[Zum Zeugen gewandt]:
Sie erkennen demnach auf der Photographie das Lager in Uman auf dem Grundstück der Ziegelei?
KIWELISCHA: Ja, auf dem Gelände der Ziegelei, das ist ein Teil des Lagers.
OBERST POKROWSKY: Wie war die Lagerordnung in Uman? Sagen Sie kurz das Hauptsächlichste.
KIWELISCHA: Fast alle Kriegsgefangenen im Uman-Lager wurden unter freiem Himmel gehalten. Die Ernährung war äußerst schlecht. Im Uman-Lager, wo ich acht Tage verbrachte, wurde zweimal täglich auf offenem Feuer eine dünne Erbsensuppe gekocht. Bei der Verteilung dieser Suppe an die Kriegsgefangenen herrschte keinerlei Ordnung. Die Suppe wurde einfach in die Menge hineingestellt, und die Verteilung wurde nicht kontrolliert. Die ausgehungerten Menschen beeilten sich, wenigstens eine kleine Portion dieser dünnen Suppe ohne Salz, Fett und Brot zu bekommen. Es entstand Gedränge und Unordnung. Die deutsche Wache, mit Keulen, Gewehren und Maschinenpistolen ausgerüstet, suchte die Ordnung wieder herzustellen, indem sie alle Kriegsgefangenen, die in ihre Nähe kamen, mit Gewehrkolben schlugen. Sehr oft stellten die Deutschen absichtlich einen kleinen Topf Suppe in die Menschenmenge hinein, um wiederum bei der Wiederherstellung der Ordnung vollkommen Schuldlose unter Lachen, Beschimpfungen, Verhöhnungen und Drohungen zu verprügeln.
OBERST POKROWSKY: Sagen Sie bitte, Zeuge, war in dem Lager Rakowo die Ernährung besser oder ungefähr die gleiche wie in anderen Lagern? Und wie hat sich das auf die Gesundheit der Kriegsgefangenen ausgewirkt?
KIWELISCHA: Im Rakowo-Lager unterschied sich die Nahrung qualitativ in keiner Weise von der in anderen Gefangenenlagern, in denen Ich interniert war. Sie bestand aus roten Rüben, Kraut und Kartoffeln, die gewöhnlich in halbgekochtem Zustand verteilt wurden. Infolge dieser qualitativ unzureichenden Ernährung bekamen die Kriegsgefangenen Magenbeschwerden, die von Ruhr begleitet waren; diese erschöpften, die Menschen sehr schnell und verursachten ein Massensterben infolge des Hungers.
OBERST POKROWSKY: Sie sprachen davon, daß die Wachen sehr oft die Gefangenen aus belanglosen Gründen und auch sehr oft ohne jeglichen Grund schlugen.
KIWELISCHA: Ja.
OBERST POKROWSKY: Welcher Art waren die Wunden, die die Kriegsgefangenen dabei erhielten? Gab es infolge von heftigen Schlägen Schwerverwundete oder ging es meistens mit leichten Püffen ab?
KIWELISCHA: Im Rakowo-Lager war ich in dem sogenannten »Lazarett« und arbeitete dort in der chirurgischen Abteilung. Sehr oft nach dem Mittag- oder Abendessen wurden Gefangene mit den schwersten körperlichen Verletzungen eingeliefert. Nicht selten mußte ich mit allen Kräften den Menschen Hilfe leisten, die durch solche Schläge derart zugerichtet waren, daß sie, ohne das Bewußtsein wieder erlangt zu haben, sehr bald starben. Ich erinnere mich eines zweiten Vorfalls, als zwei Kriegsgefangene mit einem harten Gegenstand derart auf den Kopf geschlagen wurden, daß das Gehirn aus der klaffenden Wunde herausquoll. Eines anderen Falles erinnere ich mich nur zu gut, als einem gefangenen Sportler aus Moskau mit einer Peitsche das Auge ausgeschlagen wurde. Dieser Sportler erkrankte alsdann an einer Gehirnhautentzündung und starb bald darauf.
OBERST POKROWSKY: Wie groß war die Sterblichkeit im Rakowo-Lager unter den Kriegsgefangenen?
KIWELISCHA: Die Geschichte des Rakowo-Lagers kann man in zwei Zeitabschnitte einteilen. Der eine Abschnitt ist die Periode, die ungefähr bis November 1941 dauerte. Als sich nur eine kleine Anzahl von Kriegsgefangenen in dem Lager befand, war die Sterblichkeit nicht sehr groß. Im zweiten Zeitabschnitt dagegen, von November 1941 bis März 1942, währenddessen ich mich selbst im Lager von Rakowo befand, war die Sterblichkeitsziffer ungewöhnlich hoch. An manchen Tagen gab es oft 700, 900, ja sogar 950 Todesfälle im Lager.
OBERST POKROWSKY: Welche Strafmaßnahmen gab es im Lager von Rakowo, und aus welchen Gründen wurden die Kriegsgefangenen bestraft? Wissen Sie das?
KIWELISCHA: Ja! Mir ist bekannt, daß es im Lager eine Einzelzelle gab. Kriegsgefangene, die sich eines Fluchtversuchs schuldig machten, um diesen entsetzlichen Verhältnissen im Lager zu entgehen, oder die ein Vergehen begangen hatten, das gewöhnlich darin bestand, daß sie Nahrungsmittel aus der Küche entwendeten, wurden in diese Zelle gesperrt. Diese Gefängniszelle war im Keller, hatte einen Zementboden, die Fenster hatten kein Glas, sondern waren nur mit Eisengittern versehen. Der Gefangene wurde nackt ausgezogen, erhielt weder Wasser noch Essen und wurde dort 14 Tage eingesperrt. Ich kenne keinen einzigen Fall, in dem ein Kriegsgefangener diese Haft überlebt hätte. Alle sind in dieser Sonderzelle gestorben.
OBERST POKROWSKY: Offenbar haben diese Verhältnisse, von denen Sie gesprochen haben, bewirkt, daß die Zahl der körperlich geschwächten Menschen immer mehr anstieg?
KIWELISCHA: Ja.
OBERST POKROWSKY: Hat dies den Arbeitseinsatz irgendwie beeinträchtigt? Hat es die Zahl der arbeitsfähigen Kriegsgefangenen vermindert, und was geschah mit diesen Kriegsgefangenen?
KIWELISCHA: Die Mehrzahl dieser Kriegsgefangenen war in Pferdeställen untergebracht, die für menschliche Lebensbedingungen, besonders während der kalten Jahreszeit, nicht geeignet waren. Zuerst wurden alle zur Arbeit eingesetzt. Ich kann mit Bestimmtheit sagen, daß diese Arbeiten völlig zwecklos waren. Sie bestanden darin, private Wohnhäuser zu zerstören und das Lagergrundstück mit den dabei gewonnenen Ziegelsteinen zu pflastern.
Nach einiger Zeit, als die schweren Magenerkrankungen, die ich bereits erwähnte, immer häufiger auftraten, verminderte sich die Zahl der Arbeitsfähigen immer mehr.
Viele Kranke konnten sich nicht mehr bewegen, so daß sie nicht nur arbeitsunfähig waren, sondern den Stall auch nicht mehr zu den Essenszeiten verlassen konnten. Wenn in einem Stall sehr viele entkräftete, das heißt arbeitsunfähige Menschen waren, so wurde über sie eine sogenannte Quarantäne verhängt. Die Ein- und Ausgänge wurden zugemacht, so daß diese Menschen vom übrigen Lager vollständig abgetrennt waren. Nach vier bis fünf Tagen wurden die Ställe wieder geöffnet und die Leichen zu hunderten herausgeholt.
OBERST POKROWSKY: Können Sie uns sagen, Zeuge, zu welchen ärztlichen Arbeiten oder Sanitätsdiensten Sie und die anderen Ärzte von den Deutschen im Lager herangezogen wurden?
KIWELISCHA: Wir wurden im Lager zu keiner ärztlichen Arbeit verwendet. Was die Kriegsgefangenen betraf, so hatten die Deutschen nur ein Interesse, die Arbeitsfähigen von den Arbeitsunfähigen zu trennen. Rein ärztliche Hilfeleistungen konnten wir in dem Zustand, in dem wir uns selbst befanden, nicht bringen.
OBERST POKROWSKY: War in Ihren Pflichten in den verschiedenen Lagern auch eine sanitäre Überwachung eingeschlossen und was verstand man darunter?
KIWELISCHA: Mit der Aufgabe einer sanitären Überwachung wurden wir im Lager Gaisin betraut. Sie bestand darin, daß wir kriegsgefangenen Ärzte verpflichtet waren, in der Nähe der Hauptlagerlatrine Wache zu halten. Es war eine ausgehobene Grube, und sobald sie angefüllt war, mußten wir sie säubern.
OBERST POKROWSKY: Die Ärzte mußten das tun?
KIWELISCHA: Jawohl, die, Ärzte.
OBERST POKROWSKY: Haben Sie das als medizinische oder sanitäre Funktion betrachtet oder hielten Sie dies für eine ausgesprochene Verhöhnung der sowjetischen kriegsgefangenen Ärzte?
KIWELISCHA: Ich bin der Ansicht, daß es eine ausgesprochene Verhöhnung der sowjetischen Ärzte war.
OBERST POKROWSKY: Hoher Gerichtshof! Ich habe an diesen Zeugen keine weiteren Fragen.
VORSITZENDER: Hat einer der anderen Anklagevertreter Fragen zu stellen?
OBERST POKROWSKY: Nein, Herr Vorsitzender.
VORSITZENDER: Hat einer der Verteidiger Fragen an den Zeugen zu richten?
DR. LATERNSER: Herr Zeuge! Sie haben eben gesagt, daß Sie im August 1941...
VORSITZENDER: Wollen Sie, bitte, Ihren Namen angeben und mitteilen, für wen Sie auftreten?
DR. LATERNSER: Dr. Laternser, Verteidiger für Generalstab und Oberkommando.