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[Der Zeuge verläßt den Zeugenstand.]

OBERJUSTIZRAT SMIRNOW: Gestatten Sie, daß ich fortfahre?

Ich komme jetzt zum nächsten Abschnitt meines Berichts und zwar zur »Diskriminierung der Sowjetbürger«. Die unterschiedliche Behandlung der Sowjetbevölkerung war eine übliche Methode der Hitlerschen Verbrecher. Sie wurden von den Verbrechern konsequent und überall befolgt.

In diesem Teil meines Berichts wende ich mich dem Beweismaterial der deutschen Verbrecher selbst zu, das erst jetzt beschafft wurde und der Sowjetanklagevertretung zur Verfügung steht.

Diese Dokumente wurden von der Außerordentlichen staatlichen Kommission im Kriegsgefangenenlager Lamsdorf beschlagnahmt. Ich lege dem Gerichtshof als USSR-415 den Bericht der Außerordentlichen staatlichen Kommission über die von der Deutschen Regierung und dem Oberkommando der Wehrmacht an Sowjetkriegsgefangenen im Lager Lamsdorf begangenen Verbrechen vor. Diesem Bericht sind eine Reihe von Originaldokumenten der deutsch-faschistischen Verbrecher beigefügt, die dem Archiv des Lagers entnommen wurden.

Ich werde die Möglichkeit haben, einige dieser Dokumente dem Hohen Gerichtshof zu unterbreiten. Der Wert der Dokumente, die ich vorlegen werde, liegt darin, daß aus ihnen ersichtlich ist, wie sogar unter diesem mörderischen Regime, das in einem der größten und grausamsten deutschen Konzentrationslager waltete, die Verbrecher, treu den kannibalischen Prinzipien ihrer Theorien, skrupellos die sowjetischen Menschen unterschiedlich behandelten. Ich möchte einige kurze Auszüge aus dem Bericht der Außerordentlichen staatlichen Kommission, die ich dem Gerichtshof vorgelegt habe, zitieren. Dieser Auszug befindet sich auf Seite 123 des Dokumentenbuches, Absatz 4. Hier wird eine allgemeine Charakteristik des Lagers gegeben. Ich zitiere:

»Auf Grund der vorgenommenen Untersuchung hat die Außerordentliche staatliche Kommission festgestellt, daß in Lamsdorf, bei der Stadt Oppeln, vom Jahre 1941 bis März 1945 das deutsche Stalag 344 bestand. Im Jahre 1940/41 waren in diesem Lager polnische Kriegsgefangene untergebracht. Ab Ende 1941 begann man, sowjetische, englische und französische Kriegsgefangene aufzunehmen.«

Ich lasse die zwei nächsten Sätze aus und fahre mit dem Zitat fort:

»Den Kriegsgefangenen nahm man die Oberkleider und Schuhe ab, so daß sie sogar im Winter barfuß gehen mußten. Solange das Lager bestand, waren dort nicht weniger als 300000 Kriegsgefangene untergebracht, von denen 200000 sowjetische und 100000 polnische, englische, französische, belgische und griechische Kriegsgefangene waren.

Die am weitesten verbreitete Methode für die Ausrottung der sowjetischen Kriegsgefangenen im Lager Lamsdorf bestand in dem Verkauf von Gefangenen an verschiedene deutsche Unternehmen zur Arbeit in den Betrieben, wo sie erbarmungslos ausgenutzt wurden, bis ihre Kräfte sie vollständig verließen und sie vor Erschöpfung starben. Zum Unterschied von den zahlreichen deutschen Arbeitsbörsen, in denen die Bevollmächtigten Sauckels die in die Sklaverei getriebenen Sowjetbürger im Detailhandel den deutschen Hausfrauen verkauften, wurde in dem Lamsdorfer Lager ein Großhandel mit Kriegsgefangenen, die in Arbeitskommandos eingeteilt waren, eingerichtet. Im Lager gab es 1011 solcher Arbeitskommandos.«

Wenn ich jetzt die folgenden Dokumente unterbreite, so möchte ich den Hohen Gerichtshof bitten, die Sachlage, zu deren Bekräftigung ich die Dokumente vorlege, richtig einzuschätzen. Ich will absolut nicht behaupten, daß das von den Deutschen eingeführte Regime gegenüber den britischen, französischen oder anderen Kriegsgefangenen sich durch Milde und Menschlichkeit auszeichnete, und daß die Lagerverwaltung nur die Sowjetkriegsgefangenen auf verbrecherische Art und Weise umbrachte. Dies war keineswegs der Fall. Das Lager Lamsdorf verfolgte grundsätzlich das Ziel, die Kriegsgefangenen ohne Unterschied ihrer Nationalität oder Staatsangehörigkeit zu vernichten. Aber auch in diesem »Vernichtungslager«, in dem die Kriegsgefangenen aller Nationen an sich schon unter sehr harten Bedingungen lebten, haben die deutschen Faschisten, getreu den Prinzipien ihrer Theorien, durch ihre Verbrechen gegen die Menschlichkeit für die sowjetischen Kriegsgefangenen besonders qualvolle Bedingungen geschaffen. Ich werde dem Gerichtshof in kurzen Auszügen eine Reihe von Dokumenten vorlegen, die aus dem Archiv dieses Lagers stammen. Sie werden dem Gerichtshof im Original vorgelegt. Alle diese Dokumente decken die offene Diskriminierung der Sowjetkriegsgefangenen auf, die von der Lagerverwaltung auf Befehl der Deutschen Regierung und des Oberkommandos der Wehrmacht durchgeführt wurden. Ich lege dem Hohen Gerichtshof als USSR-421 das Merkblatt für den Einsatz, sowjetischer Kriegsgefangener vor, das von dem Kommandeur der Kriegsgefangenen im Wehrkreis VIII an die Industrieverwaltungen gerichtet war, zu denen die Kriegsgefangenen geschickt wurden. Ich bitte den Gerichtshof, dieses Dokument als Beweisstück anzunehmen. Es wird im Original vorgelegt, Ich zitiere Punkt 10 des Merkblatts. Der Gerichtshof wird im letzten Absatz, Seite 150, des Dokumentenbuches folgendes Zitat finden:

»Die Behandlung der Russen betreffend hat folgendes zu gelten: Die russischen Kriegsgefangenen sind durchwegs durch die Schule des Bolschewismus gegangen und demnach als Bolschewiken zu betrachten und zu behandeln. Ihren Instruktionen gemäß werden sie auch in der Kriegsgefangenschaft ein gegen den Gewahrsamstaat gerichtetes aktivistisches Verhalten an den Tag legen. Deshalb wird von Anfang an mit rücksichtsloser Schärfe gegen alle russischen Kriegsgefangenen eingeschritten, die dazu auch nur den allergeringsten Anlaß geben; die vollständige Scheidung der Kriegsgefangenen von der Zivilbevölkerung muß daher sowohl bei der Arbeit als auch in der Freizeit strengstens durchgeführt werden. Zivilpersonen, die den Versuch machen, sich den eingesetzten sowjetischen Kriegsgefangenen zu nähern, Gedankenaustausch zu pflegen, ihnen Geld, Nahrungsmittel, Rauchwaren und sonstige Gegenstände zuzuwenden, werden ohne jede Warnung festgehalten, verhört und der Polizei übergeben.«

Ich zitiere die Einleitung des »Merkblattes«. Der Gerichtshof wird diesen Auszug auf Seite 149, Absatz 2 des Dokumentenbuches finden:

»Für den Einsatz sowjetischer Kriegsgefangener sind vom Oberkommando der Wehrmacht Weisungen ergan gen, die den Einsatz der russischen Kriegsgefangenen nur unter Bedingungen zulassen, die gegenüber dem Einsatz der Kriegsgefangenen anderer Nationen wesentlich verschärft sind.«

Auf diese Weise waren die Anordnungen für besonders grausame Behandlung der sowjetischen Kriegsgefangenen, lediglich weil sie sowjetische Menschen waren, keine willkürliche Angelegenheit der Lagerverwaltung Lamsdorf. Sie waren vom Oberkommando der Wehrmacht vorgeschrieben. Als die Lagerverwaltung das Merkblatt verfaßte, führte sie nur den unmittelbaren Befehl des Oberkommandos aus.

Ich führe zwei weitere ausreichend charakteristische Punkte des Merkblatts an. Ich zitiere Punkt 4, den der Gerichtshof auf Seite 149 des Dokumentenbuches, und zwar im letzten Absatz, finden wird. Es ist ein kurzes Zitat:

»Im Gegensatz zu den erhöhten Anforderungen, die an die Sicherheit der Russenunterkünfte gestellt werden, sind die Forderungen, an dieselben in wohnlicher Hinsicht nur den bescheidensten Anforderungen zu genügen.«

Ich werde später zu erklären versuchen, was das bedeutet.

Jetzt zitiere ich Punkt 7 auf Seite 150, Absatz 3, des Dokumentenbuches:

»Die Verpflegungssätze für die in Arbeit eingesetzten russ. Kgf sind von denen, die für die Kriegsgefangenen anderer Nationalitäten gelten, verschieden; sie werden noch genauer mitgeteilt werden.«

So lautete das »Merkblatt« für die Industriellen, in deren Unternehmungen die Sowjetkriegsgefangenen als Arbeitssklaven geschickt wurden.

Ich lege als USSR-431 ein weiteres Merkblatt über die Bewachung sowjetischer Kriegsgefangener vor. Das Dokument wird im Original vorgelegt, und ich bitte den Gerichtshof, dies als Beweisstück zur Sache anzunehmen. Ich bitte um die Erlaubnis, einige kurze Auszüge aus diesem Dokument zu verlesen. Als erstes bringe ich den Teil des Dokuments, aus dem seine Herkunft ersichtlich ist. Auf der ersten Seite des Textes steht, daß es eine Anlage darstellt zur »Verfügung OKW/AWA Abteilung Kriegsgefangene«.

Dann folgen Nummer und Datum, das ist nicht so wesentlich. Ich zitiere die Einleitung des Merkblatts Seite 152 des Dokumentenbuches:

»Zum erstenmal in diesem Kriege steht dem deutschen Soldaten ein nicht nur soldatisch, sondern auch politisch geschulter Gegner gegenüber, der im Kommunismus sein Ideal, im Nationalsozialismus seinen ärgsten Feind sieht.«

Ich übergehe den nächsten Satz und lese weiter:

»Auch der in Gefangenschaft geratene Sowjetsoldat, mag er auch äußerlich noch so harmlos erscheinen, wird jede Gelegenheit benutzen, um seinen Haß gegen alles Deutsche zu betätigen. Es ist damit zu rechnen, daß die Kgf entsprechende Anweisungen für ihre Betätigung in der Gefangenschaft erhalten haben.«

Mein Kollege, Oberst Pokrowsky, hat bereits auf die Ungereimtheit dieser »besonderen Erlasse« hingewiesen, und ich halte es nicht für notwendig, sich noch weiter bei dieser Stelle aufzuhalten. Ich fahre mit dem Zitat fort:

»Ihnen gegenüber ist also äußerste Wachsamkeit, größte Vorsicht und schärfstes Mißtrauen dringendes Gebot.

Für die Bewachungsmannschaften gelten folgende Richtlinien:

1. Rücksichtsloses Durchgreifen bei den geringsten Anzeichen von Widersetzlichkeit und Ungehorsam. Zur Brechung von Widerstand ist von der Waffe schonungslos Gebrauch zu machen. Auf fliehende Kgf ist sofort (ohne Anruf) zu schießen, mit der festen Absicht zu treffen.«

Charakteristisch sind die Worte »ohne Anruf«.

Ich lasse die nächsten zwei Absätze aus und verlese den zweiten Teil des Punktes 3 des »Merkblatts«. Der Gerichtshof wird diesen Auszug auf Seite 153, Absatz 2, des Dokumentenbuches finden. Ich zitiere drei Zeilen:

»Auch gegen den arbeitswilligen und gehorsamen Kgf ist Weichheit nicht am Platze. Er legt sie als Schwäche aus und zieht daraus seine Folgerungen.«

Ich lasse Punkt 4 aus und zitiere jetzt Punkt 5 der Denkschrift. Der Gerichtshof wird diesen Auszug auf Seite 153 im letzten Absatz des Dokumentenbuches finden:

»Niemals darf eine bei den bolschewistischen Kgf in Erscheinung tretende scheinbare Harmlosigkeit dazu führen, daß von vorstehenden Anordnungen abgewichen wird.«

Ich habe schon früher Punkt 4 des »Merkblatts« zitiert, das sich mit der Ausnutzung der Arbeitskraft der sowjetischen Kriegsgefangenen befaßt und für die Industriellen bestimmt war. Darin heißt es, daß den Forderungen für die Unterkunft der Sowjetkriegsgefangenen »in wohnlicher Hinsicht« nur im bescheidensten Umfang nachzukommen sei. Was das bedeutete, wird der Gerichtshof aus dem Schreiben des »Chefs der Heeresrüstung und BdE vom 17. Oktober 1941« ersehen, das an die stellvertretenden Generalkommandos und an die Wehrkreisverwaltungen versandt wurde.

Ich lege dem Gerichtshof dieses Dokument als USSR-422 im Original vor und bitte, es als Beweisstück zur Sache anzunehmen. Es wurde in Berlin herausgegeben und ist bereits vom 17. Oktober 1941 datiert. Ich zitiere einen Absatz dieses Textes. Dieser Absatz ist auf Seite 154 des Dokumentenbuches zu finden:

»Betrifft: Unterbringung sowjetischer Kriegsgefangener.

In der Besprechung, die am 19. 9. 41 beim Chef der Heeresrüstung und BdE (V 6) stattgefunden hat, ist fest gestellt worden, daß durch Einbau von mehrstöckigen Liegepritschen an Stelle von Bettstellen eine RAD-Baracke mit 150 Gefangenen, eine nach der Musterzeichnung für Lager für sowjetische Kriegsgefangene errichtete Massivbaracke mit 840 Gefangenen als Dauerunterkunft belegt werden kann.«

Ich werde den weiteren Text des Dokuments nicht zitieren, da ich annehme, daß der Inhalt dieses Absatzes genügend klar ist.

Ich bitte den Gerichtshof, zwei weitere Originaldokumente anzunehmen, die bezeugen, daß im Lager die Vernichtung sowjetischer Menschen aus politischen Gründen durchgeführt wurde. Das war ein Mordsystem. Als erstes lege ich als USSR-432 den Befehl an das Lager Nr. 60 vor. Das Dokument wird im Original unterbreitet, und ich bitte, es als Beweisstück zur Sache anzunehmen. Die Mitglieder des Gerichtshofs werden den Absatz, den ich verlesen will, auf Seite 155 des Dokumentenbuches finden.

VORSITZENDER: Der Gerichtshof vertagt sich jetzt.