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[Der Vorsitzende bespricht sich mit anderen Richtern.]

Ich dachte, Sie sprachen vom Vortrag von Versailles.

DR. STAHMER: Nein, mit der Literatur, die sich mit dem Friedensvertrag von Versailles befaßt.

VORSITZENDER: Sie sprechen jetzt von den Dokumenten, deren Zahl Sir David wie folgt angegeben hat: Nummer 8, 10, 11, 12, 13, 14, 15, 16, 21 und 22?

DR. STAHMER: Jawohl.

VORSITZENDER: Sehr gut.

DR. STAHMER: Da ein wesentlicher Vorwurf der Anklage sich dahin richtet, daß die Angeklagten den Versailler Vortrag gebrochen hätten, muß selbstverständlich die Verteidigung zu der Frage Stellung nehmen, ob und in welchem Umfange tatsächlich der Vortrag verletzt ist, und ob und in welchem Umfange der Vertrag noch Rechtswirksamkeit besaß; insoweit sind jedenfalls die Bücher und die Abhandlungen, die sich mit dieser Frage befassen, von Bedeutung. Ich glaube, daß man sich über diese Frage im einzelnen erst klar werden kann, wenn von mir die Zitate vorgelegt sind, und das wird bis zum Beginn der Beweisaufnahme erfolgen; ich habe die Arbeit nicht schaffen können.

VORSITZENDER: Verwechseln Sie nicht die Frage der Gültigkeit mit der Frage der Gerechtigkeit?

DR. STAHMER: Nein, Herr Präsident.

VORSITZENDER: Bitte, setzen Sie fort!

DR. STAHMER: Ich glaube, daß in diesem Rahmen auch die Verteidigung mit Recht die Vorlage der Weißbücher verlangt, denn der Inhalt dieser Weißbücher wird in weitem Umfang für die Frage des Angriffskrieges von Bedeutung sein, und insoweit ist also auch die Bezugnahme auf diese Bücher von Bedeutung. Auch hier wird man, glaube ich, erst entscheiden können, wenn die einzelnen Zitate aus diesen Weißbüchern vorgelegt sind. Weiter ist die Vorlage der Berichte bezüglich Verletzungen der Haager Landkriegsordnung gefordert worden. Ich glaube, man kann diesen Antrag nicht zurückweisen mit dem Hinweis darauf, daß es in diesem Prozesse nicht darauf ankommt, ob auch auf der anderen Seite derartige Verletzungen vorgekommen sind. Diese Feststellung ist meines Erachtens in zweifacher Richtung von Bedeutung. Einmal kann man zu einer gerechten Beurteilung nur kommen, wenn festgestellt wird, daß das Verhalten auf der anderen Seite wirklich korrekt und einwandfrei war, und es ist ferner von Bedeutung, weil davon die Frage abhängt, ob es sich nicht auf Seiten der Angeklagten um Vergeltungsmaßnahmen gehandelt hat.

VORSITZENDER: Ich glaube, Sie haben jeden Punkt, mit Ausnahme der Nummer 20, 23 und 28 behandelt. Nummer 20 ist das Buch von Winston Churchill. Nummer 23 das von Tschitscherin und Nummer 28 das Buch von General Fuller. Wir wollen diese jetzt vornehmen.

DR. STAHMER: Buch Nummer 20, Churchills »Schritt für Schritt«. Es handelt sich hier um Ausführungen, in denen Churchill einmal zu der Frage Stellung nimmt, ob nicht durch den Abschluß des Flottenabkommens im Jahre 1935 England sich mit der Lossagung Deutschlands vom Versailler Vertrag einverstanden erklärt hat. Es ist dann weiter aus diesem Buch von mir aus, soweit ich jetzt die Sache übersehen kann, die Frage zu verwerten, in welchem Umfang England aufgerüstet hat, und es ist endlich in diesem Buch an mehreren Stellen zu der Persönlichkeit Hitlers Stellung genommen.

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Mit größter Hochachtung für Dr. Stahmer muß ich sagen, daß er meine Ausführungen nur verstärkt hat. Wenn Dr. Stahmer die Ansicht vertritt, daß, um eine gerechte Entscheidung in diesen Dingen vom Gerichtshof zu erreichen, eine Untersuchung darüber nötig ist, ob andere Kriegführende Vertragsverletzungen begangen haben, dann muß ich sagen, daß ich seine Ansicht in jeder Hinsicht bestreite und dem nichts hinzuzufügen habe. Was jedoch Herrn Churchill betrifft, so führt Dr. Stahmer hier drei Gesichtspunkte an. Erstens, daß eine Stelle im Buch dafür spricht, daß durch das Flottenabkommen die Gültigkeit des Versailler Vertrags berührt worden sei. Dies ist eine Ansicht, auf die es ganz augenscheinlich viele Erwiderungen gibt, unter anderem die Tatsache, daß auch Frankreich und die Vereinigten Staaten gleichberechtigte Vertragspartner waren. Schließlich aber sind die Ansichten Churchills, die er in einem Buch über die Rechtswirksamkeit des einen oder anderen Vertrages ausdrückt, meiner Meinung nach ganz unerheblich.

Ebenso unerheblich ist die englische Aufrüstung und die Persönlichkeit Herrn Churchills selbst. Und ich bemerke ergebenst, ohne in Einzelheiten zu gehen, daß Dr. Stahmer gerade durch seine Beispiele das Argument bekräftigt hat, daß diese Dinge für die Fragen, die der Gerichtshof zu losen hat, unerheblich sind. Ich will weiter nichts hinzufügen.

VORSITZENDER: Dr. Stahmer, der Gerichtshof möchte gern wissen, ob Sie diese Frage fallen lassen oder zu den Bemerkungen von Sir David Maxwell- Fyfe über Herrn Churchills Buch Stellung nehmen wollen. Wenn Sie das tun wollen, tun Sie es bitte gleich. Später aber, ehe Sie mit Ihren Erörterungen über diese Dokumente zu Ende kommen, möchte der Gerichtshof nähere Ausführungen von Ihnen über die Dokumente 8 bis 22 hören; Sie sollten aufzeigen, warum diese Dokumente Ihrer Ansicht nach erheblich sein können. Das gilt zum Beispiel für die Dokumente 10 und 11, die Reden und Noten des Präsidenten Wilson. Wieso können diese Dokumente irgendwelche Bedeutung für diesen Prozeß oder sogar für die Gültigkeit des Versailler Vertrags haben? Sie können es natürlich in der Reihenfolge vorbringen, die Sie wünschen.

DR. STAHMER: Diese Reden legen die Grundlage des Versailler Vertrages und sind bedeutsam daher für die Auslegung des Vertrages und auf sie muß daher zurückgegriffen werden, um den Inhalt des Vertrages und die Frage, ob Deutschland sich mit Recht oder Unrecht von diesem Vertrage losgesagt hat, beurteilen zu können, also ob demnach eine Verletzung dieses Vertrages vorliegt, oder ob dieser Vertrag Deutschland tatsächlich das Recht gab, sich von ihm loszusagen.

VORSITZENDER: Ist das alles, was Sie hierüber zu sagen haben?

DR. STAHMER: Jawohl.

VORSITZENDER: Gut. Wollen Sie noch etwas zu den Dokumenten Nummer 20, 23 oder 28 sagen?

DR. STAHMER: Zu Nummer 20 habe ich mich ja bereits geäußert. 23 betrifft wieder dieselbe Frage bezüglich Auslegung und Inhalt des Vertrages.

VORSITZENDER: Die Erklärung des Auswärtigen Kommissars der USSR vom Jahre 1924... Gut. Sie sagen, daß sie für die Auslegung des Versailler Vertrages erheblich ist; und wie ist es mit dem Buch des General Fuller?

DR. STAHMER: Der General Fuller beschäftigt sich in diesem Vortrag ebenfalls mit der Persönlichkeit Hitlers und mit der Frage der Aufrüstung.

VORSITZENDER: Gut, damit wären alle erledigt.