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[Zum Zeugen gewandt:]

Herr Zeuge, ist Ihnen in Erinnerung, seit wann Hitler den Bau von bombengeschützten Fabriken für die Luftrüstung gefordert hat als Höhlen- oder Bunkerbauten?

MILCH: Soweit ich mich entsinnen kann, vom Augenblick der schweren englischen Angriffe, vom Jahre 1943 ab.

DR. FLÄCHSNER: Erinnern Sie sich an eine Besprechung auf dem Obersalzberg, Anfang April 1944 und daran, was Sie damals über die schwierige Lage auf dem Baumarkt bei Hitler vorgetragen haben, und an die Befehle, die Hitler dabei gegeben hat?

MILCH: Jawohl. Der Führer hat damals sehr starke, ich glaube sechs Großanlagen, von Bunkern geschützt, von etwa je 600000 Quadratmeter Arbeitsfläche gefordert. Es wurden von seiten Speers in der Folgezeit, im April war er nicht dabei, da war er krank, Einwände dagegen erhoben. Er hielt diesen Bauumfang für viel zu groß und auch für viel zu spät. Er hat später durchgedrückt, daß alle Bauten, die nicht bis zum Juni 1944 in baufähigem Zustand waren, das hieß, Bauten, die nicht Anfang 1945 den Betrieb aufnehmen konnten, daß diese sofort stillgelegt werden mußten.

DR. FLÄCHSNER: Was mich interessiert dabei, ist in erster Linie die Arbeiterfrage. Hat bei dieser Besprechung auf dem Obersalzberg der Führer für den Bau dieser von ihm verlangten Fabriken Arbeitskräfte bereitgestellt?

MILCH: Ja, ich glaube mich erinnern zu können, daß er auf den Einwand einer der Herren erklärte, er würde für die Baukräfte sorgen.

DR. FLÄCHSNER: Sie sagten, Herr Zeuge, daß Herr Speer gegen diesen Bau gewesen sei. Wie ist denn die Entwicklung weitergegangen. Speer war nicht anwesend bei der Sitzung?

MILCH: Nein, er war damals krank.

DR. FLÄCHSNER: Können Sie uns das im Zusammenhang kurz erzählen?

MILCH: Während dieser Krankheit kamen beim Führer Anträge ein von anderen Seiten, daß der Bau von Speer abgetrennt würde. Es sind darüber Schwierigkeiten entstanden; zwar blieb der Bau in der Theorie unter Speers Kommando, er wurde ihm aber in der Praxis fast ganz weggenommen. Er hat auf die Bauten selbst keinen Einfluß mehr ausüben können, weil ein Befehlsweg von der Baustelle der OT, Organisation Todt, unmittelbar an Adolf Hitler beschlossen worden war. Somit war Speer weitgehend aus dieser Frage ausgeschaltet. Man hat sehr viel über Großbauten damals gesprochen, man hat aber sehr wenig Arbeit für diese Großbauten praktisch geleistet.

DR. FLÄCHSNER: Hat Hitler an Herrn Dorsch einen schriftlichen Befehl direkt erteilt, und hat er diesen Speer zugestellt? Wissen Sie was darüber?

MILCH: Soweit ich mich entsinnen kann, hat ein solcher schriftlicher Befehl vorgelegen, und er ist auch Speer zugegangen. Ich erinnere mich dunkel daran, daß mir Speer einmal einen solchen Befehl auch gezeigt hat.

DR. FLÄCHSNER: Eine letzte Frage zu diesem Punkt. Demnach übernahm die Verantwortung für diese Bauten und für diese Arbeitskräfte der vom Führer unmittelbar beauftragte Herr Dorsch?

MILCH: Jawohl.

DR. FLÄCHSNER: Herr Zeuge, Sie waren Mitglied der Zentralen Planung. Können Sie mir sagen, ob die Zentrale Planung berechtigt war, Entscheidungen über die zu stellenden ausländischen oder deutschen Arbeitskräfte und über deren Verteilung zu treffen?

MILCH: Nein.

DR. FLÄCHSNER: Hat sie überhaupt derartige Entscheidungen jemals getroffen?

MILCH: Die Zentrale Planung war nur zur Verteilung der Rohstoffe eingesetzt worden, und an ihrer Arbeit hing außerdem eine gewisse Regelung von Verkehrsfragen, die unabhängig von der Tätigkeit hinsichtlich der Rohstoffe war. In der Frage der Arbeiterbereitstellung hatte sie keinerlei Aufgaben und Rechte und hat auch keine ausgeübt. Auf die Verteilung von Arbeitern versuchte die Zentrale Planung insofern einen Einfluß zu gewinnen, da sie als Rüstungsstelle gleichzeitig am besten die Notwendigkeiten übersah. Aber hier entstanden erhebliche Schwierigkeiten, so daß praktisch diese Arbeit in der Zentralen Planung fallengelassen werden mußte.

DR. FLÄCHSNER: Zu Beschlüssen ist es also nicht gekommen? Wir haben hier zwar Protokolle vorliegen, daß über Arbeiterprobleme in der Zentralen Planung manchmal gesprochen worden ist...

MILCH: Sogar sehr häufig, weil ja die Rüstungsstellen, die hier vertreten waren, das größte Interesse an der Arbeiterschaft hatten. Es sind aber mehr Besprechungen gewesen über die Verpflegung der Arbeiter, Zulagen für die Arbeiter und so weiter, als über sonstige Angelegenheiten.

DR. FLÄCHSNER: Und eine letzte Frage zu diesem Punkt. Hat der Generalbevollmächtigte für den Arbeitseinsatz die Zentrale Planung irgendwie als maßgeblich, also als entscheidend in dem Gesamtplan der Arbeitskräfte betrachtet oder nicht?

MILCH: Nein, das konnte er nicht, denn das war er selbst.

DR. FLÄCHSNER: Waren in den Jahren 1943 und 1944 Reserven an deutschen Arbeitskräften vorhanden, und forderte Speer diesen Einsatz deutscher Arbeitskräfte an Stelle ausländischer Arbeiter?

MILCH: Jawohl. Speer hat sich ganz besonders stark immer wieder dahin verwendet, daß die noch vorhandenen, wenn auch vielleicht sehr schwer zu erfassenden deutschen Arbeitsreserven nunmehr in den Arbeitsprozeß eingeschaltet würden. Es waren das in der Masse weibliche Arbeitskräfte, Frauen aus Berufen oder aus Ständen, die im Kriege außer ihrer Hausfrauenarbeit nichts zu tun hatten.

DR. FLÄCHSNER: Herr Zeuge, Sie sagten vorhin, der Angeklagte Speer sei im Jahre 1944 krank gewesen. Können Sie mir sagen, von wann bis wann das ungefähr war?

MILCH: Die Krankheit begann im Februar und dürfte etwa im Juni beendet gewesen sein.

DR. FLÄCHSNER: Danke. Ist Ihnen etwas davon bekannt, daß man diese lange Krankheit dazu ausgenutzt hat, um seine Autorität und seinen Einflußbereich erheblich zu beeinträchtigen? Können Sie mir sagen, wer da in erster Linie interessiert war?

MILCH: Die Beeinträchtigung betraf das vorhin erwähnte Baugebiet; es ist für mich sehr schwierig, hier einzelne Personen zu nennen, die vielleicht Erbschaftsinteressen hatten.

DR. FLÄCHSNER: Wurde das nach dem 20. Juli etwa noch schlimmer oder weniger schlimm?

MILCH: Es ist eigentlich mit fortschreitender Zeit immer schlechter geworden und die Stellung von Speer immer schwieriger, da Speers Gesamtauffassung von der offiziellen Meinung des Führers in immer stärkerem Umfang abwich.

DR. FLÄCHSNER: Ja, nun darf ich Sie bitten, hier mal Ihre Erinnerung auf etwas anderes zu lenken? Im Februar 1945 wurde durch eine Anordnung Hitlers dem Angeklagten Speer die Kraftwagenverteilung übertragen und Sie waren, wenn ich richtig informiert bin, als sein Vertreter bestellt. Können Sie mir sagen, wie die Transportlage damals aussah, und wie weit der Ausstoß der Rüstung von der Transportlage abhing?

MILCH: Die Transportlage war in dieser Zeit durch die amerikanischen Tagesbombenangriffe so katastrophal geworden, daß die notwendigsten Lebensgüter und auch Rüstungsgüter nicht mehr gefahren werden konnten, insbesondere betraf dies unsere große Schmiede, das Ruhrgebiet und die Verbindung von dort zur Fertigindustrie in Mitteldeutschland, Berlin, sächsischer Raum. Wenn hier nicht mit ganz außergewöhnlichen Mitteln und Vollmachten eingegriffen wurde oder würde, war der totale Zusammenbruch nur aus dem Grund der Verkehrslage auf Stunden beinahe zu berechnen; das war die damalige Lage.

DR. FLÄCHSNER: War zu erwarten, daß Speer auf Grund seines Auftrags die Rüstung bei der Verteilung des Transportvolumens bevorzugen würde und was hat er getan?

MILCH: Nein. Speer war sich mit mir vollkommen darüber klar, daß die ganze Rüstung in diesem Zeitraum nichts mehr bringen könnte. Speer hat daher von sich aus das Hauptgewicht auf Lebensmitteltransporte für die Bevölkerung gelegt, vor allen Dingen auch auf Räumung von Lebensmitteln aus den deutschen Gebieten, die verloren gehen würden.

DR. FLÄCHSNER: Waren das nur Maßnahmen zur Sicherung des laufenden Ernährungsbedarfs oder waren das Maßnahmen auf weite Sicht?

MILCH: Es war so gedacht, daß die größtmögliche Menge, die überhaupt da war und die abtransportiert werden konnte, sichergestellt werden sollte.

DR. FLÄCHSNER: Herr Zeuge, ein besonders schwieriges Kapitel war ja in der damaligen Zeit der Kraftverkehr. War die Zahl der Lastkraftwagen und die Treibstoffmenge für diese in der Rüstung beschränkt, und was hat Speer hinsichtlich der Lastkraftwagen Mitte Februar 1945 angeordnet, falls Sie das wissen?

MILCH: Also ich weiß, daß die Lastkraftwagen immer so knapp in der Rüstung gewesen sind, daß selbst das Notwendige nicht erfüllt werden konnte. Es mußte zu allen möglichen Aushilfen auf diesem Wege geschritten werden: Einsatz der elektrischen Straßenbahnen, Einsatz von sehr viel Pferdefuhrwerken und dergleichen. Aber auch hier sind meines Wissens von Speer diese Fahrzeuge eingesetzt worden für die deutsche Bevölkerung, um die Verteilungsorganisation von Lebensmitteln überhaupt ermöglichen zu können.

DR. FLÄCHSNER: Treibstoff war damals einer der stärksten Engpässe, nicht wahr?

MILCH: Es war überhaupt der stärkste Engpaß.

DR. FLÄCHSNER: Ist Ihnen etwas darüber bekannt, Herr Zeuge, ob Speer seit Februar 1945 die Reparatur der Stickstoffwerke, die Düngemittel für die Landwirtschaft erzeugten, in der Dringlichkeitsstufe vor die Reparatur der Treibstoffwerke gestellt hat?

MILCH: Ja, das weiß ich, weil Speer mit mir sehr ausführlich die Frage besprochen hat, was jetzt, da der Zusammenbruch für uns unvermeidlich in nächster Zeit bevorstand, am dringlichsten zu tun sei, weil er der Ansicht war, daß es jetzt nur darauf ankäme, dem deutschen Volke noch so viel wie möglich zu helfen, um ihm die sehr schwere Zeit nach dem Zusammenbruch möglichst zu erleichtern. Dazu gehörten einmal die Frage der Verpflegung, der Bergung der Lebensmittel und des Transports zur Verteilung.

Zweitens, die Verhinderung der Zerstörung aller deutschen Fabriken, die noch in unserer Hand waren, dies gegen den ausdrücklichen von Hitler gegebenen Befehl der »Verbrannten Erde«, wie wir ihn nannten.

Drittens, Beauftragung der Industrie bereits mit Friedensproduktion statt Kriegsproduktion, soweit die Fabriken überhaupt noch standen; in erster Linie hier Herstellung von landwirtschaftlichen Maschinen, von Ersatzteilen für diese und dergleichen, unter dem Motto, daß einmal in die Industrie hineingelegte Aufträge auch über Erschütterungen weiterlaufen würden, Erschütterungen zum Beispiel, wenn die Fabrik aus deutscher Hand in Feindeshand fiel, oder wenn durch Beendigung des Krieges die Kriegsaufträge der Regierung automatisch wegfallen.

DR. FLÄCHSNER: Herr Zeuge, wir haben hier eine ganze Reihe Fragen zusammengefaßt, dafür bin ich Ihnen dankbar. Ich wollte Sie nur noch fragen: Können Sie uns mehr Details bezüglich der Verhinderung von Zerstörungen hier erzählen?

VORSITZENDER: Dr. Flächsner! Wollen Sie mir erklären, warum diese Aussage, die Sie fordern, erheblich ist und auf welchen Anklagevorwurf sie sich bezieht?

DR. FLÄCHSNER: Herr Präsident! Der Angeklagte Speer steht unter der Anklage einer gemeinsamen Verschwörung, eines gemeinsamen Planes zur Durchführung eines Angriffskrieges bis zum 7. Mai 1945. Wenn ich nun dartun kann, daß zum mindesten seit geraumer Zeit vorher der Angeklagte Speer eine Tätigkeit entfaltet hat, die mit diesem gemeinsamen Plan nicht zu vereinen ist, dann glaube ich, ist das für die Beurteilung, wie weit man ihm einen Vorwurf im Sinne der Anklage machen kann, von Erheblichkeit.

VORSITZENDER: Das ganze Beweismaterial, das Sie während der letzten 15 Minuten vorgebracht haben, bezog sich auf die Jahre 1943 und 1944. Es betrifft Konferenzen über die Errichtung von Fabriken zur Erzeugung von Bombern und die Tatsache, daß, soweit ich es verstanden habe, Speer sich mehr darum bemühte, das deutsche Volk zu ernähren, als Waffenfabriken zu bauen. Was das mit Ihren Ausführungen zu tun hat, kann ich nicht verstehen.

DR. FLÄCHSNER: Der erste Punkt bezog sich auf Dokument 1584-PS, welches die Anklagebehörde als Belastung gegen meinen Klienten vorgetragen hat; da heißt es nämlich, es sei bei einer Konferenz auf dem Obersalzberg der Bau von bestimmten Fabriken angeordnet worden; zu ihrem Bau seien 100000 ungarische Juden verwendet worden. Der Zweck der Befragung dieses Zeugen hier war, festzustellen, daß dem Angeklagten Speer für diesen Bau eine Verantwortung nicht zur Last gelegt werden kann, da Hitler den Bauauftrag unmittelbar einem anderen gegeben hatte, so daß dieser Punkt, den die Anklage zur Stützung ihres Vorwurfs vorgetragen hat, weggeräumt wird. Das war der Zweck der ersten Frage. Der Zweck der zweiten Frage bezüglich der Zerstörungen und der Sicherung der landwirtschaftlichen Erzeugung und der Ernährung des deutschen Volkes betraf den Vorwurf der Verschwörung zur Ausführung eines gemeinschaftlichen Planes, denn alle diese Tätigkeiten, die der Zeuge hier bestätigt hat, dienten ja gerade dem Gegenteil, hatten ja gerade die gegenteilige Wirkung wie der von der Anklage behauptete gemeinschaftliche Plan; sie dienten nicht der Kriegsführung, sondern der Friedenswirtschaft.

VORSITZENDER: Speer ist nicht angeklagt, weil er versuchte, das deutsche Volk während des Krieges zu ernähren. Die Anklage macht ihm daraus keinen Vorwurf.

DR. FLÄCHSNER: Herr Präsident! Ich habe auch niemals behauptet, daß die Anklage diesen Vorwurf erhoben hätte. Es muß ein Fehler in der Übertragung vorliegen.