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[Das Gericht vertagt sich bis

4. März 1946, 10.00 Uhr.]

Dreiundsiebzigster Tag.

Montag, 4. März 1946.

Vormittagssitzung.

OBERJUSTIZRAT SMIRNOW: Vor einigen Tagen ordnete der Gerichtshof an, aus Zweckmäßigkeitsgründen die Verlesung des amtlichen britischen Berichts über die Erschießung von fünfzig kriegsgefangenen RAF-Offizieren mit dem Verhör des Generals Westhoff und des Oberregierungsrats und Kriminalrats Wielen zu verbinden.

Erlauben Sie mir, einige wesentliche Stellen aus diesem amtlichen Bericht der Britischen Regierung in das Protokoll zu verlesen.

Ich lese jene Teile des Dokuments, die einerseits den allgemeinen Charakter dieser verbrecherischen Handlung und andererseits die persönliche Verantwortlichkeit bezeugen.

VORSITZENDER: Oberst Smirnow! Sie bieten das Dokument als Beweismittel an, nicht wahr? Sie wollen das Dokument zum Beweis vorlegen?

OBERJUSTIZRAT SMIRNOW: Dieses Dokument ist bereits zum Beweis vorgelegt und vom Gerichtshof angenommen worden. Ich möchte nur einige Auszüge daraus verlesen. Es ist als Beweisstück USSR-413 vorgelegt worden.

VORSITZENDER: Sehr gut.

OBERJUSTIZRAT SMIRNOW: Ich zitiere Paragraph 1 des offiziellen britischen Berichts:

»1. In der Nacht vom 24. zum 25. März 1944 entkamen 76 RAF-Offiziere aus dem Stalag Luft III in Sagan, Schlesien, wo sie als Kriegsgefangene festgehalten worden waren. Von ihnen wurden 15 wiederergriffen und in das Lager zurückgebracht, 3 entkamen endgültig, 8 wurden nach ihrer Wiederergreifung von der Gestapo in Haft behalten. Über das Schicksal der restlichen 50 Offiziere ist von den deutschen Behörden folgende Auskunft gegeben worden:

a) Am 6. April 1944 las der Kommandant von Stalag Luft III in Sagan (Oberstleutnant Cordes) dem rangältesten britischen Offizier (Group Captain Massey) eine offizielle Mitteilung des deutschen Oberkommandos vor, wonach 41 (nicht namentlich benannte) Offiziere erschossen worden waren, und zwar einige, weil sie bei ihrer Wiederergreifung Widerstand geleistet hatten, andere, weil sie auf dem Rücktransport zum Lager zu fliehen versuchten.

b) Am 15. April 1944 übergab ein Mitglied des deutschen Lagerstabes (Hauptmann Pieber) dem neuen rangältesten britischen Offizier (Group Captain Wilson) eine Liste mit 47 Namen der Offiziere, die erschossen worden waren.

c) Am 18. Mai 1944 wurden dem rangältesten briti schen Offizier in Sagan drei weitere Namen mitgeteilt, insgesamt also 50.

d) Am oder um den 12. Juni 1944 erhielt der Schweizerische Gesandte in Berlin in Beantwortung seiner Nachforschung in dieser Angelegenheit eine Note des Deutschen Auswärtigen Amtes, in der erklärt wurde, daß 37 Gefangene britischer Nationalität und 13 Gefangene nichtbritischer Nationalität erschossen worden seien, als sie nach ihrer Wiederergreifung Widerstand geleistet hätten oder zu entkommen versuchten. Diese Note erwähnte auch die Übersendung von Urnen mit der Asche der Toten nach Sagan zur Beisetzung.«

Demnach gibt die amtliche deutsche Note an, daß diese Offiziere angeblich auf der Flucht erschossen wurden. In Wirklichkeit jedoch zeigte die Untersuchung durch die britischen Behörden, daß diese Offiziere von Mitgliedern der Gestapo auf direkten Befehl von Keitel mit Wissen Görings ermordet wurden. Zur Bekräftigung dieser Tatsachen werde ich mir erlauben, zwei Absätze oder vielmehr zwei Punkte des amtlichen britischen Berichts zu verlesen, und zwar die Punkte 7 und 8:

»Generalmajor Westhoff war zur Zeit des Fluchtversuches Leiter der Allgemeinen Abteilung für Kriegsgefangene. Er erstattete am 15. Juni 1945 einen Bericht, in dem er sagte, daß er und General von Grävenitz, der Inspekteur der deutschen Kriegsgefangenenlager, wenige Tage nach dem Fluchtversuch nach Berlin befohlen und von Keitel ausgefragt worden waren. Dieser erklärte ihnen, daß er in Gegenwart Himmlers von Göring getadelt worden sei, weil er die Kriegsgefangenen habe entkommen lassen. Keitel erklärte: ›Meine Herren, diese Fluchtversuche müssen unterbunden werden. Wir müssen ein Exempel statuieren. Wir werden sehr strenge Maßnahmen treffen. Ich kann Ihnen nur sagen, daß die Offiziere, die entkommen sind, erschossen werden; wahrscheinlich ist die Mehrzahl von ihnen bereits tot‹. Als von Grävenitz Einwände erhob, sagte Keitel: ›Ich kümmere mich verdammt wenig darum. Wir haben die Sache in Gegenwart des Führers besprochen und nichts kann daran geändert werden‹.«

Ich zitiere nun Punkt 8 des amtlichen britischen Berichts:

»Max Ernst Gustav Friedrich Wielen war damals Leiter der Kriminalpolizei in Breslau. Auch er gab einen Bericht ab, datiert vom 26. August 1945, in welchem er sagte, er sei, nachdem fast alle entkommenen RAF-Offiziere wieder festgenommen worden waren, nach Berlin befohlen worden, wo er Arthur Nebe, den Chef der Kripo, sah, der ihm einen ferngeschriebenen Befehl Kaltenbrunners zeigte, in dem es hieß, daß auf ausdrücklichen Befehl des Führers mehr als die Hälfte der aus Sagan entflohenen Offiziere nach ihrer Wiederergreifung zu erschießen seien. Es wurde mitgeteilt, Müller habe entsprechende Befehle erhalten und werde seine Anweisungen an die Gestapo geben. Gemäß Wielen lieferte die Kripo, die für die Zusammenstellung und das Festhalten dieser wiederergriffenen Gefangenen verant wortlich war, diejenigen, die erschossen werden sollten, der Gestapo aus, und zwar samt einer Liste der Gefangenen, die von den Lagerbehörden als ›Störenfriede‹ betrachtet wurden.«

Ich bitte den Gerichtshof auch um die Erlaubnis, den Teil des Berichts der Britischen Regierung verlesen zu dürfen, der die Methoden der Untersuchung, die bei den einzelnen Offizieren angewendet wurden, behandelt.

Dieses Material ist systematisch in drei Teile eingeteilt worden. Ich erlaube mir, die Daten der Untersuchung zu den drei Teilen zu verlesen. Ich zitiere Seite 3, Absatz 2 des russischen Textes:

»Die Hauptleute Wernham, Kiewnarski, Pawluk und Skanziklas.

Am oder um den 26. März...«

VORSITZENDER: Oberst Smirnow, wollen Sie jetzt aus dem Beweismaterial vorlesen, auf das sich dieser Bericht stützt?

OBERJUSTIZRAT SMIRNOW: Herr Präsident, ich möchte jetzt nur aus dem Text des Berichts, und zwar die Teile verlesen, die die Untersuchungsmethoden betreffen, die man bei einzelnen Offizieren anwandte.

Ich möchte jetzt aus dem Absatz verlesen, der sich mit den drei Gruppen von Offizieren befaßt.

VORSITZENDER: Absatz 4?

OBERJUSTIZRAT SMIRNOW: Ja.

VORSITZENDER: Sehr gut.

OBERJUSTIZRAT SMIRNOW:

»Am oder um den 26. März 1944 sind diese Offiziere auf der Polizeistation in Hirschberg verhört und dann in das Zivilgefängnis dieser Stadt gebracht worden. Am Morgen des 29. März sind Pawluk und Kiewnarski weggeschafft worden und im weiteren Verlauf des Tages Skanziklas und Wernham. Beide Gruppen wurden von Wachen begleitet, der Bestimmungsort war unbekannt. Sie sind seither nicht mehr gesehen worden; die später dem Stalag zugestellten Urnen, die ihre Namen aufwiesen, trugen das Datum vom 30. März 1944.«

Und nun die nächste Gruppe britischer Offiziere:

»Major Cross, die Hauptleute Casey, Wiley und Leigh, und die Oberleutnante Pohe und Hake.

Zwischen dem 26. und dem 30. März 1944 sind diese Offiziere bei der Kripo in Görlitz vernommen und dann in das dortige Gefängnis überstellt worden. Bei der Vernehmung wurde Casey gesagt, daß er seinen Kopf verlieren würde, Wiley und Leigh, daß sie erschossen werden würden. Hake litt an schweren Frostbeulen und war unfähig, zu Fuß auch nur eine kurze Strecke zurückzulegen. Am 30. März verließen die Offiziere Görlitz in drei Kraftwagen, begleitet von zehn deutschen Zivilisten vom Gestapotyp. Die später dem Stalag übersandten Urnen trugen ihre Namen und den Hinweis, daß sie am 31. März 1944 in Görlitz verbrannt worden sind.

Die Hauptleute Humpheys, McGill, Swain, Hall, Langford und Evans, die Oberleutnante Valenta, Kolanowski, Stewart und Birkland.

Diese Offiziere sind bei der Kripo in Görlitz zwischen dem 26. und 30. März verhört worden. Swain wurde gesagt, daß er erschossen werden würde, Valenta wurde bedroht, und man erklärte ihm, daß er nie wieder fliehen werde. Kolanowski war nach seinem Verhör sehr deprimiert. Am 31. März wurden diese Offiziere von einer Gruppe von Zivilisten abgeholt, von denen mindestens einer in der Gruppe war, die tags zuvor gekommen war. Die später in dem Stalag eingetroffenen Urnen trugen die Namen der Offiziere und den Hinweis, daß sie in Liegnitz an einem nicht näher bezeichneten Tage verbrannt worden sind.«

Ich möchte die Aufmerksamkeit des Gerichtshofs auf die Tatsache lenken, daß ähnliche Angaben vorliegen hinsichtlich verschiedener Gruppen britischer Offiziere, die von den deutschfaschistischen Verbrechern im Stalag Luft III getötet worden sind.

Die nächste Seite des Textes enthält gleiche Angaben über die Hauptleute Grisman, Gunn, Williams und Milford, über Oberleutnant Street und Leutnant McGarr. Ähnliche Informationen betreffen Hauptmann Long, Major J. E. Williams, die Hauptleute Bull und Mondschein und den Oberleutnant Kierath. Auch über Oberleutnant Stower, Hauptmann Tobolski, Oberleutnant Krol, über die Hauptleute Wallen, Marcinkus und Brettell, über Oberleutnant Picard und die Leutnante Gouws und Stevens, Major Bushell und Leutnant Scheidhauer, Oberleutnant Cochran, die Leutnante Espelid und Fugelsang, Major Kirby-Green und Oberleutnant Kidder, Major Catanach und Oberleutnant Christensen und Hauptmann Hayter wurde dasselbe berichtet.

Ich werde mir erlauben, noch einen Punkt dieses Berichts zu verlesen, und zwar Absatz 6 des amtlichen britischen Berichts und auch Absatz 5, da dieser ebenfalls wesentlich ist.

VORSITZENDER: Ich wollte Ihnen gerade vorschlagen, Absatz 5 zu verlesen.

OBERJUSTIZRAT SMIRNOW: Ich werde jetzt Absatz 5 aus dem britischen Text verlesen:

»Nach Aussage der Überlebenden hat kein Offizier seiner Verhaftung Widerstand entgegengesetzt oder nach seiner Wiederverhaftung einen zweiten Fluchtversuch gemacht. Alle stimmten darin überein, daß die Wetterumstände gegen sie waren und daß ein solcher Versuch Wahnsinn gewesen wäre. Sie warteten darauf, nach dem Stalag zurückgebracht zu werden, ihre Bestrafung entgegenzunehmen und ihr Glück bei einer neuen Flucht zu versuchen.

6. Der Schweizer Vertreter (M. Gabriel Naville) weist in seinem Bericht vom 9. Juni 1944 über seinen Besuch in Sagan darauf hin, daß die Verbrennung verstorbener Kriegsgefangener höchst ungewöhnlich wäre (der Brauch ist es, sie in einem Sarge mit militärischen Ehren zu bestatten), und daß dies seines Wissens der erste Fall wäre, bei dem die Leichen verstorbener Gefangener verbrannt worden waren. Ferner müsse bemerkt werden, daß, wenn, wie die Deutschen behaupten, diese 50 Offiziere in weit auseinanderliegenden Teilen Deutschlands wiederergriffen worden wären, sie bei ihrer Verhaftung Widerstand geleistet oder einen erneuten Fluchtversuch begangen hätten, so sei es wahrscheinlich, daß einige verwundet worden und höchst unwahrscheinlich, daß alle getötet worden wären. In diesem Zusammenhang sei es bezeichnend, daß das Deutsche Auswärtige Amt sich weigerte, der Schutzmacht die üblichen Einzelheiten der Umstände mitzuteilen, unter denen jeder dieser Offiziere sein Leben verloren habe.«

Das sind die Teile des amtlichen Berichts der Britischen Regierung, die ich die Ehre hatte, dem Gerichtshof vorzutragen.

VORSITZENDER: Ich glaube, es wäre besser, wenn Sie auch den Anhang verlesen wollten, um uns die Zusammenfassung des Beweismaterials zu zeigen, auf den sich der Bericht stützt, nämlich Absatz 9.

OBERJUSTIZRAT SMIRNOW: Ich habe von der Verlesung des Anhangs abgesehen, weil Sir David Maxwell-Fyfe ihn seinerzeit bereits verlesen hat. Ich werde gern diesen Absatz noch einmal verlesen:

»9. Der hier beigefügte Anhang enthält eine Liste des Beweismaterials, auf das sich der Bericht stützt. Die Dokumente, auf die der Bericht verweist, sind angefügt.

Anhang.

Das Beweismaterial, auf das sich der vorstehende Bericht stützt:

1. Durch die Schutzmacht übersandte Verhandlungsberichte des Untersuchungsgerichts, das in Sagan auf Befehl des dienstältesten britischen Offiziers im Stalag Luft III eingesetzt worden ist.

2. Aussagen der folgenden alliierten Zeugen:

a) Oberstleutnant Day

b) Hauptmann Tonder

c) Hauptmann Dowse

d) Hauptmann van Wymeersch

e) Hauptmann Green

f) Hauptmann Marshall

g) Hauptmann Nelson

h) Hauptmann Churchill

i) Leutnant Neely

j) Oberfeldwebel der Luftwaffe Hicks.

3. Aussagen der folgenden Deutschen:

a) Generalmajor Westhoff

b) Oberregierungsrat und Kriminalrat Wielen (zwei Aussagen)

c) Oberst von Lindeiner.

4. Photographischer Abzug der offiziellen Totenliste, die vom Deutschen Auswärtigen Amt dem Schweizerischen Gesandten in Berlin am oder um den 15. Juni 1944 ausgehändigt wurde.

5. Bericht des Vertreters der Schutzmacht über seinen Besuch im Stalag Luft III am 5. Juni 1944.«

VORSITZENDER: Für das Protokoll sollten Sie auch noch die Unterschrift und die Abteilung am Ende verlesen.

OBERJUSTIZRAT SMIRNOW: Dieses Dokument ist von H. Shapcott, Brigadier und Military Deputy, unterschrieben und vom Military Department, Judge Advocate General's Office, London, am 25. September 1945 beglaubigt.

VORSITZENDER: Oberst Smirnow, ist damit der Anklagevortrag, soweit er den russischen Hauptanklagevertreter betrifft, abgeschlossen?

OBERJUSTIZRAT SMIRNOW: Ja.

VORSITZENDER: Danke.

DR. NELTE: Herr Vorsitzender! Der Bericht, den die Anklagebehörde soeben verlesen hat, bezieht sich in Ziffer 9 auf die erwähnten Urkunden, von denen gesagt ist, daß sie als Grundlage dienten und dem Bericht beigefügt sind. In dem Anhang sind die einzelnen Unterlagen aufgeführt, auf die sich der Bericht aufbaut. Ich bitte das Gericht, darüber zu entscheiden, ob das Dokument USSR-413 ohne Beifügung des Beweismaterials, auf das ausdrücklich im Bericht Bezug genommen ist, den Anforderungen des Artikels 21 des Statuts entspricht, und bitte, gegebenenfalls die Anklagebehörde zu ersuchen, die Anlagen auch der Verteidigung zugänglich zu machen.

VORSITZENDER: Dr. Nelte, wollen Sie damit sagen, daß Sie nur den Bericht des Brigadiers hatten, daß Sie aber nichts von dem anderen Beweismaterial gesehen haben, auf das sich der Beweis stützt?

DR. NELTE: Herr Vorsitzender! Das Gericht hat in einer früheren Phase dieses Prozesses einmal entschieden...

VORSITZENDER: Ja, aber ich habe Sie nicht gefragt, was wir entschieden haben. Ich fragte, was Sie erhalten haben. Haben Sie von der Anklagebehörde das gesamte Dokument erhalten oder nur den Bericht des Brigadiers?

DR. NELTE: Nur den Bericht, ohne den Anhang.

VORSITZENDER: Gut. Der Gerichtshof wollte jedenfalls, daß das ganze Dokument den Verteidigern zugestellt werde, und das muß nachgeholt werden, damit Sie das ganze Dokumentenmaterial vor sich haben.

DR. NELTE: Es ist dies aber offenbar nicht geschehen. In dem Anhang ist ausdrücklich Bezug genommen auf Aussagen des Generalmajors Westhoff und des Oberregierungsrats Wielen. Beide Aussagen sind mir unbekannt. Sie waren dem Bericht nicht beigefügt.

VORSITZENDER: Die müssen Sie erhalten. Die Anklagevertretung muß dafür sorgen, daß das gesamte Dokumentenmaterial den Verteidigern zur Verfügung gestellt wird.

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Gewiß, Euer Lordschaft! Ich glaube nicht, daß das gesamte Dokument vervielfältigt worden ist. Wenn uns Dr. Nelte sagt, ob er alles oder nur einen Teil davon haben wir, werden wir ihm, so gut wir können, behilflich sein. Wir sind weit davon entfernt, ihm etwas vorzuenthalten. Wir möchten, daß er alles erhält, was er wünscht.

VORSITZENDER: Gut, Sir David, wollen Sie dem Gerichtshof mitteilen, ob die Anklagevertretung ihren Vortrag nunmehr beendet hat?

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Ja, Euer Lordschaft! Für die Anklagebehörde ist der Fall abgeschlossen.

VORSITZENDER: Sehr gut. Dann werden wir uns jetzt mit den Zeugenanträgen, den Dokumenten der zweiten Gruppe von vier Angeklagten, nämlich Kaltenbrunner, Rosenberg, Frank und Frick befassen.

DR. KURT KAUFFMANN, VERTEIDIGER DES ANGEKLAGTEN KALTENBRUNNER: Der Angeklagte Kaltenbrunner bittet um Ladung einer Reihe von Zeugen, die ich mir erlaube, jetzt zu benennen: Erstens Professor Dr. Burckhardt.

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Euer Lordschaft! Mit Erlaubnis des Gerichtshofs werden wir dasselbe Verfahren anwenden wie bei den ersten vier Angeklagten.

Bezüglich der drei Schweizer Zeugen Burckhardt, Brachmann und Meyer wurden am 15. Dezember Fragebogen bewilligt und am 28. Januar vorgelegt. Die Anklagevertretung ist der Ansicht, daß die Fragebogen ziemlich allgemein gehalten waren und schlägt vor, daß sie präziser gestaltet werden. Die Anklagevertretung hat grundsätzlich keine Einwände gegen Fragebogen, und ich bin überzeugt, daß zwischen Dr. Kauffmann und der Anklagebehörde keine große Meinungsverschiedenheit über diese Form bestehen wird. Dies bezieht sich auf die ersten drei Zeugen.

VORSITZENDER: Wir sind dahin unterrichtet, daß keiner dieser drei Zeugen bisher ermittelt werden konnte.

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Ja! Ich stimme damit ergebenst überein, Euer Lordschaft. Die Ansicht der Anklagevertretung ist, daß wir grundsätzlich diesen Fragebogen nicht widersprechen, und wenn wir dem Gerichtshof irgendwie behilflich sein können, die Zeugen zu ermitteln, so werden wir dies gern tun.

VORSITZENDER: Wann wurden die Fragebogen der Anklagebehörde zugeleitet?

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Am 28. Januar, Euer Lordschaft.

VORSITZENDER: Und sind die Einwände der Anklagebehörde dem Verteidiger kurze Zeit später zugeleitet worden, oder wann?

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Ich weiß das Datum leider nicht, Euer Lordschaft.

VORSITZENDER: Wäre es für die Anklagevertretung nicht am vernünftigsten, einer passenden Form des Fragebogens zuzustimmen, während der Generalsekretär weitere Erkundigungen einzieht, um die Zeugen zu finden?

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Ja, gut, wenn sich Dr. Kauffmann mit mir in Verbindung setzen will, zweifle ich nicht, daß wir uns über eine beiderseits annehmbare Form des Fragebogens einigen können.

VORSITZENDER: Sehr gut.

DR. KAUFFMANN: Herr Vorsitzender! Ich glaube, ich brauche die einzelnen Fragen nicht mehr zu wiederholen, die ich in dem Fragebogen aufgeführt habe. Es sind neunzehn Fragen. Ich glaube nicht, daß ich sie jetzt zu wiederholen brauche.

VORSITZENDER: Nein, gewiß nicht.

DR. KAUFFMANN: Der vierte Zeuge ist der frühere deutsche Gesandte in Belgrad, Neubacher. Er befindet sich im Internierungslager Oberursel bei Frankfurt in amerikanischer Haft.

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Keine Einwände gegen diesen Zeugen.

DR. KAUFFMANN: Wünscht das Gericht die Benennung des Beweisthemas?

VORSITZENDER: Ja, bitte.

DR. KAUFFMANN: Neubacher wird, nach Auffassung des Angeklagten Kaltenbrunner, bekunden können, daß die im Oktober 1944 von Hitler befohlene Einstellung der Judenverfolgung auf die Initiative Kaltenbrunners zurückgeht. Er wird weiter, nach Auffassung des Angeklagten, bekunden können daß Himmler den Angeklagten seinerzeit, bei seiner Ernennung zum Chef des Reichssicherheitshauptamtes, mit den Ämtern III und IV beauftragt hat. Es scheint mir dies ein wesentlicher Punkt zu sein, denn bisher ist die Anklage davon ausgegangen, und es liegen auch dafür bereits gewisse Beweise vor, daß der Angeklagte auch mit dem Amt IV entscheidend in Verbindung gestanden hat. Dazu soll Neubacher aussagen können.

VORSITZENDER: Dr. Kauffmann, wenn Sie den Zeugen Neubacher über diese Fragen verhören wollen, können Sie das dann nicht mit einem Fragebogen erledigen?

DR. KAUFFMANN: Nach der mir von Kaltenbrunner erteilten Information legt Kaltenbrunner gerade, aus wohl verständlichen Gründen, auf die persönliche Anwesenheit dieses Zeugen Wert. Ich glaube, Kaltenbrunner betrachtet diesen Zeugen als einen der wichtigsten Zeugen, und er möchte gern haben, daß dieser Zeuge hier erscheint.

VORSITZENDER: Der Gerichtshof wird dies in Erwägung ziehen.

DR. KAUFFMANN: Der nächste Zeuge ist Nummer 5, Wanneck, zur Zeit in amerikanischer Haft in Heidelberg.

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Die Anklagevertretung hält den Zeugen Wanneck für kumulativ. Nach Dr. Kauffmanns Antrag wird dieser Zeuge sich über den Punkt äußern, daß der Angeklagte Kaltenbrunner vor allem mit Aufgaben des Nachrichtendienstes beschäftigt und gegen die Verfolgung der Juden eingestellt war. Dies wird bereits durch Neubacher gedeckt und gleichfalls durch das Kreuzverhör des Anklagezeugen Schellenberg, der Chef des Amtes VI war, das, wie Dr. Kauffmann in seiner Bemerkung über Neubacher, den Zeugen Nummer 4, ausführte, eines der Nachrichtenämter gewesen ist.

DR. KAUFFMANN: Ich stelle dem Gericht anheim, ob dieser Zeuge schriftlich verhört werden kann. Aber ich halte das Beweisthema doch auch bei Wanneck für erheblich. Es ist in gewissem Sinne kumulativ, aber es geht auch wieder in einigen Punkten darüber hinaus. Ich bin aber mit einer schriftlichen Vernehmung einverstanden.

Der sechste Zeuge ist Scheidler.

VORSITZENDER: Sir David, glauben Sie, daß es unbillig wäre, einen Fragebogen zu gestatten?

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Nein, Euer Lordschaft. Im allgemeinen habe ich gar nichts gegen Fragebogen einzuwenden.

Soweit ich den Antrag bezüglich Scheidler verstehe, war er der Adjutant des Angeklagten Kaltenbrunner, und da würde die Anklagevertretung keinen Widerspruch erheben. Ich halte es aber für zweckmäßig, die Aufmerksamkeit des Gerichtshofs auf die Tatsache zu lenken, daß die nächsten sechs Zeugen, Nummer 6 bis Nummer 11 einschließlich, alle über Konzentrationslager aussagen sollen. Die Nummern 6, 8, 9 und 11 betreffen Mauthausen. Ich möchte Dr. Kauffmann darauf aufmerksam machen, daß ich eine Auswahl unter diesen sechs Zeugen beantragen werde.

Die Anklagevertretung ist der Ansicht, daß die Ladung eines Adjutanten billig ist, sie wird aber bei späteren Zeugen zu Beanstandungen Anlaß geben.

DR. KAUFFMANN: Der Angeklagte legt verständlicherweise Wert darauf, daß sein langjähriger Adjutant vernommen wird, der bei jeder einzelnen Reise – wie mir Kaltenbrunner selbst sagte – dabei gewesen ist. Der Zeuge weiß zum Beispiel auch, daß der Funkspruch an Fegelein, der Gegenstand der Klage ist, nicht von Kaltenbrunner stammt, daß dieser Funkspruch nie herausgegangen ist, und er weiß auch, daß Kaltenbrunner gerade in Theresienstadt alle Vorbereitungen getroffen hat, damit dieses Lager dem Roten Kreuz zugängig gemacht werden konnte. Das sind also Dinge, die von den bisherigen Zeugen nicht bekundet worden sind und doch ein Licht auf die Person des Angeklagten werfen.

VORSITZENDER: Sie sprechen jetzt von Scheidler?

DR. KAUFFMANN: Ja.

VORSITZENDER: Sir David, der Gerichtshof möchte, daß Sie die ganze Gruppe behandeln. Dann kann Dr. Kauffmann darauf antworten.

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Gern, Euer Lordschaft.

Der nächste Zeuge ist Ohlendorf, der bereits von der Anklage als Zeuge gerufen wurde. Die Situation, wie ich sie gesehen habe, ist, daß Dr. Kauffmann den Zeugen Ohlendorf schon ins Kreuzverhör genommen hat, und zwar über die Verantwortlichkeit des Angeklagten Kaltenbrunner für Konzentrationslager. Dies ist am 3. Januar dieses Jahres geschehen (Band IV, Seite 371 des Sitzungsprotokolls).

Der Zeuge Wisliceny, Nummer 12, wurde von Dr. Kauffmann als Verteidiger Kaltenbrunners nicht kreuzverhört: Er würde natürlich die gegebene Person sein, über diesen Punkt auszusagen. Aber, wenn natürlich Dr. Kauffmann einen besonderen Grund hat, Ohlendorf erneut vorzuladen, so wird er dies selbstverständlich dem Gerichtshof mitteilen. So liegt die Sache.

VORSITZENDER: Dr. Kauffmann, wenn Sie die Möglichkeit gehabt haben, General Ohlendorf ins Kreuzverhör zu nehmen und tatsächlich diese Gelegenheit wahrgenommen haben, wäre es nicht damals der richtige Zeitpunkt gewesen, alle Fragen an ihn zu richten, die Sie als Verteidiger des Angeklagten Kaltenbrunner zu stellen haben?

DR. KAUFFMANN: Ich darf daran erinnern, daß Kaltenbrunner über zwölf Wochen lang krank war, und daß ich fast überhaupt keine Informationen von ihm bekommen konnte. Es ist mir damals in der Sitzung vom 2. Januar ausdrücklich vom Gericht zugestanden worden, die Zeugen zu einem späteren Zeitpunkt ins Kreuzverhör zu nehmen. Ich hatte ja, wie das Gericht sich wohl erinnern wird, einen Vertagungsantrag gestellt, und dann wurde mir später erlaubt, die Zeugen zu einem gegebenen, mir passend erscheinenden Zeitpunkt ins Kreuzverhör zu nehmen.

Das ist im Protokoll vom 2. Januar 1946 enthalten.

Ich bitte diese Zeugen, da Kaltenbrunner jetzt anwesend ist, und die Zeugen stets in Abwesenheit Kaltenbrunners vernommen worden sind, jetzt ins Kreuzverhör nehmen zu dürfen. Ich bin aber auch bereit, auf das Kreuzverhör zu verzichten, wenn ich vorher mit dem Zeugen einmal sprechen kann. Vielleicht erübrigt sich die Vernehmung des einen oder anderen Zeugen.

VORSITZENDER: Was meinen Sie mit dem einen oder anderen Zeugen? Wer ist der andere? Wisliceny?

DR. KAUFFMANN: Nummer 7, Ohlendorf, und dann Nummer 11, Höllriegel, und Nummer 12, Wisliceny, ferner Nummer 14, Schellenberg. Alle diese Zeugen sind hier vernommen worden während Kaltenbrunner krank war.

VORSITZENDER: Was sagen Sie dazu, Sir David?

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Ich möchte vorschlagen, daß Dr. Kauffmann Nummer 11, Höllriegel, und Nummer 12, Wisliceny, ins Kreuzverhör nimmt, was er bisher noch nicht getan hat. Sollten dann noch einige Punkte vom Zeugen Ohlendorf aufzuklären sein, so kann Dr. Kauffmann einen besonderen Antrag an den Gerichtshof stellen.

VORSITZENDER: Ja! Der Gerichtshof möchte Ihre Stellungnahme zu dem Vorschlag des Verteidigers hören, diese Zeugen zu sehen und mit ihnen ihre Aussagen zu besprechen, bevor sie vorgeladen werden. Ich glaube, daß ein Unterschied besteht zwischen einem Kreuzverhör, vor dem die Verteidiger die Zeugen nicht sehen dürfen, und einer Vorladung als eigene Zeugen, die sie vorher sprechen können.

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Ja! Die Anklagevertretung ist der Ansicht, daß sie die Zeugen, die von der Anklagebehörde vorgeladen worden sind, nur ins Kreuzverhör nehmen sollen, es sei denn, daß ganz besondere Umstände vorliegen. Dr. Seidl hat meiner Ansicht nach besondere Umstände in dem von ihm genannten Fall nachgewiesen, nämlich im Fall eines Zeugen mit besonderem Bezug auf den Angeklagten Heß. Im allgemeinen steht die Anklagebehörde jedoch auf dem Standpunkt, daß Zeugen, die sie vorgeladen hat, von der Verteidigung nur im Kreuzverhör ohne vorausgehende Rücksprache vernommen werden sollen.

VORSITZENDER: Gut, Sir David, der Gerichtshof möchte Ihre Ansicht hören. Wir werden natürlich diesen Punkt nicht jetzt entscheiden, aber wir möchten Ihre Ansicht hören, ob es angemessen wäre, dem Verteidiger zu gestatten, den in Frage stehenden Zeugen in Gegenwart eines Vertreters der Anklage zu sprechen, da dies zu einer Verkürzung des Verfahrens führen könnte, wenn dann der Verteidiger vielleicht darauf verzichtet, den Zeugen weiter ins Kreuzverhör zu nehmen.

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Ja! Ich fürchte, daß. dies eine Besprechung mit meinen Kollegen über jeden einzelnen Zeugen erfordern würde. Ich habe leider diesen Punkt vorher nicht mit ihnen diskutiert; die Zeugen Nummer 11 und Nummer 12 wurden von meinen amerikanischen Kollegen vorgeladen, und, obwohl ich meine dem Gerichtshof vorgetragene Stellungnahme beibehalte, würde ich die Frage gern mit ihnen besprechen und vielleicht den Gerichtshof später davon unterrichten.

Natürlich werden Sie verstehen, daß sich dabei einmal eine besondere Frage hinsichtlich eines besonderen Zeugen darbieten kann.

DR. KAUFFMANN: Vielleicht darf ich dazu eine Aufklärung geben. Der Zeuge Ohlendorf war mir vorbehalten worden für das Kreuzverhör, und nach einer Verabredung mit dem Herrn Anklagevertreter der Vereinigten Staaten habe ich bereits auf das Kreuzverhör von Ohlendorf verzichtet, und unter dieser Bedingung durfte ich auch bereits mit Ohlendorf sprechen. Ich finde es billig, wenn ich es auch bezüglich der anderen Zeugen so mache. Ich verzichte auf das Kreuzverhör und darf nun die Zeugen vorher sprechen. Vielleicht fällt der eine oder andere, wie ich schon gesagt habe, weg.

VORSITZENDER: Ich bin nicht ganz sicher, ob Sie verstanden haben, was Ihnen gerade erklärt wurde, Dr. Kauffmann. Wir sind der Ansicht, daß, falls ein Zeuge für die Anklagevertretung aufgerufen wird, der Verteidiger sicherlich das Recht hat, ihn im Kreuzverhör zu vernehmen, ihn aber nicht vorher sprechen darf, den Zeugen also nur im Kreuzverhör vernehmen darf. Andererseits, wenn Sie einen Zeugen als Ihren eigenen Zeugen vorladen dürfen, dann haben Sie das Recht, ihn vorher zu sprechen...

DR. KAUFFMANN: Ja, das meine ich. Aber, wenn ich nun den Zeugen vorher sprechen darf, dann wird das Gericht wohl verstehen, daß ich die Anwesenheit eines Vertreters der Anklage nach Möglichkeit ausschließen möchte, denn die Gründe, die mich vielleicht veranlassen können, auf den Zeugen zu verzichten, werden dann der Anklage bekannt. Ich glaube, das wird jeder verstehen, und es scheint mir auch gerecht zu sein.

VORSITZENDER: Ich wollte nur den Unterschied zwischen Ihren Ansichten und denen der Anklagebehörde klarstellen. Die Anklagebehörde betont, daß, wenn der Zeuge für die Anklagebehörde gerufen wird, die Verteidiger nur das Recht des Kreuzverhörs haben. Können Sie uns weiterhelfen in Bezug auf diese Gruppe, Sir David?

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Sicherlich. Was Eigruber, Nummer 8, betrifft, so ist er nicht mehr in Nürnberg. Er wird jetzt als vermutlicher Angeklagter im Verfahren über das Lager Mauthausen festgehalten, das vor einem Militärgerichtshof durchgeführt werden wird. Unter diesen Umständen schlägt die Anklagebehörde vor, daß er, der zu einer Gruppe gehört, die mit Konzentrationslagern im allgemeinen und mit Mauthausen im besonderen in Beziehung steht, seine Aussage mittels eines Fragebogens abgeben sollte.

Was Höttl, Nummer 9, betrifft – er behandelt zwei Seiten einer Sache –, daß nämlich Kaltenbrunner aus eigener Initiative die Übergabe des Konzentrationslagers Mauthausen angeordnet und Schritte unternommen hat, um Himmler zu veranlassen, Leute aus Konzentrationslagern zu entlassen. Dies scheinen allgemeine Punkte zu sein, die wiederum zweckdienlich durch Fragebogen erledigt werden könnten.

Dasselbe gilt für den Zeugen von Eberstein, der darüber aussagen soll, daß Kaltenbrunner angeblich weder den Befehl zur Zerstörung des Konzentrationslagers Dachau noch zur Evakuierung Dachaus gegeben haben soll. Die Anklagevertretung schlägt daher vor, daß auch hier Fragebogen verwendet werden.

Mit Bezug auf den nächsten Zeugen, Höllriegel, erhebt die Anklagevertretung keinen Einspruch gegen ein weiteres Kreuzverhör. Sie schlägt dem Gerichtshof vor, daß er über Mauthausen aussagen könnte, einen der Hauptpunkte, über den diese ganze Gruppe von Zeugen aussagen soll.

DR. KAUFFMANN: Darf ich dazu etwas sagen?

VORSITZENDER: Wollen Sie Nummer 12 auch in diese Gruppe einschließen?

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Nummer 12 ist nicht in derselben Gruppe, denn dieser Zeuge betrifft Kaltenbrunners Beziehungen zu Eichmann und Berichte, die er über die Aktionen gegen die Juden erhalten hat. Wir erheben keinen Einspruch gegen die Ladung dieses Zeugen zum Kreuzverhör, da Dr. Kauffmann ihn nicht vorher im Kreuzverhör vernommen hat.

VORSITZENDER: Bitte, Dr. Kauffmann?

DR. KAUFFMANN: Bezüglich des Zeugen Eigruber, Nummer 8, darf ich darauf hinweisen, daß dieser Zeuge hier in Nürnberg ist. Ich bin aber damit einverstanden, daß ein Fragebogen verwendet wird. Das Beweisthema selbst scheint mir sehr erheblich zu sein, denn, was Eigruber bekunden soll, ist nicht mehr und nicht weniger, als daß das Konzentrationslager Mauthausen unmittelbar dirigiert wurde von Himmler über Pohl und den Lagerkommandanten. Kaltenbrunner bestreitet, über nähere Einzelheiten bezüglich Mauthausen gewußt zu haben. Der Zeuge Höttl...

VORSITZENDER: Sie irrten sich, als Sie sagten, daß er hier in der Stadt sei. Sir David sagte, daß er von Nürnberg fortgeschafft worden ist, um vor ein Militärgericht gestellt zu werden. Vielleicht würden Sie in diesem Fall nichts gegen einen Fragebogen einzuwenden haben.

DR. KAUFFMANN: Ja! Der Zeuge Höttl scheint mir ein wichtiger Zeuge zu sein. Bekanntlich ist Kaltenbrunner ja auch angeklagt, an der Verschwörung gegen den Frieden teilgenommen zu haben. Hier Stelle ich unter Beweis, daß Kaltenbrunner schon seit 1943 eine aktive Friedenspolitik getrieben hat. Ein wichtiger Name in diesem Zusammenhang ist Herr Dulles. Er ist, nach Angabe Kaltenbrunners, der Vertrauensmann des verstorbenen Herrn Präsidenten Roosevelt gewesen. Herr Dulles war in der Schweiz. Nach Angabe Kaltenbrunners fanden in der eben genannten Richtung fortlaufend Besprechungen statt. Ich glaube, dieses Beweisthema ist erheblich.

VORSITZENDER: Sie meinen also, daß Sie Dr. Höttl persönlich hören wollen, und daß seine Aussage nicht durch Fragebogen erledigt werden kann?

DR. KAUFFMANN: Ja, wenn ich darum bitten darf.

VORSITZENDER: Der Gerichtshof wird dies in Betracht ziehen.

DR. KAUFFMANN: Der Zeuge Nummer 10, Polizeigeneral von Eberstein, wird dafür benannt, daß die Behauptung eines anderen Zeugen, namens Gerdes, unwahr ist. Das Gericht wird sich vielleicht daran erinnern, daß die Anklage ein Affidavit eines Mannes vorgelegt hat, namens Gerdes, der in München eine große Rolle gespielt hat. Er war der Vertrauensmann des früheren Gauleiters in München, und dieser Gerdes hat in dem Affidavit Kaltenbrunner bezichtigt, Kaltenbrunner habe den Befehl erteilt, durch Luftstreitkräfte Dachau zu vernichten. Das bestreitet Kaltenbrunner auf das entschiedenste.

VORSITZENDER: Das ist eine Frage, die einwandfrei durch Fragebogen erledigt werden könnte, nämlich, ob Kaltenbrunner den Befehl, ein Konzentrationslager zu zerstören, gegeben hat oder nicht, oder ob er den Befehl gab, Dachau zu evakuieren. Diese Dinge können ganz bestimmt durch Fragebogen beweiskräftig erledigt werden.

DR. KAUFFMANN: Ich bin damit einverstanden. Bei dem nächsten Zeugen, Nummer 11, dem bereits vernommenen Zeugen Höllriegel, ergibt sich dasselbe Problem, nämlich, ob mir die Möglichkeit gegeben wird, diesen Zeugen vor seiner Vernehmung zu sprechen. Kaltenbrunner bestreitet, jemals Gaskammern und so weiter gesehen zu haben.

VORSITZENDER: Dr. Kauffmann, ist Nummer 11 nicht wirklich kumulativ im Hinblick auf Nummer 6, auf dessen Erscheinen Sie besonderen Wert legten?

DR. KAUFFMANN: Ja, Herr Vorsitzender, gewiß.

VORSITZENDER: Wie dem auch sei – der Gerichtshof wird die Frage erwägen, ob Sie das Recht haben sollen, den Zeugen lediglich im Kreuzverhör zu vernehmen oder in den Fällen Nummer 11 und Nummer 12 sie als Ihre eigenen Zeugen vorzuladen.

DR. KAUFMANN: Ja, vielleicht noch ein Wort zu dem Zeugen Nummer 12. Bekanntlich war Eichmann derjenige, der die ganze Vernichtungsaktion gegen die Juden durchgeführt hat, und man hat diese Aktion in Verbindung mit dem Angeklagten Kaltenbrunner gebracht. Kaltenbrunner bestreitet das. Deswegen halte ich auch Wisliceny für erheblich.

VORSITZENDER: Das schließt diese Gruppe ab. Was denken Sie von den übrigen, Sir David? Gehören sie zur gleichen Kategorie?

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Nicht ganz, aber ich denke, es wäre zweckdienlich, wenn ich sie jetzt bespreche.

Dr. Mildner, Nummer 13, soll darüber aussagen, daß Kaltenbrunner dem Chef der Gestapo nicht das Recht gab, Befehle für Schutzhaft oder Internierung zu unterzeichnen. Ich möchte unterstellen, daß angesichts des früher von Scheidler und Nummer 4, Neubacher, vorgebrachten Beweismaterials Dr. Mildners Beweisaufnahme kumulativ wäre und daß Fragebogen genügen würden.

Zu Schellenberg, Nummer 14, habe ich schon gesagt, daß die Anklagevertretung keinen Einspruch gegen seine neuerliche Vorladung zum Kreuzverhör erhebt.

Schließlich Dr. Rainer. Wir erheben Einspruch gegen dieses Gesuch, weil das Beweisthema, Kaltenbrunner habe den Gauleitern Österreichs empfohlen, den vorrückenden Truppen der Westmächte keinen Widerstand entgegenzusetzen und keine Werwolf-Bewegungen zu organisieren, unserer Ansicht nach für die Fragen, die diesem Gerichtshof vorliegen, nicht erheblich ist.

VORSITZENDER: Ja, Dr. Kauffmann?

DR. KAUFFMANN: Der Zeuge Dr. Mildner, Nummer 13, befindet sich hier in Nürnberg in Haft. Ich habe um Vorladung dieses Zeugen gebeten, weil er ein Affidavit abgegeben hat, das den Angeklagten Kaltenbrunner belastet. Kaltenbrunner bestreitet das Affidavit. Ich glaube nicht, daß man mit einem Fragebogen diese Schwierigkeiten beseitigen kann.

Jetzt noch Nummer 14...

VORSITZENDER: Dr. Mildner hat ein Affidavit vorgelegt?

DR. KAUFFMANN: Ja. In der Anklage wurde auch auf das Zeugnis von Dr. Mildner Bezug genommen. Ich glaube, es war vom 3. Januar. Der Name dieses Zeugen wurde im Zusammenhang mit den Belastungen gegen Kaltenbrunner genannt. Es liegen ein oder zwei Affidavits vor...

VORSITZENDER: Aber, wenn das Affidavit dem Gerichtshof nicht vorgelegt wurde, geht uns das doch nichts an. Wir haben es nicht gesehen, wenigstens nicht, soweit ich mich erinnere. Wissen Sie etwas davon, Sir David?

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Ich konnte dieses Affidavit von Dr. Mildner nicht finden. Ich erinnere mich nicht daran, aber ich werde gern Dr. Kauffmanns Hinweis überprüfen.

VORSITZENDER: Wenn die Anklagevertretung das Affidavit verwandt hat, werden Sie natürlich keinen Einspruch gegen die Vorladung des Zeugen zum Kreuzverhör einlegen?

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Grundsätzlich nicht. Der Grund, weshalb ich eher überrascht bin, ist, daß gewöhnlich diese Ansicht vertreten wurde, wenn man das Affidavit zu benutzen beabsichtigte. Der betreffende Verteidiger hat dann um die Vorladung des Zeugen gebeten. Ich werde diesen besonderen Punkt nachprüfen lassen. Im allgemeinen jedoch kann der Gerichtshof überzeugt sein, daß wir, falls wir nicht einen besonderen Punkt vorbringen, wenn ein Affidavit eingereicht worden ist, und wir nicht vorher vor dem Gerichtshof argumentiert haben, es für sehr wichtig halten, den Zeugen, wenn es zweckdienlich ist, hierher zu bringen.

VORSITZENDER: Ich habe nicht verstanden, daß Dr. Kauffmann sagte, daß das Affidavit tatsächlich von der Anklagebehörde eingereicht wurde, aber es ist erwähnt worden? Ist das richtig, Dr. Kauffmann?

DR. KAUFFMANN: Es wird nicht viel Zeit in Anspruch nehmen. Ich habe die Akten vom 3. Januar hier.

VORSITZENDER: Dr. Kauffmann, wir geben Ihnen Gelegenheit, die Sache herauszusuchen. Wir unterbrechen für zehn Minuten.