[Keine Antwort.]
VORSITZENDER: Dann kann sich der Zeuge zurückziehen.
[Der Zeuge verläßt den Zeugenstand.]
OBERJUSTIZRAT SMIRNOW: Ich möchte jetzt dem Gerichtshof noch einen kurzen Auszug aus einem Dokument vortragen, das aus amtlichen Beilagen zum Bericht der Polnischen Regierung stammt. Ich spreche von einer eidesstattlichen Aussage des...
VORSITZENDER: Oberst Smirnow, haben Sie noch weitere Zeugen?
OBERJUSTIZRAT SMIRNOW: Ich habe noch einen Zeugen, und zwar für den letzten Punkt meines Vortrages. Zum letzten Abschnitt meines Vortrages möchte ich noch einen Zeugen vernehmen, und zwar den Erzdekan der Leningrader Kirchen, den Rektor des Leningrader Seminars und ständigen Dekan der Nikolai-Bogojawlienski-Kathedrale, Nikolai Lomakin.
VORSITZENDER: Jawohl, und es wird Ihnen möglich sein, die Aussagen dieses Zeugen heute entgegenzunehmen und auch Ihren Vortrag heute zu beenden. Stimmt das?
OBERJUSTIZRAT SMIRNOW: Jawohl, Herr Vorsitzender. Ich möchte einen sehr kurzen Auszug aus dem Bericht des polnischen Untersuchungsrichters verlesen, der von mir dem Gerichtshof als USSR-340 bereits vorgelegt wurde. Ich verlese nur den Teil, der von dem Ausmaß der Greueltaten spricht. Im Bericht wird die Anzahl der Getöteten von Treblinka auf 781000 Menschen geschätzt. Es wird noch hinzugefügt, daß die vernommenen Zeugen bekunden, unter den Kleidern der Getöteten hätten sich auch englische Pässe und Diplome der Universität Cambridge befunden. Das bedeutet, daß die Opfer von Treblinka aus allen Ländern Europas hierher gebracht wurden.
Ich möchte weiter als Beweis die Aussagen von Wladislaw Bengasch, Ortsuntersuchungsrichter der Stadt Lodz, über die Existenz eines anderen Ortes der geheimen Menschenausrottung anführen. Diese Aussagen wurden von Bengasch vor der Hauptuntersuchungskommission über die deutschen Greueltaten in Polen gemacht. Sie bilden ebenfalls einen offiziellen Anhang zum Bericht der polnischen Regierung. Ich möchte jetzt zwei kleine Auszüge aus diesem Dokument verlesen, die zeigen, welcher Art der geheime Hinrichtungsort Helmno unweit der Stadt Lodz war.
Ich bringe zwei Absätze, die die Herren Richter auf Seite 223, Rückseite ihres Dokumentenbuches, finden.
»Im Dorf Helmno stand ein unbewohntes Herrschaftshaus, das von einem alten Park umgeben war. Es war Staatseigentum. In der Nähe... war ein Fichtenwald. Dort gab es eine Schonung und dichte Büsche. In diesem Terrain bauten die Deutschen ein Vernichtungslager. Der Park war mit einem hohen Bretterzaun umgeben, so daß alle Vorkommnisse, die sich in der Villa und im Park abspielten, nicht beobachtet werden konnten. Die Dorfeinwohner von Helmno wurden entfernt.«
Ich beende damit das Zitat und gehe jetzt zur Seite 226 des Dokumentenbuches über, erster Absatz. Ich zitiere:
»Die Organisation der Menschenvernichtung war so schlau ausgeklügelt und durchgeführt, daß spätere Transporte bis zur letzten Minute nicht erraten konnten, welches das Schicksal der Leute war, die vorher angekommen waren. Die Abreise des ganzen Transportes, 1000 bis 2000 Menschen, aus dem Dorfe Sawadki in das Vernichtungslager und deren Vernichtung dauerte bis 14.00 Uhr. Die auf Lastwagen beförderten Juden, die dort ankamen, hielten vor der Villa. Zu den Angekommenen sprach ein Vertreter des Sonderkommandos, der versicherte, daß sie nach dem Osten zur Arbeit füh ren, wo sie gerecht behandelt und gut ernährt würden. Er erklärte auch, daß sie zuerst gebadet und die Kleidungsstücke desinfiziert werden müßten. Von dort aus wurden die angekommenen Juden in einen großen geheizten Saal der Villa gebracht. Der Saal befand sich im zweiten Stock. Dort zogen sich die Leute aus, und nur mit Unterwäsche bekleidet, nahmen sie auf dem Korridor Aufstellung. An den Wänden des Korridors befanden sich folgende Aufschriften: ›Zum Arzt‹, ›Zur Badeanstalt‹. Die Pfeile der Aufschrift ›Zur Badeanstalt‹ zeigten zum Ausgang. Hier beim Ausgang erklärte man den Juden, daß sie in einem geschlossenen Auto zur Badeanstalt fahren würden.
Vor der Türe der Villa stand ein großes Auto mit einer nach hinten zu öffnenden Tür. Dieses Auto stand so, daß die Leute, die aus der Villa herauskamen, mit Hilfe einer Leiter direkt in den Wagen stiegen. Das Tempo des Verladens war sehr schnell. Im Korridor und bei dem Automobil standen Gendarme, die mit Schlägen und Geschrei die Juden zur eiligen Abfahrt antrieben. Auf diese Weise wurde jede Abwehr unmöglich gemacht. Nachdem alle Juden sich im Auto befanden, wurde die Tür sorgfältig geschlossen und der Motor angelassen, so daß die Menschen im Innern des Wagens durch die Auspuffgase vernichtet wurden.«
Ich glaube, es ist nicht nötig, den Teil des Berichts anzuführen, der bestätigt, daß dieses Auto der bekannte »Seelentöter« war, von dem der Gerichtshof bereits unterrichtet ist.
Ich zitiere jetzt einen Satz von Seite 10, Absatz 3 des Dokuments:
»Insgesamt muß die Mindestzahl der in Helmno umgebrachten Opfer, Männer, Frauen und Kinder, von Neugeborenen angefangen bis zu den Greisen, auf 340000 geschätzt werden.«
Ich glaube, daß ich damit diesen Teil meines Vortrages, der sich mit den geheimen Vernichtungsplätzen befaßte, beenden kann. Ich gehe jetzt zu dem Teil meines Berichts über, der die Verfolgung der Religion betrifft. In der Sowjetunion, wie auch in allen anderen besetzten Ländern von Osteuropa, haben die deutschen faschistischen Verbrecher sich selbst durch die Verhöhnung der religiösen Gefühle der Völker entehrt, indem sie Priester jeden Glaubens verfolgten und töteten.
Ich führe kurze Zitate an, die dies beweisen, und die aus den Berichten der entsprechenden Regierungen stammen. Sie finden dies auf Seite 70 des russischen Textes, die der Seite 80 Ihres Dokumentenbuches entspricht. Wir finden dort die Beschreibung der Unterdrückung durch die deutsch-faschistischen Verbrecher der tschechisch-orthodoxen Kirche. Ich zitiere nur einen Absatz:
»Der schlimmste Schlag wurde der tschechisch-orthodoxen Kirche versetzt. Den orthodoxen Kirchen der Tschechoslowakei wurde von dem Berliner Kirchenministerium befohlen, aus der Diözese von Belgrad und Konstantinopel auszutreten und der Berliner Kirche bei zutreten. Der tschechische Bischof Gorasd und zwei andere Priester wurden hingerichtet. Auf besondere Anordnung des Protektors Daluege vom September 1942 wurde die orthodoxe Kirche, die der Gerichtsbarkeit der Kirchen von Serbien und Konstantinopel angehörte, auf tschechischem Boden aufgelöst. Auf religiösen Gottesdienste wurden verboten und das Eigentum wurde beschlagnahmt.«
Auf Seite 69 dieses Berichts, die der Seite 79 des Urkundenbuches, letzter Absatz, entspricht, finden wir eine Beschreibung der Verfolgung der tschechischen Nationalkirche. Sie wurde von deutschen Faschisten wegen ihres Namens, wegen ihrer Sympathie zur Hussitenbewegung und zur Demokratie und wegen der Rolle verfolgt, die sie bei der Gründung der Tschechoslowakischen Republik spielte.
Die tschechoslowakische Kirche in der Slowakei wurde durch ein Gesetz im Jahre 1940 vollständig verboten und ihr Eigentum von den Deutschen beschlagnahmt. Die protestantische Kirche in der Tschechoslowakei wurde ebenfalls verfolgt.
Dieser Auszug ist auf Seite 80 des Urkundenbuches, Absatz 2, zu finden.
Ich beginne:
»Die protestantischen Kirchen verloren die Freiheit der Evangelienverkündung. Die Gestapo bewachte die Geistlichkeit aufs schärfste, um festzustellen, ob die auferlegten Beschränkungen befolgt wurden. Die Nazizensur unterdrückte sogar Hymnen, welche Gott für die Be freiung des Volkes aus Feindeshand lobten. Manche Stellen aus der Bibel durften in der Öffentlichkeit überhaupt nicht gelesen werden. Die Nazis widersetzten sich der Verlesung mancher Lehren der christlichen Kirche von der Kanzel, wie zum Beispiel jenem von der Gleichheit der Menschen vor Gott, von dem universellen Charakter der christlichen Kirche, von der jüdischen Herkunft des Evangeliums usw. Hinweise auf Hus, iška, die Hussiten und ihre Errungenschaften, sowie auf Masaryk und seine Lehren wurden strengstens verboten. Sogar Religionsbücher wurden abgeschafft. Kirchenführer wurden besonders verfolgt; viele Priester wurden in Konzentrationslager gesperrt, darunter der Präsident der Christlichen Studentenbewegung in der Tschechoslowakei. Einer der Kameraden des Präsidenten wurde hingerichtet.«
Auf Seite 68 desselben Berichts befinden sich die Angaben über die Verfolgung der katholischen Kirche in der Tschechoslowakei. Die Stelle finden Sie auf Seite 79 des Dokumentenbuches, Absatz 2. Ich zitiere kurz:
»In den nach dem Münchener Abkommen von Deutschland annektierten Gebieten wurde eine Reihe von Priestern tschechischer Herkunft ihres Besitzes beraubt und verbannt... Wallfahrten zu nationalen Heiligtümern wurden im Jahre 1939 verboten.«
»Bei Kriegsausbruch wurden unter Tausenden von tschechischen Patrioten 437 katholische Priester verhaftet und als Geiseln in die Konzentrationslager geschickt. Ehrwürdige hohe Würdenträger der Kirchen wurden in Konzentrationslager nach Deutschland verschleppt. Erschöpfte, abgerissene Priester, an einen Handwagen eingespannt, hinter ihnen ein junger Mann in SA- oder SS-Uniform mit der Peitsche in der Hand, waren ein gewohnter Anblick auf der Straße vor dem Konzentrationslager.«
Auch die polnische Geistlichkeit wurde schwer verfolgt. Ich zitiere kurz aus dem Bericht der Polnischen Republik. Die Herren Richter werden diese Stelle auf Seite 10 des Dokumentenbuches finden. Ich beginne:
»Bis zum Januar 1941 sind ungefähr 700 Geistliche getötet worden. 3000 waren im Gefängnis oder im Konzentrationslager.
Die Verfolgung der Geistlichen fing unmittelbar nach der Eroberung des polnischen Gebietes durch die Deutschen an.«
Auf Seite 42 des Berichts der Polnischen Regierung heißt es:
»Am nächsten Tage nach der Besetzung Warschaus wurden etwa 330 Priester verhaftet.... In Krakau wurden die nächsten Mitarbeiter des Erzbischofs Monsignore Sapicha verhaftet und nach Deutschland gebracht. Der Kaplan Czeplizki, 75 Jahre alt, und sein Hilfsgeistlicher wurden im November 1939 hingerichtet.«
Der Bericht der Polnischen Regierung zitiert folgende Worte des Kardinals Hlond:
»Die Geistlichkeit wurde am schärfsten verfolgt. Diejenigen, denen es erlaubt war zu bleiben, wurden Gegenstand zahlloser Demütigungen und an der Ausführung ihrer priesterlichen Aufgaben gehindert, sie wurden ihrer Einkünfte aus den Kirchspielen und aller Rechte beraubt. Sie waren der Willkür der Gestapo vollkommen ausgeliefert.... Das Ganze erinnert an die apokalyptische Vision Fides Depopulata.«
Auf dem Gebiet der USSR wurden die Verfolgungen der Religion und Geistlichkeit durch Zerstörung von Klöstern, großen Kirchen und Tötungen von Geistlichen durchgeführt.
Ich bitte jetzt den Gerichtshof um die Erlaubnis, den Zeugen der sowjetrussischen Anklage, den Erzdekan der Kirchen von Leningrad, Seine Hochwürden Nicolai Iwanowitsch Lomakin, vernehmen zu dürfen.