[Zum Zeugen gewandt:]
In dem Protokoll vom 2. Dezember 1936, das Ihnen vorhin vorgehalten wurde und das Ihnen vorliegt, ist ein Absatz nicht ganz verlesen worden, der indessen meines Erachtens sehr wichtig ist für die Auslegung und für den Sinn und Zweck dieser Besprechung. Es heißt dort:
»Die allgemeine Lage ist sehr ernst. Rußland will den Krieg. England rüstet sehr stark auf. Also Befehl: ›Von heute ab höchste Einsatzbereitschaft, ohne Rücksicht auf finanzielle Schwierigkeiten. General übernimmt volle Verantwortung‹.«
Ist dieser Befehl »von heute ab höchste Einsatzbereitschaft« lediglich ergangen, weil eben Rußland, wie es hier heißt, den Krieg wollte und England sehr stark aufrüstete? War das das Motiv?
BODENSCHATZ: Wie meinen Sie?
DR. STAHMER: War die allgemein ernste Lage das Motiv für den Befehl »von heute ab höchste Einsatzbereitschaft«?
BODENSCHATZ: Es war jedenfalls damit keine Angriffsabsicht verbunden, sondern eine Verteidigungsmaßnahme.
DR. STAHMER: Bitte, wiederholen Sie das nochmals.
BODENSCHATZ: Es war keine Angriffsabsicht damit verbunden, sondern eine Verteidigungsmaßnahme, nach meiner Ansicht.
DR. STAHMER: Ich habe Sie nicht verstanden, wiederholen Sie es bitte noch einmal.
BODENSCHATZ: Es war damit nicht verbunden eine Angriffsabsicht, sondern es war der Gedanke der Verteidigung damit ausgedrückt.
DR. STAHMER: Wenn es hier heißt: »General übernimmt volle Verantwortung«, könnte man das nicht zu den Worten »ohne Rücksicht auf finanzielle Schwierigkeiten« in Bezug bringen?
BODENSCHATZ: Das bezieht sich auf die finanziellen Schwierigkeiten, weil der Reichsmarschall mit dem Reichsfinanzminister deswegen öfter Kontroversen hatte, weil die Luftwaffe das Budget etwas überzogen hatte.
DR. STAHMER: Danke, ich habe keine weiteren Fragen.
VORSITZENDER: Der Zeuge kann abtreten.
DR. STAHMER: Ich bitte als nächsten Zeugen Generalfeldmarschall Milch rufen zu dürfen.
[Der Zeuge Erhard Milch betritt den Zeugenstand.]
VORSITZENDER: Wie heißen Sie?
ZEUGE ERHARD MILCH: Erhard Milch.
VORSITZENDER: Sprechen Sie mir den folgenden Eid nach: »Ich schwöre bei Gott, dem Allmächtigen und Allwissenden, daß ich die reine Wahrheit sagen, nichts verschweigen und hinzusetzen werde.«
[Der Zeuge spricht die Eidesformel nach.]
Wenn Sie wollen, können Sie sich setzen.
DR. STAHMER: Herr Zeuge, haben Sie am ersten Weltkrieg teilgenommen?
MILCH: Jawohl.
DR. STAHMER: In welcher Stellung?
MILCH: Ich war zuerst Offizier bei der Artillerie und zum Schluß Hauptmann bei der Fliegertruppe.
DR. STAHMER: Wann sind Sie nach Beendigung des ersten Weltkrieges aus dem Heer ausgeschieden?
MILCH: Im Frühjahr 1920.
DR. STAHMER: Wie haben Sie sich nach Ihrem Ausscheiden betätigt?
MILCH: Ich bin zum zivilen Luftverkehr gegangen.
DR. STAHMER: Wann sind Sie wieder in die Wehrmacht eingetreten?
MILCH: 1933.
DR. STAHMER: Sofort zur Luftwaffe?
MILCH: Jawohl.
DR. STAHMER: Welche Stellung bekleideten Sie bei Ausbruch des zweiten Weltkrieges?
MILCH: Ich war Generaloberst und Generalinspekteur der Luftwaffe.
DR. STAHMER: Wann begann der militärische Aufbau der Luftwaffe?
MILCH: 1935.
DR. STAHMER: In welchem Ausmaß?
MILCH: Es wurde eine Verteidigungs-Luftwaffe aufgebaut.
DR. STAHMER: Können Sie nähere Angaben darüber machen?
MILCH: Deutschland war im Jahre 33 aus dem Völkerbund ausgetreten und damit auch aus der Abrüstungskonferenz. Die Fragen, ob die Abrüstung weitergehen sollte, wurden seinerzeit von Hitler in Besprechungen mit den einzelnen Ländern untersucht. Als diese Abrüstungsversuche scheiterten, schritt Deutschland zur Wiederaufrüstung. Die Frage war, ob sich die anderen Länder damit einverstanden erklären würden. Infolgedessen rechnete Deutschland damit, daß es unbedingt eine militärische Stärke auch in der Luft haben müßte und hierzu sollte von Seiten der Luftwaffe eine Luftwaffe geschaffen werden, die für die Verteidigung Deutschlands ausreichend war. Das äußerte sich dadurch, daß in erster Linie Jäger aufgestellt wurden und Flak-Artillerie. Ebenso war die Organisation der deutschen Luftwaffe defensiv aufgebaut. Sie bestand damals aus vier Luftkreisen, die etwa mit einem Kreuz über Deutschland zu denken war. Es gab einen Abschnitt Nord-Ost, Süd-Ost, Nord-West und Süd-West. Auch war die Stärke der Luftwaffe, so wie sie aufgebaut wurde, für einen Angriffskrieg oder für einen größeren Krieg nicht geplant. Es wurden neben Jägern auch Bomber aufgestellt. Aber diese Bomberformationen wurden bei uns selber immer nur die »Risiko-Luftwaffe« genannt, das heißt, sie sollten nach Möglichkeit verhindern, daß einer der Nachbarn Deutschlands gegen Deutschland in den Krieg trat.
DR. STAHMER: Wie waren die Beziehungen der deutschen Luftwaffe zu den Luftwaffen des Auslandes in der Zeit ab 1935?
MILCH: In den ersten Jahren nach 35 hatte ja Deutschland noch keine Luftwaffe, die man so nennen konnte, sondern es waren die ersten Aufstellungen und die ersten größeren Schulen, die aufgebaut wurden, und ebenso wurde in diesen Jahren die Industrie ausgebaut. Die Industrie war vorher, vor der Aufrüstung sehr klein gewesen. Ich weiß zufällig, daß die Arbeiterzahl in der gesamten deutschen Luftwaffenindustrie bei der Machtergreifung der Nationalsozialisten um 3000 bis 3300 Mann lag, Konstrukteure, Kaufleute, Techniker und Arbeiter. Die ersten Fühlungnahmen mit dem Auslande auf fliegerischer Seite haben im Jahre 1937 begonnen, und zwar damit, daß im Januar 1937 eine englische Kommission unter Führung von Air Vice Marshal Courtney und drei anderen höheren Offizieren, Courtney war der Chef des Intelligence Service der englischen Luftwaffe, nach Deutschland kam. Ich habe diese Kommission selber in den ganzen Tagen begleitet und geführt. Wir haben den Herren alle ihre Wünsche erfüllt hinsichtlich dessen, was sie zu sehen wünschten. Also, das waren die ersten Verbände, die aufgebaut waren, vor allen Dingen unser Lehrverband, in dem alle neuen Formen, neuen Modelle, zuerst ausprobiert wurden; ferner haben wir die Industrie gezeigt, Schulen und was die Herren sonst wissen wollten. Zum Schluß der Besprechungen schlug der englische Vice Marshal vor, einen gegenseitigen Austausch der Aufstellungsvorhaben deutscherseits und englischerseits in die Wege zu leiten. Ich habe dazu die Genehmigung meines Oberbefehlshabers eingeholt und sie erhalten. Wir haben damals der englischen Seite die Aufstellungsvorhaben der deutschen Luftwaffe für das Jahr 37, 38 und ich glaube 39, gegeben, und haben andererseits auch von der englischen Seite ebenfalls das entsprechende Zahlenmaterial bekommen. Es wurde dabei verabredet, daß auch in Zukunft, wenn Änderungen in den Vorhaben eintreten würden oder neue Aufstellungen vor sich gehen sollten, wir wiederum den Austausch dieser Unterlagen durchführen sollten. Der Besuch verlief kameradschaftlich und war auch dann der Ausgangspunkt zu weiteren Fühlungnahmen.
Im Mai desselben Jahres 1937 war ich mit einigen Herren als Vertreter meines Oberbefehlshabers nach Belgien eingeladen zu einem Besuch der dortigen Luftwaffe. Dann haben im Juli...
DR. STAHMER: Wie verlief dieser Besuch in Belgien? Können Sie nähere Angaben darüber machen?
MILCH: Es war eine sehr freundliche Aufnahme. Ich lernte den Kriegsminister kennen, den Außenminister, den Ministerpräsidenten und auch Seine Majestät den König, abgesehen von den Offizieren der Luftwaffe, die selbstverständlich in erster Linie in Frage kamen. Es war dabei eine sehr freundliche gegenseitige Besprechung, indem die Belgier ihre persönlichen Freundschaftsgefühle für Deutschland beteuerten.
DR. STAHMER: Wurde auch hier Material ausgetauscht?
MILCH: Nein, in dieser Form nicht, sondern wir haben den Belgiern auch später in Deutschland alles gezeigt, was wir hatten, als der Chef der Luftwaffe, General Duvier, seinen Gegenbesuch machte. Dann war noch ein größeres, internationales Zusammentreffen im Sommer, im Juli 1937, bei dem alle fünf Jahre damals stattfindenden Züricher Flugmeeting. Wir haben auf diesem Meeting absichtlich unsere neuesten Modelle an Jägern, Bombern und Sturzbombern gezeigt, auch unsere neuesten Motoren, die gerade herausgekommen waren und auch alles, was international als interessant angesprochen wurde. Es war eine größere französische, italienische, tschechische, belgische Abordnung außer der deutschen da, und auf Grund des Materials, das von uns gezeigt wurde, kam auch eine englische Offizierskommission, ohne an den einzelnen Wettbewerben von englischer Seite damals teilzunehmen. Wir haben sowohl den Franzosen, den Engländern und den anderen Nationen in kameradschaftlicher Weise das Material gezeigt. Es handelte sich dabei zum Beispiel um den Messerschmitt-Jäger 109, wie er ungefähr auch mit den vorhandenen Verbesserungen bis zum Ende des Krieges geflogen wurde. Es war die neueste Dornier-Bombertype, es war der neueste Stuka von Junkers dort, ebenso waren die Motoren von Daimler-Benz 600 und 601 und ebenso von Junkers.
VORSITZENDER: Dr. Stahmer, ich glaube nicht, daß alle diese Einzelheiten für den Gerichtshof von Interesse sind.
DR. STAHMER: Also, Herr Zeuge, keine Einzelheiten, nur ganz kurz.
MILCH: Jawohl.
Dann war im Oktober 37 eine Einladung nach Frankreich von seiten der Französischen Regierung, auch zum Besuch der dortigen Luftwaffe. Man sagt, der Besuch verlief in ganz besonders kameradschaftlicher Weise. Kurz darauf, etwa eine Woche später, fand ein Besuch auf Einladung Englands statt, ein Gegenbesuch für den Besuch von Herrn Courtney. Auch hier wurden Fabriken, Verbände, Schulen, auch die Kriegsschule gezeigt, ebenso bei der Industrie, die damals gerade in Gang gesetzte Schattenindustrie, das heißt, eine Industrie, die in Friedenszeiten eigentlich Friedensgüter herstellt, um im Kriege zum Bau von Flugzeugen und Flugmotoren überzugehen. Es sind dann noch gegenseitige Besuche mit Schweden gewesen.
Ich glaube, ich kann das damit abschließen.
DR. STAHMER: Haben Sie an einer Führerbesprechung am 23. Mai 1939 teilgenommen?
MILCH: Jawohl.
DR. STAHMER: In welcher Eigenschaft?
MILCH: Ich wurde am Morgen des Tages plötzlich hinbefohlen, weil der Reichsmarschall nicht zugegen war.
DR. STAHMER: Erinnern Sie sich noch der Einzelheiten dieser Besprechung?
VORSITZENDER: Dr. Stahmer, haben wir hier das richtige Datum erhalten, war es der 23. Mai 1933?
DR. STAHMER: 1939; das war die Besprechung, die vorhin erwähnt wurde.
MILCH: Am 23. Mai 1939.
DR. STAHMER: Erinnern Sie sich noch an den Verlauf dieser Besprechung?
MILCH: Der Führer hielt einen größeren Vortrag vor den drei Oberbefehlshabern von Heer, Marine, Luftwaffe und ihren Generalstabschefs. Es waren auch noch einige andere Personen zugegen. Der Hauptinhalt war, daß Hitler erklärte, er habe sich entschlossen, die Frage eines Korridors durch den Korridor nach Ostpreußen hin, so oder so zu lösen, und im Zusammenhang damit besprach er die Möglichkeiten von Verwicklungen, die sich dadurch nach dem Westen hin ergeben könnten. Es handelte sich lediglich um einen Vortrag, nicht um eine Aussprache oder eine Besprechung.
DR. STAHMER: Wurde noch weiteres besprochen oder von ihm vorgetragen, weitere Einzelheiten?
MILCH: Ja, es war eben die Frage, ob der Westen, und es scheint, er dachte wohl in erster Linie an Frankreich, dabei ruhig sein würde, oder ob es einschreiten würde dagegen.
DR. STAHMER: Wurde von der Möglichkeit eines Angriffs auf Polen gesprochen, oder, wie ich mich entsinne, nur von der Frage der Lösung dieser Korridorfrage?
MILCH: Allerdings habe ich ihn so verstanden, daß er auf alle Fälle diese Frage lösen würde, wobei zunächst wohl an Verhandlungen gedacht war, aber wenn Verhandlungen zu keinem Ziele führten, dann eine militärische Lösung wohl in Frage käme.
DR. STAHMER: Fanden darüber noch Erörterungen statt?
MILCH: Nein, es wurde ausdrücklich befohlen, daß jede Besprechung, auch der Teilnehmer untereinander, verboten war. Mir wurde es zum Beispiel verboten, den Reichsmarschall zu informieren, der nicht da war. Hitler erklärte, daß er diese Information selber vornehmen würde. Ich erinnere mich, daß damals dieser berühmte Befehl herausgegeben wurde, der schon erwähnt wurde, der als Führerbefehl Nr. 1 in jedem unserer Geschäftszimmer aufgehängt werden mußte, daß niemand irgendeinem etwas sagt, was er nicht zu wissen brauchte, daß man es niemandem früher sagte, als er es zu wissen brauchte, und daß man auch nur soviel sagte, als der andere zu wissen brauchte.
DR. STAHMER: Dann haben Sie den Reichsmarschall auch nicht über diese Verhandlung unterrichtet?
MILCH: Nein, es war mir verboten worden.
DR. STAHMER: Wann hat er davon erfahren?
MILCH: Das weiß ich nicht.
DR. STAHMER: Wie war die Einstellung des damaligen Feldmarschalls Göring zum Krieg?
MILCH: Ich habe immer unter dem Eindruck gestanden, das hat sich schon bei der Rheinlandbesetzung gezeigt, daß er Sorgen hatte, daß die Politik von Hitler zu einem Krieg führen könnte. Er war nach meiner Auffassung gegen einen Krieg.
DR. STAHMER: Wann haben Sie zum erstenmal erfahren, daß Hitler gegen Rußland ein Unternehmen in Aussicht gestellt hatte?
MILCH: Das ist, soviel ich mich entsinne, im Frühjahr 1941 gewesen, ich darf nochmals korrigieren, ich will nachsehen, am 13. Januar teilte mir der Reichsmarschall mit, daß Hitler mit einem Angriff von der russischen Seite gegen Deutschland rechnete. Ich habe dann zunächst nichts weiter darüber gehört, und der Reichsmarschall hat sich auch nicht dazu geäußert, wie etwa seine Auffassung dazu wäre. Jedenfalls habe ich in den nächsten Wochen und Monaten nichts mehr gehört. Ich bin dann allerdings um diese Zeit sehr wenig in Berlin und im Hauptquartier gar nicht gewesen, sondern war auf Inspektionsreisen und so weiter. Als ich zurückkam, ob das März oder April war, vermag ich nicht mehr zu sagen, hielt mir einer meiner Untergebenen hinsichtlich einer Bekleidungsfrage einen Vortrag und stellte die Frage, ob bei einem Krieg gegen Rußland Winterbekleidung vorgesehen werden müßte. Ich war außerordentlich erstaunt über diese Anfrage. Ich war nicht informiert worden vorher. Ich konnte ihm nur sagen, wenn es zu einem Krieg mit Rußland käme, dann brauchen wir Bekleidung für mehrere Winter, und habe ihm dann gesagt, wie ich mir eine Winterbekleidung denken könnte.
DR. STAHMER: Haben Sie dann ein zweitesmal mit Feldmarschall Göring gesprochen über diesen Krieg?
MILCH: Jawohl.
DR. STAHMER: Wann war das?
MILCH: Am 22. Mai kam ich auf einer meiner Reisen zum erstenmal seit längerer Zeit wieder in Berührung mit dem Oberbefehlshaber. Es war in Veldenstein, wo damals Göring sich aufhielt. Ich habe dort mit ihm über die Frage gesprochen und ihm gesagt, daß nach meiner Auffassung es für ihn eine große historische Aufgabe wäre, diesen Krieg zu verhindern, da dieser Krieg nur mit der Vernichtung Deutschlands enden könnte. Ich erinnerte ihn daran, daß wir ja nicht freiwillig uns einen Zweifrontenkrieg aufladen durften und so weiter. Der Reichsmarschall hat mir gesagt, daß er diese Argumente auch schon alle vorgebracht hätte, daß es aber völlig unmöglich sei, Hitler diesen Krieg auszureden. Mein Angebot, daß ich versuchen wollte, Hitler nochmal zu sprechen, hat der Reichsmarschall als hoffnungslos erklärt. Es wäre nichts zu wollen, man könnte nichts machen. Aus den Worten ging ganz klar hervor, daß er diesen Krieg ablehnte, und daß er auf keinen Fall diesen Krieg halben wollte, daß aber auch für ihn selbst, in seiner Stellung, keine Möglichkeit bestand, Hitler von diesem Vorhaben abzubringen.
DR. STAHMER: Ging aus seinen Worten auch hervor, daß er seine Bedenken Hitler mitgeteilt hatte?
MILCH: Ja, das war für mich ganz klar, daß er auch diese Zweifrontenkriegfrage, die Gründe, die ich anführte, daß er die auch bei Hitler vorgebracht hätte. Er sagte mir aber, es wäre hoffnungslos. Ich möchte noch einen Nachtrag sagen zum 23 Mai. Nach dieser Besprechung habe ich auf Grund der Tatsache, daß die deutsche Luftwaffe kaum über irgendwelche Bombenvorräte verfügte, den Antrag gestellt, daß Bomben gefertigt würden. Das war vorher von Hitler als nicht notwendig und überflüssig vorläufig abgelehnt worden. Es handelte sich bei dieser Frage um die Knappheit an Eisen. Ich habe nun nach dieser Besprechung, unter dem Eindruck, daß es zu Verwicklungen kommen könnte, darauf aufmerksam gemacht, daß die Luftwaffe mit ihrer Bomberflotte nicht aktionsbereit sei. Der Antrag ist von Hitler nach dem 23. Mai erneut abgelehnt worden. Er würde schon rechtzeitig Bescheid sagen, ob und wann wir Bomben brauchten. Als wir darauf aufmerksam machten, daß die Fabrikation von Bomben mehrere Wochen, ja Monate in Anspruch nehmen würde, erklärte er, daß dafür auch später noch genug Zeit vorhanden wäre. Daraus habe ich den Schluß gezogen, ich durfte ja mit niemandem sonst sprechen, daß die Worte von Hitler vom 23. Mai nicht so ernst gemeint waren, wie sie für mich geklungen hatten.
DR. STAHMER: Wann war dieses letzte Gespräch bezüglich der Ablehnung der Herstellung von Bomben?
MILCH: Das war etwa – ich habe den Vorschlag einmal im Anschluß daran nach dem Mai gemacht, wo der Zustand bekannt war. Ich habe aber nochmals später, im Laufe des Spätsommers darauf aufmerksam gemacht. Auch da wurde es abgelehnt. Der Befehl, Bomben zu fertigen, ist von Hitler erst erteilt worden, obwohl wir schon vorher auf dieses Manko aufmerksam gemacht hatten, am 12. Oktober 1939. Hitler hat sich ausgedrückt, soweit ich mich entsinne: »Meine Versuche, nach dem Polenfeldzug mit dem Westen zum Frieden zu kommen, sind fehlgeschlagen, der Krieg geht weiter. Jetzt können und müssen die Bomben fabriziert werden.«
DR. STAHMER: Hat Hitler Ihnen gegenüber einmal zum Ausdruck gebracht, daß es sein ernstes Betreiben sei, mit dem Westen in Frieden zu leben?
MILCH: Ja, ich habe mich vorher sehr kurz gefaßt bei den Besuchen. Als ich von Frankreich zurückkam, war ich zwei Stunden bei Hitler auf dem Obersalzberg, um ihm über den Besuch in Frankreich Bericht zu erstatten. Ebenso habe ich nach dem Besuch von England, etwa vierzehn Tage später, ebenfalls Hitler einen mehrstündigen Vortrag halten müssen. Er war sehr interessiert, und nach dem zweiten Vortrag, das heißt nach dem englischen Besuch, erklärte er: »Meine Politik will ich so und so führen, aber Sie können alle versichert sein, ich werde mich immer auf England stützen. Ich habe das Bestreben, immer mit England zusammenzugehen.« Diese Besprechung hat stattgefunden am zweiten November.
DR. STAHMER: Welchen Jahres?
MILCH: Im Jahre 1937, am zweiten November.
DR. STAHMER: Sie sprachen von zwei Besprechungen.
MILCH: Ja, die erste war der Bericht über den Besuch in Frankreich und der zweite war über den Besuch in England. Hitler, der das Ausland überhaupt nicht kannte, war außerordentlich interessiert, mal von einem Soldaten etwas über Aufnahme, Land, Waffen und so weiter zu hören.
DR. STAHMER: Wie war das Verhältnis des Reichsmarschalls Göring zu Himmler?
MILCH: Es war nicht immer sehr durchsichtig für mich, ich hatte den Eindruck, daß auf Himmlers Seite immer eine Rivalität geherrscht hat. Die gegenseitigen Beziehungen waren wohl aber immer sehr korrekt und nach außen hin sehr zuvorkommend. Wie es im inneren Verhältnis war, vermag ich nicht zu sagen.
DR. STAHMER: Es hat im Mai 1942 ein Schriftwechsel stattgefunden zwischen Ihnen und dem SS- Obergruppenführer Wolff?
MILCH: Jawohl.
DR. STAHMER: Über medizinische Versuche an Häftlingen im Lager Dachau? Können Sie etwas darüber sagen?
MILCH: Ich bin über diese Frage hier in Nürnberg vernommen worden, und meine hierüber nicht mehr vorhanden gewesene Erinnerung ist durch die beiden Briefe, ein Brief von Wolff, der damals Adjutant war bei Himmler, und ein zweiter Brief von Himmler an mich und die Antwort, die ich erteilt habe, mir vorgelegt worden. Es handelt sich um Versuche mit Höhenkammern und mit Unterkühlungsversuchen.
Die Briefe sind nur an mich gerichtet worden, weil Herr Himmler wohl nicht den Dienstweg bei der Luftwaffe kannte. Die Briefe wurden auch abgegeben unmittelbar an die Sanitätsinspektion, die mir nicht unterstand. Die Sanitätsinspektion hat auch den Antwortbrief wieder aufgesetzt und mir vorgelegt. Ich habe diesen Antwortbrief etwas korrigiert und dann abgehen lassen. Einen Bericht darüber, den Himmler geschickt hatte, habe ich nicht gelesen. Er hat auch einen Film angeboten. Ich habe ihn nicht gesehen. Der Sanitätsinspektor, den ich fragte, um was es sich überhaupt handelte, erklärte mir, daß die Luftwaffe völlig im Bilde sei über beide Probleme, und zwar seien die Versuche für die Höhenkammern von unseren eigenen jungen Ärzten, die sich freiwillig zur Verfügung gestellt hatten, durchgeführt worden. Ebenso könne das Gebiet der Unterkühlung uns überhaupt nichts bringen für die Luftwaffe. Wir waren uns beide klar auf seinen Vorschlag hin, daß wir mit dieser Sache nichts zu tun haben wollten. Ich habe ihn gefragt, um was es bei diesen Versuchen ginge. Er sagte mir, daß Verbrecher diesen Versuchen unterworfen würden. Ich fragte, in welcher Art. Er sagte, in derselben Art, wie unsere jungen Ärzte sich selber diesen Versuchen unterwarfen. Wir haben ihm dann einen Brief geschrieben, der sehr höflich, anders konnte man an diese Stelle nicht schreiben, doch völlig ablehnend war. Wir wollten mit der Sache nichts zu tun haben. In dem Brief Himmlers war ich gebeten worden, auch dem Reichsmarschall über die Frage Vortrag zu halten. Ich hatte den Eindruck, daß sich die SS mit diesen Versuchen vor Hitler wichtig machen wollte. Das waren die Worte, die auch der Sanitätschef mir sagte. Ich habe dem Reichsmarschall gelegentlich eines längeren Vortrages über ganz andere Fragen kurz diese Sache erwähnt, weil ich erwarten konnte, daß er eines Tages von Himmler angesprochen würde und dann vielleicht über diese ganze Sache nichts wüßte. Der Reichsmarschall hat mich gefragt, als ich ihm sagte, daß die Versuche bekannt seien: ›Was hat das zu bedeuten?‹ Ich habe ihm die Antwort gegeben, die mir der Sanitätsinspektor gegeben hatte. Ich sagte ihm, daß wir damit nichts zu tun haben wollten und wir es ablehnen. Er erklärte mir, daß er genau derselben Auffassung sei, aber ich möchte ja sehr vorsichtig sein und den SD nicht etwa reizen oder schlecht behandeln. Um was es sich bei den Versuchen gehandelt hat, weiß ich nicht. Ich weiß auch nicht, was mit den Menschen gemacht worden ist. Es ist mir auch heute nicht klar.
DR. STAHMER: Wußte es der Reichsmarschall?
MILCH: Nein, bestimmt nicht.
DR. STAHMER: Ist Dr. Rascher damals bald bei Ihnen ausgeschieden und zur SS gegangen?
MILCH: Das kann ich nicht sagen, ich kenne den Dr. Rascher nicht und habe mit der Frage des Übertritts nichts zu tun. Rascher unterstand mir ebensowenig wie der Sanitätschef, ebensowenig wie das Personalamt.
DR. STAHMER: Ist Ihnen bekannt, ob der Reichsmarschall Göring an die ihm unterstellten Truppen Befehle erlassen hat mit dem Inhalt, Sabotagetrupps zu vernichten oder gefangengenommene feindliche Terrorflieger ohne gerichtliches Verfahren dem SD zu übergeben?
MILCH: Nein, das ist mir nicht bekannt gewesen.
DR. STAHMER: Haben Sie darüber nichts erfahren in dieser Richtung?
MILCH: Nein.
DR. STAHMER: Wie war denn die Einstellung des Reichsmarschalls zu diesen gefangengenommenen Fliegern im allgemeinen?
MILCH: Ich habe mich früher mit dem Reichsmarschall manchmal darüber unterhalten.
JUSTICE JACKSON: Ich erhebe Einspruch. Ich finde, wir sind sehr großzügig gewesen und haben alle möglichen Erklärungen zugelassen, aber das scheint mir den Rahmen des Beweismaterials zu überschreiten. Dieser Zeuge hat erklärt, daß er über diese Frage nichts wisse, daß er nichts von Befehlen wisse, die als Beweismaterial vorgelegt sind, und er maßt sich an, eine Erklärung über die Haltung des Reichsmarschalls abzugeben. Ich habe nichts dagegen, daß er Erklärungen über Tatsachen abgibt, aus denen dieses Gericht über die Haltung des Reichsmarschalls Schlüsse ziehen kann. Wenn aber ein Zeuge behauptet zu wissen, was eine andere Person gedacht hat, ohne sich dabei auf irgendwelche Tatsachen stützen zu können, dann überschreitet das die Grenze des hier zulässigen Beweismaterials. Es trägt nicht zur Lösung des Problems bei, und ich erlaube mir, hier Einspruch gegen diese Frage und Antwort zu erheben, die in keiner Hinsicht glaubwürdiges oder erhebliches Beweismaterial darstellen.
VORSITZENDER: Dr. Stahmer, ich denke Sie sollten sich auf Tatsachen und auf Aussagen des Angeklagten Göring beschränken. Da der Zeuge gerade gesagt hat, daß er niemals etwas über Aktionen gegen Terrorflieger gehört habe, kann ich mir nicht denken, daß er über die Einstellung des Angeklagten Göring etwas aussagen kann.
DR. STAHMER: Herr Präsident, ich will meine Frage dahin formulieren: Hat der Reichsmarschall Göring mit dem Zeugen darüber gesprochen, wie die feindlichen abgeschossenen Flieger behandelt werden sollen?
MILCH: Nein.
DR. STAHMER: Das ist meines Erachtens eine Tatsache?
MILCH: Nein, es ist mit mir nicht besprochen worden.
DR. STAHMER: Ich habe noch eine Frage. Hat er mit Ihnen darüber gesprochen, daß er ein Gegner jeder Grausamkeit in der Behandlung des Feindes sei?
MILCH: Das wollte ich vorhin gerade sagen. Das hat er mit mir vor dem Krieg besprochen, in Erinnerung an den ersten Weltkrieg.
DR. STAHMER: Und was hat er darüber gesagt?
MILCH: Daß sie, wenn sie abgeschossen sind, unsere Kameraden sind; das war der Inhalt.
DR. STAHMER: Ich habe keine weitere Frage an den Zeugen und stelle ihn der Verteidigung und der Anklage zur Verfügung.
VORSITZENDER: Wünscht irgend jemand weitere Fragen an diesen Zeugen, zu richten?
DR. LATERNSER: Herr Zeuge, wie Sie wissen, ist von der Anklagebehörde ein gewisser Personenkreis zusammengefaßt worden, und zwar die höchsten militärischen Führer, um diesen Personenkreis für verbrecherisch zu erklären. Dieser Personenkreis wird Ihnen bekannt sein.
MILCH: Jawohl.
DR. LATERNSER: Hat es innerhalb der Deutschen Wehrmacht eine derartige Zusammenfassung der gleichen Dienststellen jemals zuvor schon gegeben?
MILCH: Ich habe die Frage nicht verstanden.
DR. LATERNSER: Hat es eine derartige Zusammenfassung der gleichen Dienststellen, wie sie jetzt, um die Gruppe zu bilden, geschaffen worden ist, jemals vorher schon innerhalb der Deutschen Wehrmacht gegeben?
MILCH: Ja, ich glaube, daß jederzeit, solange es eine Armee gibt, auch entsprechende höhere Führer dagewesen sind, die auch zusammengefaßt wurden unter ihrem Oberbefehlshaber.
DR. LATERNSER: Waren die Inhaber dieser Dienststellen mit der Ausarbeitung militärisch-fachlicher Fragen beschäftigt, die sie auf Befehl Hitlers ausgearbeitet haben oder haben diese Inhaber der Dienststellungen aus sich selbst heraus Themen ausgearbeitet, um sie Hitler zwecks Durchführung vorzulegen?
MILCH: Nein. Die militärischen Führer haben nur auf die Befehle ihrer Vorgesetzten hin gehandelt, das heißt Generale der Luftwaffe auf den Befehl des Oberbefehlshabers der Luftwaffe, der seine Befehle vom Obersten Befehlshaber der Wehrmacht bekam; das war Hitler, vorher Hindenburg.
DR. LATERNSER: Wissen Sie etwas darüber, ob diese angebliche Gruppe des Generalstabs und des OKW, wie sie jetzt zusammengefaßt worden ist, jemals geschlossen zusammengekommen ist?
MILCH: Vor dem Angriff auf Polen ist der Teil, der dort eingesetzt war, an Armeeführern und Flottenchefs von Hitler zusammenberufen worden; ebenso wurde der Teil, der für den Angriff nach dem Westen im Frühjahr 1940 in Frage kam, auch zusammenberufen; dasselbe fand nochmals statt, soweit ich weiß, beim Angriff auf Rußland.
DR. LATERNSER: Sie waren bei derartigen Besprechungen selbst auch bisweilen zugegen?
MILCH: Zum Teil, jawohl.
DR. LATERNSER: Können Sie mir mal den Verlauf einer derartigen Besprechung schildern, insbesondere würde ich Wert auf den Punkt legen, ob die höheren militärischen Führer bei solchen Besprechungen Gelegenheit hatten, Gegenvorschläge zu machen?
MILCH: Ich erinnere mich an die Besprechung, die vor dem Polenfeldzug auf dem Obersalzberg bei Hitler stattfand. Das war am 22. August. Es waren die Oberbefehlshaber der Wehrmachtsteile und die Armeeführer zugegen. Hitler stand vorne vor einem großen Pult und die Generale saßen nebeneinander auf den Stühlen und hintereinander. Er hat, so wie er es meist tat, dann einen Vortrag gehalten über die Gründe, die politischen Voraussetzungen und seine Absicht. In dieser Besprechung war irgendeine Erwiderung oder irgendeine Besprechung von seiten der Generale nicht möglich. Ob eine weitere Besprechung über Einzelheiten war, vermag ich nicht zu sagen. Ich weiß nur diese Ansprache von Hitler. Dann beim Angriff auf Rußland, da war ein anderes Verfahren. Wir saßen um einen sehr großen Tisch herum, und jeweils mußten die einzelnen Heeresgruppen- und Armeeführer ihre Absichten und die Art der Durchführung der ihnen gegebenen Befehle auf der Karte erläutern, zu dem dann Hitler sein Einverständnis im allgemeinen gab, oder in einzelnen Fällen auch vielleicht sagte, er würde vorziehen, hier etwas stärker oder hier etwas schwächer aufzutreten; es waren dies aber nur ganz geringfügige Einwände.
DR. LATERNSER: Diese Besprechungen hatten also mehr den Charakter eines Befehlsempfangs.
MILCH: Vollkommen, es war ein Befehlsempfang.
DR. LATERNSER: Können Sie mir sagen, ob von irgendeinem Mitglied der Gruppe »Generalstab« oder der angeblichen Gruppe »Generalstab und OKW« jemals Anregungen ausgegangen sind, vom geltenden Völkerrecht abzuweichen?
MILCH: Ist mir nicht bekannt.
DR. LATERNSER: Wissen Sie etwas darüber, ob Angehörige dieser angeblichen Gruppe häufig mit Politikern oder hohen Parteileuten zusammengekommen sind?
MILCH: Nach meiner Meinung, nein; ich möchte das natürlich für die Masse dieser Herren sagen. Es ist wohl selbstverständlich, daß die Oberbefehlshaber der Wehrmachtsteile oder der Chef vom OKW auch mit Politikern öfter Aussprachen gehabt haben dürften. Aber der normale Heeresgruppen-, Flotten- oder Armeeführer hat dazu keine Gelegenheit gehabt.
DR. LATERNSER: Haben zwischen den Angehörigen dieser angeblichen Gruppe, soweit sie dem Heer, Marine oder Luftwaffe angehörten, untereinander Erörterungen stattgefunden?
MILCH: Soweit sie auf eine gemeinsame Zusammenarbeit angewiesen waren, wie zum Beispiel ein Armee- oder Heeresgruppenchef mit seinem dazugehörigen Flottenchef, haben selbstverständlich solche Aussprachen immer stattgefunden. Aber mit dem Nachbarchef war schon sicherlich das Verhältnis lose und mit den übernächsten Nachbarn schon gar nicht vorhanden.
DR. LATERNSER: Also, solche Besprechungen haben nur stattgefunden hinsichtlich der Lösung einer gemeinsamen Aufgabe.
MILCH: Jawohl, zu diesem Zwecke.
DR. LATERNSER: Innerhalb der Luftwaffe gehörten zu diesem Personenkreis diejenigen Offiziere, die die Dienststellung eines Generalstabschefs der Luftwaffe oder Oberbefehlshabers der Luftwaffe oder einer Luftflotte in einem gewissen Zeitraum innegehabt haben. Ich habe nun hier die Liste derjenigen Generale, die von der Luftwaffe zu diesem Personenkreis gehören, und ich wollte Sie fragen hinsichtlich einiger davon, welchen Rang und welche Dienststellung diese Generale bei Kriegsausbruch innegehabt haben? Was war der Generaloberst Korten bei Kriegsausbruch?
MILCH: Ich glaube, ich kann es nicht ganz genau sagen, entweder Oberst oder Oberstleutnant.
DR. LATERNSER: Wissen Sie, welche Dienststellung er innegehabt hat?
MILCH: Ich glaube, er war Chef des Stabes bei der Münchener Luftflotte.
DR. LATERNSER: Dann war im August 1944 bis Oktober 1944 der General Kreipe Generalstabschef der Luftwaffe. Was war dieser Offizier bei Kriegsausbruch?
MILCH: Ich vermute Major oder Oberstleutnant.
DR. LATERNSER: Ja, wissen Sie, welche Dienststellung er innegehabt hat?
MILCH: Nein, das kann ich im Augenblick nicht genau sagen. Es kann sein, daß er Generalstabschef bei einem Fliegerkorps gewesen ist.
DR. LATERNSER: Jawohl, und welchen Dienstrang hat er als Generalstabschef eines Fliegerkorps gehabt, zu dieser Zeit?
MILCH: Zwischen Major bis Oberst, je nachdem.
DR. LATERNSER: General Koller war auch ganz kurze Zeit Generalstabschef der Luftwaffe. Was war dieser Offizier bei Kriegsbeginn?
MILCH: Ich glaube, Oberstleutnant.
DR. LATERNSER: Dann habe ich noch wenige Namen. Wissen Sie, welchen Dienstrang und Dienstgrad Generaloberst Deßloch bei Kriegsausbruch innegehabt hat?
MILCH: Es ist mir nicht genau erinnerlich. Vielleicht Generalmajor oder Oberst. Das weiß ich nicht genau.
DR. LATERNSER: Und General Pflugbeil?
MILCH: Das gleiche.
DR. LATERNSER: General Seidel?
MILCH: Seidel, glaube ich, war schon Generalmajor bei Kriegsausbruch.
DR. LATERNSER: Und welche Diensstellung hatte er damals inne?
MILCH: Er war Generalquartiermeister im Generalstab.
DR. LATERNSER: Welchen Rang hat diese Stellung gehabt, verglichen mit Befehlshaber, Oberbefehlshaber, Divisionskommandeur.... ?
MILCH: Ein Korpskommandeur, etwa als Generalquartiermeister.
DR. LATERNSER: Ja. Ich habe nun noch einige Fragen, die die Luftwaffe selbst und damit ja auch die obersten militärischen Führer betreffen. Aus Ihrer Aussage hat sich vorhin ergeben, daß im Jahre 1939 die Luftwaffe nicht voll kriegsbereit gewesen ist. Können Sie mir zu diesem Punkt die Gründe angeben, die für diese Nichtbereitschaft der Luftwaffe für den Krieg sprechen?
MILCH: In den wenigen Jahren von 1935, ich habe vorhin mal die Industriezahlen genannt, bis zum Jahre 1939 dürfte es wohl für jeden Soldaten in jedem Lande unmöglich gewesen sein, eine Luftwaffe aufzubauen, die den Aufgaben gewachsen gewesen wäre, wie sie vom Jahre 1939 ab an uns gestellt worden sind. Das ist ausgeschlossen, und zwar, es ist weder möglich, die Verbände auf die Beine zu bringen, noch ist es möglich, die Schulen einzurichten und mit Lehrpersonal genügender Art auszustatten, noch ist es möglich, die Flugzeuge selbst, die dazu notwendig sind, zu entwickeln und dann zu bauen, serienweise. Es ist auch nicht möglich, in dieser Zeit fliegerisches Personal in genügender Weise, bei den hohen technischen Anforderungen, die ein heutiges Flugzeug stellt, auszubilden und herbeizuschaffen. Ebensowenig ist es möglich, in so kurzer Zeit das technisch sehr hochwertige Bodenpersonal zu stellen und der Luftwaffe zur Verfügung zu stellen und auch der Luftfahrtindustrie nebenbei...
DR. LATERNSER: Etwas langsamer, bitte.
VORSITZENDER: Er sagte, daß es unmöglich sei. Es ist nicht notwendig, auf Einzelheiten in diesem Punkt einzugehen.
DR. LATERNSER: Ich habe nur noch einige Einzelfragen. Wurde seitens der Luftwaffe beim Einmarsch in Österreich mit Widerstand gerechnet?
MILCH: Nein; das war uns voll bekannt, daß kein Widerstand sein würde. Wir haben keine Waffen mitgenommen.
DR. LATERNSER: Wie war der Empfang dort?
MILCH: So freundlich, wie er im eigenen Land nicht sein konnte.
DR. LATERNSER: Sind Sie als Feldmarschall vorher unterrichtet worden, daß die Kriegserklärung gegen Amerika abgegeben werden sollte?
MILCH: Nein.
DR. LATERNSER: Nun werden in diesem Verfahren schwere Anschuldigungen erhoben gegen deutsche Soldaten und ihre Führer wegen begangener Grausamkeiten. Ist nicht jeder Soldat hinreichend über die völkerrechtlichen Bestimmungen aufgeklärt und belehrt worden?
MILCH: Jawohl. Jeder Soldat hatte ein Soldbuch. Im Soldbuch waren auf der ersten Seite eingeklebt 10 Gebote für den Soldaten. Da standen alle diese Fragen drin.
DR. LATERNSER: Können Sie mir Beispiele dafür angeben, über Punkte, die auf diesem Merkblatt enthalten sind?
MILCH: Jawohl. Zum Beispiel, daß kein Soldat –, daß kein Gefangener erschossen werden dürfe, daß nicht geplündert werden dürfe; übrigens habe ich mein Soldbuch bei mir. Behandlung von Kriegsgefangenen, Rotes Kreuz, Zivilbevölkerung unverletzlich, Verhalten der Soldaten selber in Gefangenschaft, und zum Schluß Androhung von Strafe bei Zuwiderhandlung.
DR. LATERNSER: Ja. Wenn nun Verfehlungen und Ausschreitungen von Soldaten gegen die Zivilbevölkerung bekanntgegeben worden sind, ist dann nach Ihrer Kenntnis durch die zuständigen Kommandeure mit der erforderlichen Strenge eingeschritten worden?
MILCH: Ich kenne einige Fälle, ich kannte einige Fälle, wo das absolut der Fall war, bis zur Todesstrafe.
DR. LATERNSER: Also das Bestreben der Kommandeure war immer in der Richtung, daß auf alle Fälle die Disziplin der Truppe aufrechterhalten werden müsse?
MILCH: Jawohl; ich kann ein markantes Beispiel sagen: ein General der Luftwaffe hatte sich einen Schmuck angeeignet, der einer Ausländerin gehörte. Er ist zum Tode verurteilt und hingerichtet worden. Ich glaube, das war noch im Jahr 1943 oder 1944.
DR. LATERNSER: Herr Zeuge! Sie haben insbesondere auch in dieser kritischen Zeit des Jahres 1939 in naher dienstlicher Beziehung zu dem Angeklagten Göring gestanden. Haben Sie durch ihn jemals von einem großen Plan über die Entfesselung eines umfangreichen Krieges gehört?
MILCH: Nein.
DR. LATERNSER: Haben nach Ihrer Überzeugung die übrigen hohen militärischen Führer darüber mehr gehört oder hören müssen?
MILCH: Nein. Alle Maßnahmen, die Hitler ergriffen hat, von der Rheinlandbesetzung an, sind urplötzlich gekommen; im allgemeinen nur eine stundenweise Vorbereitung. Das trifft für Österreich zu, das trifft auch für die Tschechei zu, und das trifft auch für Prag zu. Das einzige Mal, daß über eine Sache etwas früher gesagt wurde, war die von mir vorhin erwähnte polnische Sache, wo am 23. Mai eine Besprechung angesetzt war.
DR. LATERNSER: In allen übrigen Fällen war es also für die hohen militärischen Führer jeweils eine ziemliche Überraschung?
MILCH: Eine vollkommene Überraschung.
DR. LATERNSER: Nun habe ich noch eine letzte Frage. Wie stand es mit den Rücktrittsmöglichkeiten hoher militärischer Führer während der Kriegszeit?
MILCH: Das ist mehrfach gesagt worden. Ich habe es auch am eigenen Leibe erfahren, daß Rücktrittsgesuche nicht eingereicht werden durften. Es wurde gesagt, daß uns das von oben her gesagt würde, wenn einer Grund zu gehen hätte. In einem autoritären Staat hätte der Untergebene, der Staatsbürger, nicht das Recht, von sich aus abzutreten, weder als Soldat, noch als Zivilist.
DR. LATERNSER: Ich habe keine weiteren Fragen.
VORSITZENDER: Die Sitzung wird auf Montag vormittag vertagt.