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[Der Zeuge Rajzman betritt den Zeugenstand.]

VORSITZENDER: Wie heißen Sie?

ZEUGE SAMUEL RAJZMAN: Rajzman Samuel.

VORSITZENDER: Wollen Sie mir diesen Eid nachsprechen: Ich schwöre hiermit vor Gott, dem Allmächtigen, daß ich vor diesem Gericht nichts als die Wahrheit sagen werde und nichts von dem, was ich weiß, verbergen werde, so wahr mir Gott helfe. Amen.

[Der Zeuge spricht die Eidesformel nach.]

VORSITZENDER: Sie können sich setzen.

OBERJUSTIZRAT SMIRNOW: Sagen Sie, Herr Zeuge, was war Ihre Beschäftigung vor dem Kriege?

RAJZMAN: Vor dem Kriege war ich Bücherrevisor bei einer Exportfirma.

OBERJUSTIZRAT SMIRNOW: Wann und unter welchen Umständen wurden Sie Haftung in Treblinka II?

RAJZMAN: Im August 1942 wurde ich im Warschauer Ghetto verhaftet.

OBERJUSTIZRAT SMIRNOW: Wie lange sind Sie in Treblinka geblieben?

RAJZMAN: Ich war in Treblinka ein Jahr, bis August 1943.

OBERJUSTIZRAT SMIRNOW: Also, dann wissen Sie über das Regime, das dort herrschte, sehr gut Bescheid?

RAJZMAN: Ja, ich weiß darüber gut Bescheid.

OBERJUSTIZRAT SMIRNOW: Ich bitte Sie, dem Gerichtshof dieses Lager zu beschreiben.

RAJZMAN: Jeden Tag kamen dort Transporte an, 3, 4, 5 Züge, die ausschließlich mit Juden aus der Tschechoslowakei, Deutschland, Griechenland und Polen angefüllt waren. Sofort nach ihrer Ankunft mußten alle Leute innerhalb von 5 Minuten den Zug verlassen und auf dem Bahnsteig Aufstellung nehmen. Sie wurden aus den Zügen gejagt und in Gruppen eingeteilt, Frauen und Kinder zusammen und die Männer abgesondert. Alle mußten sich sofort nackt ausziehen. Dieses Auskleiden geschah unter den Peitschenhieben der deutschen Wache. Die Arbeiter, die dort beschäftigt waren, nahmen sofort die Kleider weg, um sie in die Baracken zu tragen. Die Menschen mußten durch die Straßen bis zur Gaskammer nackt gehen.

OBERJUSTIZRAT SMIRNOW: Ich möchte Sie fragen, wie dieser Weg zur Gaskammer von den Deutschen genannt wurde?

RAJZMAN: Diese Straße hieß »Himmelfahrtstraße«.

OBERJUSTIZRAT SMIRNOW: Das heißt »Der Weg zum Himmel«?

RAJZMAN: Ja. Wenn es den Gerichtshof interessiert, ich habe den Plan des Treblinka-Lagers gezeichnet, als ich dort war, und kann diese Straße auf dem Plane zeigen.

VORSITZENDER: Ich glaube nicht, daß es notwendig ist, einen Plan des Lagers vorzulegen, es sei denn, daß Sie es besonders wünschen.

OBERJUSTIZRAT SMIRNOW: Nein, ich bin derselben Ansicht, Herr Vorsitzender.

Sagen Sie bitte, wie lange lebte ein Mensch, nachdem er in das Treblinka-Lager kam?

RAJZMAN: Die gesamte Prozedur des Ausziehens und der Weg zur Gaskammer dauerte für Männer 8 bis 10 und für Frauen etwa 15 Minuten. Für die Frauen hat es 15 Minuten gedauert, weil ihnen, bevor sie in die Gaskammer gingen, das Haar abgeschnitten wurde.

OBERJUSTIZRAT SMIRNOW: Warum hat man das Haar abgeschnitten?

RAJZMAN: Diese Haare wurden nach den Plänen der Herren bei der Herstellung von Matratzen für deutsche Frauen verwendet.

VORSITZENDER: Wollen Sie damit sagen, daß es nur einer Zeitspanne von 10 Minuten bedurfte, vom Augenblick an, als diese Menschen aus dem Zug kamen, bis sie zur Gaskammer gebracht wurden?

RAJZMAN: Bei Männern bin ich fest davon überzeugt, daß es nicht länger als 10 Minuten gedauert hat.

OBERJUSTIZRAT SMIRNOW: Das heißt, die Entkleidung eingeschlossen?

RAJZMAN: Ja.

OBERJUSTIZRAT SMIRNOW: Sagen Sie, bitte, Herr Zeuge, sind die Menschen auf Lastwagen oder in Zügen nach Treblinka gebracht worden?

RAJZMAN: Hauptsächlich wurden sie in Zügen dorthin geschafft; aber die Juden aus den benachbarten Städten und Dörfern wurden auf Lastwagen dorthin gebracht. Die Lastwagen trugen die Aufschrift: »Expedition Speer«, und kamen aus den Städten Sakolova, Waingrowa und anderen Orten.

OBERJUSTIZRAT SMIRNOW: Sagen Sie bitte, Herr Zeuge, wie hat später die Bahnstation Treblinka ausgesehen?

RAJZMAN: Zu Anfang gab es noch gar keine Schilder auf dem Bahnhof, aber nach einigen Monaten hat der Lagerkommandant, ein gewisser Kurt Franz, eine erstklassige Station mit Schildern bauen lassen, und auch auf den Baracken, wo die Kleider aufbewahrt waren, wurden Aufschriften wie Kasse, Buffet, Lager, Telephon, Telegraph und so weiter angebracht. Es waren auch gedruckte Fahrpläne für die Züge von und nach Grodno, Suwalki, Wien, Berlin, vorhanden.

OBERJUSTIZRAT SMIRNOW: Also verstehe ich Sie richtig, Herr Zeuge, daß die Station Treblinka nur einen Scheinbahnhof darstellte, in dem Fahrpläne und Hinweise auf sogenannte Bahnsteige zur Abfahrt verschiedener, Züge nach verschiedenen Städten wie Suwalki und so weiter vorhanden waren. Ist das richtig?

RAJZMAN: Beim Verlassen des Zuges hatten die Leute wirklich den Eindruck, sich auf einer normalen Station zu befinden, von wo aus Züge nach anderen Städten wie Suwalki, Wien, Grodno und so fort weiterführen.

OBERJUSTIZRAT SMIRNOW: Was geschah weiter mit den Leuten?

RAJZMAN: Diese Menschen wurden sofort durch die »Himmelfahrtstraße« in die Gaskammern geführt.

OBERJUSTIZRAT SMIRNOW: Sagen Sie, bitte, wie haben sich die Deutschen bei der Tötung der Leute in Treblinka betragen?

RAJZMAN: Wenn es sich um das Morden handelte, so hatte jede deutsche Wache ihre besondere Aufgabe. Ich führe nur ein Beispiel an: Da war ein Aufsichtsbeamter, Scharführer Menz, dessen Aufgabe bestand in der Aufsicht über das sogenannte Lazarett. In diesem Lazarett wurden alle schwachen Frauen und Kinder getötet, die keine Kraft mehr hatten, selbst in die Gaskammer zu gehen.

OBERJUSTIZRAT SMIRNOW: Vielleicht kann der Zeuge dem Gerichtshof beschreiben, wie das Lazarett aussah?

RAJZMAN: Es war der Teil eines Platzes, der von einem Holzzaun umgeben war. Dort wurden alle Frauen, alten Leute und kranken Kinder hineingeführt. Am Eingang zum Lazarett war eine große Fahne des Roten Kreuzes zu sehen. Menz, dessen besondere Aufgabe in der Tötung aller derjenigen bestand, die in dieses Lager geführt wurden, wollte diese Arbeit niemand anderem überlassen.

Es waren Hunderte von Leuten, die zu sehen und zu wissen wünschten, was mit ihnen geschehen sollte, aber er bestand darauf, die Arbeit selbst auszuführen. Ein Beispiel dafür, was mit den Kindern geschah: Aus dem Zug wurde ein zehnjähriges Mädchen mit seiner zweijährigen Schwester gebracht. Als das ältere Mädchen sah, daß ein Mann einen Revolver zog, um die kleine Schwester zu töten, fing es an zu weinen und fragte ihn mit weinender Stimme, warum er die Schwester töten wolle. Er hat die kleine Schwester nicht getötet, sondern sie lebend in den Ofen des Krematoriums geworfen, und dann hat er die ältere Schwester erschossen.

Noch ein Beispiel: Man führte eine ältere Frau mit ihrer Tochter herein.

Diese Frau war hochschwanger. Man führte sie ins Lazarett, legte sie aufs Gras und brachte einige Deutsche herein, damit diese bei der Geburt des Kindes anwesend seien. Dieses Schauspiel dauerte zwei Stunden. Als das Kind zur Welt kam, fragte Menz die Großmutter, das heißt die Mutter der Frau, wen sie zuerst tot sehen möchte. Die Großmutter bat, man solle sie zuerst töten. Aber man hat natürlich den umgekehrten Weg eingeschlagen, nämlich das neugeborene Kind zuerst getötet, dann die Mutter des Kindes und dann die Großmutter.

OBERJUSTIZRAT SMIRNOW: Sagen Sie, Herr Zeuge, kennen Sie den Namen Kurt Franz?

RAJZMAN: Das war der stellvertretende Lagerkommandant, Stengels Stellvertreter und der größte Mörder des Lagers. Kurt Franz wurde zum Obersturmbannführer befördert, weil er im Januar 1943 bekanntgab, daß in Treblinka eine Million Juden getötet worden seien.

OBERJUSTIZRAT SMIRNOW: Ich bitte Sie, Herr Zeuge, zu erzählen, wie Kurt Franz die Frau getötet hat, die sich als Schwester von Sigmund Freud ausgab? Entsinnen Sie sich dessen?

RAJZMAN: Das war so: Der Zug kam von Wien an. Ich stand damals auf dem Bahnsteig, als die Leute aus den Waggons geführt wurden. Eine ältere Frau trat auf Kurt Franz zu, zog einen Ausweis hervor und sagte, daß sie die Schwester von Sigmund Freud sei. Sie bat, man solle sie zu einer leichten Büroarbeit verwenden. Franz sah sich den Ausweis gründlich an und sagte, es sei wahrscheinlich ein Irrtum, führte sie zum Fahrplan und sagte, daß in zwei Stunden ein Zug nach Wien zurückgehe. Sie könne alle ihre Wertgegenstände und Dokumente hierlassen, ins Badehaus gehen, und nach dem Bad würden ihre Dokumente und ihr Fahrschein für sie nach Wien zur Verfügung stehen. Natürlich ist die Frau ins Badehaus gegangen, von wo sie niemals mehr zurückkehrte.

OBERJUSTIZRAT SMIRNOW: Sagen Sie, Herr Zeuge, wie kam es, daß Sie selbst in Treblinka am Leben geblieben sind?

RAJZMAN: Ich stand schon nackt, um auf der »Himmelfahrtstraße« zur Gaskammer zu gehen. Mit einem Transport waren etwa 8000 Juden aus Warschau angekommen. Im letzten Augenblick, bevor wir auf die Straße traten, hat mich der Ingenieur Galeski bemerkt, ein Freund aus Warschau, den ich schon viele Jahre kannte. Er war Aufseher über die jüdischen Arbeiter. Er sagte mir, ich solle zurückkehren, da man einen Dolmetscher aus dem Hebräischen ins Französische, Russische, Polnische und Deutsche brauche. Und auf diese Weise gelang es ihm, mich anzustellen.

OBERJUSTIZRAT SMIRNOW: Das heißt, Sie gehörten zum Arbeitskommando des Lagers?

RAJZMAN: Zu Anfang bestand meine Arbeit darin, die Kleider der Getöteten in die Waggons zurückzutragen. Nach zwei Tagen Lagertätigkeit brachte man aus der Stadt Waingrowa meine Mutter, meine Schwester und meine beiden Brüder.

Ich mußte zusehen, wie diese zur Gaskammer geführt wurden. Einige Tage später, als ich Kleider in die Waggons trug, fanden meine Kollegen die Dokumente meiner Frau, die Photographie meiner Frau und meines Kindes. Das ist alles, was von meiner Familie übrig blieb. Nur eine Photographie.

OBERJUSTIZRAT SMIRNOW: Sagen Sie, Herr Zeuge, wieviele Menschen wurden täglich ins Lager Treblinka gebracht?

RAJZMAN: Von Juli bis Dezember 1942 hat man im Durchschnitt täglich drei Transporte von je 60 Wagen nach Treblinka gebracht. Im Jahre 1943 kamen die Transporte seltener an.

OBERJUSTIZRAT SMIRNOW: Sagen Sie, wieviele Menschen wurden durchschnittlich in Treblinka täglich vernichtet?

RAJZMAN: Ich glaube, daß durchschnittlich in Treblinka 10 bis 12000 Menschen täglich umgebracht wurden.

OBERJUSTIZRAT SMIRNOW: In wievielen Gaskammern wurden die Tötungen vorgenommen?

RAJZMAN: Zu Anfang gab es nur drei Gaskammern, aber später wurden noch zehn gebaut. Es bestand der Plan, die Zahl der Gaskammern bis auf 25 zu erhöhen.

OBERJUSTIZRAT SMIRNOW: Woher wissen Sie, daß der Plan bestand, die Zahl der Gaskammern auf 25 zu erhöhen?

RAJZMAN: Weil alles Baumaterial bereits auf dem Platze lag. Ich fragte wozu, da es keine Juden mehr gäbe. Darauf sagte man mir: »Nach euch kommen andere, und es wird noch viel Arbeit geben.«

OBERJUSTIZRAT SMIRNOW: Sagen Sie, Herr Zeuge, wie wurde Treblinka noch genannt?

RAJZMAN: Als Treblinka sehr bekannt wurde, wurde ein riesiges Schild mit der Aufschrift Obermaidanek ausgehängt.

OBERJUSTIZRAT SMIRNOW: Erklären Sie mir, bitte, was meinen Sie mit sehr bekannt?

RAJZMAN: Ich meine, daß die Leute, die in diesen Transporten ankamen, sehr bald erfuhren, daß diese Station kein eleganter Bahnhof, sondern ein Ort des Todes war.

OBERJUSTIZRAT SMIRNOW: Sagen Sie, wozu wurde dieser Scheinbahnhof aufgebaut?

RAJZMAN: Nur, damit die Leute, die den Zug verließen, nicht nervös würden, und damit sie sich ruhig und ohne Zwischenfälle ausziehen sollten.

OBERJUSTIZRAT SMIRNOW: Wenn ich Sie richtig verstehe, war diese verbrecherische Maßnahme nur eine psychologische Fiktion, um im ersten Moment die Opfer zu beruhigen?

RAJZMAN: Jawohl, das war ein ausgesprochen psychologischer Zweck.

OBERJUSTIZRAT SMIRNOW: Ich habe keine Fragen mehr an den Zeugen.

VORSITZENDER: Hat ein anderer Anklagevertreter eine Frage zu stellen?

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Nein.

VORSITZENDER: Wünscht einer der Verteidiger eine Frage zu stellen?