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[Das Gericht vertagt sich bis 14.00 Uhr.]

Nachmittagssitzung.

OBERJUSTIZRAT SMIRNOW: Entsprechend Ihren Weisungen, Herr Vorsitzender, lasse ich die folgenden Dokumente, auf die ich mich ursprünglich beziehen wollte und die dem Gerichtshof bereits früher vorgelegt sind, außer acht, wie zum Beispiel das Dokument 654-PS, und gehe auf ein anderes Dokument, USSR-3 über, das gestern von meinem Kollegen, Oberst Pokrowsky, behandelt worden ist. Es ist der Bericht der Außerordentlichen staatlichen Kommission und heißt: »Anweisungen und Befehle der Hitlerschen Regierung und des deutschen Oberkommandos über die Vernichtung von Sowjetbürgern«.

Mein Kollege hat gestern einen kurzen Auszug aus Abschnitt 4 dieses Dokuments verlesen, der sich auf die Durchführung von Massenmorden, sogenannten Hinrichtungen in Lagern, in denen sich die friedliche Zivilbevölkerung und Kriegsgefangene befanden, bezogen hat.

Da dieser Abschnitt bereits verlesen ist, übergehe ich ihn und gehe zu anderen Abschnitten dieses Dokuments über, die von den Organisationen, welche von den deutsch-faschistischen Verbrechern schon in den ersten Tagen des Krieges mit der Sowjetunion ins Leben gerufen wurden, den sogenannten »Sonderkommandos« handeln. Das Dokument, das ich zitiere, betrifft die Organisationen der Sonderkommandos in den Lagern, wo Kriegsgefangene und Angehörige der friedlichen Bevölkerung gehalten wurden. Ich führe diese Stelle an, da der Ausdruck »Sonderkommando« für die Bewohner der zeitweilig besetzten Sowjetgebiete schon von Beginn des Krieges an eine grauenvolle Bedeutung bekam. Es war eine der brutalsten und grausamsten Organisationen, die von den deutschen Faschisten zur Vernichtung von Menschen geschaffen wurde.

Ich bitte Sie, das Dokumentenbuch auf Seite 207 aufzuschlagen. Spalte 1 des Textes lautet, ich beginne zu zitieren:

»Aus den aufgefundenen Dokumenten ist zu entnehmen, daß die Hitler-Henker vor dem Angriff auf die USSR Listen und Auskunftsbücher angelegt und Nachrichten über leitende sowjetische Arbeiter eingezogen haben, die nach ihren blutigen Plänen getötet werden sollten. So wurde das Sonderfahndungsbuch für die USSR, das Deutsche Fahndungsbuch, Personen- und Adressenlisten und andere derartige Verzeichnisse vorbereitet, die den Hitlerschen Mördern die Vernichtung des führenden Teils der Bevölkerung der USSR erleichtern sollten.

In dem Dokument, genannt ›Anhang 2 zum Einsatzbefehl Nr. 8 des Chefs der Sicherheitspolizei und des SD‹, datiert Berlin, 17. Juli 1941, gezeichnet Heydrich, der damals Stellvertreter Himmlers war, wird jedoch darauf hingewiesen, daß diese Listen und Auskunftsbücher nicht ausreichend sind und daß unter keinen Umständen den Mördern und Hitler-Henkern in ihrem Vorhaben etwas in den Weg gelegt werden darf. Im Dokument wird gesagt:

Für die Durchführung ihrer Aufgabe können den Kommandos Hilfsmittel nicht zur Verfügung gestellt werden. Das Deutsche Fahndungsbuch, die Aufenthaltsermittlungsliste und das Sonderfahndungsbuch für die USSR, werden sich in den wenigsten Fällen als verwendbar erweisen; das Sonderfahndungsbuch für die USSR ist deshalb nicht ausreichend, weil nur ein geringer Teil der als gefährlich zu bezeichnenden Sowjetrussen darin aufgeführt ist.‹«

Ich lasse einen Absatz aus und fahre fort:

»Zur Durchführung ihrer verbrecherischen Pläne haben die deutschen Eindringlinge sowohl in den Durchgangs- als auch in den ständigen Kriegsgefangenenlagern, die seinerzeit auf deutschem Territorium, im sogenannten polnischen ›Generalgouvernement‹ sowie auf dem besetzten Sowjetgebiet eingerichtet wurden, ›Sonderkommandos‹ aufgestellt.«

Ich lasse weitere sieben Absätze aus und setze das Zitat auf Seite 207 des Dokumentenbuches, Absatz 6, Spalte 2 fort:

»Anlage Nr. 1 zum Einsatzbefehl Nr. 14 des Chefs der Sicherheitspolizei und SD. Geheime Reichssache, Ausfertigung Nr. 15 (datiert: Berlin, 29. Oktober 1941). Gibt Weisungen zur Bildung von ›Sonderkommandos‹.

Die Abstellung der Sonderkommandos, der Sicher heitspolizei und des SD erfolgt nach Vereinbarung zwischen dem Chef der Sicherheitspolizei und des SD mit dem OKH vom 7. 10. 1941.

Die Kommandos arbeiten auf Grund besonderer Ermächtigung und gemäß den ihnen erteilten allgemeinen Richtlinien im Rahmen der Lagerordnung in eigener Verantwortlichkeit selbständig. Es ist selbstverständlich, daß die Kommandos mit den Lagerkommandanten und Abwehroffizieren engste Fühlung halten.«

Ich lasse nun den folgenden Text aus und fahre fort auf Seite 208 des Dokumentenbuches, Absatz 1. Der Gerichtshof wird sehen, in welch weitem Umfang die Reichsleiter die Einsetzung dieser gefährlichen polizeilichen Organisationen ausdehnten. Sonderkommandos wurden organisiert im ganzen Gebiet von Krasnogwardeisk, einer kleinen Stadt bei Leningrad, bis zur Stadt Nikolajew am Schwarzen Meer. Ich zitiere weiter:

»Der Befehl des Chefs der Sicherheitspolizei und des SD vom 29. Oktober 1941 über die Organisation der Sonderkommandos wurde den Einsatzgruppen in Krasnogwardeisk, Smolensk, Kiew, Nikolajew und – ›orientierungshalber‹ – in Riga, Mogilew und Kriwoi-Rog bekanntgemacht.«

Es muß auch hervorgehoben werden, daß während ihres Angriffs gegen Moskau die Hitleristen in Smolensk ein »Sonderkommando Moskau« aufgestellt haben, das die Massenhinrichtung der Moskauer Bevölkerung zur Aufgabe hatte.

Wie oben erwähnt, war der Umfang der Vollmacht der Sonderkommandos sehr weitgehend. In dem Dokument, das ich zitiere, ist darüber folgendes gesagt:

»Die dem Sonderkommando obliegenden Aufgaben sind in den Einsatzbefehlen dargelegt, die der Verordnung des Chefs der Sicherheitspolizei und SD Nr. 8, datiert: Berlin, den 17. Juli 1941, beigefügt waren. Diese Verordnung gibt unter dem Vorwand einer Aussiebung von Zivilisten und verdächtiger Kriegsgefangener, die im Ostfeldzug gefangen wurden, folgendes an:

Die besonderen Umstände des Ostfeldzuges fordern besondere Maßnahmen, die ohne Rücksicht auf irgendwelche bürokratische Einflüsse, auf eigene Verantwortung durchzuführen sind.‹«

Ich überspringe jetzt die nächsten Stellen dieses Dokuments, da sie als Wiederholungen bereits vorgelesener Stellen erscheinen.

Nachdem die Hitleristen den verbrecherischen Krieg entfesselt hatten, führten sie ihn im Zeichen der Massenausrottung der Bürger der USSR und anderer Länder Osteuropas. Den Typ der Hitler-Mörder und ihre Verbrechen habe ich bereits bei der Verlesung der vorgelegten Dokumente beschrieben. Es waren besondere für diesen Zweck von den Hitler-Führern herangebildete Verbrechergruppen. Doch wird es jedem Kriminalbeamten klar sein, daß es nicht genügte, diese schändlichen Verbrechergruppen zu schaffen, sondern man mußte es auch so weit bringen, daß die Verbrecher sich bei der Ausführung ihrer Verbrechen von jeder Bestrafung vollständig frei fühlten. Um diese von den Hauptverbrechern geplanten Missetaten in ihrem ganzen Umfang durchzuführen, war es notwendig, für die Verbrecher eine Atmosphäre der Straffreiheit zu schaffen. Ihren Weisungen gemäß, Herr Präsident, werde ich das von der Amerikanischen Anklagebehörde schon früher verlesene Dokument C-50, das betitelt ist: »Erlaß über die Ausübung der Kriegsgerichtsbarkeit im Gebiet ›Barbarossa‹ und über besondere Maßnahmen der Truppe« nicht verlesen. Aber mir scheint, man sollte den Inhalt dieses Dokuments fest im Gedächtnis behalten, denn wenn man den völligen Sinn dieses Dokuments nicht erfaßt hat, dann wird es in vielen Fällen unmöglich sein, die Massenverbrechen der Hitler-Banditen im Sowjetgebiet zu begreifen.

Dieser von Keitel unterschriebene, jedoch im Namen Hitlers herausgegebene Befehl wurde nach seinen unmittelbaren Anweisungen von allen Offizieren und Soldaten der deutsch-faschistischen Armeen als persönlicher Befehl Hitlers angenommen. Zur Begründung dafür, welche Schlußfolgerungen die deutschen Soldaten aus diesem Befehl Keitels gezogen haben, werde ich mir erlauben, mich auf eine Mitteilung der Außerordentlichen staatlichen Kommission zur Untersuchung der Verbrechen der deutsch-faschistischen Räuber in Minsk zu beziehen.

Ich lege dieses Dokument dem Gerichtshof als Dokument USSR-38 vor. Es enthält einen Auszug aus der Aussage des Hauptmanns Julius Reichhof, des Vorsitzenden des Kriegsgerichts der 267. deutschen Schützendivision. Ich bitte den Gerichtshof, sich diesem Dokument zuzuwenden, das sich auf Seite 215 in der ersten Spalte im Dokumentenbuch befindet.

Ich zitiere aus dem Bericht der Außerordentlichen staatlichen Kommission die darin angeführte Aussage von Reichhof:

»Für die strafbaren Handlungen deutscher Soldaten gegenüber Sowjetbürgern konnten die Soldaten nach Hitlers Befehl nicht vor ein Kriegsgericht gestellt werden. Ein Soldat konnte nur vom Kommandanten seiner Abteilung, falls dieser es für notwendig hielt, bestraft werden. Im gleichen Befehl räumte Hitler den Offizieren der Deutschen Wehrmacht noch viel größere Vollmachten ein. Sie konnten die russische Bevölkerung nach ihrem eigenen Ermessen ausrotten.

Der Kommandant hatte das unbeschränkte Recht, über die Zivilbevölkerung Strafmaßnahmen zu verhängen, so zum Beispiel ganze Städte und Dörfer in Brand zu stecken, die Bevölkerung ihres Viehes und ihrer Lebensmittel zu berauben sowie die Sowjetbürger zur Sklavenarbeit nach Deutschland zu verschicken. Der Befehl Hitlers wurde jedem einzelnen Soldaten der deutschen Armee am Tage vor dem Angriff auf die Sowjetunion bekanntgegeben. In Übereinstimmung mit diesem Befehl Hitlers begingen die deutschen Soldaten unter der Führung ihrer Offiziere alle Arten von Bestialitäten.«

Aber selbst das genügte der hitleristischen Führung nicht, und im Jahre 1942 erachtete sie es für unbedingt notwendig, in Form einer scharfen, jede Ausnahme ausschließenden Anweisung erneut zu bestätigen, daß alle Verbrechen der deutsch-faschistischen Soldateska gegenüber der russischen Zivilbevölkerung in keinem Falle bestraft werden dürfen.

Die Reichs- und militärischen Führer betonten nachdrücklich, daß überhaupt keine Verbrechen bestraft werden sollten, selbst wenn Frauen und Kinder die Opfer der Bestialitäten waren.

VORSITZENDER: Welches sind die Dokumente, die Sie als scharfe Anweisung bezeichnen?

OBERJUSTIZRAT SMIRNOW: Ich lege dem Gerichtshof diese Anweisung als Dokument USSR-16 vor. Es ist eine von der Außerordentlichen staatlichen Kommission beglaubigte Photokopie. Den Text dieser Anweisung wird der Gerichtshof auf Seite 219 des Dokumentenbuches finden. Sie ist von Keitel unterschrieben, stemmt vom 16. Dezember 1942 und trägt die Überschrift »Bandenbekämpfung«. Ich möchte den Text dieses Dokuments fast vollständig verlesen und beginne mit dem Titel:

»Betrifft: Bandenbekämpfung. Geheime Kommandosa che.

Dem Führer liegen Meldungen vor, daß einzelne in der Bandenbekämpfung eingesetzte Angehörige der Wehrmacht wegen ihres Verhaltens im Kampf nachträglich zur Rechenschaft gezogen worden sind.«

Mein Kollege, Oberst Pokrowsky, Herr Vorsitzender, hat gestern bereits dem Gerichtshof erklärt, daß die hitlerischen Verbrecher mit dem Wort »Bande« alle Widerstandsbewegungen der Zivilbevölkerung gegen die verbrecherische Tätigkeit der deutschen Eindringlinge bezeichneten. Darum halte ich es nicht für zweckmäßig, die Aufmerksamkeit des Gerichtshofs für die Erläuterung dieses deutsch-faschistischen Ausdrucks länger in Anspruch zu nehmen.

»Der Führer hat hierzu befohlen...«

Ich übergehe einen Absatz und zitiere weiter auf Seite 219 des Dokumentenbuches:

»Wenn dieser Kampf gegen die Banden sowohl im Osten wie auf dem Balkan nicht mit den allerbrutalsten Mitteln geführt wird, so reichen in absehbarer Zeit die verfügbaren Kräfte nicht mehr aus, um dieser Pest Herr zu werden.

Die Truppe ist daher berechtigt und verpflichtet, in diesem Kampf ohne Einschränkung auch gegen Frauen und Kinder jedes Mittel anzuwenden, wenn es nur zum Erfolg führt.«

Ich betone, daß diese Anweisung von der Anwendung beliebiger Gewaltakte »gegen Frauen und Kinder« spricht. Ich setze fort:

»Rücksichten, gleich welcher Art, sind ein Verbrechen gegen das deutsche Volk und den Soldaten an der Front, der die Folgen der Bandenanschläge zu tragen hat und keinerlei Verständnis für irgendwelche Schonung der Banden oder ihrer Mitläufer haben kann.

Diese Grundsätze müssen auch die Anwendung der ›Kampfanweisung für die Bandenbekämpfung im Osten‹ beherrschen.

Nr. 2. Kein in der Bandenbekämpfung eingesetzter Deutscher darf wegen seines Verhaltens im Kampf gegen die Banden und ihre Mitläufer disziplinarisch oder kriegsgerichtlich zur Rechenschaft gezogen werden.

Die Befehlshaber der im Bandenkampf eingesetzten Truppen sind dafür verantwortlich, daß sämtliche Offiziere der ihnen unterstellten Einheiten über diesen Befehl umgehend in der eindringlichsten Form belehrt werden, ihre Rechtsberater von diesem Befehl sofort Kenntnis erhalten, keine Urteile bestätigt Werden, die diesem Befehl widersprechen. Gezeichnet: Keitel.«

Ich beende damit die Verlesung der Dokumente für die ersten beiden Abschnitte des am Anfang des Berichts genannten Verzeichnisses. Das von mir bisher dem Gerichtshof vorgelegte Material war dazu bestimmt, folgende drei Tatsachen zu bestätigen:

1. Unmittelbare Aufhetzung der breitesten Schichten der Angehörigen der Deutschen Wehrmacht durch die Hauptkriegsverbrecher zur Durchführung der Kriegsverbrechen gegen die friedliche Bevölkerung.

2. Besondere Erziehung großer Verbrecherkontingente durch die Hitlersche Führerschaft zur wirkungsvollen Durchführung der Pläne der Ausrottung der Völker.

3. Die Entfesselung der niedrigsten Instinkte in den Verbrechern und die Schaffung von Grundlagen für eine völlige Straflosigkeit der Verbrecher.

Diese Ziele wurden von den Hauptkriegsverbrechern in vollem Umfang erreicht. In den besetzten Gebieten der Sowjetunion und in den Ländern von Ost- Europa sind von den Hitler-Faschisten Verbrechen gegen die friedliebende Zivilbevölkerung begangen worden, die weder in der Art noch in der zynischen Grausamkeit der Ausführungsmethode von seiten der Organisatoren und Täter dieser Verbrechen in der Weltgeschichte ihresgleichen haben.

Ich gehe zur Vorlage der Beweise über, die das Ausmaß und die Methode dieser Verbrechen von seiten der deutschen Faschisten charakterisieren:

Ich möchte zeigen, was Keitels Richtlinien über die »Befriedung« in den besetzten Gebieten tatsächlich in Bezug auf die Behandlung der friedlichen Bevölkerung bedeuteten.

Die Einrichtung eines Terrorregimes war das erste, was in den besetzten Gebieten der USSR oder in anderen osteuropäischen Ländern das Erscheinen der deutsch-faschistischen Behörden kennzeichnete, gleichgültig ob es sich um militärische oder zivile Behörden handelte.

Dabei wurde das Terrorregime nicht nur in grausamster Weise durchgeführt, sondern stellte auch die unverschämteste Verspottung der Würde und Ehre der Völker dar, die den deutschen Faschisten zum Opfer gefallen waren.

An erster Stelle wurden dabei diejenigen terrorisiert, die von den Verbrechern für solche Personen gehalten wurden, die politisch besonders intensiv tätig oder energischen Widerstand zu leisten in der Lage waren.

Zur Bestätigung hierfür beziehe ich mich auf den schon früher von mir als Dokument USSR-6 vorgelegten Bericht der Außerordentlichen staatlichen Kommission über »Verbrechen der Deutschen im Gebiet Lemberg«. Sie finden diese Stelle auf Seite 58 des Dokumentenbuches, erste Spalte, letzter Absatz. Ich beginne zu zitieren:

»Noch vor der Einnahme von Lemberg besaßen Abteilungen der Gestapo Listen führender Intellektueller, die vernichtet werden sollten. Diese Listen sind auf Anordnung der Deutschen Regierung zusammengestellt worden. Massenverhaftungen und Erschießungen begannen sofort nach der Einnahme Lembergs. Die Gestapo verhaftete Professor Taddeus Boi-Djelenski, Mitglied des Vereins der Sowjet-Schriftsteller und Verfasser vieler literarischer Werke, Professor Roman Renzky vom Medizinischen Institut, Wladimir Seradski, Rektor der Universität und Professor für gerichtliche Medizin, Roman Lengchamps de Berrien, Doktor der Rechte, zusammen mit seinen 3 Söhnen, Professor Taddeus Ostrowski, Professor Jan Grek, den Chirurgen Professor Henryk Giljarowicz...«

Dann folgt eine lange Liste von noch drei anderen hervorragenden Vertretern der Intelligenz der Stadt Lemberg.

Ich übergehe die Aufzählung der Namen und zitiere vom nächsten Absatz weiter:

»Professor Grör vom Medizinischen Institut in Lemberg, der zufällig dem Tode entronnen ist, teilte der Sonderkommission folgendes mit:

Ich wurde am 3. Juli 1941 um Mitternacht verhaftet und in einen Lastwagen gesteckt. Darin fand ich Professor Grek, Boi-Djelenski und andere. Wir wurden zum Theologischen Institut Abragamowitsch gebracht. Während wir durch die Gänge geführt wurden, mißhandelten und erniedrigten uns die Gestapoleute, stießen uns mit den Gewehrkolben, zogen uns bei den Haaren und schlugen uns auf den Kopf. Später sah ich, wie die Deutschen fünf Professoren vom Theologischen Institut Abragamowitsch bewacht wegführten; vier von ihnen trugen den blutbesudelten Körper des Sohnes des berühmten Chirurgen Ruff. Die Deutschen hatten ihn während der Untersuchung getötet. Ruff junior war ebenfalls Spezialist. Die gesamte Professorengruppe begab sich unter Bewachung in die Richtung des Kadetskayaberges. 15-20 Minuten später hörte ich Schüsse aus der Richtung, in die die Professoren geführt worden waren.‹«

Um die menschliche Würde noch mehr zu verletzen, bedienten sich die Deutschen der raffiniertesten Folterung, nach deren Vornahme sie die Häftlinge erschossen. Ein Einwohner von Lemberg, Golzmann, teilte der Sonderkommission mit, daß er selbst Zeuge war, als im Juli 1941:

»... 20 Personen, einschließlich vier Professoren, Advokaten und Ärzten, in den Hof des Hauses Nummer 8 in der Artiszewskistraße gebracht wurden. Einer von ihnen war mir dem Namen nach bekannt, es war Krebs, ein Doktor der Rechte. Weiterhin gab es 5 oder 6 Frauen in dieser Gruppe. Die SS zwang sie, das Stiegenhaus in sieben Aufgängen des vierstöckigen Hauses mit ihren Zungen und Lippen aufzuwischen. Als dies getan war, zwangen sie die gleichen Leute, den Abfall im Hof mit ihren Lippen zu sammeln. Dieser Schutt mußte an einem Ort im Hofe zusammengetragen werden....«

Ich lasse den Schluß dieses Absatzes weg und setze mit dem folgenden Absatz fort:

»Die faschistischen Eindringlinge waren darauf bedacht, die Vernichtung der Intellektuellen sorgfältig zu verheimlichen. Sie wichen den wiederholten Anfragen der Verwandten und Freunde, die sich nach dem Schicksal der Wissenschaftler erkundigten, aus und antworteten: ›Es ist nichts bekannt‹.

Der Reichsminister Himmler befahl im Herbst 1943 der Gestapo, die Leichen der erschossenen Professoren zu verbrennen. Mandel und Korn, die vorher im Janovskylager gefangengehalten wurden und später die Ausgrabungen der Leichen durchgeführt haben, sagten vor der Kommission folgendes aus:

In der Nacht des 5. Oktober 1943 öffneten wir bei Scheinwerferbeleuchtung eine Grube zwischen der Kadetzkaya- und Buletzkayastraße, aus der wir 36 Leichen ausgruben. Dies geschah auf Anordnung der Gestapo. Wir verbrannten diese Leichen.

Als wir die Körper aus der Grube hoben, entdeckten wir Dokumente, die Professor Ostrowski, dem Doktor der Physik und Mathematik, Otoschek und Professor Kazimir Bartel vom Polytechnischen Institut gehörten.‹

Als Ergebnis der Untersuchungen wurde festgestellt, daß die Deutschen während der ersten Monate der Besetzung von Lemberg über 70 der hervorragendsten Vertreter der Wissenschaft, Technik und Künste verhaftet und getötet haben.«

Mit dem soeben Vorgetragenen ist jedoch nicht gesagt, daß die Leiter der örtlichen Organisationen und die Vertreter der Intelligenz die alleinigen Opfer des faschistischen Terrors gewesen wären.

Mit dem Gesagten habe ich nur feststellen wollen, daß sich der faschistische Terror in erster Linie gegen diese Gruppe der Bevölkerung gerichtet hat.

Eine der charakteristischen Eigenschaften des Hitlerschen Terrors bestand jedoch in der Tatsache, daß dieser Terror von den deutschen faschistischen Führern befohlen und von den Vollstreckern als allgemeiner Terror verwirklicht wurde.

Um dies zu bestätigen, verweise ich auf ein Dokument, das dem Gerichtshof bereits vorgelegt, jedoch noch nicht verlesen wurde; es handelt sich um Dokument USSR-63, den Bericht der Außerordentlichen staatlichen Kommission über die Untersuchung der deutschen Grausamkeiten in der Stadt Kertsch.

Die Stadt Kertsch ist eine verhältnismäßig kleine Stadt. Sie ist von Lemberg viele hundert Kilometer entfernt. Die deutschen Eindringlinge besetzten Lemberg schon im Juli 1941, doch erreichten sie Kertsch erst im November und wurden bereits im Januar 1942 von Einheiten der Roten Armee wieder hinausgeworfen.

Daraus geht hervor, daß die Zeit der ersten Besetzung, denn die Stadt Kertsch ist von den Deutschen zweimal besetzt worden, nicht länger als etwa zwei Monate gewährt hat. Aber hören Sie, welche Verbrechen die deutschen Faschisten in dieser Stadt begangen haben. Ich zitiere, wobei der Gerichtshof diesen Text auf Seite 227 des Dokumentenbuches, Spalte 2, Absatz 5, finden wird:

»Als die Hitler-Leute die Stadt im November 1941 besetzt hatten, erließen sie sofort, einen Befehl, der folgendermaßen lautete: ›Die Einwohner von Kertsch werden aufgefordert, alle Nahrungsmittel, die in jeder Fa milie vorhanden sind, dem deutschen Kommando zu übergeben. Für nicht abgelieferte und aufgefundene Vorräte wird der Besitzer erschossen.‹

Der zweite Befehl der Stadtverwaltung gab den Einwohnern auf, ohne Aufschub alle Hühner, Hähne, Enten, Kücken, Puten, Gänse, Schafe, Kühe, Kälber und Arbeitstiere registrieren zu lassen. Den Besitzern wurde streng verboten, das Geflügel und das Vieh ohne besondere Erlaubnis des deutschen Kommandanten für sich zu gebrauchen. Nach Veröffentlichung dieser Befehle setzten in allen Häusern und Wohnungen allgemeine Durchsuchungen ein.

Die Gestapoleute waren wie besessen. Für jedes die Norm übersteigende Kilogramm Bohnen oder Mehl erschossen sie das Familienoberhaupt.

Ihre ungeheuren Missetaten begannen die Deutschen mit der Vergiftung von 245 Schulkindern.«

Der Gerichtshof wird später beim Durchsehen unserer Filmdokumente die Leichen dieser Kinder sehen. Die Kinderleichen wurden in den Stadtgraben geworfen.

»Laut Befehl des deutschen Kommandanten waren alle Schulkinder verpflichtet, um die angegebene Zeit in der Schule zu erscheinen. Die Kinder, die sich mit Schulbüchern eingefunden hatten, schickte man aus der Stadt in die Werkschule, angeblich zu einem Spaziergang. Den frierenden und hungernden Kindern setzte man dort Kaffee mit vergiftetem Kuchen vor. Der deutsche Feldscher rief Kinder, für die der Kaffee nicht reichte, ins Ambulatorium, wo er ihnen die Lippen mit starkem Gift bestrich. Nach einigen Minuten waren alle Kinder tot. Die Kinder der älteren Klasse fuhr man auf Lastautos aus der Stadt und erschoß sie 8 Kilometer vor der Stadt mit Maschinengewehren. Dorthin transportierte man später auch die Leichen der vergifteten Kinder. Dort befand sich ein sehr großer, sehr langer Panzergraben.«

Ich zitiere weiter:

»Am Abend des 28. November 1941 wurde in der Stadt von der Gestapo der vierte Befehl ausgehängt, demgemäß die Einwohner, die in der Gestapo registriert waren, sich am 29. November von 8.00 Uhr morgens bis 12.00 Uhr mittags auf dem Sennijplatz einfinden sollten, wobei sie Lebensmittelvorräte für drei Tage mitzubringen hatten. Man befahl allen Männern und Frauen, ohne Rücksicht auf Alter und Gesundheitszustand, zu erscheinen. Man bedrohte das Nichterscheinen mit der öffentlichen Erschießung. Die Leute, die sich am 29. November auf dem Platz einfanden, waren überzeugt, daß man sie zum Arbeitsdienst aufforderte. Um 12.00 Uhr sammelten sich auf dem Platz über siebentausend Menschen. Hier waren Jünglinge, Mädchen, Kinder jeden Alters, Greise und schwangere Frauen. Die Gestapoleute warfen sie alle ins Stadtgefängnis. Diese entsetzliche Ausrottung der friedlichen, in Haft gehaltenen Bevölkerung führten die Deutschen nach einer im voraus ausgearbeiteten Anweisung der Gestapoleute durch. Zunächst verlangte man von den Verhafteten die Abgabe ihrer Wohnungsschlüssel und die Angabe ihrer genauen Adresse an den Kommandanten des Gefängnisses. Danach nahm man den Verhafteten alle Kostbarkei ten, Uhren, Ringe und Schmucksachen ab. Trotz der Kälte zog man ihnen Stiefel, Filzstiefel, Schuhe und Mäntel aus. Die faschistischen Schurken sonderten viele Frauen und Mädchen von den übrigen Verhafteten ab und sperrten sie in besondere Kammern, wo sie von den Faschisten in raffinierter Weise gefoltert wurden. Man vergewaltigte sie, schnitt ihnen die Brüste ab, schlitzte Bäuche auf, hieb Arme und Beine ab und stach die Augen aus.

Nach der Verjagung der Deutschen aus Kertsch entdeckten die Rotarmisten am 30. Dezember 1941 im Hofe des Gefängnisses einen formlosen Haufen von entstellten nackten Mädchenkörpern, die die Faschisten zynisch und brutal zu Tode gemartert hatten.

Die Hitler-Leute wählten einen Panzerabwehrgraben in der Nähe des Dorfes Bagerowsgo als Hinrichtungsplatz aus, wohin sie im Laufe dreier Tage ganze Familien der Todgeweihten in Lastautos verbrachten.

Als die Rote Armee im Januar 1942 nach Kertsch gekommen war, wurde bei der Untersuchung des Bagerowsgograbens entdeckt, daß dieser, der einen Kilometer lang, 4 Meter breit und 2 Meter tief war, mit Leichen von Frauen, Kindern, Greisen und Jugendlichen überfüllt war. Neben dem Graben befanden sich Pfützen von eingefrorenem Blut. Dort lagen auch Kindermützen, Spielsachen, Bänder, abgerissene Knöpfe, Handschuhe, Schnuller, Schühchen, Galoschen zusammen mit Arm- und Beinstumpfen und anderen Körperteilen herum. Das alles war mit Blut und Hirn bespritzt.

Die faschistischen Schurken haben die wehrlose Be völkerung mit Dumdumpatronen erschossen. Am Rande der Grube lag eine junge zerfetzte Frau. In Todeskrämpfen hatte sie ihr in ein weißes Spitzentuch eingewickeltes Kindchen umarmt. Neben dieser Frau lagen ein achtjähriges Mädchen und ein fünfjähriger Knabe, die mit Dumdumpatronen getötet waren. Ihre Hände hatten sich an den Kleidern ihrer Mutter festgeklammert.«

Diese Tatsachen werden durch die Aussagen vieler Augenzeugen, denen es gelungen war, aus dem Todesgraben lebendig zu entkommen, bestätigt. Ich zitiere zwei dieser Zeugenaussagen. Der zwanzigjährige Anatol Ignatjewitsch Bondarenko, der jetzt Soldat in der Roten Armee ist, sagte aus:

»Als man uns zum Panzerabwehrgraben gebracht und neben diesem schrecklichen Grab in Reih und Glied aufgestellt hatte, dachten wir, man habe uns hierher gebracht, um den Graben zuzuschütten oder neue Schützengräben auszuheben. Wir glaubten nicht, daß man uns erschießen wollte. Aber als die ersten Schüsse aus auf uns gerichteten Maschinengewehren gefallen waren, begriff ich, daß man uns erschießen wollte. Ich stürzte sofort in die Grube und versteckte mich hinter zwei Leichen. So lag ich unversehrt, aber in fast ohnmächtigem Zustand, bis zum Abend. In der Grube hörte ich, wie einige Verwundete den Gendarmen, die nach ihnen weiterschossen, zuriefen: ›Gib mir den Rest!‹ ›Oh, du hast mich nicht getroffen, Schuft schieß noch einmal!‹ Als die Deutschen zum Mittagessen fortgefahren waren, schrie einer unserer Dorfbewohner aus dem Graben: ›Steh' auf, wer am Leben ist!‹ Ich erhob mich und zu zweit begannen wir, die Leichen auseinanderzuwerfen und die Lebenden herauszuziehen. Ich war wie in Blut gebadet. Über dem Graben hing ein leichter Nebel und Dunst, der von dem Körperhaufen, vom Blut und dem letzten Atemhauch der Sterbenden herrührte. Wir zogen Theodor Naumenko und meinen Vater heraus, aber eine Dumdumpatrone hatte das Herz meines Vaters getroffen. Spät am Abend schlich ich zu meinen Bekannten ins Dorf Bagerowsgo und blieb dort, bis die Rote Armee kam.«

Der Zeuge A. Kamenew sagte aus:

»Hinter dem Flugplatz hielt der Fahrer den Wagen an, und wir sahen, daß die Deutschen die Menschen am Graben erschossen. Wir wurden aus dem Wagen zu je 10 Mann zum Graben geführt. Ich und mein Sohn waren unter den ersten zehn. Am Graben ließ man uns das Gesicht der Grube zuwenden, und die Deutschen zielten nach unseren Nacken. Mein Sohn kehrte sich um und rief ihnen zu: ›Warum erschießt ihr die friedliche Bevölkerung?‹ Da fielen Schüsse und mein Sohn stürzte in die Grube. Ich sprang ihm nach. Auf mich begannen Leichen zu fallen. Um drei Uhr erhob sich aus dem Leichenhaufen ein elfjähriger Junge und begann zu schreien: ›Onkelchen, wer noch am Leben ist, soll aufstehen, die Deutschen sind fort!‹ Ich hatte Angst aufzustehen, da ich dachte, der Knabe habe auf Befehl der Polizisten geschrien. Der Knabe rief zum zweitenmal und auf diesen Ruf antwortete mein Sohn. Er erhob sich und fragte: ›Papa, bist Du am Leben?‹ Ich konnte nichts erwidern und nickte mit dem Kopf. Mein Sohn und der Knabe halfen mir unter den Leichen hervor. Wir erblickten noch andere lebende Menschen, die schrien: ›Rettet uns‹. Einige von ihnen waren verwundet. Während ich in der Grube unter den Leichen war, hörte ich das Geschrei und das Weinen der Kinder und Frauen. Nach uns hatten die Deutschen Greise, Kinder und Frauen erschossen.«

Ich unterbreche hier dieses Zitat, denn obwohl im nachfolgenden Text noch von vielen schrecklichen Verbrechen der Deutschen die Rede ist, so sind diese doch den deutschen Verbrechen in Kertsch, über die ich dem Gerichtshof bereits Auszüge verlesen habe, gleichartig. Ich bitte Sie jedoch. Ihre Aufmerksamkeit auf den Teil des Dokumentenbuches zu lenken, der sich auf die Mißhandlungen von Kindern bezieht. Diese Verbrechen sind überhaupt für den deutsch-faschistischen Terror außerordentlich charakteristisch. Ich zitiere:

»Die deutschen Barbaren haben bei ihrer unmenschlichen Mißhandlung der Sowjetbürger auch die Kinder nicht verschont.

Die Lehrerin Kolesnikova M. N. sagte aus, daß die Deutschen einen dreizehnjährigen Jungen deshalb töteten, weil er sich einen Autoschlauchreifen aneignete, um damit im Meer zu baden.

Aus den Aussagen von E. N. Sapelnikova ist folgendes festgestellt worden: Eine Frau, Maria Bondarenko, aus dem Ort Adjimushkaya, bat die Deutschen, die in der Küche arbeiteten, um etwas Essen, um drei Kinder vor dem Hungertod zu retten. Man gab ihr etwas Grütze in einem kleinen Gefäß. Einige Stunden später, nachdem diese Grütze von der Familie Bondarenko gierig verzehrt war, starben die Mutter und ihre drei Kinder. Die faschistischen Henker hatten sie vergiftet.

Aus den Aussagen von N. H. Schumilova geht hervor, daß im Juli ein deutscher Offizier einen sechsjährigen Jungen erschossen hatte, weil er während eines Spazierganges in der Stadt ein Sowjetlied gesungen hatte. Im Garten ›Sacco und Vanzetti‹ konnte man längere Zeit die Leiche eines erhängten neunjährigen Knaben sehen, der gehängt wurde, weil er von dem Baum Aprikosen gepflückt hatte.«

Hiermit beende ich mein Zitat aus dem Bericht über die Stadt Kertsch. Ich habe mich mit dem Beispiel der Stadt Kertsch aufgehalten, nicht etwa, weil die Missetaten der Hitler-Leute in dieser Stadt besonders große Ausmaße erreicht hätten oder weil sie durch ihre Grausamkeit von den Verbrechen, die sie in anderen Städten vollbracht haben und über die die Russische Anklagevertretung ebenfalls Dokumente besitzt, auffallend abgewichen wären. Nein, das ist durchaus nicht der Fall. Im Gegenteil; ich habe mich an den Bericht der Außerordentlichen staatlichen Kommission gehalten, weil er eine ausführliche, objektive Aufzeichnung der Kriegsverbrechen der Hitleristen gegen die friedliche Bevölkerung gibt, Verbrechen, die in einer der vielen Städte begangen wurden, die infolge eines entsetzlichen, von den deutsch-faschistischen Verbrechern entfesselten Krieges dem Terrorregime zum Opfer gefallen sind.

Ähnliche Grausamkeiten wurden von den Hitleristen in allen zeitweise besetzten Gebieten der Sowjetunion vollbracht.

Zum Beweise dafür wende ich mich nunmehr einem allgemeinen Dokumentenbuch zu, das dem Gerichtshof bereits als USSR-51 vorgelegt worden ist, das aber teilweise noch nicht ins Protokoll verlesen wurde. Ich spreche von der Note des Volkskommissars für Auswärtige Angelegenheiten, V. M. Molotow, vom 27. April 1942. In der Einführung dieser Note hat die Sowjetregierung die folgende Feststellung getroffen, ich beginne das Zitat vom Absatz 2 der Rückseite des Textes, Absatz 3 nach der Überschrift im Dokumentenbuch. Da wird folgendes gesagt:

»Die Sowjetregierung gelangte in den Besitz immer neuer Materialien und Mitteilungen, die beweisen, daß die Hitlerschen Eindringlinge überall die Sowjetbevölkerung ausplündern und geradezu ausrotten, wobei sie auf dem Territorium, das sie vorübergehend besetzt hielten oder noch heute besetzt halten, vor keinem Verbrechen, vor keinen Grausamkeiten und Gewalttaten zurückschrecken. Die Sowjetregierung hat bereits erklärt, daß diese Grausamkeiten keine zufälligen Ausschreitungen einzelner undisziplinierter Truppenteile oder einzelner deutscher Offiziere und Soldaten darstellen. Gegenwärtig verfügt die Sowjetregierung über verschiedene Dokumente, die kürzlich bei den Stäben der aufgeriebenen deutschen Truppen erbeutet wurden. Aus diesen Dokumenten geht hervor, daß die blutigen Verbrechen und Greueltaten, die von der deutsch-faschistischen Armee begangen wurden, auf Grund eines sorgfältig vorbereiteten und in allen Einzelheiten ausgearbeiteten Planes der Deutschen Regierung und auf Grund von Befehlen des deutschen Oberkommandos erfolgten.«

Ich lasse die weiteren Teile aus und gehe zum Teil V der Note über. Der Gerichtshof wird diese Stelle, die ich jetzt zitieren werde, auf Seite 8 des Dokumentenbuches finden, und zwar in der ersten Spalte, Absatz 5.

Nur noch einige Einleitungsworte zu diesem Zitat: Aus dem Text dieser Note ist zu ersehen, wie die Befehle der Reichsführung über die Einrichtung des Terrorregimes in den besetzten Territorien von verschiedenen »Kommissaren der besetzten Gebiete«, »Gauleitern« und Befehlshabern der militärischen Einheiten ausgeführt wurden. Ich zitiere den Anfang von Teil V dieser Note, auf Seite 8 Ihres Dokumentenbuches, Spalte 1, Absatz 5:

»Die unmenschliche Grausamkeit, welche die mit Gewalttaten gegen das eigene Volk zur Macht gelangte Hitler-Clique gegenüber der Bevölkerung der vorübergehend von Hitler-Deutschland besetzten europäischen Länder an den Tag gelegt hat, ist von der deutschen Armee bei ihrem Einbruch in das Sowjetterritorium um ein Vielfaches überboten worden. Der Rachefeldzug der Hitler-Faschisten gegen die friedliche Sowjetbevölkerung hat die blutigsten Seiten in der Geschichte der Menschheit und in der Geschichte dieses Weltkrieges in den Schatten gestellt. Er entlarvt restlos die faschistischen blutigen und verbrecherischen Pläne, die die Ausrottung des russischen, ukrainischen und weißrussischen Volkes, sowie der anderen Völker der Sowjetunion bezwecken.

Diese ungeheuerlichen faschistischen Pläne waren der Grund für die Befehle und Anweisungen der deutschen Heerführung, die die Niedermetzelung friedlicher Bewohner des Sowjetlandes betrafen. So erklären zum Beispiel die Anweisungen des deutschen Oberkommandos, betitelt ›Umgang mit der Zivilbevölkerung und feindlichen Kriegsgefangenen‹, daß die Offiziere dafür verantwortlich sind, daß gegen die Zivilbevölkerung schonungslos vorgegangen wird und ordnet weiterhin an: ›Auf die gesamte Masse der Bevölkerung muß mit Gewalt eingewirkt werden‹. In der Anweisung, die das deutsche Oberkommando als Anleitung für die Besatzungsbehörden auf dem Territorium Weißrußlands bekanntgemacht hat, heißt es:

Jede Feindseligkeit der Bevölkerung gegenüber den deutschen Streitkräften und ihren Organisationen wird mit dem Tode bestraft. Wer Rotarmisten oder Partisanen versteckt, wird mit dem Tode bestraft. Wird ein Partisane nicht gefunden, dann müssen Geiseln aus der Bevölkerung genommen werden.‹«

VORSITZENDER: Welche Nummer hat das Beweisstück, aus dem Sie soeben verlesen haben? Wie ist die USSR-Nummer des Dokuments, das Sie gerade verlesen haben?

OBERJUSTIZRAT SMIRNOW: Dieses Dokument ist als Nummer USSR-51 vorgelegt worden. Es ist eine der Noten des Volkskommissars für Auswärtige Angelegenheiten, Molotow, und zwar vom 27. April 1942. Unter dieser Nummer wurden dem Gerichtshof im ganzen vier Noten vorgelegt. Die Note, die ich jetzt zitiere, fängt auf Seite 4 Ihres Dokumentenbuches an. Das Zitat, das ich jetzt verlese, befindet sich auf Seite 8 des Dokumentenbuches.

VORSITZENDER: Der Gerichtshof glaubt, daß dies ein Teil des Dokuments ist, das Sie gestern verlesen haben. Sind Sie sicher, daß es nicht so ist?

OBERJUSTIZRAT SMIRNOW: Nein, Herr Vorsitzender, gestern habe ich die Note vom 6. Januar 1942 verlesen. Die Note, die ich jetzt zitiere, ist vom 27. April. Erlauben Sie, daß ich fortfahre?

VORSITZENDER: Ja.

OBERJUSTIZRAT SMIRNOW:

»Falls die Schuldigen oder ihre Helfer im Laufe von 24 Stunden nicht eingeliefert werden, sind diese Geiseln zu hängen. Am nächsten Tage ist an der gleichen Stelle die doppelte Anzahl von Geiseln zu hängen.

Punkt 7 des Befehls Nr. 431/41 des deutschen Kom mandanten der Stadt Feodosia, Hauptmann Eberhard, lautet:

Während eines Alarms ist jeder Bürger, der auf der Straße erscheint, zu erschießen. Sobald Gruppen von Bürgern auftauchen, sind sie zu umzingeln und schonungslos zu erschießen. Die Rädelsführer und Hetzer müssen öffentlich aufgehängt werden.‹

In einem Befehl an die 260. deutsche Infanterie-Division über den Umgang mit der Zivilbevölkerung werden einzelne Offiziere dafür gerügt, daß ›nicht überall die notwendige Härte zur Anwendung kommt‹.

Die von den Okkupanten in den Sowjetstädten und -dörfern angeschlagenen Befehle sehen aus den verschiedensten Anlässen die Todesstrafe vor: für das Betreten der Straße nach 5.00 Uhr abends, für die Beherbergung Fremder, für die Nichtauslieferung von Rotarmisten, für die Nichtablieferung von Eigentum, für Versuche, in einer Ortschaft, die niedergebrannt werden soll, das Feuer zu löschen, für den Wohnungswechsel aus einer Ortschaft in die andere, für die Verweigerung von Zwangsarbeit usw.«

Ich fahre mit dem Zitat auf Seite 8 fort, Rückseite der Spalte 2 des Textes, Absatz 2:

»Die faschistische deutsche Armeeführung läßt die Ermordung von Frauen und Kindern nicht nur zu, sondern schreibt sie geradezu vor. Der organisierte Kindermord wird in einigen Befehlen als eine Maßnahme zur Bekämpfung der Partisanenbewegung bezeichnet. So wird beispielsweise in dem Befehl des Generalleutnants von Beschnitt, Befehlshaber der 254. deutschen Division, vom 2. Dezember 1941 die Tatsache, daß ›Greise, Frauen und Kinder aller Altersstufen‹ sich hinter den deutschen Linien bewegen, als ›sorglose Sanftmut‹ bezeichnet, und der Befehl erteilt, ›ohne Warnung auf alle Zivilpersonen jeden Alters und Geschlechts zu schießen, die sich der vordersten Linie nähern‹, sowie ›den Bürgermeistern die Verantwortung dafür aufzuerlegen, daß auftauchende fremde Personen, besonders Kinder, sofort der Ortskommandantur gemeldet werden‹ und daß ›jede Person, die der Spionage verdächtig ist, unverzüglich zu erschießen sei‹.«

In der Note befinden sich ebenfalls Angaben über die Richtlinien, welche die faschistischen Behörden in den provisorisch besetzten Gebieten von den Reichsbehörden erhielten. Ich zitiere auf Seite 9 des dem Gerichtshof vorliegenden Dokumentenbuches den Absatz 3, Spalte 1 des Textes:

»Einige der von den deutschen Okkupanten schon in den ersten Wochen ihres räuberischen Überfalls auf die Sowjetunion verübten Verbrechen, insbesondere die bestialische Niedermetzelung der Zivilbevölkerung Weißrußlands, der Ukraine und der Baltischen Sowjet-Republiken, sind erst jetzt dokumentarisch festgestellt worden. Bei der Zerschlagung einer deutschen SS-Kavalleriebrigade im Januar 1942 durch Truppenteile der Roten Armee in der Gegend der Stadt Toropez wurde z.B. unter den erbeuteten Dokumenten ein Bericht des 1. Kavallerieregiments der genannten Brigade über die durch diese Einheit vollzogene ›Befriedung‹ des Bezirks Starybinsk in Weißrußland erbeutet. Der Regi mentskommandeur berichtet, daß eine Abteilung seines Regiments außer 239 Gefangenen auch 6504 friedliche Einwohner erschossen habe, wobei in diesem Bericht bemerkt wird, daß die Abteilung auf Grund des Regimentsbefehls Nr. 42 vom 27. Juli 1941 vorgegangen sei. Der Kommandeur des 2. Regiments derselben Brigade, von Magill, berichtet in seiner Mitteilung über die Durchführung der Befriedungsoperation im Pripjetgebiet vom 27. Juli bis zum 11. August 1941 folgendes: ›Wir trieben die Frauen und Kinder in die Sümpfe, aber das hatte nicht den erwünschten Erfolg, da die Sümpfe nicht tief genug waren, um darin zu ertrinken. In einer Tiefe von einem Meter kann man meistenteils den Grund erreichen (möglicherweise Sand).‹ Bei demselben Stab wurde das Telegramm Nr. 37 des Kommandeurs der SS-Kavalleriebrigade entdeckt.«

VORSITZENDER: Wir wollen jetzt auf zehn Minuten vertagen.