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[Filmvorführung.]

VORSITZENDER: Wir vertagen uns nunmehr bis 14.10 Uhr.

[Das Gericht vertragt sich bis 14.10 Uhr.]

Nachmittagssitzung.

STAATSJUSTIZRAT RAGINSKY: Herr Vorsitzender! Um die Vorlage des Beweismaterials zu meinem Vortrag vollauf zu erschöpfen, bitte ich um die Erlaubnis, einen Zeugen, Joseph Abgarowitch Orbeli, der hier anwesend ist, zu vernehmen. Orbeli wird über die Zerstörung von Kultur- und Kunstdenkmälern in Leningrad aussagen.

[Dr. Servatius geht zum Rednerpult.]

VORSITZENDER: Haben Sie irgendwelche Einwendungen zu machen?

DR. ROBERT SERVATIUS, VERTEIDIGER DES ANGEKLAGTEN SAUCKEL, VERTEIDIGER FÜR DAS KORPS DER POLITISCHEN LEITER: Ich wollte das Gericht bitten, zu entscheiden, ob der Zeuge zu dem Thema gehört werden kann, ob dieser Einzelbeweis erheblich ist. Leningrad ist niemals in deutscher Hand gewesen, Leningrad ist lediglich mit den regulären Kampfmitteln der Truppen beschossen worden, beziehungsweise aus der Luft bekämpft worden, so wie das in regulärer Weise von allen Armeen der Welt geschieht. Es muß festgestellt werden, was mit diesem Zeugen bewiesen werden soll.

VORSITZENDER: Der Gerichtshof ist der Ansicht, daß der Einwand des Verteidigers jeder Grundlage entbehrt; und wir werden den Zeugen anhören.

[Der Zeuge betritt den Zeugenstand.]

Wie heißen Sie?

ZEUGE JOSEPH ABGAROWITCH ORBELI: Joseph Abgarowitch Orbeli.

VORSITZENDER: Bitte sprechen Sie mir den Eid nach; nennen Sie nochmals Ihren Namen!

Ich, Joseph Orbeli, ein Bürger der USSR, als Zeuge vor das Gericht geladen, verspreche und schwöre vor diesem Gericht, über alles, womit ich in dieser Sache vertraut bin, nur wahrheitsgetreu diesem Gericht zu bekunden.

[Der Zeuge spricht die Eidesformel nach.]

VORSITZENDER: Sie können sich setzen, wenn Sie wollen.

STAATSJUSTIZRAT RAGINSKY: Sagen Sie bitte, Herr Zeuge, welche Stellung nehmen Sie ein?

ORBELI: Direktor des Staatsmuseums Eremitage.

STAATSJUSTIZRAT RAGINSKY: Was für einen wissenschaftlichen Titel haben Sie?

ORBELI: Ich bin Mitglied der Akademie der Wissenschaften der USSR und Mitglied der Akademie der Architektur der USSR. Ferner Mitglied und Präsident der Armenischen Akademie der Wissenschaften, Ehrenmitglied der Iraner Akademie der Wissenschaften, Mitglied des Vereins der Antiquare in London, beratendes Mitglied des Amerikanischen Instituts für Kunst und Archäologie.

STAATSJUSTIZRAT RAGINSKY: Waren Sie während der deutschen Blockade in Leningrad?

ORBELI: Jawohl, ich war dort.

STAATSJUSTIZRAT RAGINSKY: Wissen Sie etwas von der Zerstörung der Kultur- und Kunstdenkmäler in Leningrad?

ORBELI: Jawohl.

STAATSJUSTIZRAT RAGINSKY: Können Sie dem Gerichtshof mitteilen, was Ihnen bekannt ist?

ORBELI: Außer den allgemeinen Beobachtungen, die ich nach Beendigung der Feindseligkeiten um Leningrad machen konnte, war ich Augenzeuge der vom Feinde unternommenen Maßnahmen gegen das Museum »Eremitage«, das Gebäude des Eremitagemuseums und des Winterpalastes, in dessen Sälen die Ausstellungsstücke des Eremitagemuseums ausgestellt waren. Im Verlauf von langen Monaten wurden diese Gebäude beschossen und von Flugzeugen aus systematisch bombardiert. Die Eremitage wurde von zwei Fliegerbomben und ungefähr dreißig Artilleriegeschossen getroffen, wobei die Geschosse dem Gebäude beträchtlichen Schaden zufügten. Die Bomben zerstörten die Kanalisation und das Wasserleitungsnetz in der Eremitage.

Während ich die Zerstörungen der Eremitage beobachtete, habe ich gleichzeitig auf der anderen Seite des Flusses die Museen der Anthropologie und Ethnographie, das Zoologische und das danebenliegende Marinemuseum, das sich im früheren Börsengebäude befand, sehen können. Alle diese Gebäude wurden stark mit Brandbomben beschossen, und ich habe die Wirkung dieser Beschießungen vom Fenster des Winterpalastes aus beobachten können. In der Eremitage selbst wurden durch Artilleriegeschosse beträchtliche Verwüstungen angerichtet, von denen ich jetzt die bedeutendsten nennen will.

Ein Geschoß zerstörte die Pforte des Hauptgebäudes der Eremitage, das auf die Millionenstraße geht, und beschädigte das Standbild »Atlanta«; ein anderes Geschoß schlug die Decke von einem der Prunksäle des Winterpalastes durch und richtete in diesem Saal großen Schaden an. Zwei Geschosse schlugen in die Garage des Winterpalastes ein, in der sich die Hofkutschen und Galawagen des 17. und 18. Jahrhunderts befanden. Eines dieser Geschosse zerstörte vier große, kunstvoll hergestellte Paradekutschen des 17. und eine vergoldete Kutsche aus dem 18. Jahrhundert. Ein anderes Geschoß durchschlug die Decke des numismatischen und des Säulensaales im Hauptgebäude der Eremitage. Der Balkon dieses Saales wurde ebenfalls zerstört.

Zur selben Zeit schlug eine Bombe in ein Nebengebäude des Eremitagemuseums in der Soljanoigasse ein, und zwar in das frühere Stieglitz-Museum, die sehr großen Schaden in dem Gebäude anrichtete und vollständig unbrauchbar machte. Dabei wurden viele Ausstellungsstücke beschädigt.

STAATSJUSTIZRAT RAGINSKY: Sagen Sie bitte, Herr Zeuge, habe ich Sie richtig verstanden, Sie haben die Zerstörung der Eremitage erwähnt und vom Winterpalast gesprochen. Ist es dasselbe Gebäude, und wo befand sich die Eremitage, die Sie erwähnten?

ORBELI: Bis zur Oktoberrevolution war die Eremitage in einem Gebäude untergebracht, dessen eine Front auf die Millionenstraße und deren andere auf den Schloßkai am Ufer der Newa ging. Nach der Revolution wurden die »Eremitage«, die »Kleine Eremitage« und das Eremitagetheater, das Gebäude, welches die »Eremitage« vom Winterpalast trennt, und später sogar der ganze Winterpalast der »Eremitage« einverleibt.

Die Gebäude, die nunmehr zur Eremitage gehören, bestehen also aus dem Winterpalast, der Kleinen Eremitage, der Großen Eremitage, die vor. der Revolution das Museum beherbergte, und dem Gebäude des Eremitagetheaters, das unter der Regierung Katharina II. von dem Architekten Quarenghi erbaut wurde. Die Brandbombe, die ich vorhin erwähnte, traf gerade dieses letzte Gebäude.

STAATSJUSTIZRAT RAGINSKY: Wissen Sie außer der Zerstörung des Winterpalastes, der »Eremitage«, auch etwas über die Zerstörung anderer Kulturdenkmäler?

ORBELI: Ich habe eine ganze Reihe von Baudenkmälern Leningrads gesehen, die durch Artilleriefeuer und Fliegerbomben großen Schaden erlitten haben, darunter die Kasankathedrale, die im Jahre 1814 von dem Architekten Woronichin erbaut wurde, die Isaakkathedrale, deren Pfeiler heute noch die Spuren der Einschläge im Granit aufweisen.

Innerhalb der Stadtgrenzen wurde dem von Rastrelli erbauten Flügelhaus neben der Smolnijkathedrale großer Schaden zugefügt. Der mittlere Teil der Galerie flog in die Luft. Außerdem wurde den Mauern der Peter- und Paulsfestung großer Schaden durch Artilleriebeschuß zugefügt. Die Festung stellt heutzutage kein militärisches Objekt dar.

STAATSJUSTIZRAT RAGINSKY: Und außer in Leningrad selbst ist Ihnen irgendetwas von Zerstörungen und Verwüstungen in den Vororten Leningrads bekannt?

ORBELI: Ich habe von dem Zustand der Denkmäler von Peterhof, Pawlowsk und Zarskoje Selo Kenntnis genommen. In allen drei Städten habe ich die Spuren der ungeheueren Zerstörung dieser Denkmäler gesehen. Dabei tragen alle Zerstörungen, die ich gesehen habe, und die ihrer großen Anzahl wegen sehr schwer aufzuzählen sind, deutliche Spuren vorsätzlicher Begehung. Was die Vorsätzlichkeit der Beschießung des Winterpalastes betrifft, so möchte ich erwähnen, daß die dreißig Treffer, von denen ich sprach, die Eremitage nicht auf einmal trafen, sondern sich auf eine längere Zeitspanne erstreckten und daß höchstens ein Geschoß bei jedem Beschuß traf.

In Peterhof habe ich außer den Zerstörungen, die dem großen Palast durch Feuer zugefügt wurden, solche, die dieses Denkmal vollständig vernichtet haben, feststellen können, daß die vergoldeten Dachschindeln des Schlosses Peterhof und der Peterhof er Kathedrale sowie des Gebäudes, das am gegenüberliegenden Ende des Riesenschlosses steht, abgerissen waren. Diese Dachschindeln konnten wegen des Feuers allein nicht heruntergefallen sein. Sie Sind mit Absicht abgerissen worden. In Monplaisir, dem ältesten Gebäude von Peterhof, das unter Peter dem Großen gebaut wurde, zeigen alle Zerstörungen Spuren langer und allmählicher Verwüstung, die keineswegs das Ergebnis einer Katastrophe sein konnte. Die wertvollen Schnitzereien aus Eiche, die die Wände bedeckten, wurden abgerissen. Die altertümlichen, aus der Zeit Peter des Großen stammenden holländischen Kachelöfen sind spurlos verschwunden. Statt dessen wurden provisorische grob gebaute Öfen hingestellt. In Zarskoje Selo zeigt der von Rastrelli erbaute große Palast unzweifelhafte Spuren absichtlicher Verwüstungen, da in zahlreichen Sälen der Parkettboden herausgebrochen und weggeschleppt wurde, während das Gebäude durch Feuer vernichtet wurde. In dem Katharinaschloß wurde eine Hilfs- und Waffenwerkstatt eingerichtet, wobei der Schmiedeherd in dem wertvollen geschnitzten Kamin des 18. Jahrhunderts eingerichtet wurde; der Kamin ist dadurch unbrauchbar geworden.

Im Paulspalast, der ebenfalls durch Feuer zerstört wurde, beweist eine ganze Reihe von Spuren, daß wertvolle Einrichtungsgegenstände, die sich in diesen Gemächern und Sälen befanden, vor der Brandstiftung entfernt wurden.

STAATSJUSTIZRAT RAGINSKY: Sagen Sie bitte, Zeuge, Sie haben erklärt, daß auch der Winterpalast ebenso wie die anderen von Ihnen aufgezählten Kulturdenkmäler mit Vorbedacht zerstört wurden. Auf Grund welcher Tatsachen gelangen Sie zu dieser Erklärung?

ORBELI: Die vorbedachte Beschießung und Beschädigung der Eremitage durch Artilleriefeuer während der Belagerung von Leningrad geht für mich und auch für alle meine Kollegen aus der Tatsache klar hervor, daß diese Beschädigungen nicht zufällig durch etwa ein- oder zweimaligen Beschuß, sondern systematisch durch methodisches Feuer, dessen Zeugen wir monatelang waren, verursacht wurden. Die ersten Treffer waren weder auf die Eremitage noch auf den Winterpalast gerichtet, die Geschosse gingen vorbei. Man schoß sich ein. Danach wurde immer in derselben Richtung geschossen. Abgesehen von unwesentlichen Abweichungen gingen die Geschosse immer in derselben Richtung, wobei zu bemerken ist, daß bei jeder Beschießung nicht mehr als ein oder höchstens zwei Geschosse in dieser Richtung fielen. Das konnte kein Zufall sein.

STAATSJUSTIZRAT RAGINSKY: Ich habe keine weiteren Fragen an den Zeugen zu richten.

VORSITZENDER: Wünscht jemand von den anderen Anklagevertretern Fragen zu stellen? Will jemand von den Verteidigern Fragen an den Zeugen richten?

DR. HANS LATERNSER, VERTEIDIGER FÜR GENERALSTAB UND OBERKOMMANDO: Herr Zeuge! Sie haben eben ausgesagt, daß durch Artilleriebeschuß und auch durch Abwurf von Bomben das Schloß Eremitage, der Winterpalast und auch der Peterhof zerstört worden seien. Es würde mich nun sehr interessieren, wo diese Gebäude stehen, und zwar gesehen von Leningrad aus.

ORBELI: Der Winterpalast und die Eremitage, die unmittelbar daneben steht, befinden sich im Zentrum von Leningrad, am Ufer der Newa, am Palastkai, nicht weit von der Schloßbrücke, die während der ganzen Zeit der Beschießung und Bombardierung nur einen Treffer erhielt. Auf der anderen Seite, gegenüber der Newa, neben dem Winterpalast und der Eremitage befinden sich der Schloßplatz und die Chalturinstraße. Habe ich Ihre Frage beantwortet?

DR. LATERNSER: Ich habe die Frage etwas anders gemeint. In welchem Teil von Leningrad liegen diese Gebäude? Im Südteil, im Nordteil, Südwestteil, Südostteil der Stadt?

Können Sie mir Auskunft darüber geben?

ORBELI: Der Winterpalast und die Eremitage befinden sich im Zentrum der Stadt an den Ufern der Newa, wie ich bereits vorhin erwähnte.

DR. LATERNSER: Und wo liegt der Peterhof?

ORBELI: An den Ufern des Finnischen Meerbusens, südwestlich der Eremitage, wenn man dieses Gebäude als Ausgangspunkt ansieht.

DR. LATERNSER: Können Sie mir sagen, ob in der Nähe des Schlosses Eremitage und des Winterpalastes sich Industrien, insbesondere Rüstungsindustrien befinden?

ORBELI: Soviel ich weiß, gibt es in der Umgebung der Eremitage und des Winterpalastes keine Rüstungsindustrien. Sollte Ihre Frage die Gebäude des Generalstabs meinen, so befinden sich diese auf der anderen Seite des Schloßplatzes. Sie erlitten durch die Beschießung weit weniger Schaden als der Winterpalast. Die auf der gegenüberliegenden Seite des Schloßplatzes befindlichen Gebäude des Generalstabs wurden meines Wissens nur von zwei Geschossen getroffen.

DR. LATERNSER: Wissen Sie etwas darüber, ob vielleicht in der Nähe dieser Gebäude, die Sie genannt haben, auch Artilleriebatterien standen?

ORBELI: Auf der ganzen Fläche um den Winterpalast und der Eremitage stand keine einzige Artilleriebatterie, da von Anfang an Maßnahmen getroffen wurden, um überflüssige Erschütterungen an den Stellen, wo sich solche Museumswerte befanden, zu vermeiden.

DR. LATERNSER: Haben die Fabriken, die sich in Leningrad während der Belagerung befanden, haben die auch in dieser Zeit noch weitergearbeitet in der Rüstungsindustrie?

ORBELI: Ich verstehe Ihre Frage nicht. Welche Fabriken? Meinen Sie die Leningrader Fabriken im allgemeinen?

DR. LATERNSER: Die Leningrader Rüstungsfabriken, haben die in dieser Zeit der Belagerung noch weitergearbeitet?

ORBELI: In der unmittelbaren Nähe der Eremitage und des Winterpalastes hat keine Rüstungsfabrik gearbeitet, da es dort keine Rüstungsindustrie gab, und während der Belagerung wurden dort auch keine gebaut. Ich weiß aber, daß Leningrad natürlich für die Kriegsrüstung gearbeitet hat, und zwar mit Erfolg.

DR. LATERNSER: Ich habe keine weiteren Fragen mehr.

DR. SERVATIUS: Herr Zeuge, der Winterpalast liegt an der Newa. Wie weit ist die nächste Brücke über die Newa von dem Palast entfernt?

ORBELI: Die nächste Brücke, die Palastbrücke, ist fünfzig Meter vom Palast entfernt. Das ist die Breite des Kais. Wie ich jedoch bereits erwähnte, wurde diese nur von einem einzigen Geschoß getroffen. Diese Tatsache bestätigt meine Annahme und meine Überzeugung, daß der Winterpalast absichtlich beschossen wurde. Ich kann es nicht gelten lassen, daß bei der Beschießung der Brücke diese nur einen Treffer, während das danebenstehende Gebäude davon dreißig erhielt. Die andere Brücke, die Börsenbrücke, befindet sich auf der anderen Seite der Großen Newa und verbindet die Vassiljewskyinsel mit dem Petrograder Ufer. Diese Brücke wurde nur von einigen Brandbomben, die von Flugzeugen abgeworfen wurden, getroffen. Die auf der Börsenbrücke entstandenen Brände wurden gelöscht.

DR. SERVATIUS: Herr Zeuge! Das sind Schlußfolgerungen, die Sie ziehen. Haben Sie irgendwelche artilleristische Kenntnisse, daß Sie beurteilen können, ob das Ziel das Schloß oder die danebenliegende Brücke war?

ORBELI: Ich war wohl nie Artillerist, aber ich nehme an, daß, wenn die deutsche Artillerie eine Brücke beschießt, sie diese unmöglich nur ein einziges Mal treffen kann, während sie dem in einiger Entfernung stehendem Schlosse dreißig Treffer zufügt. Soweit bin ich schon Artillerist.

DR. SERVATIUS: Das ist Ihre nichtartilleristische Überzeugung. Ich habe eine andere Frage. Die Newa wurde von der Flotte benützt. Wie weit entfernt von dem Winterpalast lagen die Schiffe der Roten Flotte?

ORBELI: In diesem Teil der Newa gab es keine Kriegsschiffe, die geschossen hätten oder einen ähnlichen Dienst erfüllten. Die Schiffe lagen in einem anderen Teil des Flusses, weit vom Winterpalast entfernt.

DR. SERVATIUS: Noch eine letzte Frage: Sind Sie während der ganzen Belagerungszeit in Leningrad gewesen?

ORBELI: Ich befand mich in Leningrad vom ersten Tage des Krieges an bis zum 31. März 1942. Als die Deutschen aus der Umgebung von Leningrad vertrieben wurden, kehrte ich zurück und habe dann Peterhof, Zarskoje Selo und Pawlowsk besichtigen können.

DR. SERVATIUS: Ich danke. Ich habe keine Fragen mehr an den Zeugen.

VORSITZENDER: General, wollen Sie an den Zeugen noch weitere Fragen im Rückkreuzverhör stellen?

STAATSJUSTIZRAT RAGINSKY: Wir haben keine weiteren Fragen mehr.

VORSITZENDER: Der Zeuge kann sich zurückziehen.

STAATSJUSTIZRAT III. KLASSE, GENERALMAJOR N. D. ZORYA, HILFSANKLÄGER FÜR DIE SOWJETUNION: Hoher Gerichtshof! Im Namen der Anklagevertretung der Sowjetunion erlaube ich mir nunmehr, dokumentarisches Beweismaterial über die Verwendung von Zwangsarbeitern, wie sie von den Hitler-Verschwörern in großem Maßstabe vorgenommen wurden, vorzulegen.

Mit seinen Weltherrschaftsplänen, mit seiner Mißachtung des Rechtes, der Sitten, des Mitgefühls und der Menschlichkeit, hat der Faschismus die Versklavung der friedlichen Bevölkerung der vorübergehend besetzten Gebiete sowie die Zwangsverschleppung von Millionen von Menschen nach dem faschistischen Deutschland und die zwangsweise Ausnützung ihrer Arbeitskraft vorgesehen.

Faschismus und Sklaverei, diese beiden Begriffe sind untrennbar. Meine Herren Richter! Ich beginne die Vorlage von Dokumenten, die diesen Teil der Anklage betreffen, mit dem Bericht der Jugoslawischen Republik, der dem Gerichtshof bereits als USSR-36 vorgelegt wurde.

Ich bitte den Gerichtshof, sich der Seite 40 des Berichts, die der Seite 41 im Dokumentenbuch entspricht, zuzuwenden. Ich verlese die entsprechende Stelle aus dem Bericht der Jugoslawischen Republik, betitelt: »Zwangsarbeit der Zivilbevölkerung«. Ich zitiere:

»Die nazistische Politik der allseitigen Ausbeutung der besetzten Gebiete wurde auch in Jugoslawien in vollem Umfang angewandt.

Die Reichsregierung und das OKW führten gleich nach der Besetzung Jugoslawiens die Zwangsarbeitspflicht für die Bevölkerung der besetzten Gebiete ein. Die Ausnützung der Arbeitskräfte in Jugoslawien geschah im Rahmen des allgemeinen deutschen Planes. Der Angeklagte Göring, als Leiter des deutschen Wirtschaftsplans, erteilte den unterstellten Organen Richtlinien über die systematische Ausnützung der Arbeitskraft in den besetzten Gebieten.

In einem Bericht aus Berlin schreibt einer der führenden Beamten der Wirtschaftsverwaltung der deutschen Kommandantur in Belgrad, Ranze, daß gemäß Görings Weisung die wirtschaftlichen Maßnahmen in den besetzten Gebieten nicht den Interessen der einheimischen Bevölkerung, sondern der Ausnutzung der Arbeitskraft der besetzten Gebiete zugunsten der deutschen Kriegswirtschaft zu dienen haben.

Gleich nach der Besetzung Jugoslawiens gründeten die Deutschen in Jugoslawien ihre ›Werbestellen‹ für die Werbung der Arbeiter zur ›freiwilligen‹ Arbeit in Deutschland. Sie bedienten sich auch der in Jugoslawien bestehenden Arbeitsvermittlungsorganisationen, mit deren Hilfe sie diese Pläne auch durchführten. So nahmen sie zum Beispiel in Serbien die Zentralstelle für Arbeitsvermittlung und die Arbeitsbörse in Anspruch. Durch diese Organisationen führten die Deutschen schon bis Ende Februar 1943 aus Serbien allein 47500 Arbeiter nach Deutschland fort. Später wurde diese Zahl noch bedeutend größer, wenn auch die diesbezüglichen Angaben noch nicht genau geprüft werden konnten. Alle diese Arbeiter waren in der Landwirtschaft und in verschiedenen Industrien in Deutschland beschäftigt, hauptsächlich mit schwersten Arbeiten.«

Im Bericht der Jugoslawischen Republik wird darauf hingewiesen, daß die Gestapo und eine besondere Kommission Druck und Gewalt angewandt haben. Dies ging so weit, daß die »Freiwilligen« unmittelbar in den Straßen eingefangen und gesammelt wurden, um in Gruppen nach Deutschland verschleppt zu werden.

»Außer diesen sogenannten ›freiwilligen‹ Arbeitern sandten die Deutschen viele Lagerhäftlinge und ›politisch verdächtige‹ Personen zur Zwangsarbeit nach Deutschland. Diese wurden natürlich bei schwersten Arbeiten eingesetzt und ärgsten Lebensumständen und Arbeitsbedingungen ausgesetzt. Zahlreiche unschuldige Opfer der Lager Banjitza, Sajmischte und anderer Lager wurden auf diese Weise schon seit 1942 zu Zwangsar beiten nach Deutschland gebracht. Der erste Transport ging am 24. April 1942 ab. Später wurden fortwährend Transporte, und zwar einer nach dem andern, bis zum 26. September 1944 durchgeführt. Es wurden Junge und Alte, Männer und Frauen, Landwirte, Arbeiter und Intellektuelle abtransportiert, und zwar nicht nur nach Deutschland, sondern auch in andere Länder, die von Deutschland besetzt waren.

Nach den Angaben der Lagerbücher von Banjitza, die weit davon entfernt sind, ein umfassendes Bild zu geben, wurden allein aus diesem Lager mehr als 10000 Häftlinge zur Zwangsarbeit ins Ausland verschickt.

Die deutschen Behörden in Serbien verfügten zahlreiche Maßnahmen, die der größtmöglichen Ausnutzung der Arbeitskraft dienten. Zu den ersten Maßnahmen gehörten zwei Verordnungen: Die Verordnung über die allgemeine Arbeitspflicht und die Beschränkung der Arbeitsfreiheit vom 14. Dezember 1941 sowie die Verordnung über die Einführung des nationalen Arbeitsdienstes für den Wiederaufbau Serbiens vom 5. November 1941.

Nach der ersten Verordnung konnten alle Personen von 17 bis 45 Jahren zum Arbeitsdienst bei bestimmten Unternehmungen und Wirtschaftszweigen einberufen werden. Nach der zweiten konnten diese Personen für den Zivildienst des ›nationalen Wiederaufbaues‹ verwendet werden, was in Wirklichkeit Arbeit für die Stärkung des deutschen Wirtschafts- und Kriegspotentials bedeutete.

Die Arbeitspflichtigen im Sinne dieser Verordnungen blieben wohl im Lande, arbeiteten aber für die Ziele der Ausbeutung zugunsten der deutschen Wirtschaft. Sie wurden in erster Linie zu Arbeiten in den Bergwerken (Bor, Kostolac usw.), beim Straßenbau, Eisenbahnbau, bei Flußtransporten und dergleichen verwandt. Am 26. März 1943 führte der deutsche Militärbefehlshaber Serbien durch eine besondere Verordnung alle sogenannten kriegswirtschaftlichen Maßnahmen des Reiches auch im besetzten Gebiet Serbiens ein. Hierdurch wurde in Serbien die allgemeine Mobilisierung der Arbeitskraft zwangsweise durchgeführt....

Durch diese Verordnung also wurde die gesamte Bevölkerung des besetzten Serbiens für die deutsche Kriegswirtschaft mobilisiert. Und in der Praxis nützten die Deutschen die serbische Arbeitskraft in größtmöglichem Maße aus....

Nicht anders war es in den übrigen besetzten Teilen Jugoslawiens. Wir wünschen uns hier nicht bei den zahlreichen Einzelheiten dieser planmäßigen Ausbeutung aufzuhalten und werden nur ein Beispiel aus dem besetzten Slowenien erwähnen:

Nach einer amtlichen Mitteilung der ›Landesbauernschaft in Kärnten‹ vom 10. August 1944 in Klagenfurt sollte jede einzelne Schwangerschaft bei nichtdeutschen Frauen der Arbeitseinsatzdienststelle bekanntgegeben werden. In solchen Fällen sollten sich diese Frauen die Kinder ›im Spital durch operativen Eingriff nehmen lassen‹. In dieser Mitteilung wird erklärt, daß die Geburten fremdvölkischer Frauen ›nicht nur arbeitseinsatzmäßige Schwierigkeiten, sondern darüber hinaus auch eine volkspolitische‹ Gefahr darstellen. Es wird weiter angeführt, daß die Arbeitseinsatzdienststellen zu versuchen haben, die schwangeren fremdvölkischen Frauen zur Abtreibung zu bewegen.

Als weiteren Beweis für die Ausbeutung der Arbeitskraft führen wir das Rundschreiben des Landrats des Kreises Marburg vom 12. August 1944 an, das sich mit der Erfassung aller dienstpflichtigen Personen für den Wehrmachts- und Arbeitsdienst beschäftigt. Diese Erfassung bezieht sich auf alle Kategorien der Bevölkerung der Untersteiermark, und zwar nicht nur auf die einheimische Bevölkerung, sondern auf Holländer, Dänen, Schweden, Luxemburger, Norweger und Belgier, die sich in diesem Gebiete befinden.«

Ich gehe nun zum Regierungsbericht der Polnischen Republik über, der dem Gerichtshof durch die Sowjet-Anklagevertretung als USSR-93 vorgelegt wurde.

Vorher muß ich die besondere Rolle des Angeklagten Frank erwähnen, die dieser bei der Organisation der Verschleppung der polnischen Bevölkerung zur Zwangsarbeit nach Deutschland spielte.

Ich erlaube mir, einige Auszüge aus dem Tagebuch Franks zu verlesen. Dieses Tagebuch ist dem Gerichtshof als USSR-223 vorgelegt worden.

Auf der Arbeitsleitersitzung am 12. April 1940 in Krakau hat Frank folgendermaßen sein Verhältnis zu den Polen formuliert. Die Stelle, die ich jetzt zitieren werde, finden Sie auf Seite 62, Rückseite des Dokumentenbuches. Ich zitiere:

»Auf den Druck des Reiches hin sei nunmehr verfügt worden, daß, da sich nicht genügend Arbeitskräfte freiwillig zum Dienst im Deutschen Reich meldeten, ein Zwang ausgeübt werden dürfe. Dieser Zwang bedeute die Möglichkeit der Inhaftnahme von Polen männlichen und weiblichen Geschlechts. Dadurch sei es zu einer gewissen Unruhe gekommen, die sich nach einzelnen Berichten sehr stark ausbreite und die zu Schwierigkeiten auf allen Gebieten führen könne. Der Herr Generalfeldmarschall Göring habe seinerzeit in seiner großen Rede auf die Notwendigkeit hingewiesen, eine Million Arbeitskräfte nach dem Reich zu verschicken. Geliefert seien bisher 160000.... Eine Verhaftung von jungen Polen beim Verlassen des Gottesdienstes oder der Kinotheater werde zu einer immer steigenden Nervosität der Polen führen.«

Weiter wird ausgeführt, daß, ich zitiere wörtlich:

»An sich habe er«, das heißt Frank, »gar nichts dagegen einzuwenden, wenn man das arbeitsfähige oft herumlungernde Zeug von der Straße wegholt. Der beste Weg wäre aber die Veranstaltung einer Razzia, und es sei durchaus berechtigt, einen Polen auf der Straße anzuhalten und ihn zu fragen, was er tue, wo er beschäftigt sei usw.«

In seiner Besprechung mit dem Angeklagten Sauckel am 18. August 1942 sagte Frank; ich zitiere die Stelle, die sich auf Seite 67 des Dokumentenbuches befindet:

»Ich freue mich, Ihnen... amtlich melden zu können, daß wir bis jetzt über 800000 Arbeitskräfte ins Reich vermittelt haben...

Sie haben neuerdings das Ersuchen um die Vermittlung von weiteren 140000 Arbeitskräften gestellt. Ich habe die Freude, Ihnen amtlich mitteilen zu können, daß wir entsprechend unserem gestrigen Übereinkommen 60 % dieser neu angeforderten Kräfte bis Ende Oktober und die restlichen 40 % bis Ende des Jahres ins Reich abgeben werden....

Über die Zahl der jetzigen 140000 hinaus können Sie aber im nächsten Jahr mit einer weiteren Arbeiterzahl aus dem Generalgouvernement rechnen, denn wir werden zur Erfassung Polizei einsetzen.«

Frank hat sein gegebenes Versprechen an Sauckel gehalten.

Am 14. Dezember 1942 bei der Arbeitstagung der Politischen Leiter der Arbeitsfront des Generalgouvernements sagte Frank, Sie finden es auf derselben Seite des Dokumentenbuches:

»Sie wissen, daß wir über 940000 polnische Arbeiter ans Reich abgegeben haben. Damit steht das Generalgouvernement absolut und relativ an der Spitze aller europäischen Länder. Diese. Leistung ist enorm. Sie wurde auch von Gauleiter Sauckel als solche anerkannt.«

Und jetzt bitte ich Sie um Erlaubnis, noch einen Teil des Regierungsberichts der Polnischen Republik, betitelt »Die Verschleppung der Zivilbevölkerung zur Zwangsarbeit« zu zitieren. Dieses Dokument finden Sie auf den Seiten 72 und 73 des Dokumentenbuches. Ich zitiere:

»a) Schon am 2. Oktober 1939 wurde von Frank eine Verordnung über die Einführung des Arbeitszwanges für die polnische Bevölkerung des Generalgouvernements erlassen. Auf Grund dieser Verordnung war die polnische Zivilbevölkerung gezwungen, in der Landwirtschaft, bei der Instandsetzung öffentlicher Gebäude, beim Straßenbau, bei Flußregulierungen, an Landstraßen und Eisenbahnen zu arbeiten.

b) Eine weitere Verordnung vom 12. Dezember 1939 erweiterte die Gruppen von Arbeitspflichtigen auf Kinder vom 14. Lebensjahr an; und eine Verordnung vom 13. Mai 1942 gab den Behörden das Recht, Zwangsarbeiter auch außerhalb des Generalgouvernements zu verwenden.

c) Die Praxis, die sich auf der Grundlage dieser Verordnung entwickelte, führte zu einer Massendeportation der Zivilbevölkerung aus Polen nach Deutschland. Im ganzen Generalgouvernement wurden in Dörfern und Städten Anschläge angebracht, in denen die Polen laufend aufgefordert wurden, ›freiwillig‹ zur Arbeit nach Deutschland zu gehen. Zu gleicher Zeit wurde jedoch jeder Stadt und jedem Dorf mitgeteilt, wie viele Arbeiter sie zu stellen hätten.

Die Ergebnisse der freiwilligen Anwerbung waren gewöhnlich sehr unbefriedigend. Deswegen haben die deutschen Behörden die Leute individuell zur Arbeit aufgefordert, oder Razzien in den Straßen, Restaurants, auf öffentlichen Plätzen und anderswo veranstaltet und die erfaßten Personen unmittelbar nach Deutschland gebracht. Eine besondere Jagd wurde auf junge Arbeiter beider Geschlechter gemacht. Die Familien der Deportierten erhielten monatelang kein Lebenszeichen von ihnen, und nach einiger Zeit kamen Postkarten an, in denen ihre kläglichen Lebensbedingungen beschrieben wurden. Oft kamen die Arbeiter nach mehreren Monaten in einem Zustand vollkommener körperlicher und seelischer Erschöpfung nach Hause zurück.

Wir haben konkrete Beweismittel dafür, daß während dieser Zwangsarbeit Tausende junger Männer sterilisiert, junge Mädchen in Bordelle verschleppt wurden.

d) Diese Arbeiter wurden entweder zu deutschen Bauern geschickt, um ihr Land zu bearbeiten, oder zur Fabrikarbeit, beziehungsweise zu Sonderarbeiten in den Zwangsarbeitslagern verwandt. Die Zustände in diesen Lagern waren fürchterlich.

e) Nach vorläufigen Schätzungen wurden 100000 Frauen und Männer allein im Jahre 1940 als Zwangsarbeiter nach Deutschland verbracht.

f) Dieser großen Armee von Sklavenarbeitern muß man Tausende von Polen hinzufügen, die aus den von Deutschland einverleibten Gebieten verschleppt wurden und außerdem 200000 polnische Kriegsgefangene, die auf Grund einer von Hitler im August 1940 erlassenen Verordnung aus den Lagern ›entlassen‹ wurden, aber nur, um zur Zwangsarbeit in verschiedene Teile Deutschlands gesandt zu werden.

g) Diese Deportationen wurden während der ganzen Kriegsjahre fortgesetzt. Die Gesamtzahl dieser Zwangsarbeiter erreichte zu einem bestimmten Zeitpunkt zwei Millionen. Genaue Zahlen sind offenbar nicht festzustellen, aber wenn man bedenkt, daß trotz der hohen Sterbeziffer unter diesen Menschen noch ungefähr 835000 polnische Staatsbürger in Westdeutschland registriert sind, so erscheint diese Schätzung richtig.

Das gesamte Kapitel der Verschleppung zur Zwangsarbeit wird hier in einer sehr zusammengefaßten Form vorgelegt. Diese wenigen Zeilen verbergen die Geschichte von 100000 polnischen vernichteten Familien, Tragödien, Tod und Kummer. Die Lebensgeschichte jedes einzelnen dieser Arbeiter war eine ständige Tragödie. Väter mußten ihre Familien mittellos zurücklassen. Männer wurden von ihren Frauen weggerissen, ohne ihren Unterhalt sicherstellen oder sie schützen zu können und mit wenig Hoffnung auf eine Wiederkehr.

Die angeführte Zahl von zwei Millionen verbirgt eine Unmenge zerstörter Leben und umschließt mindestens 10 Prozent der Gesamtbevölkerung Polens. Das war ein schreckliches Verbrechen.

Die Deportationen und Zwangsarbeiten waren ein flagrantes Vergehen gegen die Gesetze und Gebräuche des Krieges.«

Der griechische Bericht über die Greueltaten der Deutschen ist dem Gerichtshof als USSR-369 vorgelegt worden und stellt folgendes fest; ich bitte Sie, sich der Seite 74 des Dokumentenbuches zuzuwenden;

»Genau so wie in den anderen besetzten Gebieten war die deutsche Besatzungspolitik in Griechenland von zwei leitenden Faktoren bestimmt. Die maximale Ausnützung der Bezugsquellen des Landes im Interesse der deutschen Kriegswirtschaft sowie die Versklavung der Bevölkerung mit Hilfe von systematischem Terror und allgemeiner Unterdrückung. Die Deutschen verfolgten ihre zweiseitige Politik des Raubes und der Rache und verletzten dadurch die allgemein anerkannten Gesetze.«

Aus demjenigen Teil des Berichts der Griechischen Regierung, der »Erfassung der Arbeitskräfte« betitelt ist, möchte ich zwei Absätze verlesen:

»Eines der Probleme, welchem die deutsche Verwaltung begegnen mußte, war die Arbeiterbeschaffung. Alle männlichen Einwohner von 16 bis 50 Jahren unterlagen der Zwangsarbeitspflicht. Streiks wurden für ungesetzlich erklärt und ihre Durchführung schwer bestraft. Anstifter und Führer eines Streiks unterlagen der Todesstrafe. Streiker kamen vor das Militärgericht.

Anfänglich versuchten die Deutschen, die Griechen durch Propaganda und verschiedene Formen indirekten Drucks zur Arbeit in Deutschland anzuwerben. Hohe Löhne und bessere Lebensbedingungen wurden ihnen versprochen. Da diese Methoden ›freiwilliger‹ Anwerbung nicht den gewünschten Erfolg zeigten, gaben die Deutschen sie auf und stellten die Arbeiter vor die Wahl, entweder zur Arbeit nach Deutschland zu fahren oder als Geiseln behandelt zu werden.«

Genau dieselben Maßnahmen der zwangsweisen Verschleppung von Arbeitern nach Deutschland wurden seitens der Faschisten auch in der Tschechoslowakei angewandt.

Jedoch waren es die vorübergehend besetzten Gebiete der Sowjetunion, in denen die Verschleppung der friedlichen Bevölkerung in die Sklaverei durch die faschistischen Verbrecher ihren Höhepunkt erreichte.

Ich möchte mich jetzt sehr kurz bei den Maßnahmen für die Zwangsarbeit aufhalten, die durch die Hitler-Verbrecher für die vorübergehend besetzten Gebiete der Sowjetunion vorbereitet worden waren.

Noch vor dem Überfall auf die USSR wurde der Organisierung der Zwangsarbeit in den Sowjetgebieten, die die Kriegsverbrecher zu besetzen beabsichtigten, eine besonders große Bedeutung beigemessen. Dies ist aus dem Dokument USSR-10, US-315, ersichtlich, das dem Gerichtshof unter der Bezeichnung »Grüne Mappe« bekannt ist, und in dem ein ganzes Kapitel unter dem Titel: »Arbeitseinsatz und Heranziehung der einheimischen Bevölkerung« zu finden ist. In diesem Kapitel wird das Prinzip der Zwangsarbeit für die friedliche sowjetische Zivilbevölkerung entwickelt. Wir finden dies auf den Seiten 17 und 18 der »Grünen Mappe«, russischer Text, Seite 83 des Dokumentenbuches. In diesem Absatz, betitelt: »Heranziehung der einheimischen Bevölkerung«, wird in den Paragraphen 3 und 2 des Unterabschnittes A, zweiter Teil des Kapitels, folgendes erklärt:

»Die Arbeiter in den Versorgungsbetrieben (Gas, Wasser und Elektrizität) der Erdölförderungs-, Aufbereitungs- und Aufbewahrungsanlagen sowie bei den Notstandsarbeiten in wichtigen Betrieben... sind anzuweisen, – nötigenfalls unter Androhung mit Strafen ihre Arbeiten weiter zu versehen.«

Weiter oben heißt es:

»Nötigenfalls sind... die Arbeitskräfte beim Einsatz in Kolonnen zusammenzustellen.«

Das Ausbleiben der in Wirklichkeit nicht vorhandenen Entlohnung für die Zwangsarbeit der Sowjetbürger war bereits in Görings sogenannter »Grüner Mappe« vorgesehen. Es wurde vorausgesetzt, die Frage der Entlohnung auf die Frage der Verpflegung zu beschränken. Die faschistischen Sklavenhalter waren an nichts anderem als an der Aufrechterhaltung des Arbeitspotentials der Menschen interessiert.

Auf Seite 18 des russischen Textes der »Grünen Mappe«, in Ihrem Dokumentenbuch auf Seite 83, Rückseite, heißt es:

VORSITZENDER: Dieses Dokument ist bereits verlesen worden.

GENERALMAJOR ZORYA: Meines Wissens ist dieser Teil des Dokuments noch nicht verlesen worden. Es ist ein Dokument der Sowjetischen Anklagebehörde, das zum erstenmal im Mai 1942 vollständig in der Note des Volkskommissars für Auswärtige Angelegenheiten, V. M. Molotow, veröffentlicht wurde.

VORSITZENDER: Wenn Sie sagen, daß es noch nicht verlesen wurde, so fahren Sie bitte fort!

GENERALMAJOR ZORYA: Auf Seite 18 des russischen Textes der »Grünen Mappe« des Angeklagten Göring kann man mindestens drei Hinweise darauf finden, daß die Entlohnung auf die Verpflegung zu beschränken sei. Ich werde die Aufmerksamkeit des Gerichtshofs mit diesem Dokument nicht länger in Anspruch nehmen und gehe zur weiteren Verlesung meines Berichtes über.

Der Angeklagte Göring, der seinen Namen für diese Anweisung zur Ausplünderung der Sowjetunion zur Verfügung stellte, denn wie sollte man sonst dieses soeben erwähnte Dokument charakterisieren, setzte auch fernerhin die Organisierung der Zwangsarbeit in den vorübergehend besetzten Gebieten der Sowjetunion fort.

Als Beweis dafür lege ich als USSR-386 ein Dokument vor, das diese Seite der Tätigkeit des Angeklagten Göring beleuchtet. Es besteht eigentlich aus zwei und nicht aus einem Dokument, und zwar handelt es sich einmal um das Protokoll der Besprechung vom 7. November 1941 über die Frage des »Einsatzes von Sowjetrussen«, an der Göring teilnahm, und zum anderen um einen Begleitbrief. Hundert Ausfertigungen des Dokuments wurden anfänglich hergestellt und an vierzehn Stellen verteilt, die Sie, meine Herren Richter, auf Seite 5 des russischen Textes am Ende des Begleitbriefs finden können.

Der Begleitbrief ist von Dr. Rachner, Kriegsverwaltungschef im Wirtschaftsstab Ost, unterschrieben. Das Protokoll ist von einem gewissen von Normann, der anscheinend Mitarbeiter dieser Organisation war, geführt worden.

Ich halte es für die Behandlung der uns interessierenden Frage für zweckmäßig, einige Teile aus diesem Protokoll zu verlesen. Ich zitiere Seite 6 des russischen Textes, die den Seiten 95 und 96 Ihres Dokumentenbuches entspricht:

»Besprechung vom 7. 11. 1941 über den Einsatz von Sowjetrussen. Für den Arbeitseinsatz von Sowjetrussen gab der Reichsmarschall folgende Richtlinien:

I. Die russischen Arbeitskräfte haben ihre Leistungsfähigkeit beim Aufbau der ungeheuren russischen Industrie bewiesen. Sie muß daher nunmehr dem Reich nutzbar gemacht werden. Diesem Befehl des Führers gegenüber sind Einwendungen sekundärer Natur. Die Nachteile, die der Einsatz bereiten kann, müssen auf ein Mindestmaß beschränkt werden: Aufgaben insbesondere der Abwehr und der Sicherheitspolizei.

II. Der Russe im Operationsgebiet. Er ist vornehmlich beim Straßen- und Eisenbahnbau, bei Aufräumungsarbeiten, Minenräumen und beim Anlegen von Flugplätzen zu beschäftigen. Die deutschen Baubataillone sind weitgehend (Beispiel: Luftwaffe) aufzulösen, die deutschen Facharbeiter gehören in die Rüstung. Schippen und Steineklopfen ist nicht ihre Aufgabe. Dafür ist der Russe da.

III. Der Russe in den Gebieten der Reichskommissare und des Generalgouvernements.

Es gelten die gleichen Grundsätze wie zu II. Darüber hinaus stärkerer Einsatz in der Landwirtschaft; fehlen die Maschinen, muß Menschenhand leisten, was das Reich im Agrarsektor vom Ostraum zu fordern hat. Ferner sind für die rücksichtslose Ausbeutung der russischen Kohlenvorkommen genügend einheimische Arbeitskräfte bereitzustellen.

IV. Der Russe im Reichsgebiet einschließlich Protektorat. Die Einsatzzahl hängt vom Bedarf ab. Beim Bedarf ist davon auszugehen, daß wenig leistende und viel essende Arbeiter anderer Staaten aus dem Reich abzuschieben sind, und daß die deutsche Frau künftig im Arbeitsprozeß nicht mehr so stark in Erscheinung treten soll. Neben kriegsgefangenen Russen sind auch freie russische Arbeitskräfte einzusetzen.«

Ich bitte jetzt eine Seite dieses Dokuments auszulassen und sich der Seite 7 zuzuwenden. In der Mitte des Textes auf dieser Seite beginnt der Teil B mit dem Titel: »Der freie russische Arbeiter.«

Mein Kollege, Oberst Pokrowsky, hat bereits erwähnt, daß die Hitleristen die Zivilbevölkerung in die Kategorie der Kriegsgefangenen einbezogen. Dies ermöglichte ihnen, einerseits in ihren Kriegsberichten für Propaganda die Zahl der angeblich gefangenen Soldaten der Roten Armee zu vergrößern, andererseits eine unerschöpfliche Quelle für Arbeitskräfte zu schaffen.

Der Abschnitt, den ich eben erwähnt habe, fängt auch so an:

»Einsatz und Behandlung werden in der Praxis nicht anders zu handhaben sein wie bei den kriegsgefangenen Russen.«

Hier muß man bemerken, daß das Protokoll dieser Konferenz mit den folgenden Worten Görings endet, Sie finden diese Stelle auf Seite 94 des Dokumentenbuches:

»Werbung und Kriegsgefangeneneinsatz sind einheitlich zu betreiben und miteinander organisatorisch zu verkoppeln.«

Ich wende mich wieder der Seite 7 dieses Dokuments zu und muß bemerken, daß dort noch folgende ausdrucksvolle Äußerung Görings über die Frage der Arbeitsbedingungen der russischen Arbeiter, insbesondere über ihren Lohn, zu finden ist.

VORSITZENDER: Wir werden die Sitzung jetzt unterbrechen.