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[Das Gericht vertagt sich bis 14.00 Uhr.]

Nachmittagssitzung.

VORSITZENDER: Der Gerichtshof wird morgen keine öffentliche Sitzung abhalten.

GENERAL R. A. RUDENKO, HAUPTANKLÄGER FÜR DIE SOWJETUNION: Ich habe dem Gerichtshof einige Worte zu der Verteidigung Dr. Stahmers zu berichten. Der Verteidiger Dr. Stahmer hat über das Dokument, das die Missetaten der Deutschen in Katyn betrifft, gesprochen und hat gesagt, daß er dieses Dokument nicht in Händen hat. Ich möchte nicht über das Wesen dieses Dokuments sprechen; ich möchte dem Gerichtshof berichten, daß am 13. Februar dieses Jahres dieses Dokument als USSR-54 in 30 Exemplaren in deutscher Sprache im Dokumentenzimmer der Verteidiger abgeliefert wurde, und zwar gegen Quittung. Wir haben es nicht für nötig erachtet, jedem Verteidiger einzeln das Dokument zu unterbreiten. Wir haben gefunden, daß es genügt, wenn das Dokumentenzimmer das Dokument erhält und die Verteidiger Kopien.

Das ist alles, was ich dem Gerichtshof mitteilen wollte.

DR. LATERNSER: Es muß ein Mißverständnis über die Nummer dieses Dokuments bestehen. Es wurde damals in der öffentlichen Sitzung von dem Herrn Vertreter der Russischen Anklage vorgelegt als Nummer USSR-64. USSR-64 ist nicht zur Verteilung gekommen. Ich habe es nicht bekommen und habe es auch im Informationszimmer der Anwälte auf zweimalige Anforderung nicht erhalten können.

VORSITZENDER: Die Angelegenheit wird untersucht werden.

JUSTICE JACKSON: Soweit ich Sie richtig verstehe, übte Hermann Göring bis zum Frühjahr 1943 großen Einfluß in den beratenden Körperschaften des Reiches aus.

BODENSCHATZ: Vor dem Jahre 1943, also bis zum Jahre 1943, hatte Hermann Göring beim Führer immer Zutritt und sein Einfluß war bedeutend.

JUSTICE JACKSON: Abgesehen vom Führer hatte er den größten Einfluß in Deutschland, nicht wahr?

BODENSCHATZ: Er hatte im Reiche großen Einfluß, sehr großen Einfluß.

JUSTICE JACKSON: In der Luftwaffe erblickte er seine besondere Mission und sie war sein besonderer Stolz, nicht wahr?

BODENSCHATZ: Als alter Flieger war er sehr stolz, die Luftwaffe aufbauen und führen zu dürfen.

JUSTICE JACKSON: Er hatte zur Luftwaffe als Kriegswaffe mehr Vertrauen als die meisten seiner Zeitgenossen. Ist das richtig?

BODENSCHATZ: Er war jedenfalls überzeugt, daß seine Luftwaffe sehr gut sei, bloß muß ich wiederholen, was ich vorhin schon gesagt habe: Zu Beginn des Krieges im Jahre 1939 war aber dieser Stand der Luftwaffe noch nicht erreicht. Ich wiederhole, damals war die Luftwaffe weder führungs-, noch ausbildungs- , noch materialmäßig kriegsbereit.

JUSTICE JACKSON: Aber seitdem Sie mit Hermann Göring zusammenarbeiteten, haben Sie die Luftwaffe schnell aufgerüstet, nicht wahr?

BODENSCHATZ: Der Aufbau der Luftwaffe ging verhältnismäßig rasch vor sich.

JUSTICE JACKSON: Und als Sie zum ersten Male zu Hermann Göring kamen, ich habe vergessen, wann das war.

BODENSCHATZ: Ich kam im April 1933 zu Hermann Göring. Damals gab es noch keinen Oberbefehlshaber der Luftwaffe, sondern es gab nur ein Reichskommissariat der Luftfahrt. Es wurde aber schon damals mit dem Anfang des Aufbaues der Luftwaffe, in den ersten Anfängen, begonnen. Erst später, nach 1935, als die Wehrfreiheit verkündet war, wurde das Tempo schneller.

JUSTICE JACKSON: Und die Luftwaffe bestand zum großen Teil aus Bombern, nicht wahr?

BODENSCHATZ: Es waren nicht hauptsächlich Bombenflugzeuge, sondern es war gemischt, Jäger und Bomber gemischt.

JUSTICE JACKSON: Göring hatte auch die Leitung des Vierjahresplanes?

BODENSCHATZ: Er hat vom Führer den Auftrag bekommen, den Vierjahresplan durchzuführen.

JUSTICE JACKSON: Er hatte auch mehrere andere Ämter, nicht wahr?

BODENSCHATZ: Hermann Göring war außer Oberbefehlshaber der Luftwaffe vorher mit dem Vierjahresplan beauftragt. Er hatte vorher... zu Beginn der Machtergreifung war er preußischer Innenminister und preußischer Ministerpräsident; er war Reichstagspräsident, er war Reichsforstmeister.

JUSTICE JACKSON: Ich stelle fest, daß Sie hier, wie auch in den Verhören durch Vertreter der Vereinigten Staaten, das Wort »Machtergreifung« anwenden. Das war die allgemein übliche Bezeichnung, die in Ihren Kreisen gebraucht wurde, um Adolf Hitlers Aufstieg zur Macht zu kennzeichnen?

BODENSCHATZ: In diesem Sinne kann man das nicht sagen, es war damals ja vollkommen legal. Es war eben damals die Nationalsozialistische Partei die stärkste Partei, und die stärkste Partei stellte den Reichskanzler, und die stärkste Partei hatte an sich den größten Einfluß. Das ist nicht so aufzufassen, daß sie sich die Macht angeeignet hat, sondern daß sie die einflußgebendste, hervorragendste Stellung unter den Parteien hatte, also völlig legal durch Wahlen.

JUSTICE JACKSON: Sie möchten also das Wort »Ergreifung« ändern?

BODENSCHATZ: Das muß ich ändern; das ist mehr ein Ausdruck, der in der Presse damals üblich war.

JUSTICE JACKSON: Kam es zwischen Hitler und Göring bis zum Jahre 1945 zu keinem offenen Bruch? Stimmt das?

BODENSCHATZ: Bis zum Jahre 1945 war kein offener Bruch. Es war erst ganz am Schluß, wie ich vorhin schon ausgeführt habe, die Festnahme.

JUSTICE JACKSON: Die Festnahme war also der erste offene Bruch zwischen den beiden, nicht wahr?

BODENSCHATZ: Ja, der erste große, nach außen hin erscheinende Bruch zwischen den beiden Männern. Aber seit dem Jahre 1943, wie ich vorhin ausführte, war schon in der inneren Einstellung zwischen den beiden Männern eine allmähliche Entfremdung eingetreten.

JUSTICE JACKSON: Aber das wurde vor der Öffentlichkeit, vor dem deutschen Volk, geheimgehalten, nicht wahr?

BODENSCHATZ: Das wurde nicht dem deutschen Volk... es war auch nicht nach außen hin so sichtbar. Das war eine Entwicklung, die sich vom Frühjahr 1943 bis zum Jahre 1945 so allmählich entwickelte; anfänglich war die Spannung gering, dann wurde sie immer stärker.

JUSTICE JACKSON: Die Festnahme wurde von der SS durchgeführt, nicht wahr?

BODENSCHATZ: Ich habe das nur gehört, auf dem Obersalzberg wäre eine Abteilung SS gewesen, die Hermann Göring in seinem kleinen Hause festgenommen und dort festgehalten hat. Vielleicht kann darüber der Zeuge, der nachher vernommen wird, Oberst Brauchitsch, der bei dieser Festnahme zugegen war, und der selbst mit verhaftet worden ist, nähere Einzelheiten aussagen.

JUSTICE JACKSON: Sie wurden von der SS nicht verhaftet?

BODENSCHATZ: Ich war um diese Zeit... Seit 20. Juli 1944, wo ich sehr schwer verwundet wurde, lag ich im Lazarett; ich war in der Nähe von Berchtesgaden, in Bad Reichenhall zur Genesung.

JUSTICE JACKSON: War es nicht auf allen Konferenzen, an denen Sie teilgenommen haben, üblich, daß nach Beendigung der Ansprache Hitlers, Göring als Rangältester im eigenen und im Namen seiner Offiziere dem Führer die Unterstützung seiner Pläne versprach?

BODENSCHATZ: Ich war ja nicht bei allen Konferenzen dabei. Ich war nur bei der Lage als Zuhörer dabei. An den Besprechungen, Konferenzen wollen wir es nennen, an denen ich teilnahm, ist es hie und da vorgekommen, daß der Reichsmarschall am Schluß eine Äußerung tat und versicherte, daß der Wille des Führers durchgeführt wird. Ich kann mich aber augenblicklich nicht speziell an eine solche Konferenz erinnern.

JUSTICE JACKSON: Aber Sie können sich auch nicht an eine Konferenz erinnern, auf der er es unterlassen hat, nicht wahr?

BODENSCHATZ: Ja, es ist nicht immer gemacht worden, im Gegenteil, es war nicht die Regel, daß er das gemacht hat. Im Reichstag hat Hermann Göring am Schluß immer eine Ansprache gehalten, nachdem eine Reichstagssitzung beendet war, und Adolf Hitler das Vertrauen ausgesprochen.

JUSTICE JACKSON: Hat er das nicht bei jeder Zusammenkunft von Offizieren getan, an der der Führer teilnahm?

BODENSCHATZ: Ich bitte, die Frage nochmals zu wiederholen. Ich habe sie nicht recht verstanden. Ich bitte vielmals um Entschuldigung. Ich bin nämlich durch die Verwundung... Ich möchte bekanntgeben, daß ich durch die Verwundung 60 Prozent meines Gehörs verloren habe. Deswegen bitte ich, die Rückfragen zu entschuldigen. Ich darf nochmals bitten.

JUSTICE JACKSON: Gewiß. Erinnern Sie sich an irgendeine Konferenz zwischen Hitler und seinem Oberkommando, die Göring als rangältester Offizier nicht mit der Versicherung abschloß, die Pläne Hitlers zu unterstützen?

BODENSCHATZ: Die Besprechungen, an denen ich teilnahm, waren zum Teil mit so einer Äußerung am Schluß verbunden. Es gab aber auch viele Konferenzen, das war eigentlich die Mehrzahl der Konferenzen, da wurde am Schluß nichts mehr gesprochen. Wenn der Führer gesprochen hatte, war die Sitzung zu Ende.

JUSTICE JACKSON: Hatte Göring, als sein Einfluß auf Hitler im Jahre 1943 nachließ, nicht eine sehr unangenehme Zeit?

BODENSCHATZ: Hermann Göring litt unter dieser Tatsache. Er sagte öfter zu mir, daß er darunter sehr leiden würde.

JUSTICE JACKSON: Weil der Führer sein Vertrauen zu ihm verloren hatte?

BODENSCHATZ: Wie bitte?

JUSTICE JACKSON: Litt er unter der Tatsache, daß der Führer das Vertrauen zu ihm verloren hatte? War das die Ursache seines Leidwesens?

BODENSCHATZ: Das mag wohl ein Teil des Grundes gewesen sein. Aber es kam zu Meinungsverschiedenheiten über die Luftwaffe.

JUSTICE JACKSON: Im Frühjahr 1943 wurde Ihnen und Göring klar, daß der Krieg für Deutschland verloren war, nicht wahr?

BODENSCHATZ: Das kann ich nicht sagen. Eine solche Äußerung hat der Reichsmarschall mir gegenüber nicht gemacht im Jahre 1943, daß der Krieg verloren sei; – daß sehr große Schwierigkeiten auftreten, daß es sehr gefährlich werden wird; aber ich kann mich nicht erinnern, daß der Reichsmarschall in dieser Zeit, im Frühjahr 1943, zu mir eine derartige oder ähnliche Äußerung getan hat, daß der Krieg endgültig verloren sei.

JUSTICE JACKSON: Der Reichsmarschall hat dem deutschen Volke doch zugesichert, es könnten – nicht – wie Warschau, Rotterdam auch andere Städte bombardiert werden, nicht wahr?

BODENSCHATZ: In dieser Form hat er die Zusicherung meines Wissens nicht gegeben. Er hat vor dem Kriege, als unsere Luftwaffe im Werden begriffen war, ich meine zu Beginn des Krieges, als die großen Erfolge in Polen und in Frankreich offensichtlich waren, hat er gesagt, dem deutschen Volke gesagt, daß die Luftwaffe ihren Mann stellen wird und alles tun wird, um große Bombenangriffe vom Lande fernzuhalten. Damals war hierzu auch die Berechtigung. Daß später die Entwicklung eine andere wurde, das wurde damals nicht so klar vorausgesehen.

JUSTICE JACKSON: Dann hat Göring also doch dem deutschen Volke die Zusicherung gegeben, daß die Luftwaffe imstande sein werde, feindliche Bombenflugzeuge von Deutschland fernzuhalten, nicht wahr?

BODENSCHATZ: Ich kann mich nicht erinnern, daß er dem deutschen Volke eine offizielle Zusicherung in Form irgendeiner Verfügung oder einer großen Ansprache gegeben hat. Es wurde gelegentlich darüber gesprochen, daß die deutsche Luftwaffe nach den Erfolgen in Polen und in Frankreich auf der Hohe sei. Eine offizielle Verlautbarung, wonach es dem deutschen Volke kundgegeben worden ist, ist mir nicht bekannt.

JUSTICE JACKSON: Auf alle Fälle wurde es im Frühjahr 1943 klar, daß eine derartige Zusicherung, falls sie gegeben worden war, irreführend gewesen war?

BODENSCHATZ: Im Jahre 1943 waren die Verhältnisse wesentlich anders gelagert dadurch, daß die englische und die amerikanische Luftwaffe in so starker und bedeutender Zahl auftrat.

JUSTICE JACKSON: Und es war auch richtig, daß die Luftverteidigung Deutschlands sich als vollkommen unzureichend erwies, der Lage Herr zu werden? Stimmt das?

BODENSCHATZ: Die Luftverteidigung Deutschlands war insofern sehr schwierig, als die ganze Verteidigung ja nicht bloß bei den Flugzeugbesatzungen lag, sondern es war auch ein funktechnischer Krieg, und in diesem funktechnischen Krieg, das muß offen zugestanden werden, war die Feindseite wesentlich besser daran als wir. Es war also nicht bloß ein Kampf in der Luft, sondern es war auch ein Funk- Wettkrieg.

JUSTICE JACKSON: Wurde es im Jahre 1943 nicht zur Tatsache, daß Deutschland dem nicht gewachsen war?

BODENSCHATZ: Im Jahre 1943 war das noch nicht so hundertprozentig klar, es gab da Schwankungen, Tiefpunkte und Höhepunkte. Es wurden Anstrengungen gemacht, die Jägerwaffe zu verstärken auf Kosten der Bomberwaffe. Es war also nicht zu hundert Prozent offensichtlich, daß man der feindlichen Luftwaffe nicht entgegentreten könnte, erfolgreich, das kam erst ab Mitte 1944.

JUSTICE JACKSON: Der Führer verlor das Vertrauen zu Göring, als die Bombenangriffe auf deutsche Städte zunahmen, nicht wahr?

BODENSCHATZ: Jawohl, von dem Moment ab, als die englische Luftwaffe mit ihren Großangriffen auf die deutschen Städte begann, und zwar damals, als der erste große englische Luftangriff auf Köln stattfand. Von diesem Moment ab war es sichtbar, daß Meinungsverschiedenheiten zunächst leichterer Natur zwischen den beiden Herren entstanden.

JUSTICE JACKSON: Und hat nicht Hitler Göring den Vorwurf gemacht, ihn über die Stärke der Luftverteidigung Deutschlands irregeführt zu haben?

BODENSCHATZ: Es ist mir nicht bekannt, daß jemals der Führer den Reichsmarschall deswegen irgendeines Vergehens bezichtigt hätte. Die Gespräche zwischen Adolf Hitler und dem Reichsmarschall waren immer, trotz aller Gespanntheit, sehr gemäßigt. Die Kritik soll erst nachher im Jahre 1944 und Anfang 1945 heftiger geworden sein. Da war ich aber nicht mehr dabei, weil ich seit 20. Juli 44 außer Dienst gewesen bin.

JUSTICE JACKSON: Ich hatte Ihnen eine Frage gestellt. Ich wollte damit nicht sagen, daß der Führer ihn einer vorsätzlich falschen Angabe beschuldigte, sondern, daß er ihn irregeführt hätte, oder die Stärke der deutschen Luftabwehr falsch eingeschätzt hätte. War das nicht allgemeine Ansicht in Ihrem Kreise?

BODENSCHATZ: Von einer Irreführung kann gar keine Rede sein. Die Meldungen, die die Luftwaffe dem Führer machte, waren immer exakt; es sind auch die Schwächen der Luftwaffe dem Führer gemeldet worden.

JUSTICE JACKSON: Was hat Göring getan – Sie bezeichneten es als gewaltige Anstrengungen –, um seinen Einfluß beim Führer zurückzugewinnen?

BODENSCHATZ: Der Reichsmarschall ließ durch mich... Wenn solche Besprechungen waren, ließ er bitten, daß er teilnehmen kann. Der Reichsmarschall kam öfter als gewöhnlich in das Führerhauptquartier, und er sagte persönlich zu mir auch: Ich will alles versuchen, um wieder mit dem Führer in den richtigen Kontakt zu kommen.

JUSTICE JACKSON: Und er war nach dem Frühjahr 1944 besonders vorsichtig, nichts zu tun, was beim Führer Anstoß erregen konnte?

BODENSCHATZ: Über das Jahr 1945 kann ich nichts mehr sagen, weil ich da außer Dienst war. Ich hatte keine Fühlung mehr.

JUSTICE JACKSON: Die Bombenangriffe auf deutsche Städte waren also im Jahre 1944 wegen der Kritik des deutschen Volkes an der Regierung sehr unangenehm geworden, nicht wahr?

BODENSCHATZ: Das deutsche Volk hat unter diesen Bombenangriffen Unsägliches gelitten, und ich kann nur das eine sagen, daß Adolf Hitler am meisten darunter gelitten hat. Wenn man das miterlebt hat, wenn nachts die Bombardierung irgendeiner deutschen Stadt gemeldet wurde, so war er wirklich innerlich tief bewegt, ebenso der Reichsmarschall, denn die Grauen einer solchen Bombardierung waren ungeheuerlich. Ich habe selbst in Berlin einige solche Bombardierungen mitgemacht, und wer das miterlebt hat, wird das in seinem Leben nie vergessen.

JUSTICE JACKSON: Und es wurde für Hitler und für den Reichsmarschall immer schwieriger, dem deutschen Volke zu erklären, warum sich diese Dinge ereigneten?

BODENSCHATZ: Das brauchte man gar nicht erklären, weil ja das deutsche Volk das selber gespürt hat. Eine Erklärung ist da nicht abgegeben worden. Es wurde lediglich gesagt, daß alle Maßnahmen ergriffen werden, die irgendwie möglich sind, um dieser Gefahr Herr zu werden.

JUSTICE JACKSON: Und Sie, und auch der Reichsmarschall, wußten damals, daß keine Maßnahmen ergriffen werden konnten, um die Angriffe zu verhindern?

BODENSCHATZ: Nein, nein, nein, ich habe vorhin schon betont, es war das ein Krieg auf funktechnischem Gebiete, und es gab Momente, wo wir in der Abwehr die Maßnahmen des Feindes auf diesem Gebiete durchkreuzen konnten, indem wir wieder ein Mittel fanden, um ihn zu treffen.

JUSTICE JACKSON: Aber als Sie dem deutschen Volke erklärten, daß alles nur irgend mögliche getan werden würde, standen Ihnen keinerlei Mittel zur Verfügung, um die Bombenangriffe auf deutsche Städte zu verhindern?

BODENSCHATZ: Oh, doch!

JUSTICE JACKSON: Was für Mittel waren das und warum wurden sie nicht angewendet?

BODENSCHATZ: Es waren zum Beispiel folgende Mittel: Die wichtigsten Gebiete wurden sehr stark durch Flakartillerie geschützt. Dann waren funktechnische Mittel da, die Störsender, die es ermöglicht hätten und auch teilweise ermöglicht haben, die Funkstellen in den feindlichen Flugzeugen zu stören.

JUSTICE JACKSON: Die Maßnahmen, die nötig waren, um die deutsche Bevölkerung während der Bombenangriffe zufriedenzustellen, bereiteten dem Reichsmarschall große Sorgen, nicht wahr?

BODENSCHATZ: Der Reichsmarschall war sehr interessiert daran, daß die Bevölkerung aufgeklärt wurde.

JUSTICE JACKSON: Und dafür zu sorgen, daß die Bevölkerung zufriedengestellt wurde, nicht wahr?

BODENSCHATZ: Ja, »zufriedengestellt«, das ist leicht gesagt. Er konnte nur dem deutschen Volk versichern, daß er mit seiner ganzen Kraft alles unternehmen werde, um dieser Angriffe Herr zu werden.

JUSTICE JACKSON: Waren Sie beim Reichsmarschall und bei Hitler, als die Meldungen über die Bombenangriffe auf die Städte Warschau, Rotterdam und Coventry einliefen?

BODENSCHATZ: Ich kann mich nicht daran erinnern, daß ich, als die Meldungen einliefen, zugegen war.

JUSTICE JACKSON: Sie haben nie eine derartige Reaktion auf diese Bombenangriffe bei ihnen gesehen, nehme ich an?

BODENSCHATZ: Ich weiß nur, daß Warschau eine Festung war, die von der polnischen Armee besetzt war, und zwar sehr stark besetzt war; sehr gut bestückte Artillerie, die Forts waren besetzt, und daß zwei- oder dreimal Adolf Hitler angekündigt hat, man möge die Stadt von der Zivilbevölkerung räumen. Das wurde abgelehnt. Es wurden lediglich die ausländischen Gesandtschaften herausgeführt, indem ein Parlamentär hineinging. Die polnische Armee war in der Stadt und verteidigte die Stadt hartnäckig, und zwar in einer ganz dichten Folge von Forts. Auch die Außenforts waren stark besetzt, und im Innern der Stadt schoß schwere Artillerie nach außen. Die Festung Warschau ist daraufhin dann angegriffen worden, und zwar auch mit der Luftwaffe, aber erst, als man dieses Ultimatum, diese Anfrage Adolf Hitlers, ablehnte.

JUSTICE JACKSON: War Coventry eine befestigte Stadt?

BODENSCHATZ: Coventry war keine Festung. Coventry war aber eine Stadt, in der die Schlüsselindustrie der feindlichen Luftwaffe ist. Eine Stadt, in der die Flugzeugmotoren gebaut werden. Eine Stadt, in der, meines Wissens, auch viele Fabriken und viele Einzelteile dieser Flugzeugmotoren innerhalb der Stadt hergestellt werden. Die Luftwaffe hat jedenfalls damals den Auftrag gehabt, nur die Industrieziele zu bewerfen. Wenn dabei auch die Stadt in Mitleidenschaft gezogen worden ist, dann ist das bei den damaligen Navigationsmitteln sehr begreiflich.

JUSTICE JACKSON: Sie wurden im November 1945 verhört, und zwar von Oberst Williams. Stimmt das?

BODENSCHATZ: Ich wurde verhört, jawohl.

JUSTICE JACKSON: Oberst Williams hat Sie über gewisse fingierte Zwischenfälle an der deutsch-polnischen Grenze Ende August 1939 befragt? Stimmt das?

BODENSCHATZ: Er hat mich gefragt, jawohl.

JUSTICE JACKSON: Wollen Sie bitte dem Gerichtshof mitteilen, was Sie über die fingierten Zwischenfälle an der polnischen Grenze wissen?

BODENSCHATZ: Etwas Positives weiß ich nicht. Ich wurde gefragt von Oberst Williams, ob ich den Vorfall über den Gleiwitzer Sender vorher gewußt habe? Ich habe ihm gesagt, davon habe ich nichts gewußt. Es war nur so, daß die Vorfälle an der polnischen Grenze sehr denen ähnelten, wie sie damals an der tschechischen Grenze waren. Daraus war vielleicht zu entnehmen, das war nur eine subjektive Meinung von mir, daß das vielleicht gewollt war. Aber eine positive Unterlage, wonach von unserer Seite aus irgend etwas inszeniert worden ist, habe ich nicht gehabt.

JUSTICE JACKSON: Haben Sie ihm nicht am 6. November 1945 folgendes gesagt:

»Ich habe davon gehört, aber ich persönlich habe zu der Zeit das Gefühl gehabt, daß alle diese Provokationen, die stattgefunden haben, von unserer Seite stammten, von der deutschen Seite. Aber, wie ich sagte, ich habe keine wirklichen Beweise gehabt, aber ich hatte immer dieses Gefühl.«

Haben Sie das nicht gesagt?

BODENSCHATZ: Das habe ich gesagt.

JUSTICE JACKSON: Und daß Sie mit Leuten über die Angelegenheit gesprochen haben, von denen Sie in diesem Gefühl bestärkt wurden? Ist das richtig?

BODENSCHATZ: Daran kann ich mich jetzt nicht mehr genau erinnern. Ich weiß nur, daß die Meldungen aus der Presse mir diese Vermutung gaben.

JUSTICE JACKSON: Sie wurden folgendes gefragt und haben folgende Antwort gegeben:

»Aber Sie sind der Meinung, daß die Berichte in der Presse und die gemeldeten Zwischenfälle nicht auf Wahrheit beruhten, sondern nur aufgemacht waren, um einen Zwischenfall als Vorwand für eine Invasion zu schaffen.«

Und haben Sie nicht folgende Antwort gegeben:

»Ich hatte das Gefühl, ich kann es nicht beweisen, aber ich weiß bestimmt, daß ich diese Vermutung hatte, daß die ganze Sache nur von uns inszeniert wurde.«

Haben Sie nicht diese Antwort auf diese Frage gegeben?

BODENSCHATZ: Das Protokoll wird das ja aussprechen. Wenn es im Protokoll steht, dann habe ich das gesagt. Ich kann mich momentan an den Wortlaut nicht mehr erinnern.

JUSTICE JACKSON: Sie bestreiten jedoch nicht die Tatsache?

BODENSCHATZ: Ich hatte das Gefühl, das ist aber eine rein subjektive Auffassung.

JUSTICE JACKSON: Aber es war Ihre Meinung?

BODENSCHATZ: Jawohl.

JUSTICE JACKSON: Nun frage ich Sie, ob Sie nicht über die Absicht des Führers verhört wurden, Krieg gegen Polen zu führen, und ob Sie nicht die folgende Antwort gegeben haben:

»Meine Herren, diese Frage ist sehr schwer zu beantworten. Aber ich kann unter Eid aussagen, daß der Führer tatsächlich den Krieg gegen Polen wollte. Ich kann auf Grund des Kreises, der den Führer umgab, und der gemachten Bemerkungen beweisen, daß er tatsächlich einen Angriffskrieg gegen Polen wollte. Ich war während der Nacht anwesend, als Hitler Henderson seine Forderung auf Danzig überreichte, und ich schloß aus all diesen Konferenzen, die der Führer mit dem Gesandten hatte... , ich hatte den Eindruck, daß der Führer nicht wirklich wolle, daß die Polen diese Bedingungen annehmen.«

Ich frage Sie, ob Sie Oberst Williams diese Antworten gegeben haben?

BODENSCHATZ: Ich kann folgendes hierzu erwidern: Ich war nicht in der Besprechung; wenn ich das so gesagt haben sollte, so ist das genau von mir ausgedrückt. Ich war nicht in der Besprechung, die der Führer mit Henderson hatte, sondern ich war, wie die anderen Adjutanten auch, in den Vorräumen gestanden, und hier draußen im Vorraum hörte man die einzelnen Gruppen, die einen sagten das, die anderen jenes. Ich entnahm aus den Gesprächen, daß die Bedingungen, die Henderson am Abend für die Polen bekam, daß der Termin zur Beantwortung dieser Fragen bis zum nächsten Mittag so kurz sei, daß man daraus entnehmen könne, daß eben doch eine gewisse Absicht dahinter sei.

JUSTICE JACKSON: Jedenfalls haben Sie diesen Eindruck durch Ihre Anwesenheit im Vorzimmer und durch Gespräche mit Leuten aus der Umgebung Hitlers in jener Nacht erhalten?

BODENSCHATZ: Es waren Adjutanten, der Reichspressechef und die Herren, die eben im Vorzimmer, ohne an der Sitzung teilzunehmen, warteten.

JUSTICE JACKSON: Ich stelle Ihnen nun, um das völlig klarzustellen, noch eine Frage über Ihr Verhör über dieses Thema. Sind Sie nicht folgendes gefragt worden:

»Dann können wir Ihr Zeugnis dahingehend zusammenfassen, daß Sie heute früh gesagt haben, Sie wußten im Jahre 1938, mehrere Monate bevor Deutschland Polen angriff, daß Hitler die volle Absicht hatte, Polen anzugreifen und einen Angriffskrieg gegen Polen zu führen. Ist das richtig?«

Und haben Sie nicht folgende Antwort gegeben:

»Ich kann nur mit Sicherheit sagen, daß ich von der Nacht an, in der er Henderson erklärte, er wolle Danzig und den Korridor, daß ich von diesem Augenblick an sicher war, Hitler habe die Absicht, einen Angriffskrieg zu führen.«

Wurde Ihnen diese Frage gestellt, und haben Sie diese Antwort gegeben?

BODENSCHATZ: Wenn es im Protokoll so steht, dann habe ich das gesagt.

JUSTICE JACKSON: Und wenn es nicht im Protokoll stände, würden Sie jetzt die gleiche Aussage machen? Es ist doch eine Tatsache, nicht wahr?

BODENSCHATZ: Meine Definition geht ganz präzise dahin, daß ich aus der Überreichung der Forderungen Adolf Hitlers an Henderson, und zwar aus dem kurzen Termin, der Henderson gestellt worden ist, entnehme, daß eine gewisse Absicht vorgelegen hat. So will ich das jetzt präzise formulieren.

JUSTICE JACKSON: Ich werde darum bitten, daß Ihnen Beweisstück L-79 gezeigt wird, US-27.

Zeuge, Sie haben das bereits gesehen?

BODENSCHATZ: Dieses Schriftstück ist mir in Abschrift von Oberst Williams gezeigt worden, und ich habe ihm gesagt, daß ich mich persönlich nicht erinnern könnte, daß ich dabei gewesen sei. Wenn aber hier auf dem Protokoll mein Name steht, dann war ich dabei.

JUSTICE JACKSON: Aber ihr Name steht doch auf diesem Dokument?

BODENSCHATZ: Dann war ich dabei. Ich kann mich nicht an den Inhalt dieser Besprechung erinnern. Ich habe dem Oberst Williams damals gesagt, es wird das besprochen worden sein, weil Oberst Schmundt, dessen Schrift ich genau kenne – ich bekam eine Abschrift vorgezeigt –, ein Mann ist, der seine Aufzeichnungen sehr gewissenhaft macht.

JUSTICE JACKSON: Und das alles ist seine Handschrift?

BODENSCHATZ: Das ist sie, wie ich hier sehe.

JUSTICE JACKSON: Und Oberst Schmundt hat unterzeichnet?

BODENSCHATZ: Oberst Schmundt hat unterzeichnet, jawohl, Oberstleutnant Schmundt. Die Korrekturen, die hier sind, sind nicht von seiner Hand.

JUSTICE JACKSON: Aber der Text des Dokuments ist von ihm geschrieben?

BODENSCHATZ: Wie meinen Sie?

JUSTICE JACKSON: Der Text des Dokuments ist seine Handschrift?

BODENSCHATZ: Das ist seine eigene Handschrift, die kenne ich, jawohl.

JUSTICE JACKSON: Und als Sie von Oberst Williams darüber befragt wurden, nahmen Sie sich Zeit, es zu lesen und dann sagten Sie:

»Ich glaube, daß die Gedanken richtig sind, wie sie hier ausgedrückt werden. Das sind die Gedanken, die der Führer gewöhnlich in kleinem Kreise vor uns ausgesprochen hat.«

Haben Sie diese Erklärung gemacht?

BODENSCHATZ: Jawohl, das habe ich gesagt.

JUSTICE JACKSON: Und Sie sagten:

»Ich kann mich nicht erinnern, ob diese Dinge an jenem Tage ausgesprochen wurden. Jedoch ist es möglich, daß Gedanken, die hier aufgezeichnet sind, die Gedanken Adolf Hitlers sind.«

Haben Sie das Oberst Williams erklärt?

BODENSCHATZ: Ja, das habe ich Oberst Williams erklärt.

JUSTICE JACKSON: Das ist alles, was ich Sie über dieses Dokument zu fragen habe.

Ich möchte, daß Ihnen nun die Urkunde 798-PS vorgelegt wird, die bereits als US-29 vorgelegt wurde.

BODENSCHATZ: Meines Wissens wurde mir diese Ansprache des Führers auch von Oberst Williams in Abschrift vorgelegt.

JUSTICE JACKSON: Das ist richtig. Sie haben damals gesagt, daß Sie sich nicht erinnern könnten, ob Sie anwesend waren, nicht wahr, – aber die Gedanken, die dort niedergelegt sind...

BODENSCHATZ: [unterbrechend] Gedanken, die dort ausgedrückt werden, daß die stimmen.

JUSTICE JACKSON: Sie stimmen, das ist alles.

BODENSCHATZ: Ja, ich muß aber noch eines sagen. Ich habe den Oberst Williams noch einmal zu sprechen versucht und konnte ihn nicht erreichen. Ich habe dieser Besprechung wahrscheinlich zugehört.

JUSTICE JACKSON: Gut, wir nehmen Ihre Erklärung jetzt an, Sie brauchen Oberst Williams nicht zu suchen.

Ich bitte darum, daß Ihnen jetzt Urkunde 3474-PS gezeigt wird, die bereits als US-580 vorgelegt worden ist.

Ist das Ihre Handschrift?

BODENSCHATZ: Das ist meine Handschrift, jawohl.

JUSTICE JACKSON: Und ist das von Ihnen unterzeichnet?

BODENSCHATZ: Jawohl.

JUSTICE JACKSON: Es handelt sich um eine Notiz über eine Konferenz vom 2. Dezember 1936, stimmt das?

BODENSCHATZ: Jawohl.

JUSTICE JACKSON: Sie haben dieses Memorandum für Ihre Akten angelegt. Ist das richtig?

BODENSCHATZ: Ich weiß nicht, wem ich das gegeben habe.

JUSTICE JACKSON: Nun, da steht »Aktennotiz über die Besprechung«, stimmt das?

BODENSCHATZ: Das ist eine Aktennotiz, jawohl.

JUSTICE JACKSON: Göring hat an dieser Konferenz teilgenommen, ist das richtig?

BODENSCHATZ: Ja, er wird sie abgehalten haben. Es steht hier: »anwesend Generaloberst Göring«.

JUSTICE JACKSON: Aus der Aktennotiz geht ja hervor, daß sie unter seinem Vorsitz abgehalten wurde, nicht wahr?

BODENSCHATZ: Jawohl.

JUSTICE JACKSON: Es waren außerdem Milch, Kesselring und andere anwesend, die hier in einer Liste am Beginn der Notiz erwähnt sind.

BODENSCHATZ: Jawohl.

JUSTICE JACKSON: Und Sie haben darin aufgezeichnet, daß Göring – nebenbei bemerkt, standen doch alle diese Männer mit der Deutschen Wehrmacht in Verbindung, nicht wahr?

BODENSCHATZ: Das waren alles Herren von der Luftwaffe, und zwar die damals führenden Herren. General Milch war damals in der Rüstung tätig. Generalleutnant Kesselring, ich glaube Generalstabschef; Christiansen, Volkmann, das waren alles Herren, die in führenden Stellungen waren.

JUSTICE JACKSON: Die alle mit der Luftwaffe etwas zu tun hatten, sagen Sie. Und diese Konferenz wurde am 2. Dezember 1936 abgehalten. Ist das zutreffend?

BODENSCHATZ: Jawohl, jawohl.

JUSTICE JACKSON: Göring hat die Konferenz mit den Worten eröffnet:

»Die Weltpresse regt sich über die Landung von 5000 deutschen Freiwilligen in Spanien auf. England beschwert sich offiziell, ebenso Frankreich.«

Ihr Gedächtnis wird dadurch doch aufgefrischt und sagt Ihnen, daß es den Tatsachen entspricht, nicht wahr?

BODENSCHATZ: Jawohl, jawohl.

JUSTICE JACKSON: Dann hat Göring gesagt: »Die allgemeine Lage ist sehr ernst«, und daß er die volle Verantwortung übernommen habe?

BODENSCHATZ: Jawohl, die allgemeine Lage ist sehr ernst gewesen. England rüstete sehr stark auf, und es ist volle Einsatzbereitschaft erwünscht.

JUSTICE JACKSON: Und hat er nicht weiter gesagt:

»Ruhe ist bis 1941 erwünscht. Wir können aber nicht wissen, ob schon vorher Verwicklungen kommen. Wir befinden uns bereits im Kriege, nur wird noch nicht geschossen.«

Hat er das gesagt?

BODENSCHATZ: Das ist in diesem Protokoll festgelegt.

JUSTICE JACKSON: Und er hat gesagt:

»Ab 1. Januar 1937 laufen alle Fabriken für die Luftfahrtindustrie. Wie im Falle einer Mobilmachung.«

BODENSCHATZ: Jawohl.

JUSTICE JACKSON: Es steht hier im Protokoll, nicht wahr?

BODENSCHATZ: Ja, das ist hier in dem Protokoll enthalten.

JUSTICE JACKSON: Weiter – haben Sie ausgesagt, daß Göring keine vorherige Kenntnis über die Aktion gegen die Juden in der Nacht vom 9. auf den 10. November 1938 gehabt hat.

BODENSCHATZ: Das entnahm ich daraus, daß er am nächsten Tag sehr bestürzt zu mir kam.

JUSTICE JACKSON: Er wurde darüber am folgenden Tage unterrichtet?

BODENSCHATZ: Das war am nächsten Tage, das hat in der Presse gestanden, in der Zeitung.

JUSTICE JACKSON: Sie sagten, daß er sich über die Leute beschwert habe, die das angestiftet hatten.

BODENSCHATZ: Das hat mir der Hauptmann Wiedemann gesagt. Der Hauptmann Wiedemann, der mit mir hier in Gefangenschaft war, hat mir gesagt, daß Hermann Göring einige Tage später mit Unterlagen zum Führer kam und sich über die Vorkommnisse beschwert hat.

JUSTICE JACKSON: Über wen hat er sich beschwert?

BODENSCHATZ: Darüber hat er mit mir nicht gesprochen. Wiedemann sagte mir, er hätte sich über Heydrich und Goebbels beschwert.

JUSTICE JACKSON: Ich habe die Antwort nicht verstanden.

BODENSCHATZ: Wiedemann erzählte mir, das habe ich nicht selbst von Hermann Göring erfahren, sondern Wiedemann sagte mir, er habe sich über die Urheber beschwert, und zwar seien es Heydrich und Goebbels gewesen.

JUSTICE JACKSON: Und Heydrich und Goebbels waren beide Funktionäre des Hitler-Regimes. Stimmt das nicht?

BODENSCHATZ: Dr. Goebbels war Reichspropagandaminister, und Heydrich war Leiter der Geheimen Staatspolizei.

JUSTICE JACKSON: Göring hat also sofort nach diesen Pogromen davon gehört und sich bei Hitler beschwert, daß dies von Beamten der Regierung Hitlers angestiftet worden sei?

BODENSCHATZ: Über die näheren Einzelheiten, was er dort gesprochen hat, weiß ich nichts, das weiß Hauptmann Wiedemann, der kann darüber aussagen.

JUSTICE JACKSON: Göring war damals auf der Höhe seines Einflusses beim Führer als auch im ganzen Lande. Stimmt das?

BODENSCHATZ: Er hatte damals den größten Einfluß.

JUSTICE JACKSON: Und ich habe Sie so verstanden, daß er sofort eine Versammlung der Gauleiter einberief.

BODENSCHATZ: Diese Versammlung der Gauleiter war einige Wochen später, das habe ich gehört von dem ehemaligen Gauleiter der Steiermark, Dr. Uiberreither, der mit mir zusammen hier in der Gefangenschaft ist. Dieser Gauleiter Uiberreither hat an dieser Sitzung teilgenommen.

JUSTICE JACKSON: Wie lange hat er gewartet, bis er die Konferenz einberufen hat?

BODENSCHATZ: Mir sagte Dr. Uiberreither, es wäre einige Wochen nachher gewesen.

JUSTICE JACKSON: Wissen Sie, daß er am 12. November 1938 eine Konferenz in seinem Büro im Reichsluftfahrtministerium abgehalten hat?

BODENSCHATZ: Ich kann mich daran nicht erinnern.

JUSTICE JACKSON: Und erinnern Sie sich, daß Heydrich, Goebbels und viele andere an dieser Zusammenkunft teilnahmen? Ist das die Versammlung, auf die Sie sich beziehen?

BODENSCHATZ: Da müßte man Dr. Uiberreither vielleicht fragen, der an dieser Sitzung teilnahm. Er sagte mir, daß da außer den Gauleitern auch Goebbels anwesend war.

JUSTICE JACKSON: Pflegte Göring von Konferenzen, die unter seinem Vorsitz stattfanden, ein Protokoll aufnehmen zu lassen?

BODENSCHATZ: Hermann Göring hatte immer Stenographen da, und diese Stenographen haben von solchen Sitzungen Protokolle gemacht.

JUSTICE JACKSON: Und Sie möchten uns klarmachen, daß Göring bestürzt und aufgebracht war wegen der Vorkommnisse gegen die Juden in der Nacht vom 9. auf den 10. November 1938?

BODENSCHATZ: Es war nicht in seinem Sinne, und zwar deswegen nicht, weil er, wie ich bereits vorhin ausführte, sagte, das wäre ein großes Unrecht, es wäre eine wirtschaftliche Unvernunft, und es wäre eine Schädigung unseres Ansehens dem Ausland gegenüber. Das sagte mir Dr. Uiberreither; in diesem Sinne habe er zu den Gauleitern gesprochen.

JUSTICE JACKSON: War es Ihnen bekannt, daß zwei Tage nach diesen Pogromen, am 12. November, Göring den Befehl veröffentlichte, der alle Juden zu einer Geldstrafe von einer Milliarde Reichsmark verurteilte, ihre Versicherungen beschlagnahmte und daß er eine neue Verordnung herausgab, die sie vom Wirtschaftsleben ausschloß? Wußten Sie davon?

BODENSCHATZ: Ich habe davon gehört; ich habe aber mit der Auffassung und mit der Regelung persönlich nichts zu tun, da ich ja der militärische Adjutant war.

JUSTICE JACKSON: Diese Verordnungen wurden zwei Tage nach diesem Pogrom veröffentlicht, über das er sich nach Ihrer Behauptung beschwerte. Ist das richtig?

BODENSCHATZ: Den Zusammenhang kenne ich nicht.

JUSTICE JACKSON: Das ist alles.

OBERSTLEUTNANT J. M. G. GRIFFITH-JONES M. C. HILFSANKLÄGER FÜR DAS VEREINIGTE KÖNIGREICH: Hoher Gerichtshof! Ich möchte mir nur über einen Punkt Klarheit verschaffen.

Sie haben sich auf eine Zusammenkunft bezogen, die im Juli oder August des Jahres 1939 in Schleswig-Holstein stattfand, bei der Göring mehrere Engländer traf. Sie haben diese Engländer beim ersten Male, als Sie sie erwähnten, als Mitglieder der Regierung bezeichnet, und beim zweitenmal nannten Sie sie, ich glaube, Wirtschaftssachverständige?

BODENSCHATZ: Nach meinem jetzigen Wissen waren es englische Wirtschaftsführer, keine Regierungsmitglieder.

OBERSTLEUTNANT GRIFFITH-JONES: Ich danke Ihnen. Wäre es richtig, sie als führende Industrielle und Wirtschaftspersönlichkeiten zu bezeichnen, die keinerlei Verbindung mit der Regierung hatten?

BODENSCHATZ: Ich weiß nicht, in welchem Grade diese Herren Einnuß hatten, jedenfalls sagte Hermann Göring am Schlusse, die Herren möchten ihren Einnuß bei den maßgebenden Stellen in England für den Frieden geltend machen.

OBERSTLEUTNANT GRIFFITH-JONES: Glauben Sie, daß diese Konferenz zwischen Göring und diesen Herren auf Veranlassung von Dahlerus stattfand?

BODENSCHATZ: Dahlerus soll diese Verbindung hergestellt haben. Ich wurde darauf aber erst gebracht durch ein Gespräch mit dem Herrn Verteidiger Dr. Stahmer, der vorher über diese Sache mit mir sprach. Dr. Stahmer sagte mir, er wisse, daß Herr Dahlerus diese Herren gebeten habe, nach Deutschland zu kommen. Erst auf Grund dieser Mitteilung nehme ich an, daß Herr Dahlerus diese Herren gebeten hat, zu kommen.

OBERSTLEUTNANT GRIFFITH-JONES: Glauben Sie, daß es Dahlerus' Ziel war, führende deutsche und englische Persönlichkeiten zusammenzubringen, damit der eine des andern Ansichten kennen lernte?

BODENSCHATZ: Herr Dahlerus war später, als diese Sitzung vorbei war, noch einmal in Berlin. Ich traf ihn da in Berlin, und da habe ich in Gesprächen mit ihm den Eindruck gewonnen, daß ihm sehr daran gelegen sei, daß zwischen Deutschland und England der Friede erhalten bleibe, und daß er, mit Hilfe von Reichsmarschall Göring, diese Verbindung zu den englischen maßgebenden Kreisen übernehmen will.

OBERSTLEUTNANT GRIFFITH-JONES: Noch eine letzte Frage. Wissen Sie, daß im Verlauf der Verhandlungen über diese Zusammenkunft und während der Verhandlungen selbst, Dahlerus Göring gegenüber den britischen Standpunkt dargelegt hat, und insbesondere versucht hat, Göring auf die Tatsache hinzuweisen, daß die Engländer hinsichtlich der Angriffspolitik der Deutschen Regierung allmählich die Geduld verlieren würden.

BODENSCHATZ: An diesen Gedankengang, den Sie erwähnen, kann ich mich nicht erinnern, nämlich, daß ich mit Herrn Dahlerus darüber gesprochen habe.

VORSITZENDER: Sind irgendwelche andere Fragen zu stellen?

OBERSTLEUTNANT GRIFFITH-JONES: Nein.

DR. STAHMER: Ich habe nur noch eine Frage.