[Das Gericht vertagt sich bis 14.15 Uhr.]
Nachmittagssitzung.
VORSITZENDER: Ich habe etwas zu meiner Erklärung von heute Morgen bekanntzugeben. Der Gerichtshof wird vielleicht die Anträge auf Zeugen und Dokumente der Angeklagten Kaltenbrunner, Rosenberg, Frank und Frick schon vor Samstag anhören. Das wird davon abhängen, wie das Verfahren fortschreitet. Ich habe bereits erklärt, daß diese Anträge bei dem Generalsekretär bis Mittwoch 5.00 Uhr nachmittags eingegangen sein müssen.
Zweitens: Alle Angeklagten, mit Ausnahme der ersten acht in der Anklageschrift genannten, müssen ihre Anträge, in denen sie ihre Zeugen, die Erheblichkeit von deren Aussage, die Dokumente und die Erheblichkeit der Dokumente bekanntgeben, bis nächsten Freitag um 5.00 Uhr nachmittags einreichen.
Drittens: Der Gerichtshof wird am nächsten Montag, 4.00 Uhr nachmittags, eine geschlossene Sitzung abhalten.
Vielleicht sollte ich auch noch hinzufügen, daß dies die Verteidiger, die die verbrecherischen Organisationen vertreten, unmittelbar nicht betrifft. Diese Verteidiger werden, wie ich bereits mitgeteilt habe, gehört werden, nachdem die Anklage den Vortrag ihres Falles abgeschlossen hat.
Der nächste würde Heß sein.
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Ich mochte lediglich bemerken, daß, falls der Gerichtshof noch Weiteres über die Frage der Repressalien, die von Dr. Exner aufgeworfen wurde, zu hören wünscht, Herr Dodd dazu bereit ist.
VORSITZENDER: Ja, der Gerichtshof würde es jetzt gern hören.
MR. THOMAS J. DODD, ANKLÄGER FÜR DIE VEREINIGTEN STAATEN: Hoher Gerichtshof! Ich möchte vorausschicken, daß ich mich während der Mittagspause an Hand einiger Notizen, die sich auf eine frühere Arbeit von mir stützen, ziemlich eilig auf dieses Thema vorbereitet habe. Ich bin also im Augenblick nicht ganz darauf vorbereitet, mich jetzt ausführlich mit der Sache zu befassen. Ich möchte jedoch die Aufmerksamkeit des Gerichtshofs auf einige dieser vorbereiteten Notizen lenken und zu der Behauptung Dr. Exners, daß einige der Dokumente, die von der Verteidigung vorgelegt wurden, oder die sie hofft oder beabsichtigt, vorzulegen, im Hinblick auf die Theorie oder Lehre über Repressalien zulässig seien, folgendes erwidern:
Ich möchte den Gerichtshof darauf hinweisen, daß die Konvention von 1929 über die Behandlung von Kriegsgefangenen ausdrücklich jede Anwendung von Repressalien gegen Kriegsgefangene verbietet. Nebenbei möchte ich bemerken, daß die Vereinigten Staaten in ihren Armeeinstruktionen Repressalien gegen Kriegsgefangene bereits im Jahre 1862 oder 1863 verboten haben.
Zweitens möchte ich darauf hinweisen, daß die Haager Bestimmungen, soweit wir feststellen können, die Anwendung sogenannter Repressalien gegen die Zivilbevölkerung überhaupt nicht erwähnen.
Die Brüsseler Konferenz vom Jahre 1874, die die nicht ratifizierte Brüsseler Erklärung, wie sie im Völkerrecht genannt wird, annahm, scheint verschiedene Abschnitte verworfen oder gestrichen zu haben, die damals von den Russen vorgeschlagen wurden, und die sich mit der Anwendung von Repressalien gegen die Zivilbevölkerung befaßten. Ich erwähne dies, weil es interessant ist und beweist, wie die Mächte sicherlich damals schon über die Frage der Repressalien gegen die Zivilbevölkerung dachten.
Drittens möchte ich darauf hinweisen, daß die Kommentatoren zu dieser Frage allgemein erklären, daß gewöhnlich irgendeine Ankündigung notwendig ist, bevor die Repressalien ergriffen werden dürfen, und daß diese Repressalien nur in den bestimmten Fällen angewendet werden, denen die erste Macht einen Angriffscharakter beimißt, und die ihrer Ansicht nach die Anwendung von Repressalien verlangen oder rechtfertigen. Danach scheint eine Ankündigung irgendwelcher Art durch die Macht, die sich angegriffen fühlt, an die angreifende Macht notwendig zu sein.
Ich darf hervorheben, daß wir im Hauptvortrag der Anklagebehörde ganz besonders jeden Hinweis auf den wohlbekannten Zwischenfall während dieses Krieges, der die Fesselung von Kriegsgefangenen betraf, vermieden haben, da in diesem Falle eine Art von Ankündigung vorausging und die Angelegenheit von den betroffenen Mächten gelöst wurde. Dies sind die Punkte, die wir während dieser kurzen Mittagspause erwogen haben. Sollte der Gerichtshof wünschen, später noch mehr über dieses Thema zu hören, so werden wir uns gerne weiter darauf vorbereiten.
VORSITZENDER: Ich danke Ihnen.
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Hoher Gerichtshof! Mit der Stellungnahme des Angeklagten Heß befaßt sich Dr. Seidls Mitteilung an den Gerichtshof. Ich habe im Namen der Anklagebehörde eine oder zwei Bemerkungen dazu zu machen.
VORSITZENDER: Herr Dr. Seidl, wollen Sie dazu eine Erklärung abgeben? Wäre es nicht zweckmäßig, dasselbe Verfahren einzuschlagen, wie es Dr. Stahmer getan hat? Vielleicht teilt uns Sir David mit, ob er irgendwelche Einsprüche, vor allem gegen die einzelnen Zeugen, die Sie beantragen, erhebt.
DR. SEIDL: Ich möchte das Gericht bitten, mir eine kurze Vorbemerkung zu gestatten und einen Antrag stellen zu dürfen.
VORSITZENDER: Jawohl.
DR. SEIDL: Meine Herren Richter! Ich habe aus dem Verlauf der Sitzung heute vormittag die Überzeugung gewonnen, daß nunmehr das Verfahren in einen entscheidenden Abschnitt eingetreten ist, jedenfalls, soweit die Verteidigung in Frage kommt. Ich fühle mich daher verpflichtet, folgenden Antrag zu stellen:
Das Gericht möge im gegenwärtigen Zeitpunkt des Verfahrens die Prüfung der Beweiserheblichkeit des Beweismaterials der Verteidigung auf die Zeugen beschränken und die Prüfung der Beweiserheblichkeit der Dokumente und Urkunden auf einen späteren Zeitpunkt zurückstellen.
Zur Begründung erlaube ich mir auf folgendes hinzuweisen: Das Gericht hat zum erstenmal am 17. Dezember 1945 einen Beschluß erlassen, der sich auf das Beweisverfahren durch die Verteidigung bezieht. In diesem Beschluß wird nur von Zeugen und nicht von Dokumenten gesprochen.
Der zweite Beschluß ist der vom 18. Februar, in dem eingangs ausgeführt wird, »Um eine Verzögerung bei der Sicherstellung von Zeugen und Dokumenten zu vermeiden, sollen die Verteidiger...« und dann folgt der übrige Inhalt des Beschlusses.
Ich bin nun der Ansicht, meine Herren Richter, daß die Frage, ob ein Dokument beweiserheblich ist oder nicht, erst dann entschieden werden kann, wenn ich dieses Dokument in meinen Händen habe, wenn ich also den genauen Inhalt des Dokuments kenne. Es ist unmöglich, in einem summarischen Verfahren, wie es gegenwärtig versucht wird, wo über die Zulässigkeit der Verwertung von ganzen Büchern entschieden werden soll, eine zutreffende Entscheidung zu fällen, ob eine bestimmte Stelle dieses Dokuments beweiserheblich ist oder nicht. Diese Frage kann erst dann klar und eindeutig entschieden werden, wenn sowohl die Staatsanwaltschaft als auch das Gericht das Dokument in Händen haben, so wie die Verteidigung es vorlegen will. Ich bin der Überzeugung...
VORSITZENDER: Aber Dr. Seidl, ich habe doch bereits heute früh zweimal erklärt, daß die Frage der endgültigen Zulassung von Zeugen oder von dokumentarischen Beweismitteln nur dann getroffen werden kann, wenn das Dokument tatsächlich vorgelegt oder der Zeuge tatsächlich befragt wird. Wir erwägen jetzt lediglich, ob für das Dokument wenigstens die Möglichkeit einer Erheblichkeit spricht und es deswegen, falls nötig, ermittelt oder herbeigeschafft werden soll.
DR. SEIDL: Ja, wenn ich Sie recht verstehe, Herr Präsident, dann ist es nicht notwendig...
VORSITZENDER: Dr. Seidl, der Gerichtshof ist der Ansicht, daß Sie sich jetzt lieber mit den Zeugen und Dokumenten beschäftigen sollen. Wir wünschen keine weiteren allgemeinen Erörterungen über dieses Thema zu hören. Wir möchten jetzt von Ihnen etwas über die Dokumente und Zeugen, die Sie vorlegen und aufrufen wollen, hören.
DR. SEIDL: Es handelt sich aber auch um die Dokumente, die ich bereits in Händen habe, und nicht um die Dokumente, die ich erst herbeizuschaffen wünsche.
VORSITZENDER: Ja, um Dokumente, die Sie erwähnen wollen.
DR. SEIDL: Es handelt sich um alle Dokumente und nicht nur um die Dokumente, die erst herbeigeschafft werden sollen.
VORSITZENDER: Vor uns liegt Ihr Antrag auf bestimmte Zeugen und bestimmte Dokumente und wir wünschen, über diesen Antrag von Ihnen etwas zu hören.
DR. SEIDL: Jawohl, aber ich muß für den nächsten Mittwoch eine Aufstellung für den Angeklagten Frank machen, und da bitte ich mir mitzuteilen, ob auch die Dokumente aufgeführt werden müssen, die ich bereits in Händen habe.
VORSITZENDER: Sie würden besser tun, sich zunächst mit den Zeugen, und zwar in derselben Weise, wie es Dr. Stahmer tat, zu befassen.
DR. SEIDL: Der erste Zeuge, den ich zu vernehmen beabsichtige, ist Fräulein Ingeborg Berg, eine frühere Sekretärin des Angeklagten Rudolf Heß.
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Herr Vorsitzender, ich habe diese Liste soeben erst zu Gesicht bekommen.
VORSITZENDER: Der Zeuge, den Dr. Seidl aufrufen will, ist Ingeborg Berg, ist das richtig?
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Da diese Dame, wie Dr. Seidl mitteilt, Privatsekretärin bei Rudolf Heß war, erscheint es mir prima facie vernünftig, sie über den Fall zu hören. Es dürfte ganz allgemein richtig sein, eine Privatsekretärin, die das bestätigen kann, was der Angeklagte getan hat, zu vernehmen. Ich glaube, daß keiner meiner Kollegen darin anderer Ansicht ist.
DR. SEIDL: Der zweite Zeuge ist der frühere Gauleiter und Leiter der Auslandsorganisation der NSDAP, Ernst Bohle, der sich hier in Untersuchungshaft befindet.
VORSITZENDER: Dr. Seidl, Sie sind eigentlich nicht so verfahren, wie der Gerichtshof es wünschte. Sie haben über die Erheblichkeit des Beweismaterials, das Sie vorlegen wollen, keine näheren Ausführungen gemacht. Sie haben sich auf irgendeinen früheren Antrag bezogen. Der Gerichtshof hat aber alle diese Anträge im Augenblick nicht gegenwärtig; deshalb möchten wir wissen, in welcher Beziehung eine Aussage der Ingeborg Berg erheblich ist.
DR. SEIDL: Die Zeugin Ingeborg Berg war die Sekretärin des Angeklagten Heß bei dessen Verbindungsstab in Berlin. Sie soll Angaben darüber machen, seit wann der Angeklagte Heß Vorbereitungen zu seinem Flug nach England getroffen hat und welcher Art diese Vorbereitungen waren. Sie soll ferner Bekundungen darüber machen, wie die Einstellung des Angeklagten Heß zur Judenfrage in einem bestimmten Fall war, nämlich im Anschluß an den Judenpogrom vom 8. November 1938.
VORSITZENDER: Befindet sie sich in Nürnberg?
DR. SEIDL: Sie ist hier in Nürnberg.
VORSITZENDER: Jetzt können Sie sich mit dem zweiten Zeugen befassen.
DR. SEIDL: Der zweite Zeuge ist der frühere Gauleiter der Auslandsorganisation der NSDAP, Ernst Bohle. Auch er befindet sich im Untersuchungsgefängnis in Nürnberg. Er soll Angaben darüber machen, ob die Auslandsorganisation der NSDAP irgendeine Tätigkeit entwickelt hat, die sie als Fünfte Kolonne erscheinen lassen könnte.
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Einer unserer Anklagepunkte bezieht sich auf die Auslandsorganisation; deshalb scheint die Aussage dieses zweiten Zeugen erheblich zu sein. Ich erhebe keinen Einspruch.
DR. SEIDL: Ich habe einen dritten Zeugen benannt: Walter Schellenberg. Ob ich diesen Antrag aufrechterhalten werde, kann ich erst beurteilen, wenn mir das Gericht die Möglichkeit gegeben hat, diesen Zeugen, der sich hier in Nürnberg befindet, zu sprechen. Mir ist nicht bekannt, ob der Zeuge für die in Frage kommende Zeit vor dem 10. Mai 1941 sachdienliche Angaben machen kann. Ich möchte vermeiden, daß die Zeit des Gerichts mit der Vernehmung eines Zeugen in Anspruch genommen wird, bei dessen Vernehmung es sich herausstellt, daß er sachdienliche Angaben nicht machen kann. Ich bitte daher zunächst das Gericht um die Genehmigung, mit diesem Zeugen informatorisch sprechen zu dürfen.
VORSITZENDER: Haben Sie darauf etwas zu erwidern, Sir David?
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Soweit ich weiß, ist dies der Zeuge Schellenberg, der für die Anklagebehörde vorgeladen war.
VORSITZENDER: Jawohl.
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Ich bin der Ansicht, daß private Gespräche mit dem Zeugen vor dem Kreuzverhör sehr unerwünscht sind. Wenn Dr. Seidl den Zeugen Schellenberg im Kreuzverhör zu vernehmen wünscht, dann sollte er beim Gerichtshof den Antrag stellen, ihn in offener Sitzung ins Kreuzverhör zu nehmen.
VORSITZENDER: Ich glaube, mich zu erinnern, daß einige der Verteidiger ersucht haben, das weitere Kreuzverhör von Dr. Schellenberg zu verschieben.
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Euer Lordschaft! Mein Einspruch richtet sich nicht gegen das weitere Kreuzverhör. Dies ist natürlich allein Sache des Gerichtshofs, sobald sich der Zeuge einmal in seinen Händen befindet. Meiner Erinnerung nach wollten Dr. Merkel und Dr. Kauffmann den Zeugen ebenfalls weiter ins Kreuzverhör nehmen. Deshalb bin ich sowohl allgemein als auch in diesem besonderen Falle der Ansicht, daß es sehr unerwünscht wäre, wenn ein Verteidiger, der ein Kreuzverhör vornehmen will, mit dem Zeugen vorher eine private Unterhaltung führt. Dagegen richtet sich mein Einspruch.
VORSITZENDER: Ja, aber wenn der Verteidiger sich endgültig entschließt, den Zeugen nicht ins Kreuzverhör zu nehmen, dann sollte er das Recht haben, den Zeugen direkt zu vernehmen und ihn dafür zu laden.
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Von einem solchen Verfahren, Euer Lordschaft, habe ich noch nie etwas gehört. Ist ein Zeuge von einer Seite vorgeladen, dann steht, wie ich ergebenst bemerke, der anderen Seite nur der Weg des Kreuzverhörs offen. Da der Zeuge auf Vorladung der Anklagebehörde vor Gericht erschienen ist, bin ich der Ansicht, daß die Verteidigung an den Zeugen nur auf dem Wege des Kreuzverhörs herankommen kann. Die Verteidiger haben die zusätzlichen Rechte, die das Kreuzverhör gibt; das ist ein Ausgleich für die anderen Rechte, die sie haben würden, wenn er ihr Zeuge wäre.
DR. SEIDL: Vielleicht kann man einen Ausweg dadurch finden, daß ich auf das Kreuzverhör verzichte, und wenn der Zeuge etwas Sachdienliches bekundet, ich mir von ihm ein Affidavit geben lasse. Ich glaube nicht, daß die Anklage dazu ein Bedenken haben würde,
VORSITZENDER: Sir David, da es keine technischen Beweisregeln gibt, die wir in diesem Prozeß anwenden könnten, würden Sie dagegen etwas einzuwenden haben, wenn dem Verteidiger gestattet würde, Schellenberg in Gegenwart eines Vertreters der Anklagebehörde zu hören, sofern ihm das genügt.
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Ich bin sicher, daß die gesamte Anklagebehörde nur wünscht, die Interessen der Gerechtigkeit zu wahren, und wenn der Gerichtshof dies als ein zweckmäßiges Verfahren ansieht, wird die Anklagebehörde keinen Einspruch erheben.
VORSITZENDER: Wenn Sie nichts weiter über Schellenberg zu sagen wünschen, wird der Gerichtshof über Ihren Antrag beraten.
DR. SEIDL: Jawohl.
VORSITZENDER: Haben Sie weitere Zeugen, auf die Sie sich berufen wollen?
DR. SEIDL: Vorläufig nicht. Aber es steht ja nach dem Beschluß vom 18. Februar jedem Verteidiger das Recht zu, bis zum Abschluß des Falles der Anklage weitere Anträge zu stellen.
VORSITZENDER: Ich glaube, Sie müssen Ihre Anträge jetzt stellen. Nach der Anordnung des Gerichtshofs, auf die Sie sich beziehen, ist jetzt für Sie der Zeitpunkt, die Anträge auf alle Zeugen zu stellen, die Sie zu vernehmen wünschen. Es steht im Ermessen des Gerichtshofs, etwaige spätere Anträge Ihrerseits zu berücksichtigen. Sollten Sie später weitere Zeugen zu beantragen wünschen, wird der Gerichtshof Ihre Anträge stets in Erwägung ziehen.
Haben Sie das verstanden?
DR. SEIDL: Ja, Herr Präsident. Zu der Frage, ob die »Auslandsorganisation«, der »Volksbund für das Deutschtum im Ausland« und der »Bund Deutscher Osten«, mit der Tätigkeit einer Fünften Kolonne etwas zu tun hatten, käme als Zeuge noch in Betracht der Bruder des Angeklagten Rudolf Heß, Alfred Heß, welcher früher stellvertretender Gauleiter der Auslandsorganisation der NSDAP war, und der sich zur Zeit in Mergentheim in einem Internierungslager befindet.
VORSITZENDER: Gut. Ihr diesbezüglicher Antrag liegt nicht vor. Wenn Sie einen weiteren Antrag stellen wollen, so tun Sie es.
DR. SEIDL: Ich habe den Antrag gestellt.
VORSITZENDER: Sie sagen, Sie wollen es jetzt tun?
DR. SEIDL: Wenn es möglich ist, nachdem das Gericht mich aufgefordert hat, zu reden, würde ich jetzt ja diesen Antrag stellen. Ich bin natürlich bereit, den Antrag auch noch schriftlich nachzubringen.
VORSITZENDER: Gut, der Gerichtshof wird Ihren Antrag jetzt anhören, und Sie können diesen später schriftlich für die Akten nachreichen.
DR. SEIDL: Jawohl.
VORSITZENDER: Wie war der Name?
DR. SEIDL: Heß, Alfred, zuletzt stellvertretender Gauleiter der »Auslandsorganisation der NSDAP«, zur Zeit im Internierungslager Mergentheim.
VORSITZENDER: Gut. Zu welchem Zweck? Sie sagten, er würde über die Tätigkeit der Fünften Kolonne sprechen. Ist das richtig?
DR. SEIDL: Über die Fünfte Kolonne und darüber, ob die »Auslandsorganisation der NSDAP«, der »Volksbund für das Deutschtum im Ausland« und der »Bund Deutscher Osten« mit der Tätigkeit einer Fünften Kolonne etwas zu tun hat oder nicht.
VORSITZENDER: Sir David?
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Euer Lordschaft, ich habe bereits zugegeben, daß diese Frage erheblich ist; zu erwägen wäre nur, ob sie nicht kumulativ ist. Der Angeklagte Heß selbst wird die Möglichkeit haben, darüber zu sprechen, und dann auch noch der Zeuge, falls ihn der Gerichtshof genehmigt.
Meines Erachtens sollte der Gerichtshof erwägen, ob nicht eine eidesstattliche Erklärung oder ein Fragebogen von einem dritten Zeugen im Augenblick zu diesem Punkt genügt, falls nicht noch weitere Streitfragen auftauchen; in diesem Falle könnte Dr. Seidl den Zeugen vorladen.
VORSITZENDER: Gut. Sie können sich jetzt Ihren Dokumenten zuwenden.
DR. SEIDL: Jawohl. Ich beabsichtige, zunächst aus einzelnen Dokumenten des Dokumentenbuches des Rudolf Heß, welches von der Anklagebehörde vorgelegt wurde, weitere Abschnitte zu verlesen, um den Zusammenhang herzustellen. Eine nähere Begründung der Beweiserheblichkeit dürfte sich hier erübrigen, nachdem es sich hier ausschließlich um Dokumente der Anklagebehörde handelt, welche vom Gericht als Beweismittel bereits angenommen wurden.
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Euer Lordschaft, der Antrag ist in folgender Form gehalten: »Ich beabsichtige, einige Seiten aus dem Buch ›Rudolf Heß Reden‹ und aus den ›Anordnungen des Stellvertreters des Führers‹ zu verlesen. Die Erheblichkeit dieser Dokumente kann einfach aus der Tatsache geschlossen werden, daß sie bereits als Beweismaterial seitens der Anklagebehörde vorgelegt wurden.«
Insofern diese Dokumente dem Gerichtshof bereits vorliegen, kann Dr. Seidl selbstverständlich innerhalb der üblichen Schranken Erklärungen nach seinem Belieben dazu abgeben. Wenn er aber weitere Reden und Anweisungen vorlegen will, und zwar Dokumente derselben Art, dann bittet ihn die Anklagebehörde, anzugeben, welche Reden und Anweisungen er vorzulegen beabsichtigt.
DR. SEIDL: Was Sir David Maxwell-Fyfe soeben verlesen hat, ist der zweite Punkt meines Antrags. Es ist richtig, daß ich auch aus den Büchern »Rudolf Heß Reden« einige Abschnitte verlesen will, und ferner aus dem Buch »Anordnungen des Stellvertreters des Führers«. Nachdem aber die Anklagebehörde aus diesen beiden Büchern, die ebenfalls als Beweismittel angenommen wurden, Beweisstücke dem Gericht bereits unterbreitet hat, glaube ich sagen zu dürfen, daß sich in diesen Büchern mindestens Abschnitte befinden, und daß es sich hier um Dokumente handelt, die beweiserheblich sind. Ob die Abschnitte, die ich zu verlesen beabsichtige, beweiserheblich sind oder nicht, wird sich eben erst dann entscheiden lassen, wenn ich diese Dokumente vorlege; das ist ja gerade das, was ich eingangs meiner Erklärungen sagen wollte, daß es eben überhaupt nur möglich ist, über die Beweiserheblichkeit eines Dokuments zu entscheiden, wenn man dieses Dokument vor sich hat und den genauen Inhalt kennt.
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Ich hoffe, Dr. Seidl wird verstehen, daß es sich hier im Grunde um eine technische Frage handelt. Wenn er neue Reden und neue Anordnungen vorlegen will, dann müssen diese ins Englische, Russische und Französische übersetzt werden, und deshalb wird es im allgemeinen Interesse eines schnellen Verfahrensablaufs notwendig sein, daß er nur die Stellen aufzeigt, die er vorlegen will, damit sie übersetzt und einer Würdigung unterzogen werden können.
Ich bin sicher, daß Dr. Seidl nur erhebliche Stellen zu verwenden wünscht. Natürlich hält jeder Politiker viele Reden über viele Themen, und einige von Heß' Reden dürften daher unerheblich sein.
Ich glaube, das ist nicht unzweckmäßig. Durch meine Bitte wollen wir nur dem allgemeinen Fortgang des Verfahrens dienen.
DR. SEIDL: Es ist selbstverständlich, Herr Präsident, daß ich nur solche Abschnitte und nur wenige Stellen aus den Reden verlesen werde, die beweiserheblich sind. Ich denke nicht daran, hier ganze Abschnitte aus dem Buch übersetzen zu lassen, wenn es nicht notwendig ist.
Ich erkläre dem Gericht hier in aller Form, daß ich weder als Verteidiger des Angeklagten Heß, noch als Verteidiger des Angeklagten Frank auch nur ein einziges Dokument vorlegen werde, das nicht als beweiserheblich angesehen werden könnte.
VORSITZENDER: Ja, aber was Sir David sagte, bezog sich auf die technische Seite des Verfahrens. Da wir leider nicht alle deutsch verstehen, ist es notwendig, daß die Dokumente, die in deutscher Sprache abgefaßt sind, übersetzt werden. Deswegen ist es wichtig, daß Sie uns angeben, welche Rede und welchen Teil einer Rede Sie anführen wollen, damit wir die Übersetzung dann vornehmen lassen können.
DR. SEIDL: Herr Präsident, ich werde jedes einzelne Dokumentenstück, das ich verlesen werde, in einem Dokumentenbuch zusammenfassen. Ich werde jeden einzelnen Abschnitt der Rede, die ich zu verlesen beabsichtige, in einem Dokumentenbuch rechtzeitig dem Gericht und der Staatsanwaltschaft vorlegen. Es ist nicht Aufgabe der Staatsanwaltschaft oder des Generalsekretärs, irgendeine Arbeit zu verrichten, die selbstverständlich ich übernehmen werde.
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Euer Lordschaft, das trifft völlig zu. Das ist gerade das, was ich vorbringen wollte.
VORSITZENDER: Sehr gut. Jetzt kommen Sie zu Absatz 3.
DR. SEIDL: Jawohl. Drittens werde ich Abschnitte aus der Niederschrift über die Unterredung zwischen dem Angeklagten Rudolf Heß und Lord Byron, der damals meines Wissens Lordsiegelbewahrer war, und die am 9. 6. 41 stattgefunden hat, verlesen. Es sollen damit die Beweggründe und die Ziele klargestellt werden, die den Angeklagten Heß zu seinem Flug nach England veranlaßt haben. Die Beweiserheblichkeit ergibt sich ohne weiteres aus der Tatsache, daß die Anklagebehörde ihrerseits die Berichte Sir Kirkpatricks über dessen Besprechung mit Heß zum Gegenstand der Beweisaufnahme gemacht hat.
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Wenn Dr. Seidl meint, daß diese Unterredung noch etwas Weiteres bringt als die Unterredungen mit dem Duke of Hamilton und Herrn Kirkpatrick, habe ich gegen die Verlesung des Berichts nichts einzuwenden.
VORSITZENDER: Wo ist das Dokument?
DR. SEIDL: Das befindet sich in meinen Händen.
VORSITZENDER: Was ist das für ein Dokument? Wie steht es mit seiner Glaubwürdigkeit? Wer hat es abgefaßt? Wer schrieb es?
DR. SEIDL: Das Dokument hat sich unter den Papieren des Angeklagten Rudolf Heß befunden, die ihm mitgegeben wurden, als er von England nach Deutschland gebracht wurde. Es ist eine Abschrift des Originals, beziehungsweise eine Durchschrift, und aus einer Reihe von Stempeln ergibt sich ohne weiteres, daß es sich hier um die Durchschrift eines Originals handelt.
VORSITZENDER: Der Gerichtshof möchte gern das Dokument sehen.
DR. SEIDL: Jawohl.
VORSITZENDER: Wenn Sie uns das Dokument aushändigen, werden wir darüber beraten.
DR. SEIDL: Jawohl.
VORSITZENDER: Haben Sie damit Ihre Ausführungen beendet?
DR. SEIDL: Ja.
VORSITZENDER: Dann ist hier noch ein Brief, nicht wahr? Sie haben noch auf zwei weitere Dokumente hingewiesen, aber einen Antrag stellen Sie wohl deswegen nicht? Ein Brief an Hitler vom 10. Mai 1941 wegen der Reichsregierung.
DR. SEIDL: Dieser Antrag scheint von meinem Vorgänger gestellt worden zu sein, von Herrn Rechtsanwalt Dr. Rohrscheidt. Ich bitte, mir Gelegenheit zu geben, daß ich über diesen Punkt noch Erhebungen pflege.
VORSITZENDER: Jawohl. Wünschen Sie noch etwas dazu zu sagen, Sir David?
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Wir haben das Dokument nicht erhalten. Die Anklagebehörde hat den Brief, den der Angeklagte Heß an Hitler sandte, nicht in Händen. In dieser Beziehung können wir nicht helfen.
VORSITZENDER: Gut. Wenn dieses Dokument aufgefunden werden kann, wird es Ihnen vorgelegt werden.
DR. SEIDL: Jawohl.
VORSITZENDER: Jetzt Dr. Horn.
DR. HORN: Ich beabsichtige, als ersten Zeugen für den Angeklagten von Ribbentrop den früheren Botschafter Friedrich Gaus. zur Zeit in einem Lager in Minden bei Hannover, zu benennen. Botschafter Gaus war über drei Jahrzehnte Leiter der Rechtsabteilung des Deutschen Auswärtigen Amtes. Ich glaube, schon aus dieser Stellung ergibt sich die Notwendigkeit dieses Zeugen.
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Wenn Dr. Horn auf die gleiche Weise vorgehen würde wie Dr. Stahmer und nach Benennung des Zeugen jedesmal eine kleine Pause machen würde, könnte ich in gleicher Weise erklären, ob ein Einspruch zu erheben ist.
DR. HORN: Selbstverständlich.
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Gegen Herrn Gaus haben wir nichts einzuwenden; er gehört zu einer Gruppe von Zeugen, die ich als Zeugen des Auswärtigen Amtes bezeichnen möchte. Ich halte es für zweckmäßig, daß ich jetzt dazu Stellung nehme und Herr Dr. Horn dann sofort seine Ansicht entwickelt.
Dr. Horn beantragt Herrn Gaus; Fräulein Blank, die Privatsekretärin des Angeklagten, sowie die Zeugen drei bis sieben; dies sind fünf Beamte des Auswärtigen Amtes, die Herren von Sonnleitner, von Rintelen, Gottfriedsen, Hilger und Bruns. Im Augenblick ist die Lage folgende: Es bestehen gewisse Zweifel, ob Fräulein Blank vom Gerichtshof genehmigt worden ist oder nicht. Zwei weitere Zeugen, von Sonnleitner und Bruns, wurden am 5. Dezember bewilligt, von Sonnleitner wurde als einer von zwei Zeugen genehmigt, und Herr Bruns wurde schlechthin zugelassen.
Die Anklagebehörde möchte die Aufmerksamkeit des Gerichtshofs darauf lenken, daß nichts über die Themen gesagt ist, über welche die Zeugen aussagen sollen. Gegenwärtig entsprechen also die Anträge nicht der Verfahrensvorschrift 4 (a). Die Anklagebehörde schlägt jedoch folgendes vor: Es ist zweckmäßig, dem Angeklagten gewisse Zeugen zu bewilligen, die über das Auswärtige Amt und seine Tätigkeit sprechen sollen. Die Anklagebehörde vertritt jedoch die Ansicht, daß, wenn er Herrn Gaus und seine Privatsekretärin Fräulein Blank zugestanden bekommen hat, ein weiterer Beamter vom Auswärtigen Amt, der über allgemeine Angelegenheiten spricht, genügen würde. Von Sonnleitner ist offensichtlich die Persönlichkeit, die dem Angeklagten in den allgemeinen Fragen des Auswärtigen Amtes helfen könnte. Die Anklagebehörde ist der Ansicht, daß die Vorladung von sieben Zeugen, die alle über die allgemeinen Angelegenheiten des Amtes aussagen sollen, als kumulativ unzulässig wäre, und daß drei Zeugen genügen würden.
Ich hoffe, der Gerichtshof wird mir meine Ausführungen über die sieben Zeugen nicht übelnehmen; ich wandte mich lediglich gegen die Anzahl.
DR. HORN: Darf ich darauf etwas erwidern? Botschafter Gaus wird höchstwahrscheinlich mein Hauptentlastungszeuge sein. Ich, beziehungsweise mein Vorgänger, haben bisher, seit 10. November 1945, alles getan, um diesen Zeugen ausfindig zu machen, und nachdem dies geschehen war, ihn herbeizubringen. Ich weiß, der Zeuge ist, obgleich er jetzt festgestellt worden ist, noch nicht hier. Ich weiß daher noch nicht, für welche Vorgänge der Zeuge mir Gegenbeweise bringen kann. Aus diesem Grunde möchte ich mich auch noch nicht festlegen über die Entscheidung betreffs der übrigen Zeugen des Auswärtigen Amtes. Nur soviel möchte ich dagegen einwenden: Diese Zeugen, die weiterhin benannt wurden, diese übrigen Zeugen des Auswärtigen Amtes, sind keine Zeugen, die über Routinefragen, wie sich Sir David ausdrückte, über allgemeine Angelegenheiten des Auswärtigen Amtsbetriebes Zeugnis ablegen sollen, sondern es sind Zeugen, die zu ganz speziellen Punkten, die die Anklagebehörde vorgebracht hat, Gegenzeugnis ablegen können.
Ich schlage daher vor, daß über die Ladung dieser übrigen Zeugen dann endgültig entschieden wird, wenn Botschafter Gaus hier ist. Und ich möchte im Anschluß an diese Darlegung das Gericht noch einmal persönlich bitten, mir bei der Beschaffung dieses außerordentlich wertvollen Zeugen behilflich zu sein, denn nur, wenn ich ihn in kurzer Zeit hier habe, kann ich mein Gegenbeweisangebot schriftlich dem Generalsekretär rechtzeitig übergeben.
VORSITZENDER: Ja, gut. Wir wollen darüber beraten. Das bezieht sich auf eins bis sieben, nicht wahr?
DR. HORN: Herr Präsident, ich darf bemerken, daß die Zeugin Nummer 2, Fräulein Margarete Blank, ausgenommen werden möge, also nicht 2 bis 7, sondern 3 bis 7. Dazu darf ich folgende Erklärungen abgeben: Fräulein Blank war die langjährige Sekretärin des früheren Reichsaußenministers von Ribbentrop, und zwar seit 1933. Die Zeugin Blank hat eine ganze Reihe entscheidender Entwürfe und Denkschritten abgeschrieben und sich anläßlich dieser Abschriften auch in entscheidenden Punkten mit dem Angeklagten von Ribbentrop darüber unterhalten. Ich meine hier Denkschriften, die sich ausdrücklich auf Anklagepunkte beziehen, und ich bitte daher, die erste Entscheidung des Gerichts, die uns diese Zeugin zubilligte, aufrechtzuerhalten.
VORSITZENDER: Sie bitten also, daß Botschafter Gaus und Fräulein Blank sobald wie möglich hierhergebracht werden, und daß die Beratung über die anderen Zeugen 3 bis 7 aufgeschoben werde, bis Sie Gelegenheit gehabt haben, Gaus und Fräulein Blank zu sprechen.
DR. HORN: Jawohl, Herr Präsident. Bezüglich Fräulein Blank kann ich sagen, daß sie sich hier in der Nähe von Nürnberg, in Hersbruck, in einem Interniertenlager befindet.
VORSITZENDER: Wollen Sie damit sagen, daß Fräulein Blank in einem Lager nahe bei Nürnberg ist, so daß Sie sich dorthin begeben und sie sprechen könnten?
DR. HORN: Jawohl, Herr Präsident, diese Möglichkeit ist gegeben.
VORSITZENDER: Sehr schön.
DR. HORN: Darf ich dann dies als Genehmigung auffassen, Fräulein Blank selbst zu Informationszwecken zu besuchen?
VORSITZENDER: Wenn wir recht verstehen, stellen Sie diesen Antrag. Wir werden darüber beraten.
DR. HORN: Ich danke, Herr Präsident.
Als nächsten Zeugen benenne ich den ehemaligen SS-Gruppenführer und persönlichen Adjutanten Hitlers, zur Zeit in Nürnberg im Zellengefängnis.
VORSITZENDER: Bitte, Sir David?
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Bezüglich dieses Zeugen erklärt der Antrag, daß eine entscheidende Besprechung zwischen Hitler und dem Angeklagten von Ribbentrop stattfand, und daß der Zeuge über gewisse Dinge, die dabei erörtert wurden, aussagen kann. Wenn dem so ist, wenn er also als Teilnehmer der Besprechung Bekundungen machen kann, hat die Anklagebehörde nichts einzuwenden. Sie wendet sich – und dies kommt für eine Reihe von Zeugen in Betracht – gegen das, was ich als selbstgeschaffenes Beweismaterial bezeichnen möchte. Das liegt dann vor, wenn ein Zeuge lediglich kommt und erklärt, der Angeklagte habe gesagt, er habe eine bestimmte Ansicht gehabt; das bringt uns nach Ansicht der Anklagebehörde um keinen Schritt weiter. Wenn ich aber recht verstehe, soll dieser Zeuge als Beobachter einer Besprechung aussagen; in diesem Falle erheben wir keinen Einspruch.
DR. HORN: Ich bitte Sir David, meine Versicherung hinzunehmen, daß es sich hier um einen Zeugen handelt, der unmittelbare Kenntnis entscheidender Vorkommnisse hat und diesbezüglich Zeugnis ablegen kann.
Als nächsten Zeugen benenne ich Adolph von Steengracht, seit 1943 Staatssekretär des Deutschen Auswärtigen Amtes. Der Zeuge befindet sich hier in Nürnberg im Zellengefängnis.
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Ich bitte den Gerichtshof, sich die siebente Zeile von unten in diesem Antrag anzusehen. Danach wird Steengracht ferner bekunden, daß entgegen der Behauptung des Hauptanklagevertreters der Vereinigten Staaten die Protestnoten der Kirchen und des Vatikans laufend bearbeitet, und dadurch noch schlimmere Ausschreitungen verhindert wurden.
Wenn damit gemeint ist – die englische Übersetzung ist nicht ganz klar –, daß der Angeklagte Ribbentrop die Proteste der Kirchen an Hitler weitergeleitet hat, dann glaubt die Anklage, keinen Einspruch gegen den Zeugen erheben zu sollen.
DR. HORN: Dazu kann ich noch ausführen, Herr Präsident, daß diese Proteste nicht nur Hitler unterbreitet wurden, sondern daß außerdem auf die Initiative und Befehle des Angeklagten andere bei diesen Völkerrechtsverletzungen beteiligte deutsche Dienststellen herangezogen wurden zwecks Abstellung dieser Schwierigkeiten der Proteste der Kirchen und des Vatikans.
VORSITZENDER: Gut. Können wir zu 10 übergehen?
DR. HORN: Zehn ist der Zeuge Dahlerus bei mir. Über Herrn Dahlerus wurde heute bereits ausführlich gesprochen, und ich bitte mir mitzuteilen, ob noch weitere Ausführungen zur Herbeibringung dieses Zeugen erforderlich sind.
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Meinen allgemeinen Standpunkt zu Dahlerus habe ich schon vorgetragen. Anscheinend will dieser Angeklagte ihn wegen eines bestimmten Punktes vorladen, und zwar wegen eines Befehls von Hitler. Ich glaube, daß der geeignetste Weg wäre, wenn Dr. Horn hierzu einen Fragebogen beifügte. Prima facie halte ich es für unwahrscheinlich, daß Hitler seinen privaten Befehl einem schwedischen Ingenieur mitgeteilt hat. Da jedoch in diesem Falle ein Fragebogen bereits angeordnet wurde, schlage ich vor, daß Dr. Horn hierzu einen weiteren Fragebogen abschickt.
DR. HORN: Herr Präsident, darf ich dazu eine Bemerkung geben? Es handelt sich hier nicht, wie übersetzt worden ist, um einen Befehl Hitlers, sondern es handelt sich um die entscheidende Note, die der Anlaß des zweiten Weltkrieges gewesen ist.
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Meine Stellungnahme schließt einen großen Teil dieser Anträge ein. In diesem Falle kann man nur dann von Beweismaterial sprechen, wenn Herr Dahlerus bezeugen kann, was Hitler gesagt hat, was ihm Hitler erzählt hat. Es ist kein Beweismaterial, wenn Dahlerus nur sagen kann: »Herr Ribbentrop hat mir gesagt, Hitler habe angeordnet...« Das würde den Aussagen des Angeklagten selbst nichts hinzufügen. Deshalb halte ich es für wesentlich, diese Frage, wie ich vorgeschlagen habe, erst durch Fragebogen zu klären, ehe man den Beweiswert überhaupt beurteilen kann.
VORSITZENDER: Dr. Horn, wenn Sie bezüglich dieses Zeugen nichts weiter hinzuzufügen haben, werden wir damit für heute Schluß machen. Wir glauben nicht, daß es möglich ist, heute fortzufahren. Es ist augenscheinlich unmöglich, alle Ihre Anträge heute nachmittag zu erledigen. Wollen Sie noch etwas wegen Dahlerus hinzufügen?
DR. HORN: Jawohl. Ich möchte noch eine kurze Erklärung geben zu dem, was Sir David als beweisentscheidend ansieht. Herr Dahlerus wird hier nicht bekunden, was er von Herrn von Ribbentrop hörte, sondern er wird bekunden, was er von einer entscheidenden Persönlichkeit und von Hitler selbst über Herrn von Ribbentrop hörte, und daher halte ich ihn für außerordentlich entscheidend.
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Eine allgemeine Bemerkung, Euer Lordschaft: Zu den Zeugen, die Dr. Horn beantragt hat, habe ich die Stellungnahme der Anklagebehörde vorbereitet. Sie ist in englischer Sprache geschrieben worden. Der Gerichtshof wird begreifen, daß die Übersetzung des Antrags, den wir erst gestern erhalten haben, heute noch nicht fertig ist. Es war mir auch unmöglich, meine Stellungnahme übersetzen zu lassen. Ich habe aber Dr. Horn kurzerhand eine Abschrift gegeben, damit er informiert ist. Es wäre zweckmäßig, wenn ich sie überreichen würde, denn es könnte das Verfahren sehr abkürzen; gleichzeitig könnte sie als Urkunde dienen, wenn der Gerichtshof die Behandlung dieser Fälle wieder aufnimmt. Ich weiß nicht, ob das dem Gerichtshof zusagt.
VORSITZENDER: Jawohl, sehr gut. Dann vertagen wir uns jetzt.
Ich möchte den russischen Hauptanklagevertreter fragen, ob es der Sowjetischen Anklagebehörde angenehm wäre, wenn wir am Montag Morgen mit dem Verhör von Zeugen und der Prüfung von Dokumenten fortfahren würden. Ich glaube, es wird die gesamte Vormittagssitzung in Anspruch nehmen, wenn wir uns mit den Anträgen des Angeklagten Ribbentrop und dann denen des Angeklagten Keitel befassen, so daß die Sowjetische Anklagebehörde, falls dieses Verfahren angenommen würde, um 2.00 Uhr nachmittags an die Reihe kommen würde. Wäre das der Sowjetischen Anklagebehörde genehm?
GENERAL RUDENKO: Wenn es dem Gerichtshof so recht ist, sind wir damit einverstanden, Herr Vorsitzender.
VORSITZENDER: Dann noch eine Frage, die ich Ihnen gern stellen möchte. Ich glaube, dem Gerichtshof wurde mitgeteilt, daß die Sowjetische Anklagebehörde beabsichtigte, zwei Zeugen zu rufen. Soviel ich weiß, wurde uns erklärt, daß General Warlimont und General Halder vorgeladen werden sollten, um den Verteidigern die Möglichkeit zu geben, sie ins Kreuzverhör zu nehmen.
GENERAL RUDENKO: Wenn der Gerichtshof es wünscht, werde ich über diese Frage jetzt berichten. Ich habe mich mit der Niederschrift der Ausführungen, die General Zorya und Oberst Pokrowsky machten, als über die Zeugen Warlimont und Halder diskutiert wurde, vertraut gemacht. Die Sowjetische Delegation ist der Ansicht, daß zu einem Einspruch, daß auf Antrag der Verteidigung die Zeugen Warlimont und Halder vor Gericht vernommen werden, kein Anlaß besteht. Die Sowjetische Anklagebehörde beabsichtigt jedoch, den Gerichtshof zu ersuchen, diese Zeugen als Zeugen der Sowjetischen Anklagebehörde zuzulassen.
Ich möchte noch einmal darüber berichten, wie die Sowjetische Anklagebehörde ihren Beweisvortrag abzuschließen gedenkt. Wir haben noch den letzten Abschnitt, »Verbrechen gegen die Menschlichkeit«, dem Gerichtshof vorzutragen. Dieser Vortrag wird ungefähr drei bis vier Stunden in Anspruch nehmen. Außerdem werden wir den Gerichtshof um Erlaubnis bitten, nach und nach noch vier Zeugen zu vernehmen; es sind sowjetische Bürger, die wir eigens zu diesem Zweck nach Nürnberg gebracht haben, und die sich jetzt hier befinden. Wir glauben, daß wir auf diese Weise, wenn mir morgen um 2.00 Uhr beginnen, am Dienstag unseren Vortrag zu allen unseren Punkten abgeschlossen haben werden.
VORSITZENDER: Der Gerichtshof erwartet, daß General Warlimont und General Halder hier vorgeführt werden, bevor die Sowjetische Anklagebehörde ihren Vortrag abschließt, und zwar nicht, damit die Sowjetische Anklagebehörde Fragen an sie stellt, sondern damit die Verteidiger, wenn sie es wünschen, sie ins Kreuzverhör nehmen. Dies kann zu jeder Zeit, die ihnen genehm ist, erfolgen. Wenn Sie wünschen, können die Zeugen am Montag um 14.00 Uhr vorgeladen werden. Wenn Sie vorziehen, sie am Ende des sowjetischen Beweisvortrags vorzuladen, das heißt entweder am Dienstag Nachmittag oder am Mittwoch Morgen, so kann auch dies geschehen, ganz wie Sie wünschen.
GENERAL RUDENKO: Wie ich bereits gesagt habe, hat die Sowjetische Anklagebehörde nicht die Absicht, Halder oder Warlimont vorzuführen. Die Sowjetische Anklagebehörde hat nichts dagegen einzuwenden, daß Halder und Warlimont auf Antrag der Verteidigung einem Kreuzverhör unterworfen werden. Soweit mir bekannt ist, hat der Gerichtshof schon im Dezember vorigen Jahres den Antrag der Verteidigung, Halder als Zeugen vor den Gerichtshof zu rufen, genehmigt.
Um die Vorlage des Beweismaterials durch die Sowjetische Anklagebehörde beschleunigt zum Abschluß zu bringen, und weil sich diese Vernehmungen auf die Prüfung wesentlicher Fragen nicht auswirken werden, scheint es mir gerechtfertigt, daß die Vernehmung der Zeugen Warlimont und Halder erst während des Beweisvortrags der Verteidigung stattfinden sollte.
Soweit mir bekannt ist, sind Halder und Warlimont in dem Gesuch des Angeklagten Keitel an den Gerichtshof als Zeugen benannt; der Angeklagte Keitel und sein Verteidiger haben beantragt, sie als Zeugen der Verteidigung zu vernehmen. Aus diesem Grunde bin ich der Ansicht, daß das Verhör dieser Zeugen während des Beweisvortrags der Verteidigung stattfinden sollte.
VORSITZENDER: Der Gerichtshof nimmt an, daß sowohl General Warlimont als auch General Halder sich hier in Nürnberg befinden. Ist das richtig?
GENERAL RUDENKO: Ja.
VORSITZENDER: Dann wird es das Beste sein, wenn der Gerichtshof genau feststellt, welchen Beschluß er wegen ihrer Vorladung erlassen hatte. Wir wollen die stenographische Niederschrift nachlesen, genau nachprüfen, was wir beschlossen haben, und werden uns dann am Montag früh damit befassen. Da Sie sich damit einverstanden erklärten, werden wir in der Zwischenzeit, Montag früh, mit den Anträgen von Dr. Horn für den Angeklagten von Ribbentrop und den Anträgen von Dr. Nelte für den Angeklagten Keitel fortfahren. Wir werden am Montag Nachmittag nur von 2.00 bis 4.00 Uhr tagen.