[Das Gericht vertagt sich bis
5. März 1946, 10.00 Uhr.]
Vierundsiebzigster Tag.
Dienstag, 5. März 1946.
Vormittagssitzung.
VORSITZENDER: Ich habe folgendes bekanntzugeben:
Der Gerichtshof ist von Seiten des Herrn Dr. Hanns Marx, eines der in diesem Falle für die Verteidigung auftretenden deutschen Verteidigers, auf einen in der Berliner Zeitung vom 2. Februar unter der Überschrift »Ein Verteidiger« erschienenen Artikel aufmerksam gemacht worden. In diesem Artikel, den ich nicht zu verlesen beabsichtige, wird Dr. Marx wegen eines Irrtums bei dem Kreuzverhör eines Zeugen, das er in Vertretung RA. Babels in Sachen der SS unternahm, schwerster Kritik ausgesetzt. In diesem Artikel heißt es, daß Dr. Marx sich durch eine Fragestellung höchst unkorrekt benommen habe, er habe unter der Maske des Verteidigeramtes private und persönliche Ansichten zum Ausdruck gebracht, und er hätte im Hinblick auf die Art des Beweismaterials Stillschweigen bewahren müssen.
Die Angelegenheit nimmt einen noch ernsteren Aspekt an, da der Artikel dann Dr. Marx für die Zukunft mit heftigen und einschüchternden Worten den völligen Boykott androht.
Der Gerichtshof wünscht aufs deutlichste zum Ausdruck zu bringen, daß ein derartiges Verhalten nicht geduldet werden kann. Eines der wichtigsten Elemente der Rechtsprechung ist das Recht jeder angeklagten Person, von einem Verteidiger vertreten zu werden. Ein Verteidiger ist ein Gerichtsbeamter, und es muß ihm freistehen, seine Verteidigung ungestört durchzuführen, ohne daß er irgendwelche Drohungen oder Einschüchterungsversuche zu befürchten hat. In Übereinstimmung mit den ausdrücklichen Bestimmungen des Statuts hat sich der Gerichtshof die größte Mühe gegeben, dafür zu sorgen, daß alle Angeklagten und die genannten Organisationen den Vorteil genießen, von einem Verteidiger vertreten zu sein; die Verteidigung hat bereits gezeigt, welche großen Dienste sie hier in diesem Prozeß zu leisten imstande ist, und ihr Verhalten sollte sie sicherlich nicht Vorwürfen irgendwelcher Art von irgendeiner Seite aussetzen.
Der Gerichtshof selbst entscheidet allein über das richtige Verhalten im Gerichtssaal und wird aufs peinlichste dafür sorgen, daß eine durchaus musterhafte, berufliche Führung gewahrt wird. Verteidiger, die hier ihren im Statut festgelegten Pflichten nachkommen, können sich darauf verlassen, daß der Gerichtshof ihnen, soweit es in seiner Macht steht, den vollsten Schutz gewähren wird. Im vorliegenden Falle ist der Gerichtshof nicht der Ansicht, daß Dr. Marx seine beruflichen Pflichten in irgendeiner Weise überschritten hat.
Der Gerichtshof hält die Sache im Hinblick auf ihre Wirkung auf die ordentliche Rechtspflege für so wichtig, daß er den Kontrollrat für Deutschland aufgefordert hat, den Tatbestand zu untersuchen und dem Gerichtshof darüber Bericht zu erstatten.
Das ist alles, was ich hierüber zu sagen habe.
Sir David, der erste hier vorliegende Antrag bezieht sich auf den Angeklagten Streicher. Ich erteile nun dem Verteidiger des Angeklagten Streicher das Wort.
DR. HANNS MARX, VERTEIDIGER DES ANGEKLAGTEN STREICHER: Herr Präsident! Der Angeklagte Streicher ist nach zwei Richtungen unter Anklage gestellt. Einmal, er habe an der Planung und an der Verschwörung zur Vorbereitung eines Angriffskrieges teilgenommen, und zum anderen wegen Verbrechen gegen die Humanität.
Was den ersten Punkt anbelangt, so glaubt die Verteidigung, sich Beweisanträge ersparen zu können, weil der Angeklagte Streicher im ganzen Verlauf dieser Verhandlungen nie in einem Dokument in Erscheinung getreten ist und eine Teilnahme an den engen Beratungen Hitlers nicht feststellbar erscheint. Nach dieser Richtung habe ich daher keinerlei Beweisanträge für erforderlich gehalten.
Was den zweiten Punkt anbelangt, so benenne ich in erster Linie die Ehefrau des Angeklagten Streicher, Frau Adele Streicher, geb. Tappe, als Zeugin.
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Vielleicht ist es zweckmäßig, wenn ich die Ansicht der Anklagevertretung über diese Zeugen zum Ausdruck bringe; es handelt sich hier nur um sechs Zeugen. Vielleicht kann dann Dr. Marx seine Bemerkungen zu meinen Vorschlägen machen.
VORSITZENDER: Ja.
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Der Gerichtshof wird bemerken, daß sechs Zeugen in Frage kommen, und wenn er mir in der Reihenfolge meiner Aufzeichnungen folgt, dann will ich nun den Standpunkt der Anklagebehörde bekanntgeben.
Zeuge Nummer 3, Ernst Hiemer, war der Hauptschriftleiter des »Stürmer« und offenbar der Hauptmitarbeiter des Angeklagten.
Zeuge 4, Wurzbacher, war ein SA-Brigadeführer in Nürnberg und soll in der Lage sein, über die Reden des Angeklagten Aussagen zu machen.
Zeuge Nummer 2, Herrwerth, war der Chauffeur des Angeklagten und soll sich zu einem bestimmten Punkt äußern, nämlich über den Ärger des Angeklagten über die Gewalttaten des 10. November 1938.
Zeuge Nummer 6, ein Rechtsanwalt Dr. Friedrich Strobel, der über denselben Punkt Aussagen machen soll, nämlich, daß der Angeklagte im Dezember 1938 seine Mißbilligung über die im November 1938 durchgeführten Maßnahmen zum Ausdruck brachte.
Weiterhin handelt es sich um zwei Familienangehörige: Frau Streicher, die in den Jahren 1940 bis 1945 Sekretärin des Angeklagten war, und seinen Sohn, Lothar Streicher.
Die Anklagebehörde hat keine Einwände gegen die Vorladung des Herrn Hiemer, des Hauptmitarbeiters des Angeklagten. Er soll nach dem Vorschlag von Dr. Marx über die »grundlegende Stellungnahme des Angeklagten Streicher zur Judenfrage«, wie dies Dr. Marx formuliert, sprechen. Es gibt eine Reihe von Angelegenheiten, über die er zu sprechen in der Lage sein soll, denen von der Anklagebehörde jedoch als unerheblich widersprochen wird. Dies kann aber später erfolgen.
In Bezug auf Herrn Wurzbacher möchte ich sagen, daß er von Anfang an bei allen Versammlungen, in denen Streicher sprach, zugegen gewesen sein soll. Hiergegen würde die Anklagebehörde keinen Einspruch erheben; es wird jedoch auf die Tatsache aufmerksam gemacht, daß Herr Wurzbacher nach früheren Anträgen in der Lage sein soll, über den Boykott im Jahre 1933 und die Ereignisse im November 1938 auszusagen. Die Anklagebehörde weist deshalb den Gerichtshof ergebenst darauf hin, daß er zwar über die Ereignisse des Jahres 1938 aussagen kann, daß aber keine mündliche Aussage, die diesen Punkt nur wiederholen würde, notwendig ist. Die Anklagebehörde schlägt deshalb vor, daß im Hinblick auf den Chauffeur des Angeklagten, Herrn Herrwerth, der tatsächlich über einen wesentlichen Punkt, nämlich den Ärger des Angeklagten über die Ereignisse des November 1938 sprechen soll, eine eidesstattliche Erklärung als ausreichend erachtet wird. Wir möchten anregen, daß dasselbe Verfahren auf den vorgenannten Rechtsanwalt Dr. Strobel angewendet wird.
In Bezug auf Frau Streicher, Zeuge Nummer 1, wird der Gerichtshof bemerken, daß Frau Streicher während der Zeit vom Mai 1940 bis Mai 1945 Sekretärin des Angeklagten war. Der Schwerpunkt der Anklage gegen diesen Angeklagten fällt natürlich in eine viel frühere Zeitspanne, vor und unmittelbar nach der Machtübernahme.
Die Anklagevertretung ist daher der Ansicht, daß das von Frau Streicher zu erwartende Beweismaterial eine Beschreibung des Lebens des Angeklagten während der Kriegsjahre darstellt, und sie schlägt vor, auch diese Zeugenaussage wiederum in Form einer eidesstattlichen Erklärung zur Kenntnis zu nehmen.
Demnach bleibt nur noch Leutnant Lothar Streicher, der älteste Sohn des Angeklagten. Ich möchte den Gerichtshof daran erinnern, wie die hinsichtlich seiner Person erwähnten Dinge mit diesem Falle verbunden sind: Ein Bericht der Göring-Kommission über Korruption bei Arisierungsfragen stellt in einem Abschnitt fest, daß dieser Angeklagte drei im Gefängnis befindliche Knaben besucht hat, und daß gewisse widerliche und grausame Handlungen vorgekommen sind. Die Anklagevertreter sind freilich der Ansicht, daß diese Angelegenheit als Beschuldigung gegen den Angeklagten keine erhebliche Bedeutung hat. Sie sind sich jedoch bewußt, daß ihre Wirkung höchst nachteilig ist; der Bericht darüber wurde verlesen und hinterließ einen unangenehmen Eindruck. Wir sind daher der Auffassung, daß es dem Gerichtshof obliegt, zu entscheiden. Da die Anklagebehörde den Bericht einschließlich dieses Teiles vorgelegt hat, dürfte sie keinen Einspruch erheben, es sei denn, um darauf hinzuweisen, daß die Angelegenheit streng genommen nicht erheblich ist. Wenn jedoch nach Ansicht des Gerichtshofs der Angeklagte den Vorteil genießen sollte, daß sein Sohn diesem Bericht über höchst anstößige Dinge entgegenwirkt, so würde die Anklagebehörde keinen Einspruch dagegen erheben, obgleich sie darauf hinweisen muß, daß dieses Material streng genommen nicht erheblich ist.
VORSITZENDER: Würde nach Ansicht der Anklagebehörde eine eidesstattliche Erklärung in diesem Fall angebracht sein?
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Selbstverständlich, gerade dies möchte die Anklagevertretung vorschlagen.
Vielleicht darf ich deshalb zusammenfassen: Mein Vorschlag geht dahin, daß die Anklagevertretung keine Einwendungen gegen die mündlichen Zeugenaussagen der Herren Hiemer und Wurzbacher erhebt und gegen eidesstattliche Erklärungen der anderen Zeugen nichts einzuwenden hat.
DR. MARX: Erlauben Sie mir, in einiger Hinsicht anderer Ansicht zu sein wie der Herr Vertreter der Anklage. Die Anklagebehörde meint, daß die Angaben, welche Frau Adele Streicher machen könnte, nicht von besonderem Belang sind. Dem ist aber entgegenzuhalten, daß diese Zeugin seit 5 Jahren, also 5 Jahre lang, nämlich seit dem Jahre 1940, in der unmittelbaren Umgebung des Angeklagten war, die gesamte Korrespondenz führte und insbesondere weiß, welche Beziehungen Streicher während der gesamten Kriegszeit unterhielt. Der Verteidigung kommt es in erster Linie darauf an, nachzuweisen, daß Streicher in keinerlei Beziehung zu irgendeinem der maßgebenden Männer der Partei oder des Staates während seines Exils in Pleikershof war. Es fand weder ein Briefwechsel noch ein Meinungsaustausch mit Hitler statt, noch etwa mit Himmler, Kaltenbrunner, Heydrich, oder wie diese maßgebenden Männer auch heißen mögen. Streicher befand sich in einer absoluten Abgeschlossenheit und spielte politisch keine Rolle und hatte auch keinerlei Autorität. Infolgedessen kann ich als Verteidiger auf diese Zeugin, und zwar auf die Anhörung dieser Zeugin vor dem Gerichtshof nicht verzichten, wenn anders nicht wichtige Interessen des Angeklagten Streicher beeinträchtigt werden sollen.
Ich bitte also den Gerichtshof, meinen Antrag auf Vernehmung der Frau Streicher vor dem Gerichtshof stattgeben zu wollen, damit die entsprechenden und sachdienlichen Fragen an sie gestellt werden können.
Das gleiche gilt von dem Zeugen Herrwerth. Es ist nicht so, daß dieser Zeuge lediglich über eine belanglose Angelegenheit oder einen unwichtigen Vorgang Bekundungen machen soll, vielmehr handelt es sich um einen Vorgang von entscheidender Bedeutung. Dieser Herrwerth war zugegen in der Nacht vom 9. auf den 10. November 1938, als der SA-Gruppenführer von Obernitz dem damaligen Gauleiter Streicher Mitteilung machte, daß Demonstrationen gegen die jüdische Bevölkerung beabsichtigt seien. Er weiß daher auf Grund seiner persönlichen Wahrnehmung, was damals zwischen den beiden Männern gesprochen wurde, und daß Streicher diese Demonstrationen ablehnte, und zwar mit der Begründung, daß er eine derartige Demonstration für vollkommen verfehlt erachte. Streicher distanzierte sich also entgegen dem Willen und dem Befehl des Führers von dieser Demonstration gegen die jüdische Bevölkerung.
Es kann keinem Zweifel unterliegen, daß es sich hier um einen Vorgang von ganz besonderer Wichtigkeit handelt. Es ist klar, daß Streicher, wenn er sich damals – er lag zu Bett und wurde in seinem Schlafzimmer von Obernitz aufgesucht – in solcher Weise verhielt, zweifellos die sonstigen Behauptungen seiner Verteidigung unterstrichen hat.
Ich bitte daher, den Fritz Herrwerth als Zeugen vor den Gerichtshof zu laden, damit er von mir, dem Verteidiger, und allenfalls auch von der Staatsanwaltschaft entsprechend einvernommen werden kann.
Was den Zeugen Hiemer anbelangt, so war bereits mein Herr Vorredner damit einverstanden, daß er ebenso wie Wurzbacher hier vor Gericht erscheinen soll. Wurzbacher befindet sich, was ich hier gleich bemerken möchte, im Lager Altenstädt bei Schongau, und zwar im Camp 10.
Was den Zeugen Lothar Streicher anbelangt, so legt hier der Angeklagte Streicher besonderes Gewicht darauf, durch diesen Zeugen festgestellt zu wissen, daß jene Behauptung im Göring-Bericht nicht wahr ist, daß nämlich der Angeklagte Streicher damals schweinische Handlungen oder Gesten bei jenem Besuch im Gefängnis gemacht habe. Wenn die Anklagebehörde hier erklären würde, daß sie auf diesen Punkt kein Gewicht mehr legt, daß sie diesen Bericht überhaupt nicht mehr zum Gegenstand eines Vortrages zu machen gedenkt, so könnte ich damit einverstanden sein, auf diesen Zeugen zu verzichten; wenn anders aber, halte ich mich für verpflichtet, zur Ehrenrettung meines Klienten darauf zu bestehen, daß dieser Zeuge hier vor Gericht erscheint. Der gleiche Zweck kann unmöglich durch ein Affidavit erreicht werden. Ich bitte daher, auch nach dieser Richtung, dem Antrag der Verteidigung stattgeben zu wollen.
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Zu diesem letzten Punkt, Herr Präsident, habe ich schon im Namen der Anklagebehörde erklärt, sie betrachte diese Angelegenheit als unerheblich für die Anklage gegen Streicher. Die Anklagebehörde hat den Bericht vorgebracht, und ich glaubte, dem Gerichtshof gegenüber bereits klargestellt zu haben, daß dieser Bericht zu den bisweilen vorkommenden nebensächlichen Angelegenheiten gehört, denen jedoch gewisse Bedeutung zukommt, und daß daher die Anklagevertretung einer eidesstattlichen Erklärung Lothar Streichers nicht widersprechen werde. In der Hauptsache aber beschuldigt die Anklagevertretung diesen Angeklagten der Anstiftung und ständigen Aufhetzung zur Judenverfolgung. Ich glaube, man soll sich auf diese Tatbestände beschränken. Ich war aber der Meinung, bereits klargestellt zu haben, daß der Vorfall in keiner anderen Beziehung von Bedeutung sei. Der fragliche Bericht behandelte die Arisierung jüdischen Eigentums, und diese Stelle war im Bericht enthalten. Dem Bericht selbst mißt die Anklagebehörde im Hinblick auf die Judenverfolgung erhebliche Bedeutung zu.
VORSITZENDER: Der Gerichtshof wird diese Angelegenheit erwägen.
DR. MARX: Darf ich hierzu noch etwas bemerken, Herr Präsident?
Diese Angelegenheit, die durch Lothar Streicher unter Beweis gestellt ist, ist ein Teil des Göring-Berichts und kann eigentlich aus dem Zusammenhang heraus gar nicht für sich allein behandelt werden; denn dieser Göring-Bericht stammt ja nach Ansicht des Angeklagten von einem Manne, der ihm schaden wollte, der, nachdem er früher von ihm sehr viele Wohltaten empfangen hatte, später mit ihm verfeindet war und diese Göring-Kommission, die sich ursprünglich mit ganz anderen Zielen zu befassen hatte, dazu benutzte, um dem verhaßten Angeklagten eins auszuwischen.
Es ist nicht gleichgültig, ob man einem Mann nachsagt, daß er derartigen sadistischen Gelüsten in Gegenwart anderer Personen und in solch niederträchtiger Weise freien Lauf gelassen haben soll, und deshalb legt der Angeklagte sehr großes Gewicht darauf, daß die Unwahrheit dieses Vorbringens hier in aller Öffentlichkeit klargelegt wird.
Ich bitte deshalb nochmals, den Lothar Streicher hier vor Gericht kommen zu lassen.
Was den letzten Zeugen, den Rechtsanwalt Strobel, anbelangt, so wäre ich an sich gern bereit, dem Wunsch des Sir David Maxwell-Fyfe Folge zu leisten, wenn ich nicht auch nach dieser Richtung Bedenken haben müßte. Durch den Rechtsanwalt Strobel soll folgendes bewiesen werden:
Einige Zeit, etwa drei Wochen nach den Vorgängen vom 9. auf den 10. November 1938, sprach Streicher in einer Versammlung des Juristenbundes in Nürnberg. In dieser öffentlichen Versammlung von Juristen nahm Streicher Stellung zu den Vorgängen vom 9. auf den 10. November 1938 und legte klar, daß er eine ablehnende Haltung gegen einen Demonstrationszug und gegen das Anzünden der Synagogen eingenommen habe. Rechtsanwalt Strobel war damals, wie er mitteilte, geradezu erstaunt, daß Streicher in so offener Weise gegen den Befehl Hitlers Stellung nahm und keinen Hehl daraus machte, daß er Obernitz gegenüber die Teilnahme an der Demonstration abgelehnt hatte, und daß er die Demonstration, überhaupt die ganze Anordnung, für verfehlt erachtet hätte.
Das Zeugnis Strobels kann wichtiger sein, als das des Chauffeurs Herrwerth, denn bei Herrwerth kann die Anklage der Verteidigung entgegenhalten: Herrwerth war ja ein Angestellter des Angeklagten und hat vielleicht ein Interesse, dem Angeklagten beizustehen. Dieses Moment fällt aber bei Rechtsanwalt Strobel vollkommen weg, weil Strobel in einem Schreiben, das er an den Gerichtshof richtete, ja seine Abneigung gegen den Angeklagten zum Ausdruck bringen wollte und nur in Parenthese diesen Vorfall erwähnte.
Es handelt sich bei Strobel demnach um einen objektiven Zeugen, wenigstens nach dieser Hinsicht, während man bei Herrwerth sagen könnte, Herrwerth sei vielleicht nicht ganz objektiv. Ich bitte daher, den Rechtsanwalt Strobel ebenfalls hier vor Gericht zu laden, damit eine unmittelbare Befragung dieses Zeugen von seiten der Verteidigung und allenfalls der Anklagebehörde möglich ist.
VORSITZENDER: Damit wären Sie also am Ende Ihrer Zeugenliste, nicht wahr? Nun können Sie die Dokumente vorbringen. Sie haben keine Dokumente? Nun gut, der Gerichtshof wird Ihre Anträge prüfen.
DR. MARX: Herr Präsident, darf ich sprechen? Es war mir bisher noch nicht möglich, alle in Betracht kommenden Dokumente zusammenzustellen, weil ich eine Reihe von Zeitungsartikeln zusammenstellen und dem Gerichtshof in Vorlage bringen will. Ich bitte mir daher die Möglichkeit vorzubehalten, eine Liste der Dokumente nachträglich in Vorlage zu bringen, und werde mich mit der Anklagebehörde vorher ins Benehmen setzen, welche Dokumente vielleicht ausgeschaltet werden können und auf welche Wert zu legen ist.
VORSITZENDER: Ja, Dr. Marx, der Gerichtshof wird nichts dagegen einzuwenden haben, daß Sie zu einem späteren Zeitpunkt mit der Anklagevertretung wegen der Dokumente verhandeln. Sie müssen sich aber darüber klar sein, daß eine Verzögerung nicht zulässig ist.
Ich erteile dem Verteidiger des Angeklagten Funk das Wort.
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Verzeihen Sie einen Augenblick, Dr. Sauter. Ich möchte nur hinsichtlich dieser Anträge noch etwas bemerken. Es bestehen nämlich so wenig Unterschiede zwischen den Anträgen und dem Standpunkt der Anklagebehörde, daß wir vielleicht Zeit sparen würden, wenn ich zunächst die Ansicht der Anklage zum Ausdruck bringe, und Dr. Sauter dann seine Meinung hierzu bekannt gibt. Ich könnte mich ganz kurz fassen, aber ich möchte Dr. Sauter nicht vorgreifen, wenn er irgend eine Einwendung dagegen zu machen hat.
VORSITZENDER: Wären Sie damit einverstanden, Dr. Sauter?
DR. FRITZ SAUTER, VERTEIDIGER DER ANGEKLAGTEN FUNK UND VON SCHIRACH: Daß ich jetzt meine Antrage mündlich stelle und die Anklagevertretung sich dann dazu äußert?
VORSITZENDER: Nein, ich glaube, Sir Davids Vorschlag war, daß er zunächst seine Einwendungen zum Ausdruck bringe und Sie sich dann dazu äußern.
DR. SAUTER: Ich bin vollkommen damit einverstanden, meine Herren.
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Hoher Gerichtshof! Die Zeugen können in vier Gruppen eingeteilt werden. Die erste Gruppe, die Nummern 1, 2 und 10 auf der Liste, besteht aus drei Zeugen aus dem Wirtschaftsministerium. Wenn ich Dr. Sauter recht verstehe, wünscht er Nummer 2, Herrn Hayler, als Zeugen zur mündlichen Aussage hier vorzuladen, während er von dem Zeugen Landfried (Nr. 1) und Kallus (Nr. 10) eidesstattliche Erklärungen vorlegen möchte. Die Anklagebehörde hat hiergegen nichts einzuwenden, nur bei dem Zeugen Landfried wird sie vielleicht wegen der Form des Fragebogens einiges zu bemerken haben. Zweifellos wird hierüber mit Dr. Sauter eine Regelung getroffen werden können, die dem Gerichtshof zur Genehmigung vorgelegt werden wird. Ferner möchte sich die Anklagebehörde das Recht vorbehalten, weitere Kreuzverhöre durch Fragebogen zu beantragen. Abgesehen von diesen, wie ich glaube, unwesentlichen Punkten ist sie mit diesem Vorschlag einverstanden.
Die zweite Gruppe besteht aus zwei Zeugen von der Reichsbank, Nummer 5, Herrn Puhl, und Nummer 7, Herrn Dr. August Schwedler. Und auch hier wünscht Dr. Sauter, wenn ich ihn richtig verstehe, eidesstattliche Erklärungen in Form der Beantwortung von Fragen. Die Anklagevertretung hat dagegen nichts einzuwenden, will sich aber wiederum das Recht vorbehalten, falls notwendig, Kreuzverhöre durch Fragebogen zu beantragen. Sollten die Antworten eine bestimmte Form annehmen, dann müßte die Anklagebehörde beim Gerichtshof den Antrag auf Vorladung des Zeugen zum Kreuzverhör stellen. Sie möchte sich dieses Recht nur vorbehalten, aber sie kann selbstverständlich erst dann darüber entscheiden, wenn sie die Art der Antworten gesehen hat.
Die dritte Gruppe besteht nur aus einem Zeugen: Dr. Lammers, der von den meisten Angeklagten als Zeuge zur mündlichen Aussage benannt wurde. Die Anklagevertretung hat keinen Einwand dagegen vorzubringen und schlägt vor, daß Dr. Sauter seine Fragen an Dr. Lammers stellt, wenn er hier auf dem Zeugenstand erscheint.
Die vierte Gruppe ist allgemeiner Art. Sie umfaßt Nummer 6, Herrn Öser, einen Redakteur; Nummer 8, Herrn Amann; Nummer 9. Herrn Rösen, und zuletzt Nummer 4, Frau Funk. Hinsichtlich all dieser Zeugen wünscht Dr. Sauter, wenn ich ihn richtig verstehe, entweder ein Verhör durch Fragebogen oder eine eidesstattliche Erklärung. Dagegen hat die Anklagevertretung nichts einzuwenden mit der gleichen Einschränkung: Sie behält sich das Recht vor, Kreuzverhöre durch Fragebogen vorzunehmen, oder, wenn dies notwendig erscheint, den Gerichtshof um Vorladung dieser Zeugen zu bitten. Abgesehen von diesen Vorbehalten liegt nichts zwischen uns vor. Wenn ich Dr. Sauter richtig verstehe, will er zwei Zeugen hier vorladen, während er in den übrigen acht Fällen Fragebogen vorlegen will.
VORSITZENDER: Sir David, machen Sie keinerlei Unterschied zwischen einer eidesstattlichen Erklärung und einem Fragebogen?
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Ja, selbstverständlich, Herr Präsident. Aber Dr. Sauter hat uns in den meisten Fällen die Fragebogen gezeigt, die er einreichen will, mit Ausnahme des Bogens für den Zeugen Dr. Lammers, der mündlich aussagen soll, da er als Zeuge hier erscheinen wird. Mir scheint, daß Dr. Sauter, wenn er von eidesstattlichen Erklärungen spricht, eidesstattliche Erklärungen in Form von Antworten auf Fragen meint, so wie er sie im Anhang dargelegt hat.
VORSITZENDER: Die Anklagevertretung, Sir David, würde also die Auslegung annehmen, die Sie vorgeschlagen haben, nämlich, daß unter eidesstattlichen Erklärungen Fragebogen für Zwecke eines Verhörs oder, wenn notwendig, eines Kreuzverhörs zu verstehen sind.
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Sehr richtig!
VORSITZENDER: Also gut. Bitte, Dr. Sauter.
DR. SAUTER: Meine Herren, ich bin mit den Vorschlägen der Staatsanwaltschaft hinsichtlich der Behandlung der einzelnen Beweisanträge einverstanden. Über die Formulierung der Fragebogen werde ich mich in den einzelnen Fällen noch mit der Anklagebehörde einigen.
VORSITZENDER: Einen Augenblick bitte, Dr. Sauter. Vielleicht können Sie uns noch eine Auskunft geben. Bei Zeuge Nummer 6 sagen Sie beispielsweise: »Mir liegt eine Erklärung von diesem Zeugen mit einer Ergänzung vor«. Wollen Sie damit Antworten auf Fragebogen oder auf eine eidesstattliche Erklärung bezeichnen? Haben Sie die Stelle, auf die ich mich beziehe?
DR. SAUTER: Ich habe von diesem Zeugen, Albert Öser, Nummer 6, eine eidesstattliche Erklärung in Händen, und diese werde ich dem Gerichtshof, zusammen mit meinem Dokumentenbuch, vorlegen. Diese eidesstattliche Versicherung habe ich also schon.
VORSITZENDER: Nun, Sir David, das ist doch wohl nicht ganz dasselbe wie ein Fragebogen? Ich weiß nicht, ob Sie die eidesstattliche Erklärung selbst gesehen haben. Vielleicht wollen Sie diesen Zeugen zu einem späteren Zeitpunkt einem Kreuzverhör unterziehen oder ihm weitere Fragen im Wege des Kreuzverhörs durch Fragebogen vorlegen.
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Ja, Herr Präsident, dieser Fall könnte eintreten. Ich muß mir das Recht vorbehalten, in dieser Weise zu verfahren, bis ich die eidesstattliche Erklärung gesehen habe. Die dem Antrag Dr. Sauters beiliegenden eidesstattlichen Erklärungen sind alle in der Form von Fragebogen gehalten; aber wenn das Dokument in Form einer einfachen Erklärung gehalten ist, müßte sich die Anklagevertretung dieses Recht vorbehalten. Es ist wirklich nicht möglich, hier Stellung zu nehmen, bevor man das Schriftstück gesehen hat.
DR. SAUTER: Die eidesstattliche Erklärung des Zeugen Öser, Nummer 6, werde ich selbstverständlich rechtzeitig vor der Beweisführung der Staatsanwaltschaft zuleiten, damit die Staatsanwaltschaft sich rechtzeitig darüber schlüssig werden kann, ob sie von dem Zeugen Öser ein Kreuzverhör wünscht. Das ist ja selbstverständlich.
VORSITZENDER: Wo befindet sich dieser Zeuge? Wo ist er?
DR. SAUTER: Es ist Zeuge Nummer 6, Hoher Gerichtshof.
VORSITZENDER: Ja, aber wo ist der Mann? Wo ist er zur Zeit? Ist er in Nürnberg oder wo sonst?
DR. SAUTER: Der Zeuge Öser ist in Schramberg, das ist in Baden. Schramberg ist im Schwarzwald in Baden, in der Nähe des Rheins, also ziemlich weit entfernt von Nürnberg. Und außerdem, Herr Vorsitzender, sind die Punkte, über die der Zeuge Öser auszusagen hat, verhältnismäßig so klein, daß es sich nicht lohnen würde, den Zeugen eigens nach Nürnberg kommen zu lassen. Ich persönlich kenne den Zeugen nicht, aber der Zeuge ist mir durch einen Bekannten genannt worden, daß er über das Verhalten des Angeklagten Funk günstige Auskunft geben könnte. So sind wir auf den Zeugen Öser gekommen, und von ihm haben wir eine eidesstattliche Versicherung, die ich dem Herrn Ankläger rechtzeitig zuleiten werde.
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Hinsichtlich der Dokumente, Herr Präsident, bemerke ich, daß das erste eine Biographie des Angeklagten Funk ist. Die Auszüge wurden als Teil des Anklagematerials vorgelegt. Ich bitte Dr. Sauter, uns anzugeben, welche Teile der Biographie er zu verwenden beabsichtigt. Dann kann die Anklagevertretung gegebenenfalls Einwände dagegen erheben oder Kommentare dazu bringen. Als zweites benötigen wir, wie gestern, die Akten des Prozesses von Dachau mit der Aussage des Zeugen Dr. Blaha. Die Amerikanische Anklagevertretung ist gern bereit, Dr. Sauter den Bericht über die Aussagen Dr. Blahas bei jenem Prozeß vorzulegen.
Die Reden des Angeklagten Funk wird die Anklagevertretung berücksichtigen, wenn Dr. Sauter angeben will, um welche Reden es sich handelt und welche Stellen er aus ihnen zu bringen gedenkt. Auf den ersten Blick scheinen sie erheblich zu sein.
Und auch die Nummer 4, das Zeitungsexemplar mit einem Bericht über die Rede des Angeklagten, scheint uns prima facie erhebliche Bedeutung zu besitzen und wir werden es einer Prüfung unterziehen. Es ist höchst unwahrscheinlich, daß wir Einspruch erheben müssen; wir werden es aber prüfen und, wenn nötig, bei dem Vortrag Dr. Sauters dazu Stellung nehmen.
VORSITZENDER: Hat Dr. Sauter die Zeitung?
DR. SAUTER: Herr Vorsitzender, die Zeitung, die unter Nummer 4 erwähnt ist, und ebenso die Reden, die unter Ziffer 3 erwähnt sind, habe ich inzwischen bekommen. Ich werde nicht die ganzen Reden in der Beweisführung verwerten.
VORSITZENDER: Demnach würden Sie also bereit sein, die Stellen in Ihrem Dokument Nummer 1, sowie die Stellen in 3 und 4, die Sie vorlegen wollen, der Anklagebehörde zum Zwecke ihrer Übersetzung anzugeben.
DR. SAUTER: Ja, ich werde es so machen. Ich werde aus dem Buch Ziffer 1, von dem ich nur einige Seiten, ich glaube zwei oder drei Seiten, verwerten werde, und ebenso aus den Reden und den Zeitungsartikeln diejenigen Stellen, die ich zu verwerten beabsichtige, in das Dokumentenbuch aufnehmen und rechtzeitig der Staatsanwaltschaft zur Übersetzung übergeben.
Und was die Akten von Dachau anbelangt, so ist dieser Antrag bereits durch das erledigt, was gestern die Anklagevertretung gegenüber dem Angeklagten Frick erwähnt hat. Ich glaube, der stenographische Bericht von Dachau ist bereits da, ich werde ihn eingehen, und damit wird sich das erledigen.
VORSITZENDER: Gut. Dann rufe ich den Verteidiger für Dr. Schacht auf.
DR. DIX: Es ist mir angenehm, dem Gerichtshof sagen zu können, daß ich glaube, mich mit Sir David über den Umfang der von mir zu stellenden Beweisanträge, und insbesondere über diejenigen Beweisanträge, die ich zurückzuziehen oder einzuschränken beabsichtige, verständigt zu haben. Ich bitte deshalb, zur Erleichterung so disponieren zu können, daß ich dem Gerichtshof zuerst mitteile, welche Anträge meiner Liste wegfallen, und welche Anträge ich einschränke, so daß also dann am Schluß diejenigen übrig bleiben, die ich aufrecht erhalte.
Ich ziehe zurück: Den Antrag Nummer 5 auf Vernehmung von Dr. Diels. Ich habe gestern gehört, daß Dr. Diels auch von anderer Seite als Zeuge beantragt worden ist. Sollte der Gerichtshof auf Grund dieses gestrigen Antrages das Erscheinen von Diels anordnen, dann darf ich mir wohl das Recht vorbehalten, auch an Diels anschließend Fragen zu richten. Aber ich selbst beantrage ihn nicht. Dann bitte ich das Augenmerk zu lenken auf die Anträge:
6:das ist der Oberst Gronau;
7: das ist Herr von Scherpenberg;
8: der Staatssekretär Schmid;
9: der General-Konsul Dr. Schniewind;
10: der General Thomas vom Rüstungsstab;
11: Dr. Walter Asmus;
12: Dr. Reuter und
13: Dr. Berckemeyer.
Hinsichtlich aller dieser Zeugen bin ich mit einer eidesstattlichen Versicherung einverstanden. Ich bin mir natürlich klar, daß ich diese eidesstattliche Versicherung der Anklagebehörde zuleiten werde, und bin mir des weiteren darüber klar, daß dann die Anklagebehörde das Recht hat, ihrerseits die Vorladung dieser Zeugen zum Zwecke des Kreuzverhörs noch zu beantragen. Es bleiben also zur Vorladung vor Gericht übrig:
Der Zeuge Nummer 1: Gisevius.
Die Zeugin Nummer 2: Frau Strünck.
Der Zeuge Nummer 3: der ehemalige Reichsbankdirektor Vocke