[Pause von 10 Minuten.]
MR. JUSTICE JACKSON: Die Anklagebehörde geht von der Ausdrucksweise der Anklageschrift aus und behauptet, daß jede Gruppe oder Organisation in ihrer Gesamtheit für verbrecherisch erklärt werden sollte, und daß über die Entlastung irgendeiner Klasse oder irgendwelcher Klassen von Personen innerhalb dieser Beschreibung weder Untersuchungen angestellt noch Beweise erhoben werden sollen. Praktische Gründe der Zeitersparnis für den Gerichtshof treffen hier mit praktischen Erwägungen zugunsten der Angeklagten zusammen. Ein einziger Prozeß in einer Stadt, der sich mit der Frage der Ausscheidung von Tausenden von Angeklagten, die über ganz Deutschland verstreut leben, befassen würde, kann kaum jedem einzelnen Mitglied Gerechtigkeit widerfahren lassen, er müßte denn unabsehbare Zeit dauern. Die für später vorgesehenen örtlichen Verfahren über die jeweiligen Beziehungen von Einzelpersonen werden die Rechte der Mitglieder besser schützen, als dies in einem Verfahren vor diesem Gerichtshof möglich wäre.
Hinsichtlich der Gestapo stimmen die Vereinigten Staaten und, ich glaube, alle meine Kollegen, darin überein, Personen, die lediglich als Büroangestellte, Stenographen, Pförtner oder mit ähnlichen nichtamtlichen Routinearbeiten beschäftigt waren, auszunehmen. Hinsichtlich des Nazi-Führerkorps halten wir unseren, zur Zeit der Beweisvorlage eingenommenen Standpunkt aufrecht, daß folgende Personen einzubeziehen sind: Der Führer, die Reichsleiter, die Leiter von Hauptabteilungen und Hauptämtern, die Gauleiter und ihre Stabsoffiziere, die Kreisleiter und ihre Stabsoffiziere, die Ortsgruppenleiter, die Zellenleiter und die Blockleiter, aber nicht die Mitglieder der Stäbe der drei letztgenannten Funktionäre.
Was die SA anlangt, so erscheint es ratsam, daß die Erklärung ausdrücklich ausschließt: 1. die Träger des SA-Sportabzeichens; 2. die unter SA-Aufsicht stehende Landwacht, die, wie sich aus dem Beweismaterial ergibt, streng genommen nicht zur SA gehörte. Fernerhin sind ausgeschlossen die Angehörigen der Nationalsozialistischen Kriegsopferversorgung und die SA-Reserve; damit sind nur die aktiven Teile dieser Organisation eingeschlossen.
Nach Ansicht der Anklagebehörde liegt kein weiteres Beweismaterial vor, das die Abtrennung einer Klasse oder irgendwelcher Klassen von Personen innerhalb der angeschuldigten Organisationen ermöglichte oder rechtfertigte; kein anderer Teil der genannten Gruppen sollte daher ausgenommen werden. In diesem Zusammenhang möchten wir noch einmal auf die Grundsätze der Verschwörung mit Nachdruck hinweisen. Die Tatsache, daß ein Teil einer Organisation selbst keine verbrecherischen Handlungen begangen hat, oder daß er mit technischen oder verwaltungsmäßigen Aufgaben beschäftigt war, entlastet diesen Teil nicht von seiner strafrechtlichen Verantwortlichkeit, wenn seine Betätigung zur Ausführung des verbrecherischen Unternehmens im Gesamtrahmen beigetragen hat.
Ich möchte die Frage der weiteren Verfahrensgestaltung vor diesem Gerichtshof erörtern.
Über 45000 Personen haben in schriftlichen Mitteilungen an den Gerichtshof um Vernehmung im Zusammenhang mit den Anklagen gegen Organisationen gebeten. Die große Anzahl dieser Anträge hat Befürchtungen für den weiteren Verfahrensablauf hervorgerufen. Zweifellos sind noch nicht alle Schwierigkeiten überwunden, aber meine Prüfung deutet darauf hin, daß die Schwierigkeiten stark übertrieben werden.
Es steht durchaus im Ermessen des Gerichtshofs, ob er einem Vernehmungsantrag stattgeben will. Die Anklagebehörde ist selbstverständlich darauf bedacht, daß jedem notwendigen Antrag stattgegeben wird, nicht nur, um wirklich Gerechtigkeit zu üben, sondern auch um den Eindruck zu vermeiden, daß wir weniger täten, als die Gerechtigkeit erfordert. Wir sind nicht der Ansicht, daß die Beschleunigung dieses Prozesses so wichtig ist wie die Ausnutzung jeder geeigneten Möglichkeit, alle wirklich erheblichen Tatsachen vorzubringen.
Eine Untersuchung der Umstände, die diese Flut von Anträgen hervorgebracht haben, läßt erkennen, daß ihre Bedeutung in keinem Verhältnis zu ihrer Anzahl steht. Der Gerichtshof versandte 200000 gedruckte Bekanntmachungen über das Recht, vor ihm zu erscheinen und sich zu verteidigen; sie wurden an alliierte Kriegsgefangenen- und Internierungslager versandt. Die Bekanntmachung war in deutschsprachigen Zeitungen veröffentlicht und wiederholt über das Radio bekanntgegeben worden. Nachforschungen ergaben, daß die Bekanntmachung in allen Lagerbaracken angeschlagen war, und daß sie überdies in vielen Lagern den Gefangenen vorgelesen worden war. Die 45000 Personen, die mit Anträgen auf Vernehmung antworteten, kamen im wesentlichen aus ungefähr 15 Kriegsgefangenen- und Internierungslagern unter britischer oder amerikanischer Aufsicht. Unter den eingegangenen Antworten kamen etwa 12000 aus Dachau, 10000 aus Langwasser, 7500 aus Auerbach, 4000 aus Staumühle, 2500 aus Garmisch und mehrere Hundert aus jedem der anderen Lager.
Wir haben diese Anträge, genau so wie die Absendung der Bekanntmachung geprüft und würden gern jede Auskunft, die wir erhalten haben, dem Gerichtshof zur Verfügung stellen.
Im Lager Auerbach in der amerikanischen Zone wurde eine Untersuchung angestellt, hauptsächlich um festzustellen, aus welchen Gründen diese Anträge erfolgten, und auf welche Weise sie zustande kamen. Diese Untersuchung wurde von Oberstleutnant Smith Brookhart, Hauptmann Drexel Sprecher und Hauptmann Krieger, die alle diesem Gerichtshof bekannt sind, durchgeführt. Das Lager Auerbach ist für Kriegsgefangene, und zwar überwiegend für Mitglieder der SS bestimmt. Die Belegschaft beträgt 16964 Mannschaften und 923 Offiziere. Die Bekanntmachung des Internationalen Militärgerichtshofs war in jeder Baracke angeschlagen und wurde allen Insassen vorgelesen. Alle Anträge an den Gerichtshof wurden ohne irgendwelche Zensur weitergeleitet. 7500 Mitglieder der SS stellten Verteidigungsanträge.
Die Erhebungen zeigen, daß diese Anträge die unmittelbare Antwort auf die Bekanntmachung darstellten, und daß von irgendeiner anderen Stelle innerhalb oder außerhalb des Lagers nichts in die Wege geleitet oder angeregt wurde. Alle Vernommenen behaupteten, daß sie nichts von irgendwelchen SS-Verbrechen oder verbrecherischen Zwecken der SS gewußt hätten, sondern zeigten lediglich Besorgnis um ihr persönliches Schicksal, weniger im Interesse der Verteidigung der Organisation.
Die Berichte unserer vernehmenden Beamten gaben keinen Hinweis darauf, daß sie irgendwelches zusätzliche Beweismaterial oder Auskunft über die allgemeine Frage des verbrecherischen Charakters der SS als Organisation zu unterbreiten hätten. Sie schienen der Ansicht zu sein, es sei nötig, den Antrag hier zu stellen, um sich selber zu schützen.
Die Prüfung der Anträge selbst ergibt schon auf den ersten Blick, daß die meisten Mitglieder zugeben, kein Beweismaterial für die allgemeinen, hier zur Verhandlung stehenden Fragen zu haben. Sie versichern fast ausnahmslos, daß der Antragsteller Verbrechen, die der Organisation zur Last gelegt werden, weder begangen, noch mitangesehen, noch von ihnen etwas gewußt habe. Bei richtiger Begrenzung der Streitfragen ergibt sich, daß ein derartiger Antrag unzulänglich ist, um ein persönliches Auftreten zu rechtfertigen.
Eine sorgfältige Prüfung der Bekanntmachung des Gerichtshofs, auf die diese Anträge die Antwort darstellen, wird meiner Meinung nach zeigen, daß diese Bekanntmachung mit keinem Wort die Mitglieder, besonders wenn sie Laien sind, über die enge Begrenzung der hier zur Verhandlung stehenden Fragen aufklärt; sie belehrt sie auch nicht darüber, daß sie im Falle und zur Zeit ihrer Strafverfolgung Gelegenheit haben, ihre persönlichen Verteidigungsgründe vorzubringen. Andererseits erweckt die Bekanntmachung, wie mir scheint, besonders auf Laien den Eindruck, daß jedes Mitglied von diesem Gerichtshof verurteilt und bestraft werden kann und seine einzige Gelegenheit, gehört zu werden, hier besteht. Ich denke, daß eine sorgfältige Prüfung dieser Bekanntmachung jenen Eindruck bestätigen wird; eine genaue Prüfung der Anträge wird fernerhin zeigen, daß sie die Folge dieses Eindruckes sind.
Unter Juristen gibt es gewöhnlich Meinungsverschiedenheiten darüber, welches Verfahren man am besten einzuschlagen hat; dieser Fall bildet keine Ausnahme: es gibt auch hier verschiedene Ansichten. Ich werde bestimmte Vorschläge machen, wie wir am besten vorgehen sollten, um eine billige und brauchbare Beurteilung dieser Fragen zu erzielen.
Angesichts dieser Tatsachen möchten wir folgenden Vorschlag für die Durchführung dieses Prozesses gegen die Organisation zur Erwägung geben:
1. Der Gerichtshof möge einen Beschluß fassen, und in ihm die Ausdehnung und Begrenzung der Streitfragen, die er zu erörtern wünscht, zum Ausdruck bringen.
2. Eine Bekanntmachung möge an alle Antragsteller versandt und in gleicher Weise wie die ursprüngliche Bekanntmachung veröffentlicht werden, durch die die Mitglieder über die Begrenzung der Streitfragen und über die Gelegenheit, in späteren Einzelverfahren gehört zu werden, hinreichend belehrt werden.
3. Es möge eine Ermittlungskommission, wie in Artikel 17 (e) des Statuts vorgesehen, eingesetzt werden, um die Anträge zu prüfen; sie sollte über diejenigen berichten, die nach ihren eigenen Feststellungen unzulänglich sind und sich in die Lager begeben, um dort die Aufnahme aller erheblichen Beweismittel zu überwachen. Vertreter der Verteidigung und der Anklagebehörde sollten natürlich zugegen sein und von der Kommission gehört werden. Die Kommission sollte alle Beweise in die Form von eidlichen Aussagen bringen und dem Gerichtshof einen Gesamtbericht zur Einverleibung in die Akten unterbreiten.
4. Das Prinzip der Stellvertretung könnte auch zur Vereinfachung dieser Aufgabe angewandt werden. Die Mitglieder einer bestimmten Organisation in den einzelnen Lagern könnten sehr wohl dazu aufgefordert werden, einen oder mehrere Stellvertreter zu wählen, um ihre Beweise vorzubringen.
Es dürfte nicht unangebracht sein, den Gerichtshof und die Verteidigung daran zu erinnern, daß die Anklagebehörde viele wichtige Dokumente, die zeigen, wie sich die Verbrechen dieser Organisationen wiederholten, als Beweismaterial nicht vorgelegt hat, um durch Vermeidung von Beweisanhäufungen Zeit zu sparen. Es kann deswegen wohl erwartet werden, daß eine Anhäufung von Beweisen negativer Art ebenfalls beschränkt werden wird.
Es sind Besorgnisse über die Zahl der Personen laut geworden, die durch die von uns beantragten Erklärungen betroffen werden könnten. Manche Leute scheinen empfänglicher und über eine Million Bestrafungen mehr zu erschrecken als über 5 Millionen Morde. Auch im Höchstfalle wird die Zahl der Bestrafungen niemals der Zahl der begangenen Verbrechen gleichkommen. Es ist indessen nicht möglich, die Zahl der Personen, die von der von uns verlangten Erklärung über den verbrecherischen Charakter von Organisationen betroffen werden könnten, auch nur mit annähernder Genauigkeit anzugeben.
Ziffern aus deutschen Quellen übertreiben diese Zahl beträchtlich, weil sie einerseits die schweren Verluste im letzten Teil des Krieges nicht in Betracht ziehen und andererseits die Tatsache der Doppelmitgliedschaft unberücksichtigt lassen, die weitverbreitet war. So zeigt zum Beispiel das vorhandene Beweismaterial, daß 75 Prozent der Gestapoleute auch Mitglieder der SS waren. Wir wissen, daß die Streitkräfte der Vereinigten Staaten nach einer ungefähren Schätzung 130000 Personen in Verwahrung halten, die offenbar Mitglieder der angeklagten Organisationen sind. Zahlen von anderen alliierten Streitkräften stehen mir nicht zur Verfügung. Aber niemand kann voraussagen, wieviele von diesen tatsächlich strafrechtlich verfolgt werden, statt nach dem Entnazifizierungsprogramm behandelt zu werden. Jedenfalls müssen wir mit Sicherheit davon ausgehen, daß ihre Zahl so groß ist, daß eine gründliche Untersuchung jedes einzelnen Falles durch diesen Gerichtshof diesen Prozeß über die Grenzen des Erträglichen ausdehnen würde. Alle Fragen darüber, ob Einzelpersonen oder Untergruppen der angeklagten Organisationen von der Erklärung als verbrecherisch auszunehmen sind, sollten den örtlichen Gerichten überlassen bleiben, die in der Nähe des Wohnsitzes des Angeklagten und in der Nähe der Beweisquellen ihren Sitz haben. Diese Gerichte brauchen ihre Verhandlungen nur in einer oder höchstens zwei Sprachen und nicht in vier zu führen und können Beweise anhören, die beide Parteien für die besonderen Streitfragen vorbringen.
Der Zeitpunkt ist noch nicht gekommen, das Beweismaterial gegen die einzelnen Organisationen zu würdigen; dies sollte unserer Ansicht nach einer Zusammenfassung nach Vorlage des gesamten Beweismaterials vorbehalten bleiben. Wohl aber ist es an der Zeit, zu betonen, daß die Auswahl der sechs in der Anklage benannten Organisationen nicht willkürlich erfolgt ist. Die Hauptgründe für ihre Auswahl waren folgende: in ihrer Gesamtheit waren sie das eigentliche Machtreservoir des Nazi-Regimes; sie waren nicht nur die machtvollsten, sondern auch die bösartigsten Organisationen des Regimes; es waren Organisationen, die sich überwiegend aus freiwilligen Mitgliedern zusammensetzten.
Das Nazi-Führerkorps bestand aus den Führern und den hauptsächlichsten Vollzugsorganen der Nazi- Partei; die Nazi-Partei war die Macht, die dahinter stand und den ganzen Deutschen Staat beherrschte. Das Reichskabinett war die Fassade, durch die die Nazi-Partei ihren Willen in Gesetzgebungs-, Verwaltungs- und Vollstreckungsakte umsetzte. Die beiden Säulen, auf denen die Sicherheit des Regimes ruhte, waren die Wehrmacht, geführt und kontrolliert vom Generalstab und dem Oberkommando, und die Polizeikräfte, nämlich Gestapo, SA, SD und SS. Diese Organisationen verkörperten alle bösen Kräfte des Nazi-Regimes.
Diese Organisationen sind auch deshalb ausgewählt worden, weil sie zwar repräsentativ, aber doch nicht so umfangreich und ausgedehnt waren, um es wahrscheinlich zu machen, daß unschuldige, passive und gleichgültige Deutsche mit den Schuldigen in einen Topf geworfen werden könnten. Staatsbeamte sind darin vertreten, aber doch nicht alle Verwaltungsbeamten, Abteilungschefs oder die gesamte Beamtenschaft; nur die Reichsregierung als das eigentliche Herz des Nazitums in dem gesamten Regierungsapparat ist genannt. Die Wehrmacht ist angeklagt, aber nicht jeder Durchschnittssoldat oder Offizier, gleich welchen Ranges. Nur die obersten politischen Stellen, nämlich der Generalstab und das Oberkommando sind angeführt. Die Polizeikräfte sind angeklagt, aber nicht jeder Schutzmann, nicht die gewöhnliche Polizei, die nur die normalen Polizeiaufgaben ausführte. Nur die Polizeielemente, die am meisten terrorisierten und unterdrückten, die Gestapo und der SD, sind genannt. Die Nazi-Partei ist angeklagt, aber nicht jeder ihrer Wähler, nicht einmal jedes Mitglied; nur die Führer. Nicht einmal jeder Parteifunktionär oder Mitarbeiter ist eingeschlossen; sondern, nach der metaphysischen Ausdrucksweise der Partei, nur die Hoheitsträger, also die eigentlichen kommandierenden Offiziere und Stabsoffiziere in den höchsten Stellen.
Im Hinblick auf die Nazi-Partei scheint es mir wichtig, daß wir einmal betrachten, was wir hier zu tun haben, und es mit dem Denazifizierungsprogramm vergleichen; dieses ist in Kraft, ohne daß sie für verbrecherisch erklärt worden wäre. Wir werden dann die Anklage, die wir gegen die Nazi-Partei erheben, in ihrem wahren Lichte erkennen.
Wir haben einige Karten herstellen lassen. Dies hier ist eine bloße graphische Darstellung. Sie zeigt den Bruchteil der Personen, die wir angeklagt haben, und die verbrecherische Organisationen gebildet haben, wie der Gerichtshof auf unseren Antrag hin feststellen soll.
Die erste Spalte zeigt die 79 Millionen deutscher Staatsbürger. Wir erheben keine Anklage gegen die deutsche Bevölkerung. Die nächste Spalte zeigt die 48 Millionen Wähler, die seinerzeit mit ihrer Stimme die Nazi-Partei unterstützten, obwohl das Denazifizierungsprogramm sie teilweise miterfaßt. Dann kommen die fünf Millionen Parteimitglieder, die sich alle durch einen klaren Beitrittsakt, durch einen Treueid, der Nazi-Partei verbanden. Doch versuchen wir nicht, diese fünf Millionen Menschen zu erfassen, obwohl ich nicht zögere, zu sagen, daß wir gute Gründe dafür hätten. Doch ist es einfach praktisch unmöglich, alle diejenigen herauszufinden, die formell, und vielleicht auch moralisch, in den Bereich dieser Verschwörung gehören. So lassen wir die Wähler, die 48 Millionen, außer acht; die fünf Millionen werden außer acht gelassen und die ersten, die wir erfassen wollen, sind die Nazi-Führer; wir beginnen mit den Blockiertern, die in dem letzten kleinen Viereck gezeigt sind, und zusammen den vierten Block auf dem Diagramm bilden.
Es ist richtig, daß wir mit dem örtlichen Blockleiter beginnen; er hatte jedoch verantwortliche Aufgaben: er hatte seine fünfzig Haushaltungen wie in eine Herde zusammenzutreiben; er hatte sie zu bespitzeln und über ihre Handlungen zu berichten; er hatte, wie das Beweismaterial zeigt, sie in Zucht und Ordnung zu halten und sie zu führen. Keine politische Bewegung kann in Salons und Ämtern wirken. Sie muß sich an die Masse des Volkes wenden, und die Blockleiter waren gerade die Elemente, die dieses Programm in die Massen des Volkes hineintrugen und sie durch Terrormaßnahmen fügsam machten.
Meines Erachtens zeigt dieses Diagramm, daß wir uns mit unseren Anschuldigungen zurückhalten, wenn wir nur Personen erfassen, deren Verantwortlichkeit als Führer erwiesen ist, und wenn wir nicht versuchen, Leute zu erfassen, die vielleicht verführt wurden, in ungeordneter Weise mitzulaufen.
Wir haben außerdem die Formationen angeklagt, Parteigliederungen wie die SA und die SS. Diese waren der starke Arm der Partei. Es waren die Formationen, die der Blockleiter zu Hilfe zu rufen berechtigt war, wenn er jemanden in seinem Block von fünfzig Häusern maßregeln mußte.
Wir klagen auch nicht jede Parteiformation an; wir klagen keine der zwanzig oder mehr von der Partei überwachten und ihr angeschlossenen Verbände an – Nazi-Organisationen, denen der Einzelne kraft Gesetzes oder kraft praktischer Übung zwangsweise beitreten mußte, wie die Hitler-Jugend und der Studentenbund. Wir klagen auch die Nazi-Berufsorganisationen nicht an, obwohl sie von den Nazis beherrscht waren, wie den Beamtenbund, den Lehrerbund und den Nationalsozialistischen Rechtswahrerbund, obwohl ich ihnen gegenüber ebenso wenig Milde walten lassen würde wie gegenüber irgendeiner anderen Gruppe. Wir klagen keine Nazi-Organisationen mit einem rechtmäßigen Zweck wie die Wohlfahrtsorganisationen an. Nur zwei Formationen sind benannt, die SA und SS, die ältesten Nazi-Organisationen; es sind Gruppen, deren einzige Aufgabe die Durchführung der Nazi-Pläne war, die aktiven Anteil an jedem in dem Statut aufgezeichneten Verbrechen hatten und die Mannschaft für die meisten der von uns bewiesenen Verbrechen stellten.
Wenn man eine vorbeugende Gerechtigkeit üben will mit der Aussicht, die Wiederholung dieser Verbrechen gegen den Frieden, gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen zu verhüten, so wäre es eine größere Katastrophe, diese Organisationen freizusprechen, als es der Freispruch aller 22 hier angeklagten Einzelpersonen sein würde. Die Macht dieser Angeklagten, Unheil anzurichten, ist vorbei; sie haben ihr Ansehen verloren. Die der Organisationen bleibt bestehen. Wenn diese Organisationen hier entlastet würden, würde das deutsche Volk den Schluß daraus ziehen, daß sie nichts Unrechtes getan haben; es würde dann ein leichtes sein, das deutsche Volk in wiedererrichteten Organisationen unter neuem Namen, aber mit dem alten Programm zusammenzufassen.
Will man eine vergeltende Gerechtigkeit üben, so könnte man diese Organisationen nur freisprechen, wenn man gleichzeitig den Schluß zieht, daß unter dem Nazi-Regime keine Verbrechen verübt worden sind. Denn die Patenschaft dieser Organisationen für jedes Nazi-Ziel und ihr Zusammenschluß zur Durchführung aller Maßnahmen, die der Erreichung dieser Ziele dienten, steht außer jedem Zweifel. Werden diese Organisationen nicht nach den Bestimmungen des Statuts verurteilt, so könnte das nur bedeuten, daß solche Ziele und Mittel der Nazis nicht als verbrecherisch angesehen werden können, und daß das Statut des Gerichtshofs, wenn es sie so beurteilt, nichts wert ist.
Ich denke, daß meine Kollegen, die irgendwelche anderen Gesichtspunkte vorzubringen haben, nun zu diesem Thema gehört werden möchten.
VORSITZENDER: Herr Justice Jackson und Sir David Maxwell-Fyfe, der Gerichtshof hält es für das zweckmäßigste Verfahren, zunächst die Ausführungen aller Hauptanklagevertreter und sodann die der Verteidiger, die sich äußern wollen, anzuhören. Anschließend daran wird der Gerichtshof wahrscheinlich einige Fragen an die Hauptanklagevertreter stellen wollen.
MR. JUSTICE ROBERT H. JACKSON: Das ist uns durchaus recht.
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Hoher Gerichtshof! Herr Justice Jackson hat sich mit den allgemeinen Grundsätzen beschäftigt, die nach Ansicht der Anklagebehörde bei der Behandlung der in der Anklageschrift aufgeführten Organisationen angewandt werden sollten. Ich beabsichtige nicht, seine Argumente zu wiederholen oder auch nur zu unterstreichen. Ich bemühe mich, Paragraph 4 der Erklärung des Gerichtshofs vom 14. Januar dieses Jahres zu befolgen. Das bedeutet:
a) Für jede genannte Organisation die Elemente zusammenzufassen, die unserer Ansicht nach die Anklage rechtfertigen, daß es verbrecherische Organisationen sind. Der Einfachheit halber werde ich sie Verbrechenselemente nennen.
b) Aufzuzeigen, welche Handlungen der einzelnen Angeklagten im Sinne des Artikels 9 des Statuts die Erklärung rechtfertigten, daß die Gruppen oder Organisationen, deren Mitglieder sie waren, verbrecherische Organisationen sind. Wiederum werde ich der Einfachheit halber solche Angeklagte nach den Worten des Statuts als beteiligte Angeklagte bezeichnen.
c) Ich werde ausführen, daß das, was ich schriftlich unter a) und b) niedergelegt habe, die notwendige Zusammenfassung der vom Gerichtshof unter Paragraph 3 vorgeschlagenen Sachverhaltsermittlung darstellt.
Darf ich noch ein Wort zur technischen Seite sagen? Ich glaubte, es wäre zweckmäßig, daß der Gerichtshof und die Verteidigung Abschriften meiner Vorschläge vor sich hätten, bevor ich spreche. Demzufolge sind den Mitgliedern des Gerichtshofs und natürlich auch den Gerichtsdolmetschern Abschriften ausgehändigt worden. Die Verteidiger der Organisationen und die Verteidiger jedes einzelnen Angeklagten haben Abschriften in deutscher Sprache erhalten.
Um dem Gerichtshof und der Verteidigung behilflich zu sein, habe ich zwei Zusätze verteilen lassen, die weitere Hinweise auf das Protokoll und auf Dokumente bezüglich einiger Punkte in den ursprünglichen Anhängen enthalten. Diese Zusätze sind nach den Nummern der Paragraphen zusammengestellt; obwohl sie in Englisch sind, dürften sie doch von der Verteidigung ohne weiteres benutzt werden können. Es ergibt sich nun, daß Anhang A und B, den ich vorlege, eine Zusammenfassung und in allen Punkten der Zusammenfassung einen vollständigen Hinweis auf das Protokoll und vereinzelt auch auf Dokumente enthält.
Ich beabsichtige nicht, den ganzen Inhalt meiner Zusätze A und B vollständig zu verlesen, sondern aufzuzeigen, wie sie mit der Auffassung der Anklagebehörde zu diesem Teil des Falles übereinstimmen. Selbstverständlich bin ich jederzeit bereit, irgendwelche Teile, die der Gerichtshof gerne hören möchte, zu verlesen.
Ich halte es für richtig, von den wesentlichen Beweisfragen, die Herr Justice Jackson angedeutet hat, auszugehen; vielleicht wird mir der Gerichtshof erlauben, seine fünf Punkte zu wiederholen:
1. Die Organisation oder Gruppe, um die es sich handelt, muß eine Zusammenfassung von Personen sein, die
a) in einem erkennbaren Verhältnis zueinander stehen und
b) einen gewissen Zweck verfolgen.
Das war Herrn Justice Jacksons erster Prüfstein.
2. Die Mitgliedschaft in einer solchen Organisation muß im allgemeinen freiwillig sein, doch würde ein kleiner Teil von nicht freiwilligen Mitgliedern an der Lage nichts ändern.
3. Die Ziele der Organisationen müssen verbrecherisch in dem Sinne gewesen sein, daß ihre Ziele die Begehung von Taten einschließen, die Artikel VI des Statuts als Verbrechen bezeichnet.
4. Die verbrecherischen Ziele oder Methoden der Organisationen müssen solcher Art gewesen sein, daß ein vernünftiger Mensch eine grundlegende Kenntnis über die Organisation, der er beitrat, gehabt haben würde; das heißt, er sollte gewußt haben, welcher Art von Organisation er sich verband.
5. Einzelne Angeklagte, zumindest einer, muß Mitglied der Organisation gewesen sein und wegen einer Tat verurteilt werden, auf Grund deren die Organisation als verbrecherisch erklärt werden kann.
Ich glaube nicht vermeiden zu können, jede einzelne dieser Organisationen unter diesen Gesichtspunkten zu prüfen, bin aber der Ansicht, daß dies kurz geschehen kann; ich möchte mich daher mit den Organisationen der Reihenfolge nach beschäftigen.
Zuerst wende ich mich der Reichsregierung zu. Im Anhang B der Anklageschrift wird diese Gruppe als aus 3 Klassen bestehend bezeichnet:
1. Mitglieder des gewöhnlichen Kabinetts nach dem 30. Januar 1933. Der Ausdruck »gewöhnliches Kabinett« bezeichnet:
a) Reichsminister, das heißt also die Chefs der Regierungsabteilungen;
b) Staatsminister ohne Geschäftsbereich;
c) Staatsminister, die als Reichsminister tätig waren;
d) andere Beamte, die an Sitzungen des Reichskabinetts teilzunehmen berechtigt waren.
Die zweite Gruppe besteht aus Mitgliedern des Ministerrats für die Reichs Verteidigung.
Die dritte Gruppe sind die Mitglieder des Geheimen Kabinettsrates.
Auf Grund des dem Gerichtshof vorgelegten Beweismaterials kann unseres Erachtens kein Zweifel bestehen, daß der erste von Herrn Jacksons Punkten, Punkt 1, erfüllt ist; denn es besteht eine erkennbare Verbindung mit einem allgemeinen Gesamtziel. Die Mitgliedschaft zu diesen Organisationen war auch im allgemeinen eine freiwillige im Sinne des Punktes 2.
Die Ziele der Organisation sind im Abschnitt A, Paragraph 4, meines Anhanges A dargelegt; die Auffassung der Anklagebehörde ist in groben Umrissen in Paragraph 2 niedergelegt. Gestatten Sie mir diese kurze Stelle zu verlesen:
»Auf Grund ihrer Gesetzgebungsbefugnisse und Aufgaben gaben die Mitglieder der Reichsregierung der Politik der Nazi-Verschwörer gesetzmäßige Wirkung und bildeten insgesamt eine Vereinigung von Personen, welche die vollziehenden und verwaltungsmäßigen Entscheidungen der Nazi-Verschwörer ausführten.«
Die Anklagebehörde bezieht diese allgemeine Behauptung auf die Verbrechen, die durch Artikel VI des Statuts normiert, in den Paragraphen 5, 6, 7 und 8 dieses Anhanges aufgeführt sind.
Wenn der Gerichtshof wünscht, daß ich mich weiter mit diesen Paragraphen beschäftige, bin ich gern bereit, jeden von ihnen zu verlesen und zu erläutern.
Wenn man bedenkt, daß die Reichsregierung die Richtlinien der Politik bestimmen konnte und Gesetzgebungs-, Verwaltungs- und Vollziehungsbefugnisse und Aufgaben besaß und viele ihrer Mitglieder gleichzeitig wichtige Stellungen in der Partei innehatten und Regierungsfunktionen außerhalb des Kabinetts ausübten, so ergibt sich, daß diese Gruppe eine ungeheure politische Macht in sich vereinigte.
Wie ich schon sagte, stattete die Reichsregierung das Programm der Verschwörung mit Gesetzeskraft aus und gab ihm gesetzmäßige Wirkung.
Ich bitte den Gerichtshof, sich meinem Anhang B zuzuwenden. Sie werden sehen, daß von den 21 Angeklagten 17 Mitglieder der Reichsregierung waren. Die Anklagebehörde hat eine ungeheure Menge Beweismaterial gegen diese 17 Angeklagten vorgelegt. Nach ihrer Ansicht reicht dies jetzt aus, um erklären zu können, daß diese 17 Angeklagten nach jedem Punkt der Anklageschrift und damit auch nach jedem Teil des Artikels VI des Statuts zu verurteilen sind. Außerdem sind die Angeklagten im Sinne von Herrn Justice Jacksons Punkt 5 in der Reichsregierung zusammengeschlossen.
Die von mir erwähnten Handlungen, wie sie in Paragraph 4 sowie in anderen Paragraphen meines Anhanges A ausgeführt sind, sind so beschaffen, daß keiner in der Stellung eines Ministers einer grundlegenden Kenntnis ihrer Natur und ihres Zwecks ermangeln konnte.
Ich komme nun zum Führerkorps der Nazi-Partei. Herr Justice Jackson hat angedeutet, daß die Verschwörer einen großen Hilfsapparat brauchten. Hitler prahlte damit, daß er durch die Nationalsozialistische Partei das Reich, seine Einrichtungen und Organisationen sowohl innerhalb wie auch außerhalb vollständig beherrsche.
Die Richtlinien und die Tätigkeit der Nazi-Partei, die sich auf dem Führerprinzip aufbaute, wurden nicht von der Gesamtheit der Mitglieder bestimmt, sondern von dem Korps der Hoheitsträger und ihrem Stabe. Alle diese Führer waren politische Vertreter, die die Lehren der Partei zu unterstützen und zu verwirklichen verpflichtet waren.
In jeder Ebene wurden regelmäßige und häufige Besprechungen abgehalten, um Fragen der Politik und Arbeitsmaßnahmen zu erörtern. Die Führer hielten die Partei zusammen, aber sie hielten auch die ganze Bevölkerung durch die Kontrolle der von oben nach unten ausgerichteten Führerhierarchie fest im Zugriff der Verschwörer.
Die Anklagebehörde behauptet, daß alle diese Führer zu der Organisation gehörten, die sie als verbrecherisch bezeichnet; das gilt auch von den von Herrn Justice Jackson genannten Stäben der Reichsleiter, Gauleiter und Kreisleiter, deren Stellungen in den nationalsozialistischen Organisationsjahrbüchern aufgezeigt sind.
Der Gerichtshof wird bemerken, daß wir die Stäbe der untergeordneten Hoheitsträger herausgelassen haben, wie Herr Justice Jackson ausführte. Nach Ansicht der Anklagebehörde herrscht auch hier kein Zweifel, daß Punkt 1 und 2 der Kriterien Herrn Justice Jacksons erfüllt sind. Paragraph 1, 2, 3 und 4 des Abschnitts B meines Anhanges A zeigen die Verbrechenselemente auf. In meinem Anhang B werden diejenigen Angeklagten gezeigt, die darin verwickelt sind.
In einem späteren Teil des Anhanges B legt die Anklagebehörde dar, daß sich aus der Stellung dieser Angeklagten im Führerkorps, in der Regierung und der Nazi-Partei und weiterhin aus dem engen Zusammenhang zwischen der Reichsregierung und der Partei klar ergibt, daß das Führerkorps eine verbrecherische Organisation ist; sie steht mit all den Verbrechen in Verbindung, die in der Anklageschrift allen Angeklagten einschließlich derjenigen, die dem Führerkorps angehörten, zur Last gelegt werden, und die vor dem Gerichtshof in den Einzelvorträgen sorgfältig erörtert wurden.
Die Nazi-Partei ist der Kern der Verschwörung und der behaupteten Verbrechen; die Angeklagten dagegen sind der Kern der Nazi-Partei. Die Anklagebehörde behauptet auch wiederum, daß niemandem, der in Deutschland lebte und an der Führung teilhatte, was in diesem Falle buchstäblich das Befehlen der Nazi- Partei bedeutet, eine grundlegende Kenntnis der Absichten ihrer Führer und der Art, wie sie verwirklicht wurden, gefehlt haben konnte. Dieser innere Kreis ist in einer ganz anderen Lage als selbst die bestinformierten Kreise außerhalb Deutschlands.
Ich wende mich nun der SS einschließlich des SD zu. Die Anklagebehörde erlaubt sich, den Gerichtshof auf die Ausführungen über Zusammensetzung und geschichtliche Entwicklung der SS hinzuweisen, wie sie im Anhang B der Anklageschrift, auf Seite 36 des englischen Textes, Band I, Seite 87, kurz dargelegt sind. Die Anklagebehörde bleibt bei diesen Feststellungen, die ihres Erachtens deutlich genug sind. Ich habe nicht die Absicht, sie jetzt zu verlesen.
Der Gerichtshof hat im Falle der SS Protokoll Band IV, Seite 182 bis 257, im Fall der Konzentrationslager Protokoll Band III, Seite 552 bis 578, sowie gegen den Angeklagten Kaltenbrunner das Beweismaterial kennengelernt, auf das in dem Zusatz Bezug genommen wird. Die Französische und Sowjetische Delegation haben weiterhin Berge von Belastungsmaterial gegen die SS vorgelegt. Hinsichtlich der ersten drei Punkte des Herrn Justice Jackson gibt es daher unseres Erachtens hier keine Schwierigkeiten; der verbrecherische Charakter der SS wurde wiederholt bewiesen.
Bezüglich des vierten Punktes erlaube ich mir, auf die Behauptung im Paragraph 4, Abschnitt C meines Anhanges A, hinzuweisen; darnach wurden die Verbrechen der SS erstens in einem solch unerhörten Ausmaße und zweitens über ein solch riesiges Gebiet hin begangen, daß die verbrecherischen Ziele und Methoden der SS, wie sie die Menschheit seit Beginn dieses Prozesses erschütterten, ihren Mitgliedern bekannt gewesen sein mußten. Es war schwierig von einer Stadt Deutschlands in eine andere zu fahren, ohne an einem Konzentrationslager vorbeizukommen, und jedes Konzentrationslager hatte seine SS-Verbrechen. In einem Anhang B wird der Gerichtshof die Mitglieder der SS, die hier angeklagt sind, angeführt finden und im zweiten Teil eine Zusammenfassung der Verbrechen des Angeklagten Kaltenbrunner. Die Anklagebehörde mißt ihm eine besonders unheilvolle Bedeutung bei, wobei sie jedoch auch die Verbrechen der anderen Angeklagten, die Mitglieder waren, berücksichtigt.
DR. OTTO PANNENBECKER, VERTEIDIGER DES ANGEKLAGTEN FRICK: Darf ich darauf hinweisen, daß der Angeklagte Frick in dieser Aufstellung offensichtlich irrtümlich mitaufgeführt ist. In der Liste der Ämter, die der Angeklagte Frick bekleidet hat, findet sich keins, das hineingehört.
VORSITZENDER: Wollen Sie damit sagen, daß er nicht Mitglied der SS war?
DR. PANNENBECKER: Es heißt hier in der Aufstellung, daß Frick Mitglied der SS gewesen sei. Das stimmt nicht, und er hat dies auch in dem Affidavit, das er selbst abgegeben hat, erklärt.
DR. SEIDL: In dem Anhang, der soeben von dem Anklagevertreter verlesen wurde, ist auch der Angeklagte Frank als Mitglied der SS aufgeführt. Die Liste ist bereits zu einem früheren Zeitpunkt des Verfahrens von der Anklagebehörde der Vereinigten Staaten als Dokument 2979-PS vorgelegt worden, und zwar als Beweisstück US-7. Aus diesem Dokument ergibt sich, daß Frank zu keiner Zeit Mitglied der SS oder, wie in der Anklageschrift behauptet wird, SS-General gewesen ist.
Ich darf ferner das Gericht darauf hinweisen, daß vor mehreren Monaten, als die Anklage gegen die SS als verbrecherische Organisation erhoben wurde, der Name des Angeklagten Dr. Frank nicht erwähnt worden ist. Ich darf daher wohl annehmen, daß es sich hier um einen Irrtum bei der Aufstellung dieser Liste gehandelt hat.
DR. THOMA: Ich gebe dieselbe Erklärung, wie mein Kollege Dr. Seidl, für den Angeklagten Rosenberg ab. Rosenberg ist in der Anlage A, in der Zusammenfassung der schuldigen Elemente, als Mitglied der SA bezeichnet. Er war nie Mitglied der SA und hat das bereits ebenfalls bei einer Vernehmung angegeben.
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Die Angeklagten werden Gelegenheit haben, diese Behauptungen, die alle in der Anklageschrift enthalten sind, zu entkräften. Im Hinblick auf das soeben Vorgebrachte werde ich die Angelegenheit persönlich nachprüfen.
Ich werde nun fortfahren und die Gestapo behandeln. Wiederum wird der Gerichtshof den Aufbau und die geschichtliche Entwicklung der Gestapo im Anhang B der Anklageschrift finden; die behaupte verbrecherische Natur ist in den Paragraphen 1, 2 und 3 des Abschnitts D meines Anhanges dargestellt. Ich bitte den Gerichtshof, darauf zu achten, daß der zweite Zusatz in kleinste Einzelheiten gehende Hinweise auf jede dieser behaupteten verbrecherischen Handlungen enthält. Nach Ansicht der Anklagebehörde geht aus diesen Ausführungen klar hervor, daß die ersten 4 Punkte des Herrn Justice Jackson gegeben sind. Die Bestimmungen der Artikel 7 und 8 des Statuts machen es nach dem Empfinden der Anklagebehörde der Verteidigung unmöglich, auf die Dienst- und Befehlsverhältnisse in der Gestapo hinzuweisen. Der Gerichtshof kann meinem Anhang B entnehmen, daß den Angeklagten Göring, Frick und Kaltenbrunner vorgeworfen wird, Mitglieder gewesen zu sein; weiter unten in diesem Anhang behaupten wir, wie es auch den Tatsachen entspricht, daß die Angeklagten diese Verbrechen in ihrer Eigenschaft als verantwortliche Leiter dieser Organisation begangen haben.
Wir kommen dann zur SA. Wiederum verweise ich auf die Paragraphen 1 und 2 des Abschnittes E meines Anhanges A; ich bitte den Gerichtshof, davon Kenntnis zu nehmen, daß sich in ihnen, abgesehen von der richtigen Darstellung der Entwicklungsstufen und Zeitabschnitte ihrer Tätigkeit, für alle Verbrechenselemente Hinweise auf das Sitzungsprotokoll befinden, wo diese Dinge bewiesen sind. Ich erinnere den Gerichtshof an die Ausführungen von Herrn Justice Jackson, nach denen die Anklagebehörde alle angeschlossenen Körperschaften herausgelassen hat, sogar jene, die nur Mitglieder der Reserve waren; bei ihnen kann man, schon aus gefühlsmäßigen Gründen, über eine vollständige Bindung streiten.
Es dürfte vielleicht zweckmäßig sein, den Gerichtshof an diese Abschnitte zu erinnern.
VORSITZENDER: Wir wollen uns jetzt vertagen.