[Das Gericht vertagt sich bis
1. März 1946, 10.00 Uhr.]
Einundsiebzigster Tag.
Freitag, 1. März 1946.
Vormittagssitzung.
VORSITZENDER: Nach Abschluß der Erörterungen über die Organisationen, die nach Ansicht des Gerichtshofs vor Ende der heutigen Verhandlung beendet sein werden, wird sich der Gerichtshof vertagen und eine nichtöffentliche Sitzung abhalten. Morgen früh um 10.00 Uhr wird der Gerichtshof wieder eine öffentliche Verhandlung abhalten und die Anträge der nächsten vier Angeklagten auf Ladung von Zeugen und Vorlage von Dokumenten erörtern.
Wünscht der Verteidiger, der seine Ausführungen unterbrochen hat, fortzufahren? Dr. Merkel, haben Sie Ihren Vortrag beendet?
DR. MERKEL: Ja, Herr Vorsitzender.
DR. MARTIN LÖFFLER, VERTEIDIGER DER SA: Hoher Gerichtshof! Die Einwände und Bedenken, die gestern von der Verteidigung bezüglich des Strafverfahrens gegen die sechs angeklagten Organisationen geltend gemacht wurden, treffen in ganz besonderem Maße bei der Beurteilung der SA zu.
Bei keiner Organisation besteht so sehr die Gefahr einer dem Gerechtigkeitsgefühl widersprechenden Entscheidung wie eben bei der SA. Ich bitte, dem Hohen Gerichtshof die Gründe hierfür unterbreiten zu dürfen.
Der Antrag der Anklagebehörde, die SA für verbrecherisch zu erklären, betrifft nach vorsichtiger Schätzung mindestens vier Millionen Menschen. So erfreulich und begrüßenswert die gruppenmäßige Einschränkung ist, zu der gestern Justice Jackson seine Zustimmung gegeben hat, so ist ihre zahlenmäßige Auswirkung nicht erheblich, weil die gestern ausgenommenen SA-Wehrmannschaften und die Träger des SA-Sportabzeichens als solche nicht zum eigentlichen Mitgliederkreis zählten, so daß bisher nur die SA-Reserve in Wegfall gekommen ist. Da aber andererseits eine zeitliche Einschränkung nicht gemacht wurde, werden in dieses Strafverfahren alle einbezogen, die zu irgendeinem noch so kurzen Zeitpunkt in den 24 Jahren zwischen der Gründung der SA im Jahre 1921 und ihrer 1945 erfolgten Auflösung, also in einem Zeitraum von beinahe einem Vierteljahrhundert, je einmal deren Mitglieder gewesen sind.
Wir haben nun gestern von der Anklagebehörde gehört, daß die verbrecherischen Handlungen, die den Organisationen zur Last gelegt werden, dieselben sind, die den Hauptangeklagten vorgeworfen werden, nämlich Verbrechen gegen den Frieden, gegen das Kriegsrecht und die Menschlichkeit, sowie die Teilnahme an der allgemeinen Verschwörung.
Prüfen wir nun die mögliche Beteiligung dieser vier Millionen ehemaliger SA-Leute an diesen vier wichtigen Deliktsgruppen, so ergibt sich folgendes Bild:
Verbrechen gegen das Kriegsrecht oder die Kriegsgebräuche werden der SA nicht vorgeworfen. Zwar hat die Anklage ein Affidavit vorgelegt, wonach die SA auch an der Bewachung von Konzentrationslagern, Kriegsgefangenenlagern und bei der Überwachung von Zwangsarbeitern teilgenommen haben soll. Aber nach dem Vortrag der Anklage geschah dies erst 1944 im Rahmen des damaligen totalen Krieges, und es wird nicht behauptet, daß dabei von seiten der SA irgendwelche Ausschreitungen oder Mißhandlungen vorgekommen sind.
An all den Greueltaten, von denen uns hier die Zeugen und Dokumente berichtet haben, war die SA mit ihren vier Millionen Mitgliedern nie beteiligt. Die wenigen Verstöße gegen die Menschlichkeit, die der SA von der Anklagebehörde vorgehalten werden, und die sich einzelne ihrer Mitglieder im Laufe fast eines Vierteljahrhunderts haben zuschulden kommen lassen, können in gar keiner Weise in eine Linie gestellt werden mit den schweren Verbrechen gegen die Menschlichkeit, von denen wir hier gehört haben.
Die von der Anklagebehörde weiterhin angeführte Besetzung der Gewerkschaftshäuser durch die SA geschah auf Befehl des Reichsleiters Ley, der sich bei dieser Aktion der SA bediente, und zwar geschah dies nach der Machtergreifung.
Es wurde auch von seiten der Anklagebehörde nicht behauptet, daß es bei der Durchführung dieser Maßnahmen zu irgendwelchen Gewalttaten, Mißhandlungen oder Ausschreitungen kam. Daß sich anläßlich der Machtergreifung im Frühjahr 1933 einzelne Übergriffe ereigneten, und daß die Amerikaner Rosemann und Klauber, nach den von der Anklage vorgelegten Affidavits, dabei geschlagen wurden, ist gewiß bedauerlich. Aber solche Exzesse einzelner lassen sich bei Millionenorganisationen nie vermeiden und können für sich allein betrachtet nicht geeignet sein, die Gesamtorganisation zu einer verbrecherischen zu stempeln.
Schließlich stellt die Mitwirkung der SA als Wachmannschaft in Konzentrationslagern auch nach der Darlegung der Anklage nur ganz vereinzelte Ausnahmen dar und endete ohnehin im Jahre 1934. Der Kommandant des KZ-Lagers Oranienburg soll nach dem Vortrag der Anklage SA-Führer gewesen sein; doch werden von ihm keine Grausamkeiten behauptet.
Der zweite Fall: Die Mißhandlung von Häftlingen im Lager Hohenstein durch SA- und SS-Leute im Jahre 1934 führte zu einem Strafverfahren, und die schuldigen SA-Leute wurden mit Freiheitsstrafen bis zu 6 Jahren Gefängnis bestraft.
Als letzte Einzeltat bleibt die Beteiligung der SA an den Ausschreitungen in der Nacht vom 10. auf den 11. November 1938, als die Scheiben jüdischer Geschäfte eingeschlagen und Synagogen verbrannt wurden. Auch hier ging der Plan und der Befehl nicht von der SA aus; sie wurde von der Obersten Parteileitung einfach mit der Ausführung beauftragt.
Zieht man schließlich in Betracht, daß in der Zeit von 1921 bis 1933 die alte SA im damaligen politischen Kampf in Schlägereien mit politischen Gegnern verwickelt war, wobei jedoch in vielen Fällen ihre Tätigkeit eine defensive war, daß aber das Anschwellen der SA zu einer Millionenorganisation erst nach der Machtergreifung erfolgte, so ergibt sich daraus folgendes zahlenmäßige Bild:
An strafbaren Einzelhandlungen haben unter Zugrundelegung des Vortrages der Anklage höchstens zwei Prozent aller angeklagten ehemaligen Mitglieder teilgenommen. Achtundneunzig Prozent von den vier Millionen haben sich nach Ihrer Überzeugung betreffs der Einzelhandlungen nichts zuschulden kommen lassen.
Auch hier wird die Anklage nicht geltend machen wollen, daß die Exzesse dieser zwei Prozent, für sich betrachtet, schon die Gesamtorganisation zu einer verbrecherischen machen. Diese achtundneunzig Prozent, also rund 3900000 ehemalige SA-Mitglieder, müssen sich jedoch heute hier verantworten wegen des Vorwurfs, bei der Vorbereitung des Angriffskrieges beziehungsweise bei der Planung oder Durchführung des allgemeinen Verschwörungsplanes mitgewirkt zu haben, oder noch schärfer formuliert, Organisationen angehört zu haben, die diese verbrecherischen Ziele verfolgten.
Was ergibt sich nun, wenn wir hier die Definition des verbrecherischen Charakters einer Organisation anwenden, wie er gestern von Justice Jackson und Sir David Maxwell-Fyfe dargelegt wurde?
Die SA-Mitglieder werden die gestern gegebenen Begriffsmerkmale in Ziffer 1 und Ziffer 2 auch für die SA anerkennen, daß nämlich die SA eine Zusammenfassung zahlreicher Personen mit kollektiven Zielen und grundsätzlich freiwilliger Mitgliedschaft war. Sie werden aber das Vorliegen der Begriffsmerkmale 3, 4 und 5 auf das lebhafteste bestreiten. Ziffer 3 verlangt, daß die Organisation objektiv verbrecherische Ziele im Sinne des Artikels 6 des Statuts verfolge. Die Millionen Mitglieder werden, wenn sie hier gehört würden, erklären, daß sie weder in den Programmen noch in den Reden ihrer Führer zur Verfolgung solcher verbrecherischen Ziele und Methoden aufgefordert worden seien. Ob die Führer der SA solche verbrecherischen Ziele insgeheim verfolgt hätten, das könnten sie selbst nicht beurteilen. Ob solche verbrecherischen Ziele von der Führung der SA heimlich verfolgt wurden, dies festzustellen ist nur das Hohe Gericht imstande, und zwar heute, wo die Archive geöffnet sind, wo die Zeugen sprechen können und die Unterlagen offen auf dem Tisch des Gerichts liegen.
Nun verlangt aber Ziffer 4 der von der Anklage gegebenen Definition, wenn ich gestern Justice Jackson richtig verstanden habe, darüber hinaus als subjektives schuldhaftes Verbrechensmerkmal, daß die Ziele und Methoden dieser Organisation einen solchen Charakter gehabt haben, daß ein vernünftiger, normaler Mann billigerweise beschuldigt werden kann, davon gewußt zu haben.
Ich möchte an dieser Stelle nachdrücklich betonen, daß ich gemeinsam mit meinen Verteidigerkollegen diese Definition nicht als einen ausreichenden Schutz erachte, denn sie bedeutet, daß ein Mitglied auch dann bestraft werden kann, wenn es den verbrecherischen Charakter der Organisation zwar nicht erkannte, aber bei vernünftiger Sorgfalt hätte erkennen müssen. Ich kenne kein Strafrechtsystem eines modernen Kulturstaates, in welchem Fahrlässigkeit, auch wenn sie schwerer, das heißt gröblicher Art ist, genügt, um die Schuld an einem ehrenrührigen, gemeinen Verbrechen, also der schwersten Deliktgruppe, zu begründen. Ein Verbrechen dieser Art kann nur vorsätzlich begangen werden. Vielleicht kann sich späterhin die Anklagebehörde zu dieser Frage auf Grund der Kenntnis der besonderen Verhältnisse des angelsächsischen und sonstigen Rechts dahin äußern. Dieser Hinweis scheint mir besonders wichtig, denn es besteht sonst die Gefahr, daß die Herren Richter, insbesondere die angelsächsischen Richter, den politischen Maßstab ihres Landes auf die deutschen Verhältnisse übertragen. Der nüchterne politische Instinkt, der den Bürgern Englands und Amerikas eigen ist, fehlt den Deutschen völlig. Wir sind ein politisch unreifes Volk, leichtgläubig und deshalb politischen Verführungen besonders zugänglich. Diesen Unterschied sollte das Gericht bei der Beurteilung des guten Glaubens der einzelnen Organisationsangehörigen nicht übersehen. Nach den bisherigen Eindrücken, die die Verteidigung der SA aus dem Besuch der Lager und zahlreichen Zuschriften erhalten hat, ist die Masse der SA-Mitglieder überzeugt, keiner verbrecherischen Organisation angehört zu haben, unter anderem aus folgenden subjektiven Gründen:
Es war allgemein bekannt und ist im Organisationsbuch der Partei – Dokument 1893-PS, Seite 365 – ausdrücklich niedergelegt, daß in die SA nur aufgenommen wird, wer charakterlich einwandfrei sei. Es heißt außerdem wörtlich – ich zitiere:
»Einwandfreier Leumund, keine Vorstrafen.«
Die Mitglieder machen nun geltend, ihnen sei kein Fall bekannt, wo irgendeine Verbrecher- oder Verschwörerbande in ihrer Satzung gleiche Aufnahmebedingungen verlangt. Zum Wesen einer Verschwörung gehört der Gedanke der Geheimhaltung der verbrecherischen Ziele nach außen dem Gegner gegenüber. Eine Organisation von mehreren Millionen eignet sich schon der Natur der Sache nach nicht zu einem Komplott. Die Führer der SA haben in zahlreichen Reden betont, daß sie unter allen Umständen den Frieden aufrecht zu erhalten wünschen; sie haben darauf hingewiesen, daß ein wehr- und waffenloses Deutschland im Herzen Europas eher eine Gefahr für den europäischen Frieden sei, und daß die Wehrhaftigkeit die beste Garantie für eine gesicherte, friedliche Zukunft Europas sei. Die einfachen Mitglieder weisen immer wieder auf die Tatsache hin, daß die ausländischen Mächte die Führer des Nationalsozialismus im diplomatischen Verkehr anerkannt hätten. Sie sehen darin nicht nur einen Akt der »international courtesy«, sondern sind der Überzeugung, daß die ausländischen Regierungen mit der Deutschen Regierung keinen Verkehr gepflogen hätten, wenn es sich bei der damaligen Regierung um offenbare Verbrecher gehandelt hätte.
Ich darf ein besonders bezeichnendes Beispiel anführen: Die Anklage gegen die SA hat als Belastungsmaterial eine Reihe von Dokumenten vorgelegt. Es sind dies die Dokumente 2822 und 2823-PS. Danach ist schon im Mai 1933 ein Beauftragter des damaligen Reichswehrministeriums, der Oberstleutnant Auleb, zur Obersten SA-Führung abkommandiert worden, um die Verbindung zwischen beiden Spitzenorganisationen sicherzustellen. Der ganze Vorgang wird daher als streng geheim behandelt, und es wird bestimmt, daß Auleb »zur Tarnung« SA-Uniform tragen soll. Wie hätte, so frage ich, je ein einfaches SA-Mitglied von solchen Vorgängen Kenntnis erhalten sollen und können. Ich habe hier nur einige wenige Punkte angeführt, die von seiten der SA-Mitglieder vorgetragen werden, und die nach der Überzeugung der Verteidigung keine haltlosen Vorwände darstellen, sondern zeigen, daß die Masse dieser Leute nie der Auffassung war, an einer verbrecherischen Verschwörung teilzunehmen.
Aber auch das fünfte, von der Anklagebehörde gestern aufgestellte Merkmal einer verbrecherischen Organisation, die nahe Verbindung zwischen den Hauptangeklagten und der SA, sei bei keiner Organisation so schwierig zu begründen, wie bei der SA. Dies klingt zunächst überraschend. Von den Hauptangeklagten sind sechs hohe Mitglieder der SA gewesen; und doch zeigt eine nähere Betrachtung, daß hier keinerlei enge Verbindung bestand. Außer Göring hat keiner der Hauptangeklagten je Befehlsgewalt über die gesamte SA ausgeübt. Der Rang, den die Hauptangeklagten in der SA hatten, war ehrenhalber und gewissermaßen dekorativ. Die Anklagebehörde hat deshalb auch neuerdings bei der soeben erfolgten Zusammenstellung der schuldigen Elemente nur auf die Verbindung von Göring mit der SA abgestellt. Aber auch die Verbindung Görings zur SA ist überraschenderweise eine sehr geringe und beschränkt sich tatsächlich auf den Zeitraum, von dreiviertel Jahren, also von 9 Monaten, nämlich von Februar 1923 bis zum 9. November 1923, geschah also heute vor 23 Jahren. Göring war nie, wie es im Anhang A zur Anklage heißt, Reichsführer der SA. Es ist dies ein Irrtum. Göring erhielt vielmehr im Februar 1923 den Auftrag, das Kommando über den damaligen Saalschutz der Partei, die sogenannte Sturmabteilung zu übernehmen. Göring führte die SA bis zum Novemberputsch am 9. November 1923. An diesem Tag erlosch seine Kommandogewalt über die SA und ist später wieder neu aufgelebt. Göring bekam später von Hitler ehrenhalber die Inhaberschaft der Standarte »Feldherrnhalle« übertragen und war Inhaber, jedoch nicht Kommandeur dieser Einheit. Ich glaube, der Unterschied zwischen Inhaberschaft und Führung eines Regiments ist in allen Staaten bekannt. Ich brauche ihn hier nicht mehr zu erläutern. Inhaberschaft hat dekorative Bedeutung.
Die Aufgabe, die die SA unter Göring im Jahre 1923 durchzuführen hatte, war Versammlungsschutz. Jedenfalls kann nicht behauptet werden, daß damals schon die SA mit Göring zusammen die in Artikel 6 des Statuts niedergelegten Verbrechen geplant hätte, oder daß diese Ziele damals schon in irgendeiner greifbaren Form voraussehbar gewesen wären. Ebensowenig kann aber behauptet werden, daß Göring sich je einmal nach 1923 der SA bedient hätte zur Ausführung irgendeines verbrecherischen Planes. Der Mann, der die SA von 1930 bis 1934 führte, Ernst Röhm, war ein erbitterter Gegner Görings. Nach seinem Tode wurde die SA von 1934 bis 1943 von Viktor Lutze und von 1943 bis zur Auflösung von Wilhelm Schepmann geführt.
Nach Paragraph 9, Absatz 1 des Statuts kann nun aber eine Organisation nur verurteilt werden in Verbindung mit einer Handlung, deretwegen ein Hauptangeklagter verurteilt wird. Ich habe rechtlich und tatsächlich die größten Bedenken, ob der von mir geschilderte Tatbestand des Jahres 1923 ausreicht, um die Voraussetzungen des Statuts für die SA zu erfüllen. Dies hätte zur Voraussetzung, daß der Gerichtshof die Tätigkeit Görings als Saalschutzführer der SA vor 23 Jahren einschließlich des Novemberputsches heute als besonderes Delikt abzuurteilen Anlaß haben würde. Dem steht aber die Tatsache entgegen, daß dieser gesamte Vorgang rechtskräftig erledigt ist durch die Amnestie der demokratischen Reichsregierung, die seinerzeit diesen Vorgang auf diese Weise erledigt hat.
Hoher Gerichtshof! Wenn irgendwo bei einer Organisation, dann ergibt sich bei der SA die Tatsache, daß ihre Einreihung in die Zahl der verbrecherischen Organisationen nicht dem Bilde der Wirklichkeit entspricht. Weite Kreise des Auslandes, vor allem diejenigen, die 1933 Deutschland verlassen mußten, haben nichts erfahren von der völligen Strukturwandlung, die die SA in der Folge durchgemacht hat. Das Ausland hörte bei jeder Reichstagssitzung das Traditionslied der Partei »SA marschiert«, während die SA tatsächlich längst jeden politischen Einfluß verloren hatte und sich in ihrer Masse zu einer zahlenmäßig riesigen, aber eben darum für Verschwörerzwecke ungefährlichen Vereinigung mit allen Zeichen der deutschen sogenannten Vereinsmeierei verwandelt hatte. Ich nehme hier in vollem Umfange Bezug auf die Feststellungen, die Oberst Storey selbst in seiner Anklagerede getroffen hat. Es ist dies Band IV Seite 157 des Sitzungsprotokolls. Die Organisation, durch welche die SA völlig ausgeschaltet wurde, war bekanntlich die SS, und es geschah dies anläßlich des sogenannten Röhmputsches 1934. Daß sich gerade die SA und SS stete wie feindliche Brüder gegenüberstanden, ist eine Tatsache, die im Interesse der Wahrheit nicht unerwähnt bleiben darf. Die Beurteilung der SA ist aus allen diesen Gründen auch bei den deutschen Gegnern des Nationalsozialismus eine völlig andere, und es hat dies bereits zu widersprechenden Resultaten geführt, deren baldige Beseitigung durch die Anklagebehörde oder durch das Gericht äußerst wünschenswert erschiene.
Es ist hier Gelegenheit, auf folgendes hinzuweisen: Die SA, bis hinauf zu den hohen Rängen, unterliegt grundsätzlich nicht der Verhaftung im Gegensatz zu wohl allen anderen Organisationen. Das neue Entnazifizierungsgesetz, das in diesen Tagen nach eingehender Beratung deutscher Kreise und der Militärregierung in Kraft tritt und für die ganze amerikanische Zone Rechtskraft hat, betrachtet alle SA-Mitglieder in niedrigerem Rang als den eines Sturmführers weder als aktive Nazis noch gar als Verbrecher. Nach der heute im amerikanisch-besetzten Gebiet geltenden Wahlordnung, nach der vor kurzem in Tausenden von deutschen Gemeinden nach den Richtlinien der Militärregierung gewählt wurde, sind einfache SA-Angehörige, soweit sie nicht Parteimitglieder waren, nicht bloß aktiv wahlberechtigt, sondern auch passiv wählbar. Dieselben Leute, die hier vor Gericht schwerer Verbrechen beschuldigt werden, können zu gleicher Zeit und werden auch nach gültigem Recht zu Gemeinderäten gewählt. Ich selbst habe vor etwa 14 Tagen mit einem SA-Mann gesprochen und ihn gefragt, ob er auf die Aufforderung des Gerichts hin sich hier zu Gehör gemeldet habe. Er erklärte mir, daß er dazu keine Veranlassung sehe, da er inzwischen zum Gemeinderat gewählt und bestätigt worden sei. Die Bestimmung des Gesetzes Nummer 30 über die Anwendung der deutschen Gemeindeordnung vom 20. Dezember 1945, Paragraph 36 bis Paragraph 37, aus denen sich die Wählbarkeit von SA-Leuten ergibt, bestätigt andererseits die ebenfalls in Deutschland bekannte, aber im Auslande offenbar noch nicht verbreitete Tatsache, daß ein einfaches Parteimitglied eine natürlich nur relativ gesprochen aktivere politische Stellung innehatte, als das völlig einflußlose SA-Mitglied. Wer Parteimitglied vor dem Jahre 1937 war, darf aktiv nicht wählen, und wer je Parteimitglied war, darf nicht gewählt werden. Für das Verhältnis zwischen Parteimitgliedern, die hier Nichtangeklagte sind und SA-Mitgliedern, die Angeklagte sind, gilt folgendes:
Wenn man zur Zeit des Nationalsozialismus politisch belastet oder verdächtigt war, konnte man ohne Schwierigkeit SA-Mitglied werden, keinesfalls aber Parteimitglied, weil bezüglich der Parteimitgliedschaft, auch der einfachen, viel höhere politische Anforderungen gestellt wurden, als an SA-Mitglieder. Es hat sicherlich viele SA-Angehörige gegeben, die dieser Organisation nur deshalb beitraten, um im Hinblick auf ihre belastete politische Vergangenheit vor zu befürchtenden Verfolgungen einigermaßen sicher zu sein.
Hohes Gericht! Ich habe mich bemüht, durch die von mir gegebenen Beispiele zu zeigen, welche außerordentliche Gefahr gerade bei der SA gegeben ist, wenn sie nun mit Rechtswirkung bis zum millionsten ehemaligen einfachen SA-Mann von so hoher gerichtlicher Stelle für verbrecherisch erklärt wird. Der gestern geäußerten Ansicht von Justice Jackson, es handle sich bei dem von diesem Gerichtshof begehrten Urteil um ein reines Feststellungsurteil ohne Strafbestimmung, kann ich mich zu meinem Bedauern nicht anschließen. Ich weiß vielmehr, daß Hunderte und Tausende gerade von SA-Angehörigen harmlose Mitläufer, die nicht einmal in der Partei waren, zur Zeit entlassen sind; ihre Zukunft und ihre Existenz hängt ab von dem Urteil dieses Gerichts. Zur Ächtung und zum ferneren künftigen Ausschluß aus Stellung und Beruf genügt aber das Feststellungsurteil vollständig. Mit Recht machen deshalb die Angehörigen der SA geltend, daß ihnen das rechtliche Gehör fehle. Es fehlt die Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme und des Verfahrens. Ein Gericht urteilt ja nicht über das Schicksal lebloser juristischer Gebilde, über formale Organisationen, die längst aufgehört haben zu bestehen, sondern über lebendige Menschen; kein Gericht sollte sich der Möglichkeit begeben, diejenigen zu sehen, die es beurteilt. Ein guter Richter ist immer ein guter Menschenkenner und weiß, wenn er den Angeklagten sieht, bald, wen er vor sich hat, ob er Verbrecher vor sich hat oder Irregeleitete und Verführte. Keine Rechtsordnung dieser Erde hat zu irgendeiner uns bekannten Zeit je die Verurteilung einer Organisation an Stelle ihrer Einzelmitglieder für zulässig erklärt. Die gestern von der Anklagebehörde vorgeführte Gesetzgebung und Rechtsprechung über das Bandenwesen und das Komplott kennt sicherlich eine Mithaftung für Taten der Komplizen im weitesten Umfange, aber zwei Voraussetzungen sind auch dort immer gewahrt:
Erstens: Das Mitglied muß wissen, daß es an einem verbrecherischen Komplott oder einer verbrecherischen Verbindung beteiligt ist.
Zweitens: Die Anklage richtet sich nie gegen das Komplott als solches, und nicht das Komplott wird verurteilt, sondern die einzelnen Teilnehmer persönlich. Es ist die Überzeugung der Verteidigung, daß das Statut sich nicht in Widerspruch setzen wollte zu diesen Rechtsgrundsätzen aller Staaten.
Der verstorbene Präsident Roosevelt, den Justice Jackson, als den geistigen Urheber des Statuts bezeichnete, hat in seinen großen Reden, insbesondere in seiner Rede vom 25. Oktober 1941 und vom 7. Oktober 1942 klar zum Ausdruck gebracht, daß die Führer und Rädelsführer zur Rechenschaft gezogen werden sollen. Gestatten Sie, Herr Präsident, daß ich zwei Sätze aus der Rede des Herrn Präsidenten Roosevelt, entnommen aus der amtlichen Sammlung »Reden und Aufsätze des Präsidenten Roosevelt«, herausgegeben im Auftrage der Regierung der Vereinigten Staaten, verlese.
Aus der Rede vom 25. Oktober 1941. Ich zitiere:
»Zivilisierte Nationen bekennen sich seit langem zu dem Grundsatz, daß niemand für die Taten eines anderen bestraft werden darf.«
Zweites Zitat aus der Rede des Präsidenten Roosevelt vom 7. Oktober 1942; ich zitiere:
»Die Zahl der schuldigen Personen wird, verglichen mit der Gesamtbevölkerung der feindlichen Länder, zweifellos außerordentlich gering sein. Die Regierungen der Vereinigten Staaten und ihrer Verbündeten beabsichtigen keine Massenvergeltung, aber wir sind entschlossen, die Rädelsführer nach Recht und Gebühr zu bestrafen, die für den planmäßigen Mord Tausender unschuldiger Menschen und jene Schreckenstaten verantwortlich sind, die jeden christlichen Glaubenssatz verletzt haben.«
Zu diesen grundsätzlichen Bedenken gegen eine solche Trennung des Verfahrens kommt aber noch ein gewichtiges technisches Bedenken. Ergeht hier von seiten des Gerichtshofs das begehrte Feststellungsurteil gegen die Organisationen, so kommen alle betroffenen Millionen Organisationsmitglieder automatisch in einen Ächtungsschwebezustand, der erst nach rechtskräftigem Abschluß des Nachverfahrens beendigt sein wird. Bis dahin steht jeder einzelne in dringendem Verdacht, ein Verbrecher zu sein, da es fraglich ist, ob es ihm gelingen wird, sich im Nachverfahren reinzuwaschen. Da aber der einzelne ohne eine solche Reinwaschung wahrscheinlich nicht mehr in seinen Beruf wird zurückkehren können und auch bis zu seiner Reinwaschung aus den Reihen der ehrbaren Bürger ausgeschieden sein wird, wird man ihm das Recht auf die Durchführung eines solchen Nachverfahrens im eigenen Interesse nicht verwehren dürfen. Ich glaube, daß mir auch Justice Jackson darin beipflichten wird. Werden aber nun, dem Antrag der Anklage entsprechend, hier vorsichtig geschätzt, 7 Millionen Organisationsangehörige durch das Feststellungsurteil des Gerichts betroffen und geraten in den Ächtungsschwebezustand, so bedeutet das Millionen von Nachverfahren. Wir müssen annehmen, daß vielleicht in einem Jahr 100000 Nachverfahren durchgeführt werden können. Ich glaube, daß das eine sehr optimistische Schätzung ist, denn unsere deutschen Gerichte werden nicht mitwirken können, sie sind bekanntlich völlig überlastet, da sie nur noch einen geringen Teil ihres früheren Personals haben. Die Gerichte nun werden wahrscheinlich von diesen Millionen Fällen diejenigen zuerst behandeln müssen, bei denen der kriminelle Charakter am stärksten ist. In den Nachverfahren werden sich die Angeschuldigten, da es um ihre Existenz geht, mit allen zur Verfügung stehenden Rechtsmitteln verteidigen. Es besteht die Gefahr, daß der wirklich Unschuldige viele Jahre, ja Jahrzehnte, warten muß, bis er die Möglichkeit findet, durch einen Reinwaschungsprozeß sich zu rehabilitieren. Ich glaube, daß die Möglichkeit bestanden hätte, in irgendeiner Form hier einen Ausweg zu finden. Weyn man etwa ein Gesetz des Kontrollrats erlassen hätte dahingehend: Da der Verdacht besteht, daß mit Unterstützung der genannten Organisationen Verbrechen und Vergehen gegen Frieden und Menschlichkeit begangen sind, haben die Gerichte das Recht und die Pflicht, diejenigen, die nachweislich an diesen Verbrechen als Täter oder Teilnehmer in irgendeiner Form mitgewirkt haben, zur Rechenschaft zu ziehen. Würde es gelingen, eine solche Formulierung zu finden, so glaube ich, könnte die Anklagebehörde und die Verteidigung in gleicher Weise darin eine gerechte Lösung finden. Die Wirkung bliebe dann beschränkt auf diejenigen, die tatsächlich Schuld auf sich geladen haben. Die Verteidigung wendet sich ja in keiner Weise gegen die Bestrafung aller wirklich Schuldigen, vorausgesetzt, daß ihre Schuld in einem ordnungsmäßigen Verfahren einwandfrei erwiesen ist.
Sollte jedoch das Gericht zu einer Verurteilung der Organisationen, wie es die Anklagebehörde vorsieht, gelangen, so bitte ich aus allen angeführten Gründen, wie sie schon jetzt nach dem Vortrag der Anklage und dem Bild, das sich aus den Einsprüchen ergeben hat, hervorgeht, die Verurteilung der gesamten SA nicht auszusprechen. Der von Justice Jackson für andere Organisationen angeführte beachtenswerte Gesichtspunkt, daß bei so viel begangenen Morden und Grausamkeiten das einzelne Individuum einer Organisation als Täter nicht mehr festgestellt werden könne, trifft bei der SA nicht zu. Die wenigen Exzesse, die hier sich nach dem Vortrag der Anklage ereignet haben, sind in Deutschland geschehen, vor aller Öffentlichkeit. Die Täter sind bekannt. Einzelne regionale Gerichte haben schon Verfahren dieser Art eingeleitet. Ich habe gehört, daß zum Beispiel die Stadt Bamberg gegen die Zerstörer der dortigen Synagoge und die Täter der Aktion vom 10. auf den 11. November 1938 das Verfahren eingeleitet hat.
Sollte aber das Gericht der Auffassung sein, daß doch die SA als Organisation zu verurteilen wäre, so bitte ich das Gericht, in weitestem Maße von dem Recht, über das sich Anklage und Verteidigung einig sind, daß dieses Recht dem Gericht zusteht, Gebrauch zu machen, nämlich eine zeitliche und klassenmäßige Beschränkung vorzunehmen. Es sind hier außerordentlich wichtige Unterschiede zu machen, einmal in zeitlicher Hinsicht. Die SA-Leute, die nach der Machtergreifung 1933 zur SA gegangen sind, gingen zu einer Organisation, die den Stempel staatlicher Sanktionen für sich nach außen in Anspruch nahm. Gewiß kann auch eine staatliche Autorität nicht Verbrechen gegen die Menschlichkeit zu Taten des Rechtes erklären, aber bei der Frage der Schuldzumessung und der Strafhöhe spielte es doch eine erhebliche Bedeutung, ob der Täter sich außerhalb der geltenden Gesetze stellte und gegen das positive Gesetz Vergehen beging, oder ob seine Taten zwar einer höheren sittlichen Rechtsordnung widersprachen, aber nicht im Gegensatz standen zu den geltenden Gesetzen seines Landes. Von den SA-Leuten sollten deshalb alle die auf jeden Fall ausgenommen werden, die nach 1933 eintraten und die nachweisbar an den Vorgängen vom 10. und 11. November 1938 nicht beteiligt waren.
In klassenmäßiger Hinsicht bitte ich im Interesse der Gerechtigkeit dringend um eine doppelte Einschränkung.
Erstens: Die einfachen SA-Mitglieder, bis hinauf zum Sturmführer sollten auf jeden Fall ausgenommen werden und, wenn irgend möglich, bald. Ich habe vorhin ausgeführt, weshalb dies im Interesse der Rechtssicherheit mindestens im amerikanischen Gebiet geboten erscheint. Vielleicht, und ich würde dies außerordentlich begrüßen, besitzt Justice Jackson die Liebenswürdigkeit, dieser Frage nochmals seine besondere Aufmerksamkeit zu schenken. Es müßte für den Gedanken einer solchen Einschränkung sprechen, daß sich dadurch die Zahl erheblich vermindert, durch harmlose Mitläufer, die in Wegfall kommen, und daß dadurch die sonst nahezu und unüberwindbar erscheinenden technischen Hindernisse erheblich vereinfacht werden.
Zweitens: In erfreulicher Weise hat sich gestern die Anklagebehörde mit der Abtrennung des Verfahrens, beziehungsweise mit der Ausnehmung der SA-Wehrmannschaften, der Träger des SA-Sportabzeichens und der SA-Reserve, einverstanden erklärt.
Im Interesse der Gleichheit und der Gerechtigkeit, die vor dem Gesetz und vor diesem hohen Gericht gilt, sollten aber auch alle die sportlichen Sonderverbände, die nur in losem organisatorischem Zusammenhang mit der SA standen, jetzt billigerweise abgetrennt werden. Es handelt sich hier einmal um die Marine-SA, zum anderen um die Reiter-SA.
Es liegen dem Gericht eine Reihe von Eingaben vor, und es ist in Deutschland bei allen Beteiligten wohl bekannt, daß gerade diese Einheiten ihrem Sport, dem Segeln, Rudern einerseits und der Pferdepflege und dem Abhalten von Turnieren andererseits, ihr ausschließliches Interesse widmeten. Als 1933 die Partei an die Macht kam, hat sie versucht, das gesamte Sportleben an sich zu ziehen. Deshalb wurden ihr auch die Marinevereine und die sogenannten ländlichen Reitervereine angegliedert. Beide Vereine hatten aber auch nach der Umgliederung mit der politischen SA kaum etwas zu tun. Sie waren ihr nur in der Spitze organisatorisch unterstellt. Sie eignen sich auch deshalb für eine Abtrennung, weil sie eine in sich völlig geschlossene Gruppe waren. Keiner der hier anwesenden Hauptangeklagten war je Mitglied einer dieser sportlichen Gruppen. Besonders benachteiligt fühlen sich die Angehörigen der Reiter-SA deshalb, weil die Anklagebehörde mit vollem Recht das NS-Kraftfahrkorps und das NS-Fliegerkorps nicht hier angeklagt hat, da deren sportlicher Charakter bekannt ist. Das NS-Kraftfahrkorps und das NS-Fliegerkorps waren aber bis 1934 genau so, wie das Reiterkorps, sportliche Abteilungen der SA. Dem NS-Kraftfahrkorps gelang es lediglich durch den politischen Einfluß seines Führers Hühnlein, seit 1934 oder 1935 die organisatorische Selbständigkeit zu erzielen. Das gleiche gelang dem NS-Fliegerkorps. Das NS-Reiterkorps dagegen besaß diesen Einfluß nicht und erreichte nur, daß es 1936 als selbständiges NS-Reiterkorps anerkannt wurde, aber es blieb in der Spitze formal mit der SA verbunden, indem der Chef des Reiterkorps, Litzmann, dem Chef der SA dienstlich unterstand. Aus diesem rein formalen Grunde sind jetzt rund 100000 Bauern und Bauernknechte, die in diesen ländlichen Reitervereinen Pferdeausbildung genossen haben, hier angeklagt.
Sie halben sich nachweisbar von Politik ferngehalten und nie an irgendwelchen Aktionen gegen Juden oder Andersdenkende teilgenommen. Auch eine Verfolgung militärischer Ziele scheidet bei den Reiterstürmen aus. Schon nach dem ersten Weltkrieg war es klar, daß das Pferd seine Kriegsrolle ausgespielt hatte. Viel eher wäre dieser Gesichtspunkt beim Kraftfahrkorps und Fliegerkorps gegeben gewesen. Die Anklage hat mit Recht gemeint, daß der sportliche Charakter überwiegt. Ich wäre aus diesem Grunde der Anklagebehörde dankbar, wenn sie die von mir angegebenen Fälle nochmals einer Prüfung unterziehen würde, ob hier nicht die gleichen Voraussetzungen gegeben sind wie für die SA-Reserve und die Wehrmannschaften.
Als Letztes erwähne ich noch die SA-Hochschulstürme, und zwar deshalb, weil sie fast ausnahmslos Zwangsorganisationen für solche Studenten waren, die ohne Nachweis einer Betätigung in derartigen Organisationen zur Staatsprüfung überhaupt nicht zugelassen wurden. Ähnliches gilt für die SA-Sanitätsstürme, die die vorgeschriebene Betätigung darstellten für viele Ärzte, die sich um eine Stellung bewarben.
Ich möchte mich in einem Punkt berichtigen, weil ich darauf aufmerksam gemacht werde, daß ich in zeitlicher Hinsicht eine Grenze setzen wollte für die SA-Mitglieder nach 1933. Es muß richtigerweise heißen: nach dem 30. Januar 1933, dem Tag der Machtergreifung.
Zum Schluß möchte ich noch ein Wort sagen über die Frage der Anhörung der SA-Mitglieder. Die meisten Angehörigen der SA befinden sich in Freiheit. Wenn bisher nur wenige an das Gericht geschrieben haben, so beruht dies fast ausschließlich darauf, daß ihnen, da die SA im Lande allgemein als harmlos gilt, schwer vorstellbar ist, daß ein Gericht von der Erfahrung und Bedeutung dieses Gerichtshofs eine von der allgemeinen Auffassung abweichende Entscheidung treffen könnte. Würde aber das Gericht an der Beurteilung der SA festhalten, so würde ich mich dem gestern gemachten Vorschlag der Anklagebehörde anschließen, daß nochmals eine Aufforderung ergeht, daß die Mitglieder sich hier um die Vertretung ihrer Interessen bemühen. Ich teile aber die Ansicht des Verteidigers der Politischen Leiter, daß es dem Verfahren nicht dienlich wäre, wenn das unmittelbare Vertrauensverhältnis zwischen den Verteidigern und ihren Mandanten unterbrochen würde. Für die in Freiheit befindlichen SA-Leute ließe sich technisch ein einfaches Verfahren dadurch finden, daß von den Hauptverteidigern in Nürnberg in jeder Provinz, beispielsweise in Baden, Bayern und Württemberg ein Unterbevollmächtigter aufgestellt würde, zweckmäßigerweise ein Rechtsanwalt. Auf diesen Mann müßte dann in der Provinzpresse hingewiesen werden. Jeder einzelne Organisationsangehörige könnte mit Hilfe dieses Anwalts durch Affidavits die Fragen beantworten, die das Gericht für beweiserheblich gefunden hat.
In sehr erfreulicher Weise hat gestern der amerikanische Hauptanklagevertreter, wenn ich ihn richtig verstanden habe, ausgesprochen, daß im Verfahren gegen die Organisationen, bei der schicksalhaften Bedeutung für Millionen, der Grundsatz der Gerechtigkeit wichtiger sei als der Gesichtspunkt der Beschleunigung des Prozesses. Ich schließe mich deshalb dem Antrag des Verteidigers der Politischen Leiter an, das Verfahren gegen die Organisationen, das nach anderen Gesichtspunkten zu betrachten ist, abzutrennen vom Verfahren gegen die Hauptangeklagten.
Hoher Gerichtshof! Ich bin am Schluß meiner Ausführungen angelangt. Ich möchte aber die beherzigenswerten Worte nicht unerwidert lassen, die Justice Jackson gestern zum Eingang seiner Rede gesprochen hat. Er führte aus, daß zum erstenmal in der Geschichte ein moderner Staat völlig zusammengebrochen sei, und daß diese Kapitulation die Siegerstaaten vor völlig neue Aufgaben gestellt habe. Eine der wichtigsten Aufgaben sei es, das Gewebe der Organisationen zu zerstören und für immer zu verhindern, daß je in diesem Land wieder Angriffskriege oder Pogrome stattfinden können. Alle, die guten Willens sind, werden dieses Ziel aufrichtig begrüßen und Justice Jackson unterstützen. Es ist aber fraglich, ob es der richtige Weg ist, zu diesem Zwecke alle Organisationsmitglieder als solche in Millionenmassen zu diffamieren.
Ich bitte das Hohe Gericht zu bedenken, daß es kaum eine Familie in diesem Lande gibt, deren nächste Angehörige nicht zu irgend einer dieser Organisationen je gehört haben. Die Organisationen sind tot. Das System des Terrors und der Lüge ist zusammengebrochen, Millionen irregeführter und getäuschter Menschen haben sich abgewandt von ihren Führern und Verführern. Wenn sie sich aber jetzt mit diesen gemeinsam geächtet und gebrandmarkt sehen, wird die Wirkung leicht die gegenteilige von der sein, die wir alle erhoffen.
Justice Jackson hat in seiner gestrigen Rede mit Recht darauf hingewiesen, daß der Kontrollrat die bisherige, vielleicht etwas schematische Behandlung in der Entnazifizierungsfrage ändern will in eine mehr individuelle. Dabei dürfte die bisher gemachte Erfahrung mitspielen, daß eine schematische Behandlung das Gefühl der Ungerechtigkeit und damit eine falsche Solidarität erweckt. Die einfachen, verführten Mitläufer der Millionenorganisationen würden aber in einem solchen Urteil weniger eine Offenbarung der Gerechtigkeit als einen Akt der Vergeltung erblicken. Die Rädelsführer aber könnten ihre wirkliche Schuld hinter dem Rücken von Millionen verbergen. Die erzieherische und bessernde Wirkung des Urteils würde dadurch ebenso geschwächt wie der Gedanke einer gerechten Sühne.
VORSITZENDER: Wir werden die Sitzung für 10 Minuten unterbrechen.