[Pause von 10 Minuten]
VORSITZENDER: Vielleicht können wir alle Dokumente im ganzen besprechen. Wollen Sie etwas dazu sagen?
DR. STAHMER: Herr Präsident, darf ich noch eine Frage, eine Erklärung bezüglich der beiden Zeugen Koller und Körner abgeben? Mir wurde vorhin mitgeteilt, Koller sei Generalstabschef der Luftwaffe gewesen, Körner ein unterer Stabsoffizier; beide seien wiederholt von den Besatzungsmächten vernommen worden; es wird dieser Hinweis vielleicht die Auffindung der Zeugen erleichtern und ermöglichen.
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Ich nehme das zur Kenntnis, und selbstverständlich werden wir unser Möglichstes tun, die Zeugen ausfindig zu machen.
VORSITZENDER: Um welche beiden Zeugen handelt es sich?
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Koller und Körner. Es sind zwei Zeugen, gegen die ich keine Einwendung erhoben habe.
VORSITZENDER: Jawohl, sehr gut.
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Es wird vielleicht zweckmäßig sein, Hoher Gerichtshof, wenn ich die allgemeine Stellungnahme der Anklagebehörde zu den Dokumenten erkläre; dann könnte sich Dr. Stahmer dazu äußern. Sie zerfallen in bestimmte Gruppen, die ich ganz kurz skizzieren kann. Wir haben hier drei Dokumente, die nicht zum Beweis vorgelegt wurden, gegen die ich aber keinen Einspruch erhebe: Nummer 19, das Britisch-Deutsche Flottenabkommen. Das ist ein Vertrag, und der Gerichtshof kann daher von ihm amtlich Kenntnis nehmen.
VORSITZENDER: Ja.
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Dann die Verfassung des Deutschen Reiches, die Weimarer Verfassung vom 11. August 1919. Wiederum nehme ich an, daß der Gerichtshof von ihr amtlich Kenntnis nehmen wird.
VORSITZENDER: Gewiß.
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Und Nummer 30: Hitlers Rede vom 21. Mai 1935.
VORSITZENDER: Ja.
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Dann gibt es noch eine Reihe von Dokumenten, die, soviel ich weiß, als Beweismittel bereits vorliegen: Nummer 4: Der Rhein-Pakt von Locarno, Nummer 5: das Memorandum an die Locarno-Mächte vom 25. Mai 1935, Nummer 6: das Memorandum an die Locarno-Mächte vom 7. März 1936, Nummer 7; der Vertrag von Versailles, Nummer 17: die Rede des Angeklagten von Neurath vom 16. Oktober 1933, Nummer 18: die Proklamation der Reichsregierung vom 16. März 1935.
Auf Nummer 7 wurde verwiesen, sie wurde aber nicht verlesen. Es ist die Rede des Angeklagten von Ribbentrop vor dem Völkerbund am 19. März 1936.
Alle diese Dokumente liegen bereits vor, oder es ist auf sie verwiesen worden; ich habe daher gegen sie keine Einwendungen.
Dann kommen wir zu einer Reihe von Büchern. Dr. Stahmer hat vorläufig nur die Bücher als solche angegeben: Nummer 1: Das Buch des verstorbenen Lord Rothermere »Warnungen und Prophezeiungen«, Nummer 2: Das Buch des verstorbenen Sir Nevile Henderson »Mißerfolg einer Mission«, Nummer 3: Hinweise auf einige Jahrgänge der »Dokumente der Deutschen Politik«.
VORSITZENDER: Einige dieser Dokumente kommen in den letztgenannten Dokumenten noch einmal vor, nicht wahr? Nummer 6 und 7 zum Beispiel sind wohl aus diesen Büchern, den ›Dokumenten der Deutschen Politik‹ entnommen?
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Ja, offenbar, Euer Lordschaft. Ich möchte nur eben noch die übrigen nennen, damit Sie die ganze Gruppe beisammen haben: Nummer 8: Das Buch von Herrn Fay: »Der Ursprung des Weltkrieges«, gemeint ist der erste Weltkrieg, Nummer 20: Herrn Winston Churchills Buch: »Schritt für Schritt«, Nummer 24: Das Buch des Angeklagten Göring: »Aufbau einer Nation«, Nummer 26, auf das ich mich schon bezogen habe, ist das Buch von Herrn Dahlerus: »Letzter Versuch«.
Zu diesen Dokumenten möchte ich folgende zwei Punkte hervorheben:
Erstens ist es technisch unmöglich, diese Bücher ganz ins Russische und Französische zu übersetzen. Ich glaube, die meisten von ihnen sind bereits ins Englische übersetzt.
Zweitens: Über die Erheblichkeit eines Buches kann erst entschieden werden, wenn wir wissen, welche Stellen Dr. Stahmer verwenden will. Nach Ansicht der Anklagebehörde sollte uns daher Dr. Stahmer so bald wie möglich bekanntgeben, auf welche Stellen er sich berufen will, damit sie übersetzt werden, und wir entscheiden können, ob sie erheblich sind oder nicht.
Bei der vierten Kategorie von Büchern oder Dokumenten handelt es sich um solche, bei denen entweder die Ausgabe unklar ist oder die, soweit diese klar ist, offensichtlich unerheblich sind. Eins, das ich bereits genannt habe, fällt in diese Kategorie, und zwar Nummer 8: Fay »Der Ursprung des ersten Weltkrieges«. Dann gehört dazu: Nummer 10: Rede des Präsidenten Wilson vom 8. Januar 1918, das ist die »14 Punkte- Rede«. Nummer 11: Die Note des Präsidenten Wilson vom 5. November 1918. Es ist die »Waffenstillstandsnote«. Nummer 12: Eine Rede von Paul Boncour vom 8. April 1927. Nummer 13: Eine Rede des Generals Bliss in Philadelphia, die aus der Zeit vor 1921 stammen muß, da sie im Buch »Was sich wirklich in Paris abspielte«, das 1921 veröffentlicht wurde, zitiert ist. Nummer 14: Eine Rede des verstorbenen Lord Lloyd George vom 7. November 1927. Nummer 15: Ein Artikel von Lord Cecil vom 1. März 1924 und ein anderer vom 18. November 1926. Nummer 16: Lord Lloyd Georges Memorandum zur Friedenskonferenz vom 25. März 1919.
Darf ich hier einen Augenblick unterbrechen?
Soweit die Anklagebehörde beurteilen kann, sind diese Bücher und Dokumente nur für die Streitfrage erheblich, ob der Friedensvertrag von Versailles mit den vierzehn Punkten des Präsidenten Wilson übereinstimmte. Die Anklagevertretung ist der Ansicht, daß dies mit den Fragen dieses Prozesses nichts zu tun hat; es ist gerade eine der Angelegenheiten, gegen die sich das Statut nach seinem ganzen Sinn richtet, und die vor diesem Gerichtshof überhaupt nicht zur Sprache kommen sollte. Es mag sein, daß ich irre, aber es ist natürlich in Anbetracht der Zusammenstellung der Dokumente sehr schwer, auf eine andere Streitfrage zu kommen. Da es aber sein kann, schlage ich vor, daß Dr. Stahmer ganz deutlich erklärt, auf welche Fragen sich diese Dokumente beziehen; wo es sich um umfangreiche Dokumente handelt, möge er auch angeben, welche Auszüge er daraus zu benützen beabsichtigt. Wenn es sich aber um die von mir genannte Frage handelt, dann ist nach Ansicht der Anklagebehörde, und ich spreche hier im Namen aller meiner Kollegen, die Sache vollkommen unerheblich.
Ich bitte um Entschuldigung, ich hätte in dieselbe Kategorie die Nummern 21 und 22 einreihen sollen. Es sind zwei Briefe des Generals Smuts aus dem Jahre 1919. Sie gehören zu dieser Kategorie.
Ich habe schon von Nummer 20, Herrn Churchills Buch, gesprochen. Abgesehen von der Frage der Auszüge, sollte nach Ansicht der Anklagebehörde wiederum auch hier klar angegeben werden, wegen welcher Streitfragen dieses Buch zitiert worden ist.
Nummer 23 ist eine Botschaft des Herrn Tschitscherin, des damaligen Außenkommissars der USSR, an Professor Ludwig Stein. Auch hier hat die Anklagebehörde nicht die leiseste Ahnung, zu welchem Thema diese Botschaft vorgelegt wird.
Über das Buch des Angeklagten Göring habe ich schon gesprochen. Ich bitte, auch hier die Auszüge anzugeben.
Nummer 28 ist das Buch des Generals Fuller »Totaler Krieg«, oder besser gesagt, eine Abhandlung über das Thema »Totaler Krieg«. Auch hier weiß die Anklagebehörde nicht, zu welcher Frage es vorgelegt wird.
Zu meiner fünften Kategorie gehört Nummer 27: »Die Weißbücher des Deutschen Auswärtigen Amtes«. Hier möchte ich die Aufmerksamkeit des Gerichtshofs auf Nummer 4 lenken, auf ein Dokument, das die anglo-französische Politik der Ausdehnung des Krieges behandelt; Nummer 5, ein weiteres Dokument über die Politik der Westmächte zur Ausdehnung des Krieges; Nummer 6, Geheimakten des Französischen Generalstabs; Nummer 29, Dokumente und Berichte des Deutschen Auswärtigen Amtes über Verletzungen der Haager Bestimmungen über die Führung des Landkrieges und Verbrechen gegen die Menschlichkeit, begangen von den Mächten, die sich mit dem Deutschen Reich im Kriege befanden. Diese letzten Dokumente scheinen ganz klar die Frage des »tu quoque« aufzuwerfen; diese Dokumente sollen also beweisen, daß, wenn das Reich Verletzungen der Kriegsgesetze und Gebräuche begangen hat, die anderen dasselbe getan haben. Nach Ansicht der Anklagebehörde ist dies vollkommen unerheblich. Die Normen sind durch die Abkommen festgelegt, es handelt sich daher um keine Replik, selbst wenn es wahr wäre, daß noch andere solche Rechtsverletzungen begangen hätten. Es kommt natürlich noch dazu, daß es ganz untunlich und untragbar wäre, wenn dieser Gerichtshof sich auf die weitere Aufgabe einlassen sollte, jede wenn auch noch so schwach begründete Behauptung, daß auch ein anderer diese Abkommen nicht eingehalten hätte, nachzuprüfen.
Es ist Ansicht der Anklagebehörde, und ich spreche wieder im Namen aller meiner Kollegen, daß diese Frage vollkommen unerheblich ist; wir erheben deshalb Einspruch gegen jedes Beweismittel zu diesem Punkt, sei es ein mündliches oder dokumentarisches Beweismittel. Wir haben selbstverständlich immer den Standpunkt vertreten, daß wir keinen Einspruch dagegen erheben, daß den Verteidigern diese Dokumente zugänglich sind, damit sie ihre Erinnerung an die Hintergründe der Ereignisse auffrischen. Wir erheben jedoch gegen ihre Beweisvorlage aus den bereits vorgebrachten Gründen Einspruch.
VORSITZENDER: Dr. Stahmer, vielleicht können Sie uns zuerst mitteilen, ob Sie damit einverstanden sind, daß, soweit Bücher in Frage kommen, Sie bereit sind, uns mit den Auszügen zu versehen, auf die Sie sich berufen. Sie können von der Anklagebehörde und vom Gerichtshof nicht erwarten, daß sie die ganzen Bücher übersetzen lassen.
DR. STAHMER: Das war auch nicht meine Absicht und ich glaube, ich habe meiner Dokumentenliste eine Bemerkung vorgesetzt, in welcher ich unter Ziffer 2 darauf hingewiesen und mich bereit erklärt hatte, die Zitate anzugeben; so weit ist selbstverständlich die Beanstandung an sich richtig.
VORSITZENDER: Jawohl, ich verstehe; sehr gut.
DR. STAHMER: Ein weiterer Angriffspunkt der Anklagebehörde befaßt sich ja mit den Büchern, die von mir angeführt sind und sich mit dem Vortrage von Versailles befassen. Auch hier wird von mir noch genau angegeben werden, in welchem Umfange ich aus diesen Büchern Zitate verwenden will. Grundsätzlich muß aber der Verteidigung das Recht gegeben werden, in dieser Richtung Stellung zu nehmen, weil ja ein...
VORSITZENDER: Dr. Stahmer, zu allen Büchern, die Sir David genannt hat und von denen der Gerichtshof amtlich Kenntnis nehmen wird, können Sie selbstverständlich, wenn Sie es wünschen, Erklärungen abgeben. Ebenso zu jedem Dokument, das der Gerichtshof von Amts wegen zur Kenntnis nimmt.