[Zum Zeugen gewandt]:
Herr Zeuge, wurden während Ihrer Kriegsgefangenenzeit SS-Einheiten bei der Bewachung der Kriegsgefangenen verwendet?
KIWELISCHA: Im Lager Rakowo, im Bezirk der Stadt Proskurow, in dem ich mich die längste Zeit befand, wurden zum Bewachen der Arbeitskolonnen junge deutsche Soldaten eingesetzt, die man zu jener Zeit »SS« nannte.
VORSITZENDER: War das ein Stammlager?
KIWELISCHA: Ja, das war ein Stammlager.
VORSITZENDER: Es wurden also keine SS-Einheiten zu Ihrer Bewachung eingesetzt, bis Sie in dieses Stammlager kamen?
KIWELISCHA: Auf diese Frage kann ich nichts Bestimmtes antworten, denn ich kannte die Erkennungszeichen der deutschen Armee nicht.
VORSITZENDER: Oberst Smirnow, wollen Sie noch irgendwelche Fragen im Rückverhör stellen?
OBERJUSTIZRAT SMIRNOW: Nein, Herr Vorsitzender, ich habe keine Fragen mehr an diesen Zeugen.
VORSITZENDER: Dann kann sich der Zeuge zurückziehen.
[Der Zeuge verläßt den Zeugenstand.]
OBERJUSTIZRAT SMIRNOW: Darf ich fortfahren?
VORSITZENDER: Ja.
OBERJUSTIZRAT SMIRNOW: Ich bitte den Gerichtshof, als ein weiteres Beweisstück für die Verbrechen der Hitleristen in den Konzentrationslagern für Kriegsgefangene das Material, das ich dem Gerichtshof auf die Bitte unserer verehrten britischen Kollegen unterbreiten möchte, anzunehmen. Die Sowjetische Anklagevertretung kommt dieser Bitte um so lieber nach, als sie das Beweismaterial der Britischen Anklagevertretung für sehr wichtig hält, da mit ihm die verbrecherische Verletzung der Kriegsgesetze und -gebräuche durch die hitleristischen Hauptkriegsverbrecher in der Behandlung der Kriegsgefangenen aller zivilisierten Nationen nachgewiesen wird.
Ich bitte den Gerichtshof, die von mir als USSR- 413 vorgelegten Dokumente der Britischen Delegation als Beweisstück, vor Sache anzunehmen. Sie behandeln den grausamen Mord von fünfzig kriegsgefangenen Fliegeroffizieren der Royal Air Force, die nach einer Massenflucht aus dem »Stalag Luft III« in Sagan ergriffen, die Nacht vom 24./25. März 1944 in Haft behalten und dann von den deutschen Verbrechern erschossen wurden.
Diese Dokumente bestehen aus dem amtlichen Bericht über die Verbrechen der Hitleristen mit der Unterschrift des Brigadegenerals Chapcott, dem Vertreter der britischen Streitkräfte, und dem beigefügten Protokoll des Untersuchungsrichters, der in Sagan auf Befehl des dienstältesten britischen Offiziers im »Stalag Luft III« eingesetzt worden ist und dessen Protokoll der Schutzmacht ausgehändigt wurde.
Außerdem sind diesem Beweismaterial die Aussagen folgender Gefangenen der alliierten Mächte beigefügt: Oberstleutnant der Luftwaffe Day, Hauptmann der Luftwaffe Tonder, Hauptmann der Luftwaffe Dowse, Hauptmann der Luftwaffe van Wymeersch, Hauptmann der Luftwaffe Green, Hauptmann der Luftwaffe Marshall, Hauptmann der Luftwaffe Nelson, Hauptmann der Luftwaffe Churchill, Oberleutnant Neely, Oberfeldwebel d. L. Hicks.
Der Untersuchungsbefund wird ebenfalls durch die Aussagen der folgenden Deutschen bestätigt:
Generalmajor Westhoff, Oberregierungs- und Kriminalrat Wielen, Oberst von Lindeiner.
Ein photographischer Abzug der offiziellen Totenliste, die vom Deutschen Auswärtigen Amt dem Schweizerischen Gesandten in Berlin ausgehändigt wurde sowie der Bericht des Vertreters der Schutzmacht über seinen Besuch im Stalag Luft III am 5. Juni 1944 liegen ebenfalls bei.
Ich berichte kurz über die Umstände dieses niederträchtigen Verbrechens der Hitleristen, wobei ich den Bericht des Brigadegenerals Chapcott zitiere. Die Stelle, die ich anführen möchte, wird der Gerichtshof auf Seite 163, Absatz 2 des Dokumentenbuches finden:
»In der Nacht vom 24. zum 25. März 1944 entkamen 76 Offiziere der Royal Air Force aus Stalag Luft III in Sagan in Schlesien, wo sie sich als Kriegsgefangene befanden. Von ihnen wurden 15 wieder ergriffen und ins Lager zurückgebracht, 3 entkamen endgültig, 8 wurden nach ihrer Wiederergreifung von der Gestapo in Haft behalten. Über das Schicksal der restlichen 50 Offiziere ist seitens der deutschen Behörden folgende Auskunft gegeben worden:...«
Die deutschen Behörden erklärten, daß die Offiziere angeblich bei einem Fluchtversuch erschossen wurden. In Wahrheit war diese Versicherung der Hitleristen eine offensichtliche Lüge, da die sorgfältige, von den britischen Militärbehörden vorgenommene Untersuchung einwandfrei festgestellt hat, daß die britischen Fliegeroffiziere niederträchtig umgebracht worden sind, nachdem sie von der deutschen Polizei wieder ergriffen worden waren. Ich bringe den Beweis dafür bei und zitiere den Bericht, den die Britische Anklagebehörde vorgelegt hat.
Es ist festgestellt worden, daß dieses Verbrechen auf Befehl von Göring und Keitel begangen wurde.
Die Stelle, die ich verlesen möchte, befindet sich auf Seite 168 des Dokumentenbuches, russischer Text.
VORSITZENDER: Ja, Dr. Nelte?
DR. NELTE: Der Hohe Gerichtshof wird sich entsinnen, daß die Frage der Zeugenvernehmung des Generalmajors Westhoff hier schon einmal eine Rolle gespielt hat. Es wurde von der Anklagebehörde damals, ich habe diese Urkunde nicht jetzt vorliegen, ein Bericht über die Vernehmung des Generalmajors Westhoff vorgetragen, das heißt, der Gerichtshof hat auf meinen Einspruch die Verlesung dieser Urkunde zurückgewiesen. Ich weiß nicht, ob jetzt, wo der Herr Anklagevertreter von einer Zeugenaussage des Generalmajors Westhoff spricht, es sich um dieselbe Urkunde handelt, die damals vom Hohen Gerichtshof zurückgewiesen worden ist, oder ob es sich um eine neue Urkunde handelt, die ich noch nicht kenne. Ich mache darauf aufmerksam, daß sich der General Westhoff im hiesigen Gefängnis befindet, also als Zeuge über diese Frage vernommen werden könnte.
OBERJUSTIZRAT SMIRNOW: Herr Vorsitzender, gestatten Sie, daß ich sage...
VORSITZENDER: Oberst Smirnow! Sie haben gehört, was Dr. Nelte soeben sagte. Soweit ich verstanden habe, ich weiß nicht, ob ich den Namen richtig verstanden habe, bezog er sich auf die Aussage des Generals Westhoff, die hier vorgelegt, aber abgelehnt wurde, weil der Gerichtshof der Meinung war, daß der General hier selbst vorgeladen werden sollte, wenn der Beweis geführt werden soll. Ist es richtig, daß das Dokument, das Sie jetzt vorlegen, nichts mit General Westhoff zu tun hat?
OBERJUSTIZRAT SMIRNOW: Der Generalmajor Westhoff wird nur in einem Teil des offiziellen britischen Berichtes erwähnt.
VORSITZENDER: Aber es ist doch nicht in Bericht General Westhoffs? Nicht wahr?
OBERJUSTIZRAT SMIRNOW: Das stimmt genau.
Ich lege dem Gerichtshof jetzt den offiziellen britischen Bericht vor. In dem offiziellen Bericht der Britischen Regierung wird Generalmajor Westhoff nur an einer Stelle erwähnt, aber er bezieht sich nicht auf das Verhör des Generalmajors Westhoff, das späterhin vorgetragen werden wird.
MR. G. D. ROBERTS, ERSTER ANKLÄGER FÜR DAS VEREINIGTE KÖNIGREICH: Euer Lordschaft! Vielleicht kann ich hier mit gütiger Erlaubnis meines gelehrten Freundes, meines russischen Kollegen behilflich sein, da ich teilweise für diesen Bericht verantwortlich bin.
Euer Lordschaft, das Dokument, das jetzt verlesen werden wird, ist ein amtlicher britischer Regierungsbericht. Es fällt unter Artikel 21 des Statuts und das Original ist rechtmäßig beglaubigt. Euer Lordschaft, es ist richtig, daß der Name General Westhoffs in diesem Bericht erwähnt wird. Es ist jedoch ein ganz anderes Dokument als das, welches von meinem französischen Kollegen angeboten und vom Gerichtshof zurückgewiesen wurde. Es ist ein amtlicher Regierungsbericht.
OBERJUSTIZRAT SMIRNOW: Gerade darüber sprach ich, Sir, es ist der offizielle Bericht der Britischen Regierung.
VORSITZENDER: Einen Augenblick, Oberst Smirnow! Herr Roberts...
Ich spreche jetzt nur zu Herrn Roberts, Dr. Nelte.
Warum sagen Sie, daß es ein amtlicher Regierungsbericht ist, so daß er unter Artikel 21 des Statuts fällt?
MR. ROBERTS: Weil das Original eingereicht wurde, und die Beglaubigung des Brigadegenerals Chapcott von der Militärabteilung des Amtes des Judge Advocate General enthält. Ich glaube, Sie haben das Original.
VORSITZENDER: Jawohl, ich habe das Original. Herr Roberts, für wen wurde der Bericht angefertigt?
MR. ROBERTS: Er wurde im Laufe der Zusammenstellung des Beweismaterials für diesen Gerichtshof angefertigt. Wie Euer Lordschaft sehen, trägt er die Überschrift: »Deutsche Kriegsverbrechen. Bericht über die Verantwortlichkeit für die Ermordung von 50 RAF-Offizieren.« Dann beginnt der Bericht. – Dann führt er die Quellen an, aus denen das Material stammt. Auf der letzten Seite des Berichts finden Euer Lordschaft den Anhang: »Material, auf das sich der vorstehende Bericht gründet.«
»1) Verhandlung vor dem Untersuchungsgericht in Sagan.
2) Aussagen der folgenden alliierten Zeugen.
3) Aussagen der folgenden Deutschen.
4) Photographischer Abzug der amtlichen Totenliste, die vom Deutschen Auswärtigen Amt der Schweizer Gesandtschaft in Berlin ausgehändigt wurde.
5) Bericht des Vertreters der Schutzmacht über seinen Besuch im Lager Stalag Luft III am 5. Juni 1944.«
MR. BIDDLE: Herr Roberts, wurde er für diesen Gerichtshof oder für die Kriegsverbrechenkommission angefertigt?
MR. ROBERTS: Er wurde für dieses Verfahren zusammengestellt.
MR. BIDDLE: Für diesen Prozeß?
MR. ROBERTS: Für diesen Prozeß.
MR. BIDDLE: Von einem General der Armee?
MR. ROBERTS: Ja, Euer Lordschaft.
MR. BIDDLE: Und an wen berichtete er?
MR. ROBERTS: Er wurde dann der Britischen Delegation für diesen Prozeß vorgelegt.
MR. BIDDLE: Sie meinen die Anklagebehörde?
MR. ROBERTS: Ja, Euer Lordschaft.
MR. BIDDLE: Es ist also der Bericht eines britischen Generals an die Britische Anklagevertretung?
MR. ROBERTS: Euer Lordschaft, ich würde den Ausdruck »Bericht eines britischen Generals« nicht anwenden. Ich würde sagen: »Bericht einer Regierungsbehörde«. Er ist von einem englischen General unterzeichnet und beglaubigt.
MR. BIDDLE: Ja.
MR. ROBERTS: Euer Lordschaft, ich schlage den Herren Richtern ergebenst vor, den Artikel 21 genau durchzulesen:
»Der Gerichtshof soll... öffentliche Urkunden der Regierung und Berichte der Vereinten Nationen... von Amts wegen zur Kenntnis nehmen.«
Ich behaupte, Euer Lordschaft, daß dies ganz klar ein amtliches Regierungsdokument ist, der Bericht einer Militärbehörde in London, einer Regierungsbehörde, für dieses Gerichtsverfahren.
MR. BIDDLE: Also würden damit alle von der Regierung zusammengestellten und eingesandten Beweise amtlich sein?
MR. ROBERTS: Das stimmt gemäß Artikel 21, so wie ich ihn lese und Euer Lordschaft ergebenst unterbreite.
VORSITZENDER: Dr. Nelte, wollten Sie hierzu etwas sagen?
DR. NELTE: Ja, ich möchte noch einige Bemerkungen machen. Es ist also ein Bericht, der zusammengestellt worden ist auf Grund von Zeugenaussagen, darunter auch, wie ich höre, des Generalmajors Westhoff. Ich bestreite nicht, daß dieses Dokument amtlichen Charakter hat und von Ihnen gemäß dem Statut zur Kenntnis genommen werden kann und muß. Es scheint mir aber, daß es sich hier noch um eine andere Frage handelt, nämlich um die Frage des besseren Beweises. Wenn ein Zeuge, der dem Gericht zur Verfügung steht, dadurch ausgeschaltet werden könnte, daß man seine Aussagen in einen amtlichen Bericht aufnimmt, so wäre das Beweisverfahren nicht so, wie es nach den Wünschen des Hohen Gerichts sein müßte, nämlich die beste Methode, um die Wahrheit zu erforschen.
Der Zeuge steht zu Ihrer Verfügung, aber in dem Bericht ist nicht das wörtlich enthalten, was er gesagt hat, sondern nur eine Schlußfolgerung, deren Richtigkeit man bezweifeln könnte, aber nicht zu bezweifeln braucht; nur muß es der Verteidigung, so glaube ich, möglich sein, auch ihrerseits einen Zeugen zu hören und zu vernehmen, wenn dies so leicht möglich ist, wie in diesem Fall.
VORSITZENDER: Dr. Nelte, gesetzt den Fall, einer der Zeugen, der von einer Regierungskommission vernommen worden ist, hätte der Regierung überhaupt keinen Bericht erstattet, sondern eine eidesstattliche Erklärung oder etwas Ähnliches abgegeben, die dem Gerichtshof unterbreitet worden wäre, und außerdem hätte der Zeuge persönlich zur Verfügung gestanden, so hätte der Gerichtshof dieses Affidavit möglicherweise abgelehnt. Wenn jedoch dieser Bericht die Grundlage für einen Regierungsbericht oder für ein offizielles Regierungsdokument war, dann ist der Gerichtshof laut Artikel 21 verpflichtet, einen solchen Regierungsbericht zuzulassen.
Deswegen ist auch die Tatsache, daß der Gerichtshof bereits erklärt hat, keine private eidesstattliche Erklärung oder einen Bericht General Westhoffs zuzulassen, es sei denn, daß General Westhoff vorgeladen würde, ganz unerheblich. Die Frage ist, ob ein Bericht zugelassen werden soll, der, wie Sie zugeben, unter Artikel 21 fällt.
DR. NELTE: Ich bezweifle nicht, daß die Ansicht Euerer Lordschaft richtig ist; ich stelle nur zur Erörterung, ob, wenn man zwei verschiedene Beweismittel hat, nämlich den Bericht und die Möglichkeit der Zeugenvernehmung, man die Vernehmung des Zeugen nicht auch in Erwägung ziehen sollte; nicht zur Korrektur des amtlichen Berichts, sondern zur Klarstellung dessen, was der Zeuge wirklich gesagt hat; denn aus dem Bericht erkennen wir ja nicht, was er in Wirklichkeit gesagt hat.
Diese Frage ist, wie Sie verstehen werden, für den Angeklagten Keitel, der angeblich einen Befehl erteilt haben soll, die flüchtigen Flieger zu erschießen, von ungeheuerer Bedeutung, und man sollte, wenn ein Zeuge vorhanden ist, der in dieser Frage Klarheit schaffen könnte, diesen Zeugen hören statt eines amtlichen Berichts, der ja eigentlich schon ein Urteil enthält.
VORSITZENDER: Ja, aber erstens ist dieser Bericht ja nicht nur oder im wesentlichen auf die Aussagen des Generals Westhoff aufgebaut, es lagen eine Anzahl anderer Quellen dem Bericht zugrunde, und zweitens besteht der ganze Zweck des Artikels 21 darin, amtliche Regierungsberichte zugänglich zu machen, ohne daß die Ladung von Zeugen, auf Grund deren Aussagen diese Berichte zusammengestellt worden sind, notwendig wird.
DR. NELTE: Die übrigen Zeugen sind für alle anderen Vorkommnisse, nämlich die Erschießung... die übrigen erwähnten Zeugen sind für andere Tatsachen gehört worden. Für die Frage, ob überhaupt Keitel einen solchen Befehl erteilt hat, ist in dem Bericht nur allein Generalmajor Westhoff angeführt.
VORSITZENDER: Wollen Sie das bitte wiederholen? Ich habe meine Kopfhörer noch nicht angelegt.
DR. NELTE: Ich sagte, in dem Bericht sind auch noch andere Zeugen erwähnt. Diese haben aber nichts über die Frage ausgesagt – soweit mir bekannt ist – ob Keitel einen Befehl gegeben hat, die Flieger zu erschießen oder nicht. Der einzige Zeuge – von denen, die aufgeführt sind – der über diese Frage etwas aussagen kann und ausgesagt hat, war Westhoff.
VORSITZENDER: Wünschen Sie noch etwas über die Zulassung des Dokuments zu sagen?
DR. NELTE: Nein.
VORSITZENDER: Oberst Smirnow.
OBERJUSTIZRAT SMIRNOW: Ich glaube, Herr Vorsitzender, daß in dem Schriftstück nur ein Punkt den General Westhoff betrifft, und zwar ist dies Punkt 7 dieses Dokuments. Dieser Teil bezieht sich auf das Anfangsstadium dieses Verbrechens, und zwar auf das Vorhaben und Planen dieses Verbrechens. Das Dokument spricht auch von anderen Stadien des Verbrechens; und außerdem handelt es sich hier um das offizielle Dokument, das nach Artikel 21 des Statuts vorgelegt wird. Ich glaube, Herr Vorsitzender, daß damit alles gesagt ist.
VORSITZENDER: Wollen Sie noch etwas dazu sagen, Dr. Nelte?
DR. NELTE: Nein danke; ich bitte das Gericht nur um die Entscheidung; gegebenenfalls müßte ich General Westhoff als Zeugen dafür erbitten, daß dieser Bericht in Bezug auf seine Schlußfolgerung nicht dem entspricht, was er ausgesagt hat.
DR. EGON KUBUSCHOK, VERTEIDIGER DES ANGEKLAGTEN VON PAPEN, VERTEIDIGER FÜR DIE REICHSREGIERUNG: Dr. Kubuschok, für die Reichsregierung.
Darf ich einige Bemerkungen, einige rechtliche Bemerkungen, einige allgemein-rechtliche Bemerkungen zu Artikel 21 machen?
Wir haben in jedem Strafprozeß eines jeden Landes das primäre Prinzip der direkten Verhandlung. Nur wenn dies nicht durchzuführen geht, wird ein Teil der Verhandlung gewissermaßen außerhalb des Gerichtssaales verlegt. In den meisten Strafprozeßordnungen der Länder haben wir eine ähnliche Bestimmung wie im Artikel 21 des Statuts, daß vorherige Gerichtsentscheidungen in neuen Verfahren nicht noch einmal aufgerollt werden sollen, sondern daß diese Entscheidungen verbindlich sein sollen.
In dem vorliegenden Verfahren hat man in der Charter diese Bestimmung noch ausgedehnt auf Fälle, die hier wegen ihres Umfanges offensichtlich nicht mehr erörtert werden sollen. Deswegen ist wohl klar in dem Paragraphen 21 die Bestimmung aufgenommen worden, daß auch Regierungsberichte als Beweisstücke gelten sollen.
Einem jeden Juristen ist klar, daß diese Bestimmung an sich gewissermaßen ein prozessualer Schönheitsfehler ist, weil hierdurch gewisse Rechte für den Angeklagten verloren gehen. Andererseits kann man sich natürlich nicht dem Argument verschließen, daß es eben Komplexe gibt, die wegen ihrer Breite praktisch in einem zeitlich begrenzten Verfahren nicht mehr erörtert werden können. Paragraph 21 hat daher dem Gericht die Möglichkeit gegeben, diese Berichte als vollgültige Beweisdokumente entgegenzunehmen. Diese Bestimmung ist aber für das Gericht keine zwingende Bestimmung. Soweit ich dies aus dem deutschen Text ersehen kann, den ich vor mir liegen habe, sagt die Bestimmung, daß das Gericht diese Berichte annehmen soll; es ist aber nicht gesagt, daß das Gericht dies tun muß. Es steht also jeweils in dem Ermessen des Gerichts, ob es aus der Natur des Berichts es für zweckmäßig erachtet, einen derartigen Bericht als Beweis anzunehmen.
Wir haben hier jetzt einen ziemlich eklatanten Fall, der meines Erachtens klar zu erkennen gibt, daß das Gericht hier von seinem Ermessen im Sinne der Ablehnung dieses Dokuments Gebrauch machen kann. Die Verteidigung hat auf dem Standpunkt gestanden, daß dieses Beweisthema durch einen Zeugen erledigt werden kann. Die Vernehmung des Zeugen hätte für den Angeklagten das Recht der Gegenvernehmung gegeben. Nachdem aus prozeßtaktischen Gründen dieser Zeuge nicht vorgeführt wird, bedeutet die Verlegung des Zeugenbeweises nachträglich in einen Regierungsbericht die Schmälerung des Rechtes dieses Angeklagten auf das Kreuzverhör und steht insoweit mit dem entsprechenden Artikel des Statuts in Widerspruch.
DR. STAHMER: Erst heute ist der Vorwurf erhoben, daß der Angeklagte Göring um die Erschießung dieser Flieger gewußt, oder daß er sie veranlaßt hat. Ich habe auf diese Tatsache bei meiner Beweisantretung kürzlich keine Rücksicht nehmen können, weil sie mir noch nicht bekannt war, und ich muß mir daher die Benennung von weiteren Zeugen in dieser Frage vorbehalten.
OBERJUSTIZRAT SMIRNOW: Darf ich einige Worte sagen, Herr Vorsitzender?
VORSITZENDER: Zur Frage der Zulässigkeit?
OBERJUSTIZRAT SMIRNOW: Ja, Herr Vorsitzender.
VORSITZENDER: Ja, bitte.
OBERJUSTIZRAT SMIRNOW: Nach meiner Ansicht sind die Einwendungen des zweiten Verteidigers vom juristischen Standpunkt vollkommen unverständlich. Er bringt irgendwelche quantitative Maßstäbe in diese juristische Beweisführung hinein.
Nach Ansicht dieses Verteidigers gilt Artikel 21 des Statuts des Gerichtshofs nur für die Beweisführung der Verbrechen großen Maßstabes und kann auf kleine Verbrechen keine Anwendung finden. Vom Rechtsstandpunkt aus gesehen scheint mir eine solche Auslegung durch und durch falsch zu sein, denn Artikel 21 bezieht sich auf jedes Verbrechen der Hitleristen, ganz gleichgültig, ob es sehr groß oder etwas kleiner gewesen ist. Das ist alles, was ich in dieser Sache entgegnen wollte, Herr Vorsitzender.
VORSITZENDER: Der Gerichtshof wird nunmehr eine Pause einschalten.