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[Das Gericht vertagt sich bis 14.00 Uhr.]

Nachmittagssitzung.

VORSITZENDER: Der Gerichtshof hat seine Entscheidung über die Zeugen und Dokumente getroffen, die für die ersten vier Angeklagten geladen, beziehungsweise vorgelegt werden sollen. Diese Entscheidung wird sobald wie möglich im Laufe des Nachmittags den Verteidigern dieser Angeklagten zugestellt werden und außerdem im Informationszimmer der Angeklagten angeschlagen werden.

Zweitens wurde vor einiger Zeit vom französischen Hauptankläger ein Antrag auf Vorladung zweier weiterer Zeugen gestellt. Der Gerichtshof drückt den Wunsch aus, daß, falls nach Abschluß eines Falles die Ladung von Zeugen für einen der Hauptanklagevertreter verlangt werden sollte, ein schriftlicher Antrag auf Vorladung solcher Zeugen an den Gerichtshof gestellt werde. Außerdem möchte ich auf Wunsch des Gerichtshofs die Aufmerksamkeit sowohl der Anklagevertreter als auch der Verteidiger auf die Bestimmungen des Artikels 24, Abschnitt e) lenken, der vom Gegenbeweis handelt. Falls entweder Anklagevertreter oder Verteidiger Gegenbeweise zu bringen wünschen, nachdem der Fall für die Anklage oder die Verteidigung bereits abgeschlossen ist, muß ein solcher Antrag auf Gegenbeweis an den Gerichtshof schriftlich gestellt werden.

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Euer Lordschaft! Ich bitte den Gerichtshof, etwas sagen zu dürfen, worüber ich gestern Auskunft einzuholen versprach.

Euer Lordschaft werden sich erinnern, daß Dr. Horn um eine eingezogene Ausgabe des »Daily Telegraph« vom 31. August 1939 bat, und ich dem Gerichtshof versprach, Erkundigungen einzuziehen. Ein Telegramm des »Daily Telegraph«, das ich heute morgen erhielt, lautet:

»Keine Ausgabe des ›Daily Telegraph‹ zurückgezogen am oder um den 31. August 1939. Der ›Telegraph‹ vom 31. brachte eine kurze Notiz ›Begegnung Henderson- Ribbentrop fand statt‹, aber ohne Details. Brachte am 1. September Übersicht deutscher 16 Punkte an Polen, wie vom deutschen Rundfunk gemeldet. Voller Text der Note erschien nicht vor 2. September, wurde dem Foreign-Office-Weißbuch aller sachbezüglichen Dokumente entnommen.«

Da ich versprach, die Auskunft einzuholen, hielt ich es für richtig, sie dem Gerichtshof vorzulegen und beantrage, Herrn Dr. Horn eine Abschrift davon zuzustellen.

VORSITZENDER: Danke schön, Sir David. Ich denke, das dürfte eine kleine Abänderung der Entscheidung erfordern, die der Gerichtshof geben wollte.

DR. NELTE: Wegen der Frage der Generale Halder und Warlimont als Zeugen, Herr Präsident, gestatten Sie, daß ich Sie um die Beantwortung einer Frage bitte, nämlich mir zu sagen, ob der Gerichtshof schon, darüber entschieden hat, daß die von mir als Zeugen genannten Generale Halder und Warlimont, deren Erheblichkeit die Anklagebehörde zugestanden hat, für den Angeklagten Keitel bewilligt werden, so daß mit ihrem Erscheinen im Beweisverfahren auch mit Sicherheit gerechnet werden darf.

VORSITZENDER: Ja, gewiß! Was ich heute früh sagen wollte, war, daß die Verteidiger eine Entscheidung darüber treffen sollten, ob sie das Kreuzverhör jetzt durchführen, oder ob sie sie als Zeugen für den einen oder anderen Angeklagten laden wollten. Deshalb wurde entschieden, daß die Verteidigung, wenn sie es wünscht, die Zeugen für einen der Angeklagten vorladen darf. Sie können also demnach für Keitel vorgeladen werden, falls sie nicht schon vorher geladen wurden. Wenn also der Angeklagte Göring ihre Vorladung verlangt, dann müssen sie zur gleichen Zeit, zu der sie für Göring erscheinen, auch über Keitel verhört werden, und zwar wegen der grundlegenden Regel, daß jeder Zeuge nur einmal vorzuladen ist.

DR. NELTE: Sehr richtig; ich stelle also fest, daß die Verteidiger, die ein Interesse an der Vernehmung der Generale Halder und Warlimont haben, damit einverstanden sind, wenn diese beiden Generale im Verlauf des Beweisverfahrens der Verteidigung hier erscheinen.

VORSITZENDER: Ja, sehr gut!

Oberst Smirnow,... Verzeihung Dr. Laternser...

DR. LATERNSER: Ich habe nur noch wenige Fragen an diesen Zeugen.

Herr Zeuge, Sie sagten heute vormittag, daß die 4 bis 5000 sowjetrussischen Gefangenen während ihres Marsches zum Lager in einem Viehhof zur Rast untergebracht worden seien. War dieser Viehhof überdacht?

KIWELISCHA: Es war ein gewöhnlicher Bauernviehhof, und da das Anwesen schon vorher evakuiert worden war, war der Viehhof lange Zeit nicht aufgeräumt worden und infolgedessen in einem vollkommen vernachlässigten Zustand. Ferner kommt noch hinzu, daß es an diesem Tage regnete, so daß er zur Hälfte mit Schlamm angefüllt war.

In den Ställen war keine Unterkunftsmöglichkeit, weil dort der Stallmist noch nicht aufgeräumt war. So befanden sich alle Menschen unter freiem Himmel.

DR. LATERNSER: Hätte es im gegebenen Falle eine Möglichkeit gegeben, diese Gefangenen besser unterzubringen?

KIWELISCHA: Auf diese Frage fällt es nur schwer eine Antwort zu finden, da ich die Gegend, in der ich gefangengenommen wurde, überhaupt nicht kenne. Andererseits wurden wir in dieses Dorf spät am Abend eingeliefert, und ich weiß nicht, ob es dort genügend bequeme Räumlichkeiten gab, um die Kriegsgefangenen darin unterzubringen.

DR. LATERNSER: Also, Sie haben an diesem Abend, als Sie in dieses Dorf einrückten, selbst eine bessere Möglichkeit nicht ersehen können?

KIWELISCHA: Nicht, weil ich selbst keine bessere Möglichkeit ersehen konnte, sondern weil es Abend war, und ich das Dorf nicht sehen konnte, obgleich es ein ziemlich großes Dorf war, und ich möchte annehmen, daß dort viele große Häuser waren, in denen man 5000 bis 6000 Kriegsgefangene zum bequemen Nachtlager hätte unterbringen können.

DR. LATERNSER: Ich habe noch eine letzte Frage: Sie sagten, daß Sie im Gefangenenlager nicht in Ihrer Eigenschaft als Arzt verwendet worden seien. Ist Ihnen jemals von der deutschen Kriegsgefangenenverwaltung irgendwelches Sanitätsmaterial zur Verfügung gestellt worden, damit Sie Ihre kranken Kameraden behandeln konnten?

KIWELISCHA: Am Anfang, während wir etappenweise von einem Lager in das andere evakuiert wurden, bekamen wir von den Deutschen gar kein Material; Später, als ich im Stalag 305 ankam, erhielten wir Arzneien, aber in vollkommen unzureichender Menge, um dem Bedürfnis aller Verwundeten Rechnung zu tragen.

DR. LATERNSER: Ich habe keine Fragen mehr.

RECHTSANWALT LUDWIG BABEL, VERTEIDIGER FÜR SS UND SD: Ich habe nur eine Frage an den Zeugen.

Der Zeuge hat gesagt, der Viehhof war evakuiert. Was verstehen Sie darunter?

KIWELISCHA: Ich verstehe darunter, daß das ganze Vieh, das sich früher auf diesem Viehhof befand, aus diesem Kriegsoperationsgebiet herausgetrieben worden war.

RA. BABEL: Von wem war das geschehen?

KIWELISCHA: Das war von den Bauern des Dorfes, in das wir gebracht worden sind, geschehen. Die Bauern gingen nach dem Osten mit den Teilen der Roten Armee, die nicht wie wir eingekreist worden waren.

RA. BABEL: Das Vieh war also auf russisches Gebiet zurückgebracht worden?

KIWELISCHA: Aus diesem Dorf jedenfalls, ja.

RA. BABEL: Danke!

VORSITZENDER: Wünschen noch andere Verteidiger Fragen zu stellen?