[Das Gericht vertagt sich bis
28. Februar 1946, 10.00 Uhr.]
Siebzigster Tag.
Donnerstag, den 28. Februar 1946.
Vormittagssitzung.
DR. HORN, VERTEIDIGER DES ANGEKLAGTEN VON RIBBENTROP: Herr Präsident, als ich am Montag meinen Antrag auf Ladung des Zeugen Winston Churchill begründen wollte, forderte mich das Gericht auf, diese Begründung schriftlich einzureichen, um darüber zu entscheiden. Eine Entscheidung über die Nichtladung des Zeugen Winston Churchill ist bereits am 26. Februar ergangen, ehe das Gericht meine schriftliche Begründung in Händen hatte. Ich vermute, daß hier ein Irrtum vorliegt und bitte das Hohe Gericht, unter Berücksichtigung der Gründe meines schriftlichen Antrages nochmals über diese Frage zu entscheiden.
VORSITZENDER: Der Gerichtshof wird darüber noch einmal beraten. Herr Justice Jackson, schlugen Sie nicht vor, zunächst die Frage der Organisationen zu erörtern?
MR. JUSTICE ROBERT H. JACKSON, HAUPTANKLÄGER FÜR DIE VEREINIGTEN STAATEN: Das ist unsere Absicht, wenn es dem Gerichtshof genehm ist. Wir werden das bis jetzt zurückgestellte Thema der Richtlinien behandeln, die uns bei der Beurteilung des verbrecherischen Charakters der Organisationen leiten sollen; wir befassen uns teils damit auf eigene Initiative hin, teils beantworten wir damit Fragen, die vom Gerichtshof aufgeworfen wurden.
Die bedingungslose Übergabe Deutschlands schuf für die Sieger neuartige und schwierige Rechts- und Verwaltungsprobleme. Da es sich hier um den ersten Fall handelt, in dem sich eine ganze, modern organisierte Gemeinschaft in solcher Weise unterworfen hat, sind uns frühere Vorgänge und Erfahrungen der Vergangenheit für die dem Besiegten gegenüber anzuwendende Politik nur von geringem Nutzen.
Die Verantwortung, die sich aus der Forderung und Annahme der Kapitulation eines ganzen Volkes ergibt, muß zweifellos auch die Pflicht umfassen, in gerechter und kluger Weise zwischen den einander opponierenden Elementen der Bevölkerung zu unterscheiden, die in verschiedener Weise zu der Politik und dem Vorgehen eingestellt waren, welche die Katastrophe herbeiführten. Diese Unterscheidung ist der Zweck derjenigen Bestimmungen des Statuts, die diesen Gerichtshof ermächtigten, Organisationen oder Gruppen für verbrecherisch zu erklären.
Die Erkenntnis dieses Problems, welches das Statut zu lösen versucht, ist wesentlich für seine Auslegung und Anwendung.
Eine unheilvolle Eigentümlichkeit der deutschen Gemeinschaft zur Zeit der Übergabe bestand darin, daß der Staat selbst bei der Ausübung der politischen Gewalt nur eine untergeordnete Rolle spielte, während die wirkliche Herrschaft über das deutsche Volk außerhalb der nominellen Regierung errichtet war. Dies wurde durch ein ausgeklügeltes Netzwerk eng miteinander verflochtener und streng geschlossener Organisationen von ausgesuchten Freiwilligen erreicht, die verpflichtet waren, die Befehle der Nazi- Führer ohne Zögern und Fragen auszuführen.
Diese Organisationen durchdrangen das ganze deutsche Leben. Das Land war in kleine Nazi-Fürstentümer eingeteilt, von denen jedes ungefähr 50 Haushaltungen umfaßte; jede derartige Gemeinschaft hatte ihren anerkannten Parteiführer, ihre Parteipolizei und ihre heimlichen Parteispitzel. Diese waren unter höheren Führern, Vollzugsorganen und Spitzeln zu größeren Einheiten zusammengefaßt; das Ganze stellte eine Pyramide der Macht außerhalb des Gesetzes dar. Der Führer stand an der Spitze, die örtlichen Parteifunktionäre bildeten die breite Basis, die schwer auf der deutschen Bevölkerung lastete.
Der Nazi-Despotismus bestand also nicht allein aus diesen einzelnen Angeklagten. Tausend kleine Führer diktierten, tausend Nachahmer Görings stolzierten umher, tausend Schirachs hetzten die Jugend auf, tausend Sauckels ließen Sklaven arbeiten, tausend Streichers und Rosenbergs schürten den Haß, tausend Kaltenbrunners und Franks folterten und töteten, tausend Schachts, Speers und Funks verwalteten, unterstützten und finanzierten die Bewegung.
In jedem Kreise, jeder Stadt und jeder Ortschaft hatte die Nazi-Bewegung die vollkommene Gewalt inne. Die Macht der Partei, die sich aus diesem System von Organisationen ergab, stand zuerst mit der Staatsgewalt selbst in Wettstreit und beherrschte sie später völlig. Das Hauptübel dieses Netzwerkes von Organisationen bestand darin, daß sie dazu benutzt wurden, die Zwangsgewalt von Regierung und Gesetz auf die Nazi-Führer überzuleiten. Freiheit, Selbstverwaltung und Sicherheit der Person und des Eigentums können nur bestehen, wenn die Zwangsgewalt ausschließlich beim Staate ruht und nur in Beachtung des Gesetzes ausgeübt wird. Die Nazis aber errichteten dieses private Zwangssystem außerhalb und ohne Rücksicht auf das Gesetz mit von der Partei kontrollierten Konzentrationslagern und Erschießungskommandos, die geheim verfügte Sanktionen vollstreckten.
Ohne dem Gesetz verantwortlich zu sein und ohne Ermächtigung eines Gerichts konnten sie Eigentum beschlagnahmen und Menschen ihrer Freiheit und sogar ihres Lebens berauben. Diesen Organisationen fiel eine ausgeklügelte und entscheidende Rolle in den barbarischen Ausschreitungen der Nazi-Bewegung zu. Sie dienten in erster Linie dazu, die Psychologie der Massen auszunutzen und diese Masse zu bearbeiten. In gleichem Maße, wie sich die Zahl der an einem gemeinsamen Unternehmen beteiligten Personen vermehrt, pflegt sich das moralische Verantwortungsbewußtsein jedes einzelnen zu vermindern und sein Sicherheitsgefühl zu erhöhen. Die Nazi-Führer waren Meister dieser Technik, Sie operierten mit diesen Organisationen, um in ihren Veranstaltungen auf die deutsche Bevölkerung mit ihrer Massen- und Machtentfaltung Eindruck zu machen; das haben wir bereits im Film gesehen. Diese Organisationen wurden verwendet, um einen Mobgeist zu entfachen und dann darin zu schwelgen, den Haß des Volkes, den sie entflammt, und den germanischen Machthunger, den sie erregt hatten, zu sättigen.
Diese Organisationen lehrten und übten Gewalt und Terror. Sie sorgten dafür, daß der Plan der Verbrechen, die wir bewiesen haben, in ganz Deutschland und in den besetzten Gebieten systematisch, in aggressivem Geist und strikt durchgeführt wurde. Die Blüte dieses Systems wird durch den fanatischen SS-General Ohlendorf verkörpert, der dem Gerichtshof ohne Scham und ohne eine Spur von Mitgefühl berichtete, wie er persönlich die Tötung von 90000 Männern, Frauen und Kindern angeordnet hatte. Kein Gericht mußte jemals einen Bericht über einen solchen Massenmord mit anhören, wie ihn dieser Gerichtshof von Ohlendorf und Wisliceny, einem seiner SS-Kameraden, zu hören bekam. Ihr eigenes Zeugnis zeigt die Verantwortlichkeit der SS für ein Vernichtungsprogramm, dem 5 Millionen Juden zum Opfer fielen, eine Verantwortung, die diese Organisation mit Freuden übernahm, und deren sie sich mit methodischer Gründlichkeit und ohne alle Gewissensbisse entledigte. Diese Verbrechen, mit denen wir uns hier befassen, sind ohne Beispiel in der Geschichte, und zwar in erster Linie wegen der erschütternden Anzahl der Opfer. Sie werden aber noch furchtbarer und beispielloser dadurch, daß sich eine solch große Anzahl von Menschen zu ihrer Begehung zusammengetan hat. Hemmungs- und gewissenlos überließ sich ein sehr großer Teil des deutschen Volkes der Betreuung durch diese Organisationen, und die Anhänger fühlten keine persönliche Schuld, als sie von einer radikalen Maßnahme zur anderen schritten. Noch mehr, sie wetteiferten in der Begehung von Grausamkeiten und Verbrechen. Ohlendorf warf vom Zeugenstand aus anderen SS-Befehlshabern, die noch mehr Morde begangen hatten, vor, daß ihre Zahlen »übertrieben« seien.
Es wäre eine ungerechte und unkluge Besatzungspolitik, die passiven, unorganisierten und nicht eingegliederten Deutschen mit der gleichen Verantwortung zu belasten wie diejenigen, die sich freiwillig in diesen mächtigen und berüchtigten Banden zusammengeschlossen hatten. Eine der grundlegenden Voraussetzungen der Gerechtigkeit und der erfolgreichen Durchführung der Besatzungsaufgaben unserer vier Länder besteht darin, die organisierten Elemente aus der großen Masse der Deutschen auszusondern, und sie einer besonderen Behandlung zu unterwerfen. Das ist die grundlegende Aufgabe, mit der wir uns hier beschäftigen müssen. Darüber kann wohl kein Zweifel bestehen, daß ein neues Nazitum großgezogen würde, wenn lediglich ein paar höhere Führer bestraft würden, dieses Netz von Organisationen mitten in der Nachkriegsgemeinschaft jedoch bestehen bliebe. Diese Mitglieder sind an eine festgefügte und zentralisierte Befehlsgewalt gewöhnt und haben in langer Übung eine Technik geheimen und offenen Zusammenwirkens entwickelt. Sie sind noch immer dem aufgeschobenen, aber nicht aufgehobenen Nazi-Programm blind ergeben. Sie werden den Haß und die ehrgeizigen Ziele wachhalten, die diese Orgie der von uns bewiesenen Verbrechen hervorgerufen haben. Diese Organisationen sind es, die das Ansteckungsgift des rücksichtslosen Angriffskrieges von dieser Generation auf die nächste übertragen. Der Gerichtshof hat auf der Leinwand gesehen, wie leicht ein Haufen Leute, der scheinbar nur eine gewöhnliche Arbeitstruppe ist, tatsächlich eine militärische Einheit sein kann, die mit Schaufeln exerziert. Der nächste Krieg und die nächsten Pogrome werden mit Sicherheit in den Brutstätten dieser Organisationen ausgeheckt werden, wenn wir nicht dafür sorgen, daß durch Verurteilung und Bestrafung das Prestige und der Einfluß ihrer Mitglieder beseitigt werden.
Die Gefahr, die diese Organisationen bilden, ist noch bedrohlicher, wenn wir an den demoralisierten Zustand der deutschen Bevölkerung denken. Jahre werden vergehen, bis in Deutschland eine Staatsgewalt entstehen kann, die nicht unerfahren und nicht nur eine vorübergehende ist. Es wird lange dauern, bis sich ein Regierungssystem herausbildet, das sich auf überkommenen Gehorsam und überlieferte Achtung zu stützen vermag. Intrigen, Widerstand und die Möglichkeit eines Sturzes, die sogar ältere und festbegründete Regierungssysteme immer von Verschwörergruppen zu befürchten haben, bilden eine wirkliche und gegenwärtige Gefahr für die Stetigkeit jeder sozialen Ordnung im Deutschland von heute und morgen.
Wenn das Statut dieses Gerichtshofs es sich zur Aufgabe macht, vergeltende Gerechtigkeit zu üben, so kann es die organisierten Werkzeuge und Anstifter geschehener Verbrechen unmöglich außer acht lassen. Zu Beginn meiner Anklagerede habe ich ausgeführt, daß die Vereinigten Staaten nicht darauf ausgehen, das ganze deutsche Volk als verbrecherisch zu verurteilen. Aber es ist ebenso wichtig, daß dieser Prozeß nicht dazu dient, das ganze deutsche Volk mit Ausnahme der einundzwanzig Männer auf der Anklagebank freizusprechen. Das Unrecht, das diese Angeklagten und ihre Hauptverbündeten der Welt zugefügt haben, wurde nicht durch ihren Willen und ihre Macht allein begangen. Ihre Pläne wurden nur dadurch erfolgreich, daß Deutsche in großer Anzahl sich zusammenschlossen, um Stütze und Hebel für die Ausdehnung und Erweiterung der Macht dieser Führer zu werden. Wenn die organisierten Teilnehmer in diesem Prozeß für ihre Mitverantwortlichkeit an dieser Katastrophe nicht verurteilt werden, so wird man dies als ihre Entlastung auslegen.
Das Statut kümmert sich jedoch nicht allein um eine vergeltende Gerechtigkeit; es spricht aus ihm auch ein Wille zum Aufbau, der geleitet wird von dem Wunsche, beispielgebend und warnend zu wirken. Die vornehmste Aufgabe, die in dem Verlangen auf bedingungslose Übergabe lag, bestand darin, den Weg für einen Aufbau der deutschen Gemeinschaft auf einer Grundlage frei zu machen, die nicht wiederum eine Bedrohung des Friedens Europas und der Welt werden kann. Die vorläufigen Maßnahmen der Besatzungsbehörden waren, vielleicht notwendigerweise – ich will hier keine Kritik üben –, nicht so abgewogen und konnten nicht die Unterscheidungen vornehmen, wie dies für eine auf lange Sicht gerichtete Politik wünschenswert ist. Zum Beispiel darf nach den gegenwärtigen Entnazifizierungsbestimmungen niemand, der Mitglied der Nazi-Partei oder einer ihrer Formationen war, in einer anderen Stellung als der eines gewöhnlichen Arbeiters in irgendeinem Geschäftszweig beschäftigt werden, bis sich herausstellt, daß er nur nominell Nazi war. Angehörige gewisser Personengruppen in hervorragender oder einflußreicher Stellung sind, und andere Personen werden vielleicht von weiterer Betätigung in ihrem Geschäft oder Beruf ausgeschlossen werden. Es ist angeordnet, diejenigen aus öffentlichen Ämtern und aus wichtigen Stellungen in halböffentlichen und privaten Unternehmungen zu entfernen, die zu den ungefähr 90 im einzelnen aufgeführten Gruppen gehören, die sich unserer Ansicht nach aus aktiven Nazis, Förderern der Nazis oder Militaristen zusammensetzten. Das Vermögen dieser Personen ist gesperrt.
Der Kontrollrat sowohl wie die Verfasser des Statuts haben anerkannt, daß ein auf lange Sicht berechneter Plan sich auf sorgfältigere und feinere Unterscheidungen gründen muß, als dies bei den durchgreifenden, nur für kurze Zeit bestimmten Maßnahmen möglich war. Es besteht nunmehr innerhalb des Kontrollrates eine Richtung, die die gesamte Politik und das gesamte Verfahren der Entnazifizierung einer Neuordnung zu unterziehen wünscht. Es wird von entscheidender Bedeutung für die künftige Besatzungspolitik sein, ob dieser Gerichtshof die angeklagten Organisationen für verbrecherisch erklärt oder nicht.
Das Statut wollte die Untersuchungen und das Urteil dieses Gerichtshofs zur Bestimmung und Verurteilung derjenigen Nazis und militaristischen Kräfte verwerten, die durch ihre Organisationen eine ständige Bedrohung der weitgesteckten Ziele bildeten, für die unsere Länder ihre Jugend hingegeben haben. Im Lichte dieses großen Zieles müssen wir prüfen, was das Statut vorschreibt.
Es war klar, daß das übliche Prozeßverfahren nicht ohne eine gewisse Änderung dieser Aufgabe angepaßt werden konnte. Kein Rechtssystem hat bis jetzt einen befriedigenden Weg gewiesen, auf dem eine große Anzahl von gleichartigen Anschuldigungen gegen eine große Anzahl von Angeklagten erledigt werden könnte. Die Anzahl von Angeklagten, gegen die in einem einzelnen Verfahren ordnungsmäßig verhandelt werden kann, geht wohl nicht erheblich über die Zahl der jetzt auf dieser Anklagebank befindlichen hinaus.
Auch ist die Zahl getrennter Verfahren, in denen das gleiche umfangreiche Beweismaterial für das Bestehen eines gemeinsamen Planes immer wieder vorgebracht werden kann, aus praktischen Gründen sehr beschränkt. Und doch hat das Recht noch kein besseres Verfahren für die Fällung wohlerwogener und gerechter Entscheidungen entwickelt als das hier streitige Verfahren. Die Aufgabe der Verfasser des Statuts bestand darin, einen Weg zur Überwindung dieser Schwierigkeiten zu finden, der eine praktische und beschleunigte Entscheidung ermöglicht, ohne die Billigkeit aufzugeben, die in einer persönlichen Vernehmung liegt. Die vom Statut vorgesehene Lösung ist sicher nicht vollkommen, aber keiner ihrer Kritiker hat jemals eine Änderung vorgeschlagen, durch die nicht entweder der einzelne des persönlichen Gehörs verlustig ginge, oder die eine solche Fülle langwieriger Verfahren nach sich ziehen würde, daß sie praktisch undurchführbar wird. Wie dem auch sei, das Statut ist der Plan, den unsere Regierungen gutgeheißen haben, und unsere Pflicht ist es, ihn zur Ausführung zu bringen.
Das Statut geht im wesentlichen davon aus, die allgemeinen Fragen, die allen einzelnen Prozessen gemeinsam sind, von den besonderen Fragen zu trennen, die sich in jedem Prozeß unterschiedlich ergeben. Die Vorschrift läßt sich mit derjenigen vergleichen, die in der Kriegsgesetzgebung der Vereinigten Staaten für den Fall Yakus gegen die Vereinigten Staaten Anwendung gefunden hat. In diesem Falle mußten Fragen über die Rechtmäßigkeit des Befehls von einem besonderen Gerichtshof entschieden werden und konnten von einem Angeklagten im Rahmen seiner Verteidigung nicht aufgeworfen werden. Länder, die keine geschriebene Verfassung haben und verfassungsrechtliche Fragen nicht kennen, mögen es schwierig finden, die Logik dieser Entscheidung einzusehen; im wesentlichen galt es aber, allgemeine Fragen zu dem Befehl als solchem von besonderen Fragen abzusondern, die dann entstehen, wenn ein Schuldvorwurf gegen einen einzelnen erhoben wird.
Die allgemeinen Fragen sind endgültig in einem einzigen Verfahren vor dem Internationalen Gerichtshof zu entscheiden. In diesem Verfahren muß jede der angeklagten Organisationen durch einen Anwalt verteidigt und durch mindestens ein führendes Mitglied vertreten sein. Andere Personen können den Antrag stellen, gehört zu werden. Ihrem Antrag kann stattgegeben werden, wenn es der Gerichtshof im Interesse der Gerechtigkeit für erforderlich hält. In diesem Verfahren dreht es sich lediglich um die Frage der kollektiven Kriminalität der Organisation oder Gruppe; sie soll durch ein Urteil deklaratorischen Charakters entschieden werden. Durch ein solches Urteil werden weder die Organisationen noch deren Einzelmitglieder bestraft.
Die einzige Erläuterung über die Wirkung der Erklärung dieses Gerichtshofs darüber, daß eine Organisation verbrecherisch ist, befindet sich im Artikel 10, den ich mit Ihrer Erlaubnis verlesen werde:
»Ist eine Gruppe oder Organisation vom Gerichtshof für verbrecherisch erklärt worden, so hat die zuständige nationale Behörde jedes Signatars das Recht, Personen wegen ihrer Zugehörigkeit zu einer solchen verbrecherischen Gruppe oder Organisation vor nationalen, Militär- oder Okkupationsgerichten den Prozeß zu machen. In diesem Falle gilt der verbrecherische Charakter der Gruppe oder Organisation als bewiesen und wird nicht in Frage gezogen.«
Fraglos hätte das Statut einfach festlegen können, daß die Mitgliedschaft in einer der genannten Organisationen eine strafbare Handlung darstellt und dementsprechend zu bestrafen ist. Wenn das im Gesetz bestimmt worden wäre, hätte der einzelne, der wegen seiner Mitgliedschaft zur Rechenschaft gezogen wird, den verbrecherischen Charakter der Organisation nicht bestreiten können. Die Verfasser des Statuts, die daran im letzten Sommer arbeiteten, bevor uns das hier beigebrachte Beweismaterial zur Verfügung stand, wollten jedoch Organisationen nicht kraft Gesetzes für verbrecherisch erklären. Sie überließen diese Frage der gerichtlichen Entscheidung, nachdem im streitigen Verfahren alle erheblichen Tatsachen vorgebracht waren. Der einzelne ist offensichtlich mit dem vom Statut eingeschlagenen Verfahren besser daran, das es diesem Gremium überläßt, nach den Verhandlungen, bei denen die Organisation vertreten sein muß, und das Einzelmitglied vertreten sein kann, über den verbrecherischen Charakter zu entscheiden. Dies ist zumindest die beste Sicherung, die wir einbauen konnten, damit keine Fehler bei der Behandlung dieser Organisationen begangen werden.
Nach dem Statut stehen die in der Anklageschrift genannten Gruppen und Organisationen nicht im üblichen Sinne des Begriffs vor Gericht. Eher könnte man sagen, daß gegen sie eine Untersuchung wie vor einer Grand Jury nach anglo-amerikanischer Praxis geführt wird. Artikel 9 macht einen Unterschied zwischen der Erklärung einer Gruppe oder Organisation für verbrecherisch und »dem Prozeß gegen eines ihrer einzelnen Mitglieder«. Die Zuständigkeit des Gerichtshofs für die Durchführung eines Verfahrens beschränkt sich auf »Personen« und das Statut hat nicht, wie dies bei Statuten manchmal der Fall ist, den Begriff dahin erweitert, daß andere als natürliche Personen einbezogen sind. Die Gruppen oder Organisationen, die in der Anklageschrift aufgeführt sind, erhielten die Anklageschrift nicht als Gesamtheit zugestellt. Der Gerichtshof ist nicht befugt, gegen sie als Gesamtheit auf eine Strafe zu erkennen. Er darf ihnen zum Beispiel keine Geldbuße auferlegen, obwohl es ein Organisationseigentum gibt; er darf auch keine Einzelpersonen wegen ihrer Mitgliedschaft verurteilen.
Es ist auch zu bemerken, daß das Statut keine nachfolgenden Verfahren gegen irgend jemanden verlangt. Es sieht lediglich vor, daß die zuständigen nationalen Behörden das Recht haben sollen, Personen wegen ihrer Mitgliedschaft den Prozeß zu machen.
Das Statut spricht sich nicht über die Form aus, in der diese nachfolgenden Prozesse stattfinden sollen. Es erschien auf Grund der damals zur Verfügung stehenden Erfahrungen nicht ratsam, durch das Statut die nachfolgenden Verfahren regeln zu lassen. Hierfür bestand auch keine Notwendigkeit. Es gibt eine ständige gesetzgebende Behörde, in der alle vier Signatarmächte vertreten sind, und die dafür zuständig ist, die Arbeit da fortzusetzen, wo das Statut stehen bleibt. Eine Ergänzung des Statuts im Wege der Gesetzgebung dürfte in jedem Falle notwendig sein, um die Zuständigkeit auf örtliche Gerichte zu übertragen, ihre Verfahren festzulegen und verschiedene Strafen für die verschiedenen Formen der Betätigung festzusetzen.
Es ist nun die Befürchtung ausgesprochen worden, daß das Stillschweigen des Statuts in Bezug auf die künftigen Verfahren dahin auszulegen sei, daß eine Unzahl von Mitgliedern festgenommen und auf Grund der Erklärung einer Organisation als verbrecherisch automatisch bestraft werden könnte. Es ist auch behauptet worden, daß dies die Folge des Artikels II, 1 (d) des Gesetzes Nummer 10 des Kontrollrats sei oder sein könnte. Dieses bezeichnet als Verbrechen »die Zugehörigkeit zu Kategorien von Verbrechergruppen oder -organisationen, deren verbrecherischer Charakter vom Internationalen Militärgerichtshof festgestellt worden ist«. Die Absicht, jemanden ohne vorherige Anhörung zu bestrafen, kann aus dem Statut nicht entnommen werden; ein solches Verfahren würde sowohl seinem Buchstaben wie seinem Geiste widersprechen. Ich sehe nicht, inwiefern das Kontrollratsgesetz Nummer 10 mit dem Statut unvereinbar sein soll. Um alle Einzelmitglieder zu Wort kommen zu lassen, wären freilich zahlreiche Vernehmungen erforderlich. Sie werden jedoch nur wenige, eng begrenzte Fragen angehen. Viele Personen werden auf wohlvorbereitete Anklagen nichts vorzubringen haben; die Verfahren sollten beschleunigt und unkompliziert am Wohnsitz der angeklagten Personen und, nebenbei bemerkt, in höchstens zwei Sprachen durchgeführt werden.
Meines Erachtens ist es klar, daß jeder, der wegen seiner Mitgliedschaft in einer verbrecherischen Organisation zur Rechenschaft gezogen wird, das Recht hat, über die Umstände seines Falles gehört zu werden. Das Statut ermächtigt die nationalen Behörden nicht, Strafen wegen Mitgliedschaft ohne vorherige Anhörung zu verhängen; es gibt ihnen lediglich das Recht, »Einzelpersonen den Prozeß zu machen«. Das ist wörtlich zu nehmen. Aus dem Wort Prozeß ergibt sich, daß irgendwie zu prozessieren ist.
Das Statut schneidet lediglich eines der möglichen Verteidigungsvorbringen eines Angeklagten ab; er kann in einem nachfolgenden Prozeß nicht nochmals die Frage zur Entscheidung stellen, ob die Organisation selber verbrecherisch war. Nichts hindert ihn daran, zu bestreiten, daß seine Teilnahme freiwillig war, oder zu beweisen, daß er unter Zwang handelte. Er kann beweisen, daß er durch Täuschung oder Hinterlist dazu gebracht wurde, Mitglied zu werden. Er kann dartun, daß er ausgetreten war, oder er kann beweisen, daß die Aufnahme seines Namens in die Mitgliederliste auf einer Personenverwechslung beruht.
Die Mitgliedschaft, die durch das Statut und das Gesetz des Kontrollrats für verbrecherisch erklärt wird, bedeutet selbstverständlich eine echte Mitgliedschaft unter freiem Willensentschluß des Mitglieds. Der Beitritt zu der Organisation muß bewußt und freiwillig vollzogen worden sein. Gesetzlicher Zwang oder ungesetzliche Nötigung, ein wirklicher Betrug oder eine Täuschung, der jemand zum Opfer gefallen ist, sind niemals als Verbrechen des Opfers betrachtet worden; ein solches ungerechtes Ergebnis ist auch jetzt nicht gewollt. Anders verhält es sich mit dem Maße der Kenntnis, das ein Mitglied von dem verbrecherischen Charakter der Organisation besaß. Er mag davon am Tage seines Beitritts nichts gewußt haben, dürfte aber doch dabei geblieben sein, als er die Tatsachen erfahren hatte. Es kann ihm auch nicht nur das zur Last gelegt werden, was er wußte, sondern alles das, wovon er vernünftigerweise in Kenntnis gesetzt wurde.
Es sind Schutzmaßnahmen vorgesehen, die Gewähr dafür bieten, daß dieses Programm ehrlich durchgeführt wird. Die Strafverfolgung auf Grund dieser Erklärung ist freigestellt. Wäre es die Absicht der Alliierten Mächte, diese Personen ohne Verfahren zu bestrafen, so wäre dies schon geschehen, bevor dieser Gerichtshof eingesetzt wurde, und ohne seine Erklärung abzuwarten. Der Gerichtshof wird sicherlich davon ausgehen, daß die Signatarmächte, die sich freiwillig diesem Verfahren unterworfen haben, es auch getreulich durchführen werden.
Das Kontrollratsgesetz findet nur Anwendung auf die Mitgliedschaft in Kategorien, die als verbrecherisch erklärt sind. Damit erkennt der Kontrollrat die Befugnis dieses Gerichtshofs an, die Wirkung seiner Erklärung einzuschränken. Ich bin aus Gründen, die ich später darlegen werde, nicht der Ansicht, daß dies dahin ausgelegt oder dazu benutzt werden sollte, hier irgendwelche Fragen über Untergruppen, Abteilungen oder Einzelpersonen zu verhandeln, die in späteren Prozessen verhandelt werden können. Es sollte meiner Ansicht nach auch nicht eine Art Beschränkung, die durch den Beweis von Einzelheiten bestimmt werden muß, sondern eine grundsätzliche Begrenzung in der Richtung bedeuten, die ich bereits früher angedeutet habe, wie etwa den Zwang, die unfreiwillige Mitgliedschaft oder Dinge, die der Gerichtshof erkennen und ohne eine ins einzelne gehende Beweisaufnahme behandeln kann. Der Gerichtshof braucht, um sein Urteil zu begründen, in keine Beweisaufnahme einzutreten, wenn nur eine bewußte und freiwillige Mitgliedschaft in Betracht kommt. Die Erklärung dieses Gerichtshofs macht spätere Prozesse nicht überflüssig, sondern gibt ihnen Richtlinien.
Man kann gewiß nicht sagen, daß einem Plan eine verständige und billige Regelung fehlt, der zwischen allgemeinen und vielen Fällen gemeinsamen Fragen einerseits, und besonderen Fragen andererseits, die sich nur auf einzelne Angeklagte beziehen, und die daher in Verfahren vor getrennten, ihren verschiedenen Aufgaben angepaßten Gerichtshöfen zu behandeln sind, unterscheidet. Obwohl damit ungewöhnliche verfahrensrechtliche Schwierigkeiten entstehen, scheinen sie mir doch nicht unüberwindlich. Ich will die Frage der Merkmale, Grundsätze und Präzedenzfälle für die Feststellung kollektiver Strafbarkeit erörtern, bevor ich zu den damit zusammenhängenden Fragen komme. Die Rechtsgrundlage, die sich für die Untersuchung des verbrecherischen Charakters von Organisationen bietet, ist in ihren großen Umrissen alt, wohlbegründet und in allen Rechtssystemen ziemlich einheitlich. Es ist richtig, daß wir uns hier mit einem Verfahren befassen, das leicht mißbraucht werden kann, und von dem häufig ein Eingriff in die Versammlungsfreiheit oder die Begründung einer Schuld für einen Zusammenschluß befürchtet wird. Es trifft auch zu, daß das Verfahren gegen Organisationen eng verwandt ist mit einer Anklage wegen Verschwörung, dem großen Fangnetz des Gesetzes; gerade darauf richten die Gerichte mit Recht ein wachsames Auge, damit sie nicht mißbraucht werden kann.
Tatsache ist aber, daß jede Regierungsform es für notwendig gehalten hat, gewisse Organisationen als verbrecherisch zu behandeln. Auch die nachsichtigste Regierung kann nicht eine so große Anhäufung privater Macht in Organisationen dulden, daß sie zu Rivalen, Widersachern oder Herren der Regierung selbst werden. Das würde dazu führen, daß man Ränkeschmieden die Freiheit einräumt, die Freiheit zu vernichten. Gerade die Selbstzufriedenheit und Duldsamkeit, wie auch die Ohnmacht der Weimarer Republik gegen den wachsenden Aufbau der Nazi-Macht, bedeutete den Tod der deutschen Freiheit.
Selbst freiheitliche Regierungen sahen sich genötigt, zum Schutze der Freiheit ihrer Bürger Gesetze zu erlassen, die solche Machtzusammenballungen für verbrecherisch erklärten, die den Bürgern ihren Willen aufzuzwingen drohten. Jede Nation, die dieses Statut unterschrieben hat, hat Gesetze, die gewisse Arten von Organisationen als verbrecherisch behandelt. Der Ku-Klux-Klan stand in den Vereinigten Staaten ungefähr zur gleichen Zeit wie die Nazi-Bewegung in Deutschland in Blüte. Er wandte sich an dieselben Haßinstinkte, bediente sich der gleichen ungesetzlichen Zwangsmittel und verbreitete in gleicher Weise Schrecken durch sein unheimliches, nächtliches Zeremoniell.
So wie die Nazi-Partei bestand er aus einem Kern von Fanatikern, verstand es aber, sich die Unterstützung geachteter Bürger zu sichern, die zwar wußten, daß er unrechtmäßig war, aber glaubten, daß er siegen werde. Er rief schließlich eine Reihe von Gesetzgebungsakten hervor, die sich gegen derartige Organisationen wandten.
Auch der Kongreß der Vereinigten Staaten hat Gesetze erlassen, durch die bestimmte Organisationen geächtet wurden. Ein Beispiel aus der letzten Zeit ist das Gesetz vom 28. Juni 1940; in ihm bestimmte der Kongreß, daß es jedem verboten sein solle, »eine Gesellschaft, eine Gruppe oder Personenvereinigung aufzubauen oder bei ihrem Aufbau behilflich zu sein, die den Sturz oder die Vernichtung einer Regierung in den Vereinigten Staaten durch Zwang oder Gewalt lehrt, gutheißt oder dazu ermutigt«; weiterhin sollte es verboten sein, »Mitglied einer solchen Gesellschaft, Gruppe oder Personenvereinigung in Kenntnis ihrer Ziele zu sein oder zu werden oder sich ihnen anzuschließen.«
Es gibt eine ganze Reihe von Gesetzen in Staaten der Amerikanischen Union, die gleichartige Straftatbestände geschaffen haben. Ein Beispiel bietet das Gesetz des Staates Kalifornien, das sich mit dem verbrecherischen Syndikalismus befaßt; nach seiner Definition erklärt es jeden für verbrecherisch, der eine solche Organisation aufbaut, bei ihrem Aufbau Hilfe leistet oder wissentlich Mitglied ist oder wird.
Präzedenzfälle im englischen Recht für die Ächtung von Organisationen und die Bestrafung der Mitgliedschaft in ihnen sind alt und stehen in Einklang mit der Verfassung. Einer der ersten ist der British India Act Nr. 30 vom 14. November 1836. Dort heißt es unter anderem:
»Es wird hiermit bestimmt, daß jeder, dem nachgewiesen werden kann, daß er vor oder nach Erlaß dieses Ge setzes zu einer Bande von Gewalttätern, entweder innerhalb oder außerhalb des Gebiets der Ostindischen Kompanie, gehört hat, mit lebenslänglicher Zwangsarbeit bestraft wird.«
Die Geschichte zeigt, daß dies ein erfolgreiches Gesetz zur Unterdrückung von Gewalttaten war.
Andere Präzedenzfälle aus der englischen Gesetzgebung sind der »Unlawful Societies Act« (Gesetz über die verbotenen Vereinigungen) von 1799; der »Seditious Meetings Act« (Gesetz über Landfriedensbruch) von 1817; der »Seditious Meetings Act« (Gesetz über Landfriedensbruch) von 1846; der »Public Order Act« (Gesetz über die öffentliche Ordnung) von 1936 und die »Defense Regulations 18 (b)« (Verteidigungsvorschriften).
Das letztere Gesetz wurde nicht ohne Widerstand erlassen und sollte die Britische Regierung gegen die Tätigkeit der Fünften Kolonne, eben dieser Nazi-Verschwörer, schützen.
Sowjetrußland bestraft als Verbrechen die Bildung einer verbrecherischen Bande und die Zugehörigkeit zu ihr. Die Strafrechtswissenschaft der USSR nennt dieses Verbrechen »Verbrechen des Banditentunis«, ein Ausdruck, der auf diese deutschen Organisationen im ganzen gut paßt. General Rudenko wird dem Gerichtshof in Einzelheiten gehende Auskünfte über das Sowjetrecht geben.
Das französische Strafrecht erklärt die Mitgliedschaft in umstürzlerischen Organisationen zum Verbrechen. Zugehörigkeit zu einer Verbrecherbande ist an sich ein Verbrechen. Mein hochgeschätzter französischer Kollege wird Ihnen weitere Einzelheiten darüber mitteilen.
Natürlich will ich nicht behaupten, daß das Gesetz eines einzelnen Landes, selbst einer der Signatarmächte, hier gilt; aber es ist klar, daß dies nicht ein Gesetz oder die Auffassung eines einzelnen Rechtssystems ist, sondern daß alle Rechtssysteme darin übereinstimmen, daß über eine gewisse Grenze hinaus Organisationen für eine freie Gemeinschaft untragbar sind.
Was deutsche Präzedenzfälle betrifft, so ist es weder angezeigt noch erforderlich, auf das Nazi-Regime hinzuweisen, welches natürlich alle seine Gegner rücksichtslos unterdrückte. Aber im Kaiserreich und in der Weimarer Republik nahm die deutsche Rechtswissenschaft einen geachteten Platz ein und bietet Beispiele aus Gesetzgebung und Rechtsprechung, m denen Organisationen als verbrecherisch erklärt wurden.
Beispiele aus der Gesetzgebung sind: Das Deutsche Strafgesetzbuch von 1871; – Paragraph 128 richtet sich gegen Geheimbündelei und Paragraph 129 gegen staatsfeindliche Verbindungen. Ein Gesetz vom 22. März 1921 gegen halbmilitärische Organisationen. Ein Gesetz vom Juli 1922 gegen Organisationen, die den Umsturz der Reichsverfassung zum Ziel haben. Paragraph 128 des Strafgesetzbuches von 1871 ist von besonderem Interesse. Er lautet:
»Die Teilnahme an einer Verbindung, deren Dasein, Verfassung oder Zweck vor der Staatsregierung geheimgehalten werden soll, oder in welcher gegen unbekannte Obere Gehorsam oder gegen bekannte Obere unbedingter Gehorsam versprochen wird, ist... mit Gefängnis... zu bestrafen...«
Es wäre schwierig, ein Gesetz zu entwerfen, das die Organisationen, mit denen wir es hier zu tun haben, deutlicher verurteilt als dieses Deutsche Strafgesetzbuch von 1871. Ich lenke Ihre Aufmerksamkeit darauf, daß es Organisationen verurteilt, in denen Gehorsam gegen unbekannte Obere oder unbedingter Gehorsam gegen bekannte Obere versprochen wird. Es ist genau die Art der Gefahr und Bedrohung, mit der wir uns beschäftigen.
Unter dem Kaiserreich waren verschiedene polnische nationale Vereinigungen Gegenstand strafgerichtlicher Verfolgung. Unter der Republik ergingen in den Jahren 1927 und 1929 Urteile, die die gesamte Kommunistische Partei Deutschlands für verbrecherisch erklärten. In den Jahren 1922 und 1928 ergingen Urteile gegen das politische Führerkorps der Kommunistischen Partei, das ihren gesamten sogenannten Funktionärkörper einschloß. Der Funktionärkörper dieser Organisation entsprach in seiner Machtbefugnis ungefähr dem Führerkorps der Nazi-Partei, das wir hier angeklagt haben. Die Urteile gegen die Kommunistische Partei durch die deutschen Gerichte schlossen jeden Kassier, jeden Angestellten, jeden Zeitungsjungen, jeden Boten und jeden Bezirksleiter ein. Ein im Jahre 1930 ergangenes Urteil, in dem der »Rote-Frontkämpferbund« der Kommunistischen Partei als verbrecherisch erklärt wurde, machte keinen Unterschied zwischen Führern und gewöhnlichen Mitgliedern.
Am bezeichnendsten aber ist die Tatsache, daß am 30. Mai 1924 ein deutsches Gericht ein Urteil fällte, nach dem die gesamte Nazi-Partei eine verbrecherische Organisation war. Offenbar mangelte es an Mut, dieses Urteil zu vollstrecken, denn sonst wären wir nicht hier. Diese Entscheidung bezog sich nicht nur auf das Führerkorps, das wir hier anklagen, sondern ebenso auf alle anderen Mitglieder. Der ganze Aufstieg der Nazi-Partei zur Macht stand im Schatten dieses Urteils eines deutschen Gerichts, in dem sie als ungesetzlich erklärt wurde.
Wenn deutsche Gerichte sich mit verbrecherischen Organisationen befaßten, gingen sie von der Anschauung aus, daß alle Mitglieder durch einen gemeinsamen Plan verbunden seien, an dem jeder einzelne, wenn auch in verschiedenem Grade, Anteil hatte. Darüber hinaus gleichen die Grundprinzipien über die Verantwortlichkeit von Mitgliedern, wie sie das deutsche Reichsgericht aufgestellt hat, in auffallendem Maße den Prinzipien, die unser anglo-amerikanisches Recht über Verschwörung beherrschen. Die deutschen Gerichte haben unter anderem erklärt, daß es unerheblich sei, ob alle Mitglieder verbotene Ziele verfolgten. Es genüge, wenn ein Teil die verbotene Tätigkeit entfaltete. Fernerhin, daß es unerheblich sei, ob die Mitglieder der Gruppe oder Vereinigung mit den Zielen, Aufgaben, Arbeits- und Kampfmethoden übereinstimmen. Und schließlich, daß es auf die wirkliche Gesinnung der Teilnehmer nicht ankomme, selbst wenn sie die Absicht gehabt hätten, an verbrecherischen Handlungen nicht teilzunehmen oder sie zu verhindern, könne dies ihre sich aus der tatsächlichen Mitgliedschaft ergebende Verantwortlichkeit nicht ausschließen.
Organisationen mit verbrecherischen Zielen werden ihrem Wesen nach überall als verbrecherische Verschwörungen angesehen, und ihr verbrecherischer Charakter wird nach den Grundsätzen der Verschwörung beurteilt. Der Grund, warum sie für den gesetzestreuen Bürger anstößig sind, ist von einem amerikanischen Rechtsgelehrten in bündiger Form folgendermaßen gekennzeichnet worden; ich zitiere aus Millers Strafrecht:
»Der Grund dafür, daß ein Tatbestand für strafbar erklärt wird, bei dem sich mehrere zur Erreichung eines gesetzwidrigen Zweckes oder zum Gebrauch ungesetzlicher Mittel zusammenschließen, obwohl eine Strafbarkeit nicht gegeben wäre, falls die in Frage stehende Handlung von einer Einzelperson begangen würde, liegt darin, daß eine Vereinigung von Personen, die sich zur Begehung einer im Zweck oder in den Mitteln unrechten Handlung zusammenschließt, um so vieles gefährlicher ist; denn ihre Macht, Unrecht zu tun, ist stärker, und es ist schwieriger, sich gegen eine Gruppe von Personen zu schützen und ihre schlimmen Pläne zu vereiteln, als gegen einzelne. Sie ist auch gefährlicher wegen der Verängstigung, die die Furcht vor einer solchen Gruppe in den Herzen der Menschen zu erzeugen geeignet ist.«
Artikel 6 des Statuts bestimmt, daß Anführer, Organisatoren, Anstifter und Teilnehmer, die an dem Entwurf oder der Ausführung eines gemeinsamen Planes oder der Verschwörung zur Begehung eines der vorgenannten Verbrechen teilgenommen haben, für alle Handlungen verantwortlich sind, die von irgendeiner Person in Ausführung eines solchen Planes begangen worden sind.
Gerade dies ist Ausdruck des gebräuchlichen Gesetzes über Verschwörung.
Die einzelnen Angeklagten, die vor Ihren Schranken unter der Anklage der Verschwörung stehen, sind, wenn diese bewiesen wird, auch für die Handlungen anderer, die sie in Ausführung des gemeinsamen Planes begangen haben, verantwortlich.
Das Statut hat die Verantwortlichkeit für Handlungen anderer nicht nur mit dem Begriff »Verschwörung« definiert. Die Verbrechen wurden nicht durch technische, sondern durch umschreibende Begriffe abgegrenzt und schließen den Entwurf und die Ausführung eines gemeinsamen Planes ebenso wie auch die Teilnahme an einer Verschwörung ein. Es wäre sonst zu fürchten, daß formalistische Erfordernisse und Beschränkungen in das Verfahren Eingang fänden, die um diesen Begriff »Verschwörung« entstanden sind. Es bestehen gewisse Unterschiedlichkeiten zwischen der anglo-amerikanischen Auffassung über die Verschwörung und der russischen, französischen oder deutschen Rechtswissenschaft. Es erschien wünschenswert, daß den konkreten Fällen die allgemeinen Erwägungen zugrundegelegt werden, wie sie in der Natur des von mir aufgezeigten Problems liegen, als daß sie von den Verfeinerungen irgendeines örtlichen Rechtes beherrscht würden.
Nun besteht, wenn man von den aus der Menge der Fälle entstehenden prozessualen Schwierigkeiten einmal absieht, kein Grund, warum nicht jedes Mitglied einer der hier angeklagten Nazi-Organisationen als Teilnehmer der Verschwörung nach Artikel 6 angeklagt und verurteilt werden könnte, selbst wenn das Statut die Organisationen überhaupt nicht erwähnt hätte. Der freiwillige Beitritt war zweifellos eine Handlung, in der sich die Bindung an einen gemeinsamen Plan oder ein gemeinsames Ziel ausdrückte.
Diese Organisationen gaben nicht vor, lediglich soziale oder kulturelle Gruppen zu sein. Zugegebenermaßen hatten sich ihre Mitglieder zusammengeschlossen, um zu handeln. Bei verschiedenen Nazi-Organisationen ergab sich die Tatsache des Zusammenschlusses aus einer feierlichen Aufnahme der Mitglieder, der Abnahme eines Eides, dem Tragen einer besonderen Uniform und einer disziplinären Unterwerfung. Daß sich alle Mitglieder jeder Nazi-Organisation unter einem gemeinsamen Plane zusammenschlossen, um mit vereinten Kräften ein bestimmtes Ziel zu erreichen, ist erschöpfend dargetan.
Die Begriffsmerkmale für die Entscheidung, ob diese Ziele strafbar waren, sind offenbar die gleichen, die bei der Prüfung der Gesetzmäßigkeit jeder Vereinigung oder Verschwörung zugrunde zu legen sind. Hat die Organisation ungesetzliche Methoden erwogen oder hat sie ungesetzliche Ziele verfolgt? Wenn dem so ist, so bestimmt sich die Verantwortlichkeit eines jeden Mitgliedes einer dieser Nazi-Organisationen für die Handlungen jedes anderen Mitgliedes im wesentlichen nach den gleichen Grundsätzen, wie sie von den Gerichten der Vereinigten Staaten für eine Verschwörung von Geschäftsleuten vertreten werden, die sich zur Verletzung des Anti-Trust-Gesetzes zusammenschließen, oder anderer Angeklagter, denen die Verletzung von Rauschgiftgesetzen, Landfriedensbruchgesetzen oder anderen bundesstaatlichen Gesetzen vorgeworfen wird.
Unter anderem verschaffen die Gerichte Großbritanniens und der Vereinigten Staaten alltäglich bei der Behandlung der Verschwörung folgenden allgemeinen Grundsätzen Geltung:
Förmliche Versammlungen oder Vereinbarungen sind nicht erforderlich. Es reicht aus, daß einer den einen Teil, andere Personen andere Teile zur Ausführung bringen, wenn nur eine einheitliche Handlung und ein gemeinsames Zusammenarbeiten vorliegt, das einem gemeinsamen Plan, ein gemeinschaftliches Ziel zu erreichen, entspringt.
Zweitens: Es kann jemand verantwortlich sein, auch wenn er seine Mitverschworenen nicht gekannt oder nicht gewußt hat, welchen Teil sie übernehmen sollten, oder welche Handlungen sie begangen haben; es macht nichts aus, daß er persönlich an den verbrecherischen Handlungen nicht teilgenommen hat oder abwesend war, als sie geschahen.
Drittens: Eine Verantwortlichkeit für Handlungen von Mitverschworenen kann auch gegeben sein, obwohl gerade diese Handlungen nicht beabsichtigt oder vorauszusehen waren, wenn sie nur in Ausführung des gemeinsamen Planes begangen wurden. Ein Mitverschwörer macht nämlich den anderen zu seinem Werkzeug mit der Blankovollmacht, die Ziele der Verschwörung zu erreichen.
Viertens: Es ist für die Verantwortlichkeit nicht erforderlich, daß jemand zur gleichen Zeit wie andere Täter oder zur Zeit der Begehung verbrecherischer Handlungen Mitglied einer Verschwörung ist. Wenn jemand Teilnehmer einer Verschwörung wird, macht er sich alles Vorangegangene zu eigen und heißt es gut; er bleibt so lange verantwortlich, bis er aus der Verschwörung unter Benachrichtigung seiner Mitverschwörer ausscheidet.
Das sind zwar allgemeine Grundsätze, doch ist keine Gemeinschaft imstande gewesen, ohne diesen Schutz gegen eine Machtansammlung durch Zusammenrottung einzelner auszukommen.
Mitglieder verbrecherischer Organisationen oder Verschwörungen, die persönlich Verbrechen begehen, sind als Einzelperson für diese Verbrechen genau so strafbar wie diejenigen, die die gleichen strafbaren Handlungen ohne den Rückhalt einer Organisation begangen haben. Darin besteht ja gerade das Wesen des Verbrechens der Verschwörung oder der Mitgliedschaft in einer verbrecherischen Vereinigung, daß jemand für Handlungen verantwortlich ist, die er nicht persönlich begangen hat, die aber seine Handlungen erleichterten oder unterstützten. Das Verbrechen besteht in dem Zusammenschluß mit anderen und in der Teilnahme an gemeinsamen ungesetzlichen Bestrebungen, mögen die Handlungen, die die Teilnehmer persönlich begehen, für sich betrachtet, auch noch so harmlos sein.
Die sehr harmlose Handlung, einen Brief zur Post zu geben, genügt, um jemanden in eine Verschwörung zu verstricken, wenn der Brief die Förderung eines verbrecherischen Planes bezweckt. Wir haben zahlreiche Beispiele in der Rechtsprechung der Vereinigten Staaten dafür, daß jemand allein durch die Aufgabe eines Briefes zur Post nicht nur den Tatbestand eines Verbrechens erfüllte, sondern vor ein Bundesgericht gestellt wurde.
Es gibt zahllose Beispiele für diese Lehre, daß harmlose Handlungen, in Ausführung eines gemeinsamen Zieles, jemanden für die verbrecherischen Handlungen anderer verantwortlich machen, die zu demselben Zwecke begangen werden.
Die Reichweite des Gesetzes über die Verschwörung ist bei der Bestimmung der Schuldmerkmale für Organisationen besonders zu erwägen. Auf jeden Fall kann die mittelbare Verantwortlichkeit, die eine Folge freiwilliger, durch Eid bekräftigter Mitgliedschaft ist, die ihrerseits einem gemeinsamen Zweck der Organisation bei Unterwerfung unter eine Disziplin und Befehlsgewalt gewidmet ist, nicht geringer sein als diejenige, die sich aus einer zwanglosen Zusammenarbeit mit einer unbestimmten Gruppe ergibt und im Falle einer Verschwörung ausreicht.
Damit erledigt sich die Annahme, daß die Anklagebehörde jedem Mitglied, jedem Teil oder jeder größeren oder kleineren Abteilung der Organisation die Schuld an verbrecherischen Handlungen nachzuweisen hätte. Diese Annahme würde das Wesen der Verschwörungsanklage gegen die Organisationen nicht berücksichtigen. Eine solche Auslegung würde das Statut unbrauchbar und sinnwidrig machen. In einem einzigen Internationalen Prozeß alle Untersuchungen zusammenzufassen, die so ins einzelne gehende Beweise gegen jedes Mitglied und gegen jede Untergliederung benötigen, würde eine Aufgabe darstellen, die zu unseren Lebzeiten nicht zu Ende geführt werden könnte.
Es ist einfach, mit solchen leicht faßlichen, aber oberflächlichen Gemeinsätzen herumzuwerfen, wie »man sollte für seine Betätigung, nicht für seine Mitgliedschaft bestraft werden«. Das läßt jedoch die Tatsache außer acht, daß die Zugehörigkeit zu Nazi-Organisationen eine »Betätigung« war. Sie war nicht etwas, das einem untätigen Bürger wie ein Handzettel ausgeteilt wurde; auch eine nominelle Mitgliedschaft kann einer Bewegung helfen und sie weitgehend unterstützen.
Glaubt irgend jemand, daß das Bild Hjalmar Schachts, wie er, geschmückt mit dem Parteiabzeichen, in der vordersten Reihe des Nazi-Parteitages von 1935 saß, lediglich aus künstlerischen Gründen in den Propagandafilm der Nazi-Partei, den Sie gesehen haben, aufgenommen war? Die Tatsache allein, daß der große Bankier seinen Namen diesem zweifelhaften Unternehmen lieh, gab ihm Auftrieb und Ansehen in den Augen aller noch zögernden Deutschen. Es mag Fälle geben, in denen die Mitgliedschaft den Zielen und Zwecken der Organisationen nicht half oder Vorschub leistete, aber die Würdigung derartiger Einzelfälle ist Sache der späteren Verfahren und nicht Sache des Gerichtshofs.
Im großen und ganzen zeigt die Benutzung der Zugehörigkeit zu einer Organisation, um das zu tun, was in Wirklichkeit die Organisation tat, schnell und einfach, aber gleichzeitig ziemlich genau die Umrisse einer Verschwörung auf. Dies ist der einzig brauchbare Weg in diesem Stadium des Prozesses. Er kann keine Ungerechtigkeit zur Folge haben, weil jede Einzelperson die besonderen Umstände ihres eigenen Falles einer weiteren und genaueren richterlichen Untersuchung zu unterbreiten in der Lage ist, bevor eine Bestrafung erfolgen kann.
Obwohl das Statut keine Bestimmung darüber enthält, sind wir doch der Ansicht, daß nach allgemeinen Rechtsgrundsätzen die Beweislast für den verbrecherischen Charakter der Organisationen der Anklagebehörde zufällt. Wir haben unserer Ansicht nach unsere Pflicht erfüllt, wenn wir folgendes darlegen:
1. Die in Frage stehende Organisation oder Gruppe muß eine Verbindung von Personen darstellen, die sich in feststellbarer Beziehung zu einem gemeinsamen, allgemeinen Zweck zusammengeschlossen hat.
2. Obwohl das Statut sich darüber nicht ausspricht, geht es unseres Erachtens davon aus, daß die Mitgliedschaft in einer solchen Organisation im allgemeinen freiwillig sein muß. Das erfordert nicht den Beweis, daß jedes einzelne Mitglied ein freiwilliges war. Es bedeutet auch nicht, daß eine Organisation dann nicht als eine freiwillige zu betrachten ist, wenn die Verteidigung beweist, daß eine kleinere Gruppe oder ein kleiner Prozentsatz ihrer Mitglieder zum Beitritt gezwungen wurde. Die Frage ist nach gesundem Menschenverstand zu entscheiden: War die Organisation im allgemeinen eine, der man entweder beitreten oder fernbleiben konnte? Die Mitgliedschaft wurde nicht dadurch unfreiwillig, daß es ein gutes Geschäft oder eine gute Politik war, sich mit der Bewegung zu identifizieren. Zwang ist nur, was das Gesetz normalerweise als solchen anerkennt. Drohungen mit politischen oder wirtschaftlichen Vergeltungsmaßnahmen wären ohne Rechtserheblichkeit.
3. Die Ziele der Organisation müssen in dem Sinne verbrecherisch gewesen sein, daß sie dazu bestimmt war, Handlungen zu begehen, die im Artikel 6 des Statuts als Verbrechen gekennzeichnet sind. Keine andere Handlung würde eine Handhabe zur Verurteilung einer Einzelperson bieten, und keine andere Handlung würde die Handhabe zur Verurteilung einer Organisation im Zusammenhang mit der Verurteilung der Einzelperson bieten.
4. Die verbrecherischen Ziele oder Methoden der Organisationen müssen solcher Art gewesen sein, daß ihren Mitgliedern im allgemeinen ihre Kenntnis mit Fug und Recht zur Last gelegt werden kann. Auch dies wird von dem Statut nicht ausdrücklich verlangt Selbstverständlich obliegt es nicht der Anklagebehörde, die Kenntnis jedes einzelnen Mitgliedes der Organisation in jedem Falle darzulegen, oder die Möglichkeit zu widerlegen, daß einige ihren Beitritt in Unkenntnis des wahren Charakters der Organisationen vollzogen haben.
5. Ein einzelner Angeklagter muß Mitglied der Organisation gewesen sein und wegen einer Handlung verurteilt werden, auf Grund derer die Organisation für verbrecherisch erklärt worden ist.
Ich werde mich nunmehr mit den Fragen beschäftigen, die unserer Meinung nach vor diesem Gerichtshof zur Verhandlung stehen, und weiterhin kurz auf das eingehen, was nicht Gegenstand des Verfahrens ist.
Eine klare Definition der in diesem Prozeß zu behandelnden Fragen wird für die Beschleunigung des Verfahrens dienlich sein. Ich habe bereits angedeutet, worin wir die Wesensmerkmale der Schuld erblicken. Es gibt auch Fragen, die unserer Ansicht nach für diesen Gerichtshof unerheblich sind. Einige von ihnen sind unter den besonderen Fragen aufgezählt, die der Gerichtshof gestellt hat.
Nur eine einzige Frage ist letzten Endes von diesem Gerichtshof zu entscheiden, nämlich, ob angeklagte Organisationen mit Fug und Recht als verbrecherisch oder als harmlos zu kennzeichnen sind. Nichts ist hier von Erheblichkeit, was sich nicht auch auf eine Frage bezieht, die für den Fall jedes Mitgliedes gemeinsam ist. Alles, was zur Entlastung einzelner, aber nicht aller Mitglieder dienen könnte, ist unseres Erachtens hier unerheblich.
Wir halten es in diesem Teil des Verfahrens für unerheblich, daß eines oder viele Mitglieder zum Eintritt gezwungen wurden, wenn die Mitgliedschaft im allgemeinen freiwillig war. Es mag zugegeben werden, daß sich eine Einzelperson, der die Mitgliedschaft in einer verbrecherischen Organisation zur Last gelegt ist, mit dem Zwangsbeitritt gut verteidigen kann; aber eine Organisation kann gleichwohl verbrecherische Zwecke haben und verbrecherische Handlungen begehen, auch wenn ein Teil ihrer Mitglieder aus Personen besteht, die zum Beitritt gezwungen wurden. Die Frage des Zwangsbeitritts ist für dieses Verfahren nicht erheblich, aber sie ist erheblich für die Verfahren gegen Einzelpersonen wegen ihrer Mitgliedschaft in Organisationen, die als verbrecherisch erklärt worden sind.
Wir sind weiterhin der Ansicht, daß es für dieses Verfahren unerheblich ist, ob ein oder mehrere Mitglieder der genannten Organisationen nichts von ihren verbrecherischen Zwecken oder Methoden wußten, wenn diese offenkundig oder allgemein bekannt waren. Eine Organisation kann verbrecherischen Zwecken dienen und verbrecherische Handlungen begehen, obwohl eines oder viele ihrer Mitglieder hiervon persönlich nichts wußten. Wenn jemand einem Verein beitritt, den er für einen gesellschaftlichen Klub ansieht, der sich aber in Wirklichkeit als eine Bande von Halsabschneidern und Mördern herausstellt, so würde seine mangelnde Kenntnis die Bande als Gruppe nicht entlasten, obwohl dieser Umstand gewiß als Milderungsgrund dienen mag, wenn er lediglich wegen seiner Zugehörigkeit zu der Organisation strafrechtlich verfolgt wird. Aber auch dann wäre die Frage nicht, was der Mann tatsächlich wußte, sondern was er als Mensch mit normalem Verstande hätte wissen müssen.
Es ist in diesem Verfahren unerheblich, daß eines oder mehrere Mitglieder der genannten Organisationen sich selber keiner gesetzwidrigen Handlungen schuldig gemacht haben. Diese Voraussetzung ist die Grundlage für die ganze Theorie, auf Grund derer Organisationen für verbrecherisch erklärt werden können. Der Zweck, Organisationen für verbrecherisch zu erklären, ist, wie in jeder Verschwörungsanklage, die Bestrafung für die Beihilfe an Verbrechen, obwohl die wirklichen Täter sich niemals finden oder feststellen lassen.
Wir wissen, daß die Gestapo und die SS als Organisationen in erster Linie die Aufgabe hatten, die jüdische Bevölkerung in Europa auszurotten. Aber von wenigen vereinzelten Fällen abgesehen, können wir niemals feststellen, welche Mitglieder der Gestapo oder der SS die Ermordungen tatsächlich ausgeführt haben. Die meisten von ihnen waren durch die Anonymität der Uniform verborgen, begingen ihre Verbrechen und verschwanden wieder. Zeugen wissen daß es ein SS-Mann oder ein Gestapo-Mann war, aber ihn festzustellen, ist unmöglich. Jedes Mitglied, das sich der unmittelbaren Teilnahme schuldig gemacht hat, und das wir finden und feststellen können, kann wegen Ausführung der besonderen Verbrechen unter Anklage gestellt werden, und zwar zusätzlich zu der allgemeinen Anklage der Mitgliedschaft in einer verbrecherischen Organisation.
Deshalb ist es vollständig unwesentlich, daß eines oder mehrere Mitglieder der Organisationen selbst keine besonderen Übeltaten begangen haben wollen. Der Zweck dieses Verfahrens wie auch der späteren Verfahren besteht nicht darin, die Fälle einzelnen verbrecherischen Verhaltens zu erfassen; deswegen sind solche Erwägungen hier unerheblich.
Eine andere vom Gerichtshof aufgeworfene Frage bezieht sich auf die Zeitspanne, während der nach der Behauptung der Anklagebehörde die in der Anklageschrift benannten Gruppen und Organisationen verbrecherisch gewesen sind. Die Anklagebehörde ist der Ansicht, daß jede Organisation für die Zeitspanne, die in der Anklageschrift genannt ist, als verbrecherisch erklärt werden sollte. Wir bestreiten nicht, daß der Gerichtshof berechtigt ist, seine Erklärung auf eine kürzere Zeitspanne als die in der Anklageschrift erwähnte zu beschränken. Die Anklageschrift behandelt jede Organisation besonders. Wir sind der Überzeugung, daß das nunmehr im Sitzungsprotokoll niedergelegte Beweismaterial ausreicht, um die Anklage wegen verbrecherischen Charakters gegen jede der benannten Organisationen während der gesamten in der Anklageschrift dargelegten Zeitspanne zu stützen.
Eine weitere vom Gerichtshof aufgeworfene Frage geht dahin, ob gewisse Personenklassen, die von den angeklagten Gruppen oder Organisationen mitumfaßt sind, von der Erklärung als verbrecherisch ausgenommen werden sollen. Natürlich muß der Gerichtshof seine Erklärung auf eine abgrenzbare Gruppe oder Organisation abstellen. Es wird aber von dem Gerichtshof weder erwartet noch gefordert, daß er sich an den formalen Charakter der Organisationen hält. Bei der Ausarbeitung des Statuts ist absichtlich die Verwendung von Ausdrücken oder Begriffen vermieden worden, die dieses Verfahren mit formalen Rechtsfragen über juristische Personen oder »Personengesamtheiten« belasten könnten.
Die verschiedenen Rechtssysteme weichen in der Feinheit dieser Begriffsbestimmungen voneinander ab. Die Auffassung des Statuts ist daher keine formalistische. Die Worte »Gruppe« oder »Organisation« sollten nicht gekünstelt oder spitzfindig ausgedeutet werden. Das Wort »Gruppe« ist in dem Statut als ein weiterer Begriff verwendet, der einen loseren und weniger formellen Aufbau oder Zusammenhalt erfaßt als der Ausdruck »Organisation«. Die Ausdrücke bedeuten im Rahmen des Statuts das gleiche, was sie in der gewöhnlichen Sprache des Volkes bedeuten. Der Prüfstein dafür, ob es sich um eine Gruppe oder Organisation handelt, ist der natürliche und gesunde Menschenverstand.
Es ist wichtig, sich vor Augen zu halten, daß der Gerichtshof zweifellos selbst zu entscheiden berechtigt ist, welche Gruppe er zur verbrecherischen erklären will. Dagegen ist die genaue Zusammensetzung und Zugehörigkeit zu Gruppen und Organisationen keine Streitfrage, die dieses Verfahren berührt. Weder das Statut noch die praktische Notwendigkeit verlangen vom Gerichtshof, eine Gruppe oder Organisation so genau zu definieren, daß damit ihre genaue Zusammensetzung oder Zugehörigkeit bestimmt ist.
Mit der Schaffung eines Apparates für die spätere Untersuchung solcher Fragen wurde anerkannt, daß durch die Erklärung dieses Gerichtshofs über solche Fragen nicht entschieden ist, und daß die Entscheidung vermutlich so allgemein auszufallen hat, daß sie auch Personen umfaßt, bei denen sich bei genauerer Untersuchung ergeben wird, daß sie außerhalb stehen.
Jeder Versuch dieses Gerichtshofs, die Frage der Entlastung von Einzelpersonen zu untersuchen, würde den Prozeß, einerlei ob es sich dabei um wenige oder um viele handelt, ungebührlich verlängern, die durch das Statut gezogenen Grenzen überschreiten und aller Wahrscheinlichkeit nach durch das Bestreben, nicht darauf abzielende Beweise einer strengen Beschränkung zu unterwerfen, erheblichen Schaden anrichten.
VORSITZENDER: Wäre es Ihnen recht, wenn wir jetzt für kurze Zeit unterbrechen?
MR. JUSTICE JACKSON: Jawohl, Herr Vorsitzender.