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[Beratung der Mitglieder des Gerichtshofs.]

VORSITZENDER: Der Gerichtshof wird seine Entscheidung über Ihre Zeugen und Ihre Dokumente erwägen. Haben Sie noch etwas darüber zu sagen?

DR. STAHMER: Nein.

PROF. FRANZ EXNER, VERTEIDIGER DES ANGEKLAGTEN JODL: Hohes Gericht! Ich erlaube mir etwas beizufügen, und zwar deshalb, weil die Gefahr besteht, daß Beweismittel abgelehnt werden, die auch für meinen Mandanten von entscheidender Bedeutung sind. Es handelt sich um die Beweismittel, welche zeigen sollen, daß auch auf der Gegenseite Kriegsverbrechen oder völkerrechtliche Rechtswidrigkeiten vorgekommen sind. Der Herr Vertreter der Anklage hat gesagt, das ist für uns irrelevant hier in diesem Prozeß. Es wird der Verteidigung auch nicht einfallen, hier die Ankläger zu den Angeklagten zu machen, aber irrelevant ist dieser Punkt keineswegs, und zwar, erstens hängt das zusammen mit dem Begriff der Repressalien im Völkerrecht. Die Repressalie rechtfertigt eine Handlung, die unter normalen Umständen rechtswidrig wäre; und zwar ist die Repressalie dann von dieser Bedeutung, wenn die einzelne Tat die Antwort ist auf eine Völkerrechtswidrigkeit der Gegenseite. Wenn man also das eigene Verhalten unter dem Gesichtspunkt der Repressalie rechtfertigen will, so kann man nicht anders als beweisen, daß eine Rechtswidrigkeit auf der Gegenseite vorangegangen ist.

Dazu kommt zweitens noch ein wichtiger Punkt. Es ist ja bekannt, daß dieser Krieg im Anfang relativ menschlich und...

VORSITZENDER: Verzeihen Sie, Dr. Exner, die Ansicht, die Sie uns jetzt vortragen, wurde bereits von Dr. Stahmer ausführlich entwickelt; selbstverständlich wird sie vom Gerichtshof voll gewürdigt werden.

[Beratung zwischen den Mitgliedern des Gerichtshofs.]

VORSITZENDER: Wollen Sie bitte fortsetzen, Dr. Exner?

PROF. DR. EXNER: Der zweite Punkt ist der folgende:

Es ist ja bekannt, daß dieser Krieg am Anfang auf beiden Seiten völkerrechtlich rechtsmäßig und menschlich geführt wurde. Erst in der zweiten Hälfte des Krieges trat eine furchtbare Erbitterung der Kämpfenden ein, und da sind dann auf beiden Seiten Dinge vorgekommen, die das Völkerrecht nicht billigen kann. Es ist nun meines Erachtens für die Beurteilung einer Straftat, um welche es sich auch immer handeln mag, das Motiv dieser Handlung entscheidend. Wenn man das Motiv der Tat nicht kennt, so kann man der Tat überhaupt nicht gerecht werden. Und die Erbitterung, die eingetreten ist, rein psychologisch, durch die Art und Weise, wie der Krieg auf der einen und anderen Seite geführt worden ist, war das Motiv zu Handlungen, die sich normalerweise nicht rechtfertigen lassen.

Ich möchte daher das Gericht bitten, es genauestens zu prüfen, ehe diese Beweismittel als irrelevant erklärt werden.

[Beratung zwischen den Mitgliedern des Gerichtshofs.]

DR. SIEMERS: Ich möchte gern zu der Art, wie augenblicklich über Beweiserheblichkeit gesprochen wird, etwas Grundsätzliches sagen. Wenn ich das Hohe Gericht richtig verstanden habe, so sollte heute gesprochen werden über die Erheblichkeit derjenigen Zeugen und Urkunden, die noch herbeizuschaffen sind. Genau so ist es auch vom Gericht in dem Beschluß vom 18. Februar gesagt worden. Jetzt wird aber auf Veranlassung der Staatsanwaltschaft über diejenigen Urkunden gesprochen, die wir bereits im Besitz haben. Ich bitte das Gericht, es richtig zu verstehen, wenn ich hiergegen mit aller Deutlichkeit protestiere. Es ist in keinem Fall möglich gewesen, über die Erheblichkeit von Dokumenten seitens der Staatsanwaltschaft Wochen vor der Vorlage zu sprechen. Wenn ich Urkunden selbst in Händen habe, wie die meisten der Urkunden, die jetzt besprochen sind, so muß ich als Verteidiger in der Lage sein, diese Urkunden ohne Zustimmung der Staatsanwaltschaft vorzulegen. Sir David hat gesagt, daß die Erheblichkeit von Büchern, die hier im Hause sind, geprüft werden soll, wenn wir die Auszüge vorgelegt haben, und dann würde die Staatsanwaltschaft entscheiden, ob sie erheblich sind. Sir David hat weiter gesagt, daß zahlreiche Bücher, die hier vorliegen, nicht erheblich sind. Wenn diesem Wunsche der Staatsanwaltschaft gefolgt wird, dann ist das eine ganz außerordentliche Beschränkung der Verteidigung, die ich nicht ohne weiteres hinnehmen kann. Die Staatsanwaltschaft hat Dokumente vorlegen dürfen; das Gericht hat erklärt, daß jeder Brief und jedes Dokument vorgelegt werden kann, und daher verstehe ich nicht, warum wir jetzt über die Erheblichkeit dieser vorhandenen Papiere sprechen können, zumal meines Erachtens das Gericht bereits gesagt hat, daß wir nur über die Erheblichkeit der noch fehlenden Dokumente sprechen sollen.

VORSITZENDER: Ich glaubte, daß ich heute früh im Namen des Gerichtshofs als Erwiderung auf Dr. Horns Einwand für den Angeklagten Ribbentrop bereits erklärt habe, daß der Gerichtshof bestrebt ist, die Bestimmungen des Artikels 24 (d) des Statuts zu beachten: danach hat der Gerichtshof die Anklagebehörde und die Verteidigung zu befragen, ob und welche Beweismittel sie dem Gerichtshof vorlegen wollen. Dann hat der Gerichtshof über die Zulässigkeit jedes derartigen Beweismittels zu entscheiden. Ich habe auch erklärt, warum die Verteidigung in gewisser Hinsicht anders behandelt wurde als die Anklagebehörde, weil nämlich im Falle der Verteidigung der Gerichtshof alle Zeugen zu ermitteln und hierher zu bringen hat; in vielen Fällen hat der Gerichtshof auch die Dokumente zu finden oder zu beschaffen. Es wäre daher unbillig und auch mit dem Statut unvereinbar, vom Gerichtshof zu verlangen, Zeugen oder Dokumente hierher zu bringen, ehe er Erörterungen über die Zulässigkeit des Zeugen oder des Dokuments angehört hat. Das ist es, was wir eben tun. Ich glaubte, dies einleuchtend erklärt zu haben, als ich auf Dr. Horns Einwand erwiderte.

Es ist vollkommen richtig, daß man nicht endgültig über die Zulässigkeit eines Dokuments oder eines Zeugen entscheiden kann, ehe man nicht die Stelle im Dokument, auf die Bezug genommen wird, tatsächlich gehört hat, oder die Fragen, die erheblich oder unerheblich sein sollen, an den Zeugen gerichtet wurden. Aus diesem Grunde wird die endgültige Entscheidung über die Zulässigkeit getroffen werden, wenn der Zeuge in der Zeugenbank ist und die Fragen an ihn gerichtet werden, oder wenn das Dokument oder Stellen daraus tatsächlich vorgelegt werden.

DR. SIEMERS: Ja. Ich bitte zu verzeihen, aber ich glaube, daß damit der eine Punkt noch nicht beantwortet ist. Es ist zweifellos richtig, daß hier verhandelt wird über Dokumente und Zeugen, die noch nicht zur Verfügung stehen. Es ist aber doch etwas anderes bei denjenigen Dokumenten, die schon hier im Gebäude vorhanden sind und uns als Verteidigung zur Verfügung stehen. Also als Beispiel die von Sir David erwähnten Weißbücher. Die sind hier. Warum müssen wir uns jetzt über die Erheblichkeit dieser Beweismittel, unterhalten? Diese Frage hat nichts mit der Verzögerung des Prozesses und nichts mit der Herbeischaffung von Urkunden zu tun.

VORSITZENDER: Wollen Sie hierzu etwas sagen, General Rudenko?

GENERAL RUDENKO: Jawohl, Herr Vorsitzender.

Sir David hat bereits die Ansicht der Anklagebehörde zu der von der Verteidigung aufgeworfenen Frage zum Ausdruck gebracht. Ich möchte jedoch dem, was Sir David auf die Erklärungen der Verteidigung erwiderte, noch folgendes hinzufügen:

Der Standpunkt des Verteidigers Dr. Exner ist, daß die Verteidigung nicht die Absicht hat, die Anklagebehörde zum Angeklagten zu machen, und daß sie zu einer Art Untersuchung und Klärung der Geschehnisse gelangen will, um die Motive festzustellen, die ihrer Meinung nach unklar sind. Zur Feststellung dieser Motive sei es jedoch notwendig, die Frage zu untersuchen, ob die Genfer und Haager Konventionen auch durch andere mit Deutschland im Krieg befindliche Mächte verletzt wurden.

Meiner Meinung nach – und ich glaube damit die Ansicht der gesamten Anklagebehörde zum Ausdruck zu bringen – ist es wirklich höchst befremdlich, eine solche Behauptung von einem Verteidiger nach einer dreimonatigen Dauer dieses Prozesses und nach der Vorlage einer solchen Unmenge von Beweismaterial durch die Anklagebehörde zu hören. Die Verteidigung hat zweifellos das volle Recht, Dokumente und Zeugen zu allen gegen die Angeklagten erhobenen Anklagepunkten als Beweismittel einzuführen. Wie wir aus dieser Vormittagsverhandlung ersehen haben, bei der, wie der Hohe Gerichtshof weiß, die Anklagebehörde auf den Beweisantrag des Angeklagten Göring eingegangen ist, hat die Anklagebehörde ihrer Meinung nach zum größten Teile der Ladung der Zeugen zugestimmt. Zu der von Dr. Exner aufgeworfenen Frage haben wir jedoch absolut und grundsätzlich eine andere Ansicht.

Die Anklagebehörde erachtet es für unmöglich, den einen grundlegenden und entscheidenden Umstand außer acht zu lassen, daß es sich hier um den Prozeß gegen die deutschen Hauptkriegsverbrecher handelt. Der Gerichtshof untersucht Greueltaten, die von den Hitlerschen Faschisten begangen wurden. Daraus ergibt sich, daß die Verteidigung angesichts dieses Umstandes nach Prüfung und Untersuchung des von der Anklagebehörde vorgelegten Beweismaterials behaupten kann, daß dieses oder jenes Beweismittel in gewisser Beziehung die Beurteilung besonderer Einzelheiten verändern könnte. Es ist jedoch nicht zulässig und wäre eine schwere Verletzung des Statuts, statt der Prüfung dieser Beschuldigungen zu Fragen abzuschweifen, die gerade mit diesem Prozeß überhaupt nichts zu tun haben.

Die Anklagebehörde erhebt daher gegen die Anträge auf solche Dokumente und ihre Einführung energischen Widerspruch, da sie für diesen Prozeß absolut unerheblich sind und ihre Prüfung zweifellos zu einer Ablenkung vom eigentlichen Thema führen würde.

Das wollte ich den Worten Sir Davids im Namen der Anklagevertretung hinzufügen.

VORSITZENDER: Bevor sich der Gerichtshof jetzt vertagen wird, möchte ich die nächsten vier Angeklagten ersuchen, ihre Zeugen zu benennen und deren Beweisthema bis zum nächsten Mittwoch, 5.00 Uhr nachmittags anzugeben; das gilt auch für die Bezeichnung der Dokumente und die Erklärung über ihre Erheblichkeit.

Der Gerichtshof wird eine ähnliche Sitzung wie heute Morgen zur Erörterung der Verteidigung dieser Angeklagten am nächsten Samstag um 10.00 Uhr abhalten.

Der Gerichtshof wird sich jetzt bis ein Viertel nach 2.00 Uhr vertagen.