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[Der Zeuge Grigoriew betritt den Zeugenstand.]

VORSITZENDER: Wie heißen Sie?

ZEUGE YAKOW GRIGORIEW: Yakow Grigoriew.

VORSITZENDER: Schwören Sie den folgenden Eid: »Ich, Yakow Grigoriew, Bürger der Union der Sozialistischen Sowjet-Republiken, als Zeuge vor dieses Gericht geladen, gelobe und schwöre in Gegenwart des Gerichts, dem Gericht die volle Wahrheit über alles zu sagen, was ich in Verbindung mit diesem Fall weiß.«

[Der Zeuge spricht die Eidesformel

auf russisch nach.]

VORSITZENDER: Sie können sich setzen.

OBERJUSTIZRAT SMIRNOW: Sagen Sie mir bitte, Zeuge, in welchem Dorf lebten Sie vor dem Kriege?

GRIGORIEW: Ich lebte im Dorf Kusnezow, im Bezirk Porchow, im Gebiet Pleskau.

OBERJUSTIZRAT SMIRNOW: In welchem Dorf überraschte Sie der Krieg?

GRIGORIEW: Im Dorf Kusnezow.

OBERJUSTIZRAT SMIRNOW: Existiert dieses Dorf jetzt noch?

GRIGORIEW: Nein, es existiert nicht mehr.

OBERJUSTIZRAT SMIRNOW: Ich bitte Sie, dem Gerichtshof zu erzählen, was sich zutrug.

GRIGORIEW: Am denkwürdigen 28. Oktober 1943 überfielen die deutschen Soldaten unerwartet unser Dorf und begannen, die friedliche Bevölkerung niederzumetzeln, erschossen sie oder trieben sie in die Häuser. An diesem Tag arbeitete ich mit meinen zwei Söhnen Alexei und Nikolai auf der Tenne. Plötzlich kam zu uns ein deutscher Soldat auf die Tenne und befahl uns, ihm zu folgen.

VORSITZENDER: Einen Augenblick, warten Sie bitte; wenn Sie diese Birne auf jenem Pult oder hier glühen sehen, dann bedeutet dies, daß Sie zu schnell sprechen, verstehen Sie?

GRIGORIEW: Ich verstehe.

VORSITZENDER: Gut.

OBERJUSTIZRAT SMIRNOW: Sprechen Sie bitte langsam, Zeuge. Fahren Sie fort, bitte!

VORSITZENDER: Sie sagten, Sie arbeiteten mit Ihren beiden Söhnen auf dem Feld?

GRIGORIEW: Ja, meine beiden eigenen Söhne.

OBERJUSTIZRAT SMIRNOW: Fahren Sie fort!

GRIGORIEW: Man führte uns durchs Dorf, und zwar in das letzte Haus am Rande des Dorfes. Im ganzen waren wir 19 Mann in diesem Hause. Da saßen wir in dem Haus. Ich saß am Fenster und sah hinaus. Ich sah, wie deutsche Soldaten noch viele Menschen zusammentrieben; ich sah auch meine Frau und meinen jüngsten Sohn, der 9 Jahre alt war. Sie wurden bis zum Haus getrieben und dann wieder weggeführt, wohin, das wußte ich noch nicht. Etwas später kamen drei deutsche Soldaten mit Maschinenpistolen, gefolgt von einem vierten, der einen schweren Revolver in der Hand hielt. Man befahl uns, in ein anderes Zimmer zu gehen. Sie stellten uns alle 19 Männer an die Wand, auch mich und meine beiden Söhne, und begannen mit der Maschinenpistole auf uns zu schießen. Ich stand direkt an der Wand etwas vornüber geneigt. Als der erste Schuß fiel, sank ich vor Schreck auf den Boden und blieb regungslos liegen. Nachdem alle erschossen waren, verließen die deutschen Soldaten das Haus. Ich kam wieder zu mir, sah mich um und erblickte nicht weit von mir meinen Sohn Nikolai erschossen, das Gesicht zur Erde gekehrt. Den zweiten Sohn entdeckte ich nicht und wußte auch nicht, ob er tot war oder noch lebte. Nach einiger Zeit begann ich darüber nachzudenken, wie ich am besten fliehen könnte. Ich zog meine Füße unter einem Leichnam, der darauf gefallen war, hervor, richtete mich auf und wollte überlegen, wie ich entfliehen könnte. Aber statt nachzudenken, schrie ich, kopflos geworden, aus Leibeskräften: »Kann ich denn jetzt gehen?« In diesem Augenblick erkannte mich mein Söhnchen, das am Leben geblieben war.

OBERJUSTIZRAT SMIRNOW: Das war Ihr zweiter Sohn?

GRIGORIEW: Jawohl, das war der zweite Sohn; der erste lag unweit von mir erschossen. Mein zweiter Sohn rief: »Papa, du lebst.«

OBERJUSTIZRAT SMIRNOW: War er verwundet?

GRIGORIEW: Er war am Bein verwundet. Ich beruhigte ihn und sagte ihm: »Fürchte Dich nicht, mein Kind, ich verlasse Dich nicht, wir werden irgendwie fliehen! Ich werde Dich hier hinaustragen.« Kurz darauf fing das Haus zu brennen an. Da öffnete ich das Fenster und schwang mich mit meinem am Bein verwundeten Jungen aus dem Fenster. Kriechend stahlen wir uns vom Hause weg, damit uns die deutschen Soldaten nicht bemerkten. Unweit vom Haus war ein hoher Zaun. Wir konnten die Latten nicht verschieben, deshalb begannen wir sie zu zerbrechen. In diesem Augenblick bemerkten uns die deutschen Soldaten und begannen auf uns zu schießen. Ich flüsterte meinem Sohne zu, er solle sich regungslos verhalten, während ich versuchen würde wegzulaufen; denn ich konnte ihn ja nicht tragen. Er lief ein Stückchen und konnte sich in einem Gebüsch verstecken, während ich fortlief. Nachdem ich eine kurze Strecke gelaufen war, sprang ich in ein Gebäude, das unweit des brennenden Hauses stand. Dort blieb ich einen Augenblick und beschloß dann, weiter zu laufen. Ich lief in den nächsten Wald, der nicht sehr weit von unserem Dorf entfernt war und brachte dort die Nacht zu. Am Morgen traf ich aus dem benachbarten Dorf den Bauern Alexei N., der mir erzählte, daß mein Sohn Aljoscha am Leben sei, da er sich bis ins benachbarte Dorf geschleppt habe. Am nächsten Tag traf ich aus diesem Dorf Kusnezow den Knaben Vitja, einen Flüchtling aus Leningrad, der während der Besatzung in unserem Dorf lebte.

Auch er war wie durch ein Wunder gerettet; er entkam dem Feuer. Er erzählte mir, was sich in der zweiten Hütte zugetragen hatte, in der meine Frau und mein kleines Söhnchen waren. Dort geschah folgendes:

Die deutschen Soldaten trieben die Leute in die Hütte, öffneten die Türe zum Korridor und schossen über die Schwelle mit Maschinengewehren auf die Menschen. Nach Vitjas Erzählung brannten dort noch halblebende Menschen. Auch mein kleiner Sohn Petja von 9 Jahren verbrannte bei lebendigem Leibe. Als er aus der Hütte lief, sah er meinen Petja noch lebend unter einer Bank sitzen und seine Ohren mit den Händchen halten.

OBERJUSTIZRAT SMIRNOW: Wie alt war der älteste Bewohner Ihres Dorfes, das von den Deutschen zerstört wurde?

GRIGORIEW: 108 Jahre alt, und zwar war es eine Frau, namens Artemjova Ustnia.

OBERJUSTIZRAT SMIRNOW: Sagen Sie mir bitte, wie alt war der jüngste Einwohner in dem vernichteten Dorf?

GRIGORIEW: Der jüngste Einwohner war 4 Monate alt.

OBERJUSTIZRAT SMIRNOW: Wieviel Einwohner des Dorfes wurden insgesamt umgebracht?

GRIGORIEW: 47 Leute, ohne diejenigen zu zählen, die wie durch ein Wunder gerettet wurden.

OBERJUSTIZRAT SMIRNOW: Warum wurden diese Einwohner vernichtet?

GRIGORIEW: Das ist unbekannt.

OBERJUSTIZRAT SMIRNOW: Und was sagten die Deutschen dazu?

GRIGORIEW: Als der deutsche Soldat zu uns auf die Tenne kam, fragten wir ihn: »Warum bringt ihr uns alle um?« Er sagte: »Kennt Ihr das Dorf Maximowo«? Dieses Dorf liegt in der Nähe unseres »Dorfsowjets«. Ich antwortete: »Ja«. Er erzählte mir, Maximowo sei »kaputt« – die Einwohner seien »kaputt«, und wir müßten nun auch »kaputt« gemacht werden.

OBERJUSTIZRAT SMIRNOW: Und warum »kaputt?«.

GRIGORIEW: »Weil sich bei Euch Partisanen verborgen haben.« – Das entsprach jedoch nicht der Wahrheit, denn bei uns waren keine Partisanen, und niemand nahm an Partisanentätigkeit teil, weil niemand da war, der es in diesem Dorf hätte tun können. Es waren bloß alte Leute und kleine Kinder im Dorf geblieben. Wir wußten nichts von Partisanen und sahen sie nie.

OBERJUSTIZRAT SMIRNOW: Waren viele erwachsene Männer im Dorfe geblieben?

GRIGORIEW: Es war nur ein 27jähriger Mann da, aber er war krank, schwachsinnig und Paralytiker. Die anderen waren alte Leute oder Kinder. Alle übrigen Männer waren in der Armee.

OBERJUSTIZRAT SMIRNOW: Sagen Sie, ist nur die Bevölkerung Ihres Dorfes von diesem Schicksal ereilt worden?

GRIGORIEW: Nein, nicht nur sie. Die Deutschen haben außerdem in Kurischewa 43 und in Wschiwowa 47 Personen erschossen; im Dorf Pawlow, in dem ich jetzt wohne, haben sie 23 Personen verbrannt, und in einer ganzen Reihe anderer Dörfer, wo nach unserem »Dorfsowjet« ungefähr 400 Leute gezählt wurden, haben sie friedliche Bürger, alte Leute und Kinder vernichtet.

OBERJUSTIZRAT SMIRNOW: Bitte wiederholen Sie die Zahl derer, die in Ihrem »Dorfsowjet« vernichtet wurden?

GRIGORIEW: In unserem »Dorfsowjet« sind ungefähr 400 Personen vernichtet worden.

OBERJUSTIZRAT SMIRNOW: Sagen Sie, wer blieb von Ihrer Familie am Leben?

GRIGORIEW: Von meiner Familie blieben nur mein Sohn und ich am Leben. Erschossen wurde meine Frau, im sechsten Schwangerschaftsmonat, mein Sohn Nikolaj, 16 Jahre alt, und mein jüngster Sohn Peter im Alter von 9 Jahren. Ferner meine Schwägerin, die Frau meines Bruders mit ihren beiden Kindern Sascha und Toni.

OBERJUSTIZRAT SMIRNOW: Ich habe keine Fragen mehr an diesen Zeugen, Herr Vorsitzender.

VORSITZENDER: Haben andere Anklagevertreter Fragen an den Zeugen zu stellen? Haben Mitglieder der Verteidigung Fragen an den Zeugen zu stellen? Dann kann der Zeuge sich zurückziehen.