaltung der Manneszucht und Schlagkraft der eigenen Truppe als unbedingt erforderlich angesehen wurde.«
Die Anordnungen sind sehr allgemein gehalten. Hält man sich aber die sie beherrschende Grundauffassung vor Augen, so müssen die ausdrücklich gebilligten Maßnahmen zu willkürlichen Mißhandlungen und Tötungen führen, auch wenn Willkür formal verboten ist:
»a) Dies ergibt sich einmal aus den Vorschriften über den Waffengebrauch bei Widersetzlichkeit. Es wird den mit der Sprache der Kriegsgefangenen durchweg nicht vertrauten Bewachungsmannschaften und ihren Vorgesetzten häufig nicht erkennbar sein, ob Nichtbefolgung von Befehlen auf Mißverständnis oder Widersetzlichkeit zurückgeht. Der Grundsatz: ›Waffengebrauch gegenüber sowjetischen Kriegsgefangenen gilt in der Regel als rechtmäßig‹, überhebt die Wachmannschaft jeder Pflicht zur Überlegung.«
Ich lasse noch zwei Abschnitte aus, die sich auf die uns interessierende Angelegenheit nicht beziehen und zitiere weiter:
»Die Einrichtung einer mit Stöcken, Peitschen und ähnlichen Werkzeugen ausgerüsteten Lagerpolizei widerspricht der militärischen Auffassung, auch wenn sie von Lagerinsassen ausgeübt wird; überdies geben damit die Wehrmachtstellen ein Strafmittel in fremde Hände, ohne dessen Verwendung wirklich nachprüfen zu können.«
Ich möchte noch einen weiteren Satz verlesen, den ich dem fünften Absatz entnehme und den Sie auf Seite 194 finden.
»In Anlage 2 wird Übersetzung des russischen Erlasses über Kriegsgefangene beigefügt, der den Grundsätzen des allgemeinen Völkerrechts und weitgehend auch denen des Genfer Kriegsgefangenenabkommens entspricht.«
Ich werde den Rest der Urkunde nicht verlesen, da er weniger interessiert. Diese Urkunde ist vom Chef der Ausland/Abwehr, Admiral Canaris, unterschrieben. Ihr sind Weisungen über die Behandlung von Sowjetkriegsgefangenen beigefügt. die sich ausführlich mit den Bestimmungen befassen, die Canaris als Verletzung der grundlegenden Regeln des Völkerrechts und des Genfer Abkommens betrachtete. Ich möchte dieses Dokument noch durch einige Auszüge aus dem Protokoll über das Verhör von Dr. Wengler, dem früheren juristischen Berater der Ausland/Abwehr im OKW ergänzen. Dieses Schriftstück wird dem Gerichtshof von uns als Beweisstück USSR-129 vorgelegt. Wengler wurde von mir am 19. Dezember 1945 verhört; meine Aussage ist im Hinblick auf diese Angelegenheiten sowohl für die Bewertung der Einstellung des OKW als auch für die von Keitel selbst wichtig.
DR. NELTE: Herr Vorsitzender, ich bitte, zu entscheiden, daß die Urkunde USSR-129, die Urkunde, aus der der Herr Anklagevertreter soeben vorlesen wollte, nicht verlesen wird, sondern daß der in der Urkunde genannte Zeuge Dr. Wengler persönlich hier erscheint, wenn die Sowjetische Anklagebehörde dies wünscht.
Diese Urkunde USSR-129 ist ein Vernehmungsprotokoll des genannten Dr. Wengler, der beim OKW/Ausland/Abwehr tätig war. Es handelt sich hier um die Frage, ob die Anwendung der Genfer Konvention im Verhältnis zur Sowjetunion durch die Schuld der Deutschen Regierung, des OKW und des Angeklagten Keitel unterblieben ist. Ich brauche hier nicht darzulegen, daß die Klarstellung dieser Frage für die Beurteilung der verantwortlichen Personen von größter Bedeutung ist, nicht nur wegen der Schuld mit Bezug auf die Anklage, sondern auch wegen der ungeheuren Schuld gegenüber dem deutschen Volk, wenn die Aussage des Zeugen wahr sein sollte. Der Zeuge ist in Nürnberg am 19. 12. 45 vernommen worden. Ob er noch hier ist oder in Berlin, er hat seine Anschrift bei der Vernehmung angegeben, weiß ich nicht. Ich glaube, daß die prinzipiellen Entscheidungen des Gerichtshofs zur Auslegung des Artikels 21 der Statuten meinen Antrag gerechtfertigt erscheinen lassen, denn:
Erstens bestehen für die Herbeischaffung des Zeugen aus Berlin keine besonderen Schwierigkeiten.
Zweitens handelt es sich um eine selbst in diesem Rahmen so hochbedeutsame Frage, daß die persönliche Vernehmung nicht durch die Wiedergabe eines Vernehmungsprotokolls ersetzt werden sollte.
VORSITZENDER: Haben Sie zu dem Einwand des Verteidigers des Angeklagten Keitel etwas zu sagen?
OBERST POKROWSKY: Wenn Sie erlauben, möchte ich zuerst die Frage klären, wo der Zeuge sich befindet. Er ist nicht in Nürnberg. Nach Überwindung vieler technischer Schwierigkeiten konnte er speziell für dieses Verhör hierher gebracht werden. Das Verhör wurde von uns gemäß den Bestimmungen unserer Verfahrensordnung durchgeführt, damit dieses Dokument dem Gerichtshof vorgelegt und von diesem als Beweisstück gemäß Artikel 19 der Statuten angenommen werden konnte.
Alle Fragen, die sich auf das die Anklage interessierende Thema beziehen, sind in dem Dokument, das Ihnen als USSR-129 vorgelegt wird, restlos geklärt. Ich sehe jetzt keine Möglichkeit, diesen Zeugen in kurzer Zeit herbeizuschaffen. Vielleicht erscheint es dem Vertreter der Verteidigung sehr einfach, den Zeugen noch einmal vorzuladen. Ich wiederhole aber, daß ich keine technische Möglichkeit sehe, diesen Zeugen ein zweites Mal nach Nürnberg zu bringen. Wenn es dem Gerichtshof nicht möglich ist, ein Dokument, das ordnungsmäßig nach den Bestimmungen des Gerichthofs angefertigt ist, anzunehmen, dann sind wir bereit, dieses Dokument nicht vorzulegen und andere Beweise zu erbringen, obwohl wir dies als Unrecht betrachten würden. Es ist uns leichter, das Dokument zurückzuziehen, als den Zeugen ein zweites Mal hierher zu bringen. Das ist alles, was ich als Antwort auf die Einwände der Verteidigung zu sagen habe.
VORSITZENDER: Sagten Sie, daß Sie den Zeugen nicht nach hier bringen können, und daß, da Sie ihn eben nicht herbeischaffen können, Sie auf der Vorlage dieses Dokuments nicht bestehen würden?
OBERST POKROWSKY: Nein, ich sagte, daß wir auf Vorlage dieses Dokuments bestehen, da wir der Ansicht sind, daß der Gerichtshof das Recht hat, gemäß Artikel 19 des Statuts dieses Dokument als Beweismittel anzunehmen. Wenn wir jedoch zwischen zwei Möglichkeiten zu wählen hätten, entweder von der Verwendung dieses Dokuments abzusehen oder den Zeugen ein zweites Mal vorzuladen, so würden wir in Anbetracht der technischen Schwierigkeiten, die uns aus der Herbeischaffung des Zeugen erwachsen, eher auf die Vorlage des Dokuments verzichten.
Wir glauben jedoch, daß das Dokument vorschriftsmäßig ist, und daß der Gerichtshof es gemäß Artikel 19 des Statuts als Beweisstück annehmen müßte.
VORSITZENDER: Der Gerichtshof möchte wissen, warum es schwierig oder unmöglich ist, den Zeugen in gleicher Weise nach Nürnberg zu bringen, wie es im Dezember 1945 geschehen ist; und zweitens, haben Dr. Nelte und die anderen Verteidiger vollständige Abschriften dieses Dokuments in deutscher Sprache erhalten?
OBERST POKROWSKY: Dr. Wengler wurde in seiner Muttersprache verhört, das Original seines Verhörs liegt dem Gerichtshof vor und eine entsprechende Anzahl Kopien steht den Verteidigern zur Verfügung. Was die technischen Schwierigkeiten anlangt, so kann ich jetzt dem Gerichtshof die genauen technischen Gründe, die mir von unseren Mitarbeitern berichtet wurden, nicht erklären, weil ich mich darauf nicht mehr besinne. Aber als meine Mitarbeiter sich seinerzeit mit dieser Frage beschäftigten, das heißt, als sie den Zeugen ermittelten und nach hier brachten, teilten sie mir mit, daß sie dies ein zweites Mal nicht mehr tun könnten. Deswegen ist Dr. Wengler, der in Freiheit lebt, hier in Nürnberg nicht einen, sondern mehrere Tage lang gewesen, und zwar solange wir ihn brauchten, um alle Fragen, die uns interessierten, in gebührender Weise zu klären, und um ihn ausführlich zu verhören, da wir die Unmöglichkeit einer zweiten Vorladung voraussahen.
VORSITZENDER: Der Gerichtshof möchte wissen, woher der Zeuge kam, als er nach Nürnberg gebracht wurde?
OBERST POKROWSKY: Aus Berlin – damals wurde er aus Berlin hierher gebracht.
VORSITZENDER: Und ist er auch heute in Berlin?
OBERST POKROWSKY: Darauf kann ich ohne vorherige Feststellung jetzt nicht antworten. Er befindet sich nicht in Haft.
VORSITZENDER: Nun, Dr. Nelte, wollen Sie noch etwas sagen?
DR. NELTE: Ich möchte lediglich auf das Protokoll, letzte Seite, hinweisen, wo die Anschrift Dr. Wilhelm Wengler, Berlin-Hermsdorf, Ringstraße 32, angegeben ist. Es handelt sich also lediglich um die Frage, welche technischen Schwierigkeiten bestehen, um den Zeugen von Berlin nach Nürnberg zu bringen. Selbstverständlich weiß ich nicht, ob der Zeuge heute noch dort ist, es ist aber wohl anzunehmen.
VORSITZENDER: Der Gerichtshof wird sich beraten.