[Der Zeuge sieht in seinem Notizbuch nach.]
Am 1. Juli 1937.
PROF. DR. JAHRREISS: Wissen Sie, ob später noch jemand aus England da war?
MILCH: Es fand ein persönlicher Austausch statt zwischen unserer entsprechenden Abteilung und den Engländern. Ich persönlich habe an dieser Sache, nachdem ich die Bekanntschaft vermittelt hatte, nicht mehr teilgenommen.
PROF. DR. JAHRREISS: Danke. Eine andere Frage: Sie erinnern sich des Konflikts wegen der Rheinlandbesetzung, nicht wahr?
MILCH: Jawohl.
PROF. DR. JAHRREISS: Wissen Sie auch, eine wie große Aufregung diese Frage hervorgerufen hat?
MILCH: Jawohl.
PROF. DR. JAHRREISS: War an der Wiederbesetzung des Rheinlandes, und zwar links des Rheins, auch die Luftwaffe beteiligt?
MILCH: Das vermag ich im Augenblick nicht zu beantworten. Die Rheinlandbesetzung kam so plötzlich, daß sie mich auf einem Urlaub überraschte. Als ich zurückkam, war die Besetzung im Gange. Ich weiß, daß Düsseldorf auch mit der Luftwaffe besetzt wurde. Dort bin ich selbst gewesen an einem der nächsten Tage.
PROF. DR. JAHRREISS: Das ist also rechtsrheinisch?
MILCH: Das ist rechtsrheinisch.
PROF. DR. JAHRREISS: Vom Linksrheinischen wissen Sie nichts?
MILCH: Das kann ich im Augenblick nicht sagen. Ich glaube nicht, daß dort ein Flugplatz war. Ich kann mich aber nicht genau darauf entsinnen.
PROF. DR. JAHRREISS: Sie sagen, die Rheinlandbesetzung ist plötzlich gekommen, war aber nicht wenigstens in eventu etwas vorbereitet worden bei der Luftwaffe?
MILCH: Während meines Urlaubs war der Entschluß gekommen und alles, was da war, ist natürlich für diesen Zweck bereitgestellt worden; es war aber sehr wenig.
PROF. DR. JAHRREISS: Ja, damit wir klar sind, erst während Ihres Urlaubes ist zum erstenmal die Luftwaffe mit Vorbereitungen befaßt worden?
MILCH: Unbedingt, denn sonst wäre ich nicht auf Urlaub gegangen.
PROF. DR. JAHRREISS: Wie weit lag dieser erste, dieser früheste Zeitpunkt vor der Besetzung?
MILCH: Es kann sich um 14, 15, 16 Tage gehandelt haben. Das wäre das Maximum.
PROF. DR. JAHRREISS: Herr Zeuge, Sie haben schon am Freitag etwas ausgesagt über die Beteiligung der Luftwaffe an dem militärischen Teil der Durchführung der Anschlußpolitik im März 1938. Von wann ab sind da die Vorbereitungen der Luftwaffe gelaufen?
MILCH: Die Vorbereitungen sind weniger als 48 Stunden gelaufen. Das kann ich ganz genau sagen.
PROF. DR. JAHRREISS: Und wann haben Sie überhaupt zuerst davon erfahren, daß auch militärisch an dieser Lösung gearbeitet werden sollte?
MILCH: Etwa 36 Stunden vor dem Einmarsch.
PROF. DR. JAHRREISS: Danke.
DR. KURT KAUFFMANN, VERTEIDIGER DES ANGEKLAGTEN KALTENBRUNNER: Herr Zeuge, ist es richtig, wenn ich davon ausgehe, daß Sie befehlsmäßig, also dienstlich weder mit der Gestapo noch irgend etwas mit den Konzentrationslagern zu tun gehabt haben?
MILCH: Nein, ich habe nie etwas mit diesen zu tun gehabt.
DR. KAUFFMANN: Wann haben Sie zum ersten Male Kenntnis bekommen von der Einrichtung solcher Lager?
MILCH: Durch die allgemeinen Veröffentlichungen im Jahre 1933, dahingehend, daß überhaupt Konzentrations-, halt, oder ein Konzentrationslager, eingerichtet würde.
DR. KAUFFMANN: Haben Sie dann im Laufe der nächsten Jahre nähere Kenntnis von weiteren Einrichtungen bekommen?
MILCH: Bis zum Kriegsende waren mir bekannt Dachau und Oranienburg. Von einem weiteren Konzentrationslager war mir nichts bekannt. Ich habe das Lager Dachau im Jahre 1935 auf meinen Wunsch mit einigen höheren Offizieren der Luftwaffe besichtigt. Sonst habe ich Konzentrationslager nicht gesehen und auch nichts über das Weitere, was dort geschah, gewußt.
DR. KAUFFMANN: Wie war damals bei der Besichtigung Ihr Eindruck über diese Einrichtung, über die Behandlung der Häftlinge und so weiter?
MILCH: Es wurde damals soviel über die Frage auch in Deutschland, in unseren Kreisen der Offiziere, debattiert, daß ich mich entschloß, mir selber einen Einblick zu verschaffen. Mein Wunsch wurde von Himmler ohne weiteres genehmigt. Damals bestand – glaube ich – auch wohl nur Dachau. Ich fand dort verschiedenste Gruppen von Insassen vor; eine Gruppe waren Schwerverbrecher, die immer wieder rückfällig wurden, andere Gruppen bestanden aus Leuten, die laufend das gleiche Vergehen immer wieder verübten, ohne daß dies Verbrechen waren, sondern es waren bloß Vergehen. Dann war eine Gruppe da, die aus den Leuten bestand, die wegen des Röhm-Putsches dort saßen. Ich habe einen dieser Männer zufällig früher einmal gesehen gehabt und gekannt, es war ein höherer SA-Führer, der sich nun in diesem Lager befand. Das Lager war militärisch, sauber und ordentlich aufgezogen. Wir haben dort eine eigene Schlächterei, eine eigene Bäckerei gesehen. Wir haben uns ausdrücklich das Essen der Leute geben lassen, die im Lager saßen. Das Essen war gut; es wurde uns auch von dem führenden Manne des Lagers erklärt, daß sie ihre Häftlinge sehr gut ernährten, weil sie schwere Arbeit zu leisten hätten. Alle Häftlinge, an die wir herantraten, meldeten die Gründe, weshalb sie im Lager waren. Es waren das sehr oft Fälle, wo einer sagte, zwanzigmal Urkundenfälschung oder achtzehnmal Körperverletzung und dergleichen. Ob uns alles gezeigt worden ist in dem großen Komplex, kann ich natürlich nicht sagen.
DR. KAUFFMANN: Sie sprachen eben davon, daß in den Offizierskreisen debattiert worden sei. Haben Sie dann später, als Sie zurückkehrten, Ihre Eindrücke über Dachau wiedergegeben?
MILCH: Kaum, nur soweit ich auf diese Frage von meinen engeren Kameraden angesprochen wurde. Wie gesagt, ich war nicht allein, es waren noch mehr Herren dabei und auch diese werden im kleineren Kreise Gelegenheit gehabt haben, über diese Frage zu sprechen.
DR. KAUFFMANN: Nun sind in den Konzentrationslagern unerhörte Grausamkeiten begangen worden. Haben Sie davon, und gegebenenfalls wann zum ersten Male, Kenntnis bekommen?
MILCH: Am Tage meiner Gefangennahme habe ich zum ersten Male ein Bild gewonnen, weil die Insassen eines kleinen Teillagers in der Nähe des Ortes, in dem ich gefangengenommen worden war, vorbeigeführt wurden. Das war der erste persönliche Eindruck, den ich gewonnen habe. Das andere habe ich später in der Gefangenschaft durch die verschiedenen Unterlagen, die man uns gezeigt hat, erfahren.
DR. KAUFFMANN: War Ihnen also völlig unbekannt, daß es in Deutschland und in den besetzten Gebieten mehr als 200 Konzentrationslager gab?
MILCH: Das war mir vollkommen unbekannt. Ich habe vorhin die beiden erwähnt, von deren Existenz ich wußte.
DR. KAUFFMANN: Nun wird Ihnen entgegengehalten werden können, man hätte doch Kenntnis haben müssen. Können Sie uns eine Erklärung dafür bieten, warum eine bessere Kenntnis über die wirklichen Zustände Ihnen nicht möglich gewesen war?
MILCH: Weil die Leute, die davon Kenntnis hatten, nicht darüber gesprochen haben und wohl auch nicht sprechen durften. Das entnehme ich einer Unterlage in der Anklage gegen den Generalstab, wo fälschlicherweise auch Himmler als höherer militärischer Führer angesehen wird, in der er diese Anordnung gegeben hat. Es handelt sich um irgendeine Besprechung der höheren Polizeiführer unter Himmler im Jahre, ich glaube, 1943.
DR. KAUFFMANN: Ist es dann richtig, wenn ich sage, daß jeder Versuch, die wahren Zustände über die Konzentrationslager aufzudecken, unmöglich war, es sei denn, daß der Betreffende Leib und Leben riskierte?
MILCH: Zunächst war ja, ebensowenig wie mir, allen anderen Leuten was von dieser großen Zahl von Konzentrationslagern bekannt, zweitens wußten wir ja gar nicht, was in diesen Lagern vorging. Das war anscheinend auf einen kleinen Kreis von eingeweihten Leuten beschränkt. Der SD war außerdem in der ganzen Bevölkerung und bei allen Leuten, nicht nur bei den kleinen, außerordentlich gefürchtet. Es war mit Lebensgefahr verbunden, wenn man sich in diese Kreise irgendwo hineinbewegt hätte. Außerdem, woher sollten die deutschen Menschen etwas von diesen Sachen erfahren, wenn sie es nicht sehen und nicht hören konnten. In der deutschen Presse hat darüber nichts gestanden, im deutschen Rundfunk wurde nichts bekanntgegeben, das Abhören der Nachrichten des feindlichen Rundfunks stand unter allerschwerster Strafe, ja zum großen Teil unter der Todesstrafe. Es war ja auch nie jemand allein. Er mußte damit rechnen, wenn er selber gegen das Verbot handeln wollte, daß er von anderen Leuten gehört und angezeigt würde. Ich weiß, daß eine große Zahl von Menschen in Deutschland wegen Abhörens des ausländischen Radios zum Tode verurteilt worden ist.
DR. KAUFFMANN: Haben Sie Kenntnis davon erhalten, daß Massendeportationen von Juden in den Ostgebieten stattgefunden haben und wann erstmals?
MILCH: Ich kann den Termin nicht angeben. Einmal, irgendwo, ich weiß auch nicht mehr auf welchem Wege, ist die Nachricht zu mir gekommen, daß die Juden in besonderen Ghetto-Städten im Osten angesiedelt würden. Ich glaube, es muß etwa 1944 gewesen sein, möchte mich aber für diesen Termin auch nicht mehr irgendwie verbürgen.
DR. KAUFFMANN: Sie sprechen eben von Ghettos. Wußten Sie, daß diese Massendeportationen lediglich die Vorstufe zu Massenvernichtungen waren?
MILCH: Nein, das ist uns niemals gesagt worden.
DR. KAUFFMANN: Darf ich Sie weiter fragen, ob Ihnen in diesem Zusammenhang das Vernichtungslager Auschwitz ein Begriff gewesen ist?
MILCH: Nein, den Namen habe ich erst viel später nach meiner Gefangennahme zum ersten Male in der Presse gelesen.
DR. KAUFFMANN: Im Osten waren sogenannte Einsatzkommandos in Verwendung, die eine gewaltige Ausrottung durchgeführt haben, auch von Juden. Hatten Sie Kenntnis davon, daß diese Einsatzkommandos auf Grund eines Befehls von Adolf Hitler bestanden?
MILCH: Nein, das erste Wort von diesen Einsatzkommandos habe ich hier in Nürnberg im Gefängnis gehört.
DR. KAUFFMANN: Ist Ihnen bekannt, daß eine besondere Aktion zur Vernichtung von jüdischen Bürgern im Südosten des Reiches durchgeführt wurde, der nach Angabe des betreffenden Führers namens Eichmann etwa 4 bis 5 Millionen Juden zum Opfer gefallen sind?
MILCH: Nein, davon ist mir nichts bekannt. Ich höre den Namen Eichmann zum ersten Male.
DR. KAUFFMANN: Ist es richtig, wenn ich annehme, daß in Deutschland im Zeichen des absoluten Führerstaates jeder Widerspruch gegen einen höchsten Befehl mit Gefahr für Leib oder Leben verbunden war?
MILCH: Das ist in vielen Hunderten von Fällen bewiesen worden.
DR. KAUFFMANN: Ist es weiter richtig, wenn ich annehme, daß die gleichen Folgen eingetreten wären, wenn der Befohlene Widerspruch erhoben hätte, auch gegen einen rechtswidrigen und unmoralischen Befehl?
MILCH: Ich glaube, daß er auch dann mit der Strafe rechnen mußte; nicht nur er, sondern auch seine Angehörigen.
DR. KAUFFMANN: Danke, ich habe keine Fragen mehr.
DR. WALTER SIEMERS, VERTEIDIGER DES ANGEKLAGTEN RAEDER: Herr Zeuge! Ich habe nur eine kurze Frage. Sie erzählten Sonnabend oder Freitag, daß Sie mit einer englischen Kommission 1937 Besprechungen gehabt haben. Die Kommission wurde von Vizemarschall Courtney geleitet. Ich möchte gerne von Ihnen wissen, ob bei diesen Besprechungen vereinbart wurde, daß sich deutsche maßgebende Stellen und die britischen Stellen gegenseitig unterrichteten über die Aufstellungspläne der Luftwaffe?
MILCH: Jawohl, das ist so richtig verstanden.
DR. SIEMERS: In welcher Form wurde das vereinbart?
MILCH: Es wurde darüber eine schriftliche Niederlegung gemacht.
DR. SIEMERS: Hatte die englische beziehungsweise die deutsche Luftwaffe Aufstellungspläne für jedes Jahr?
MILCH: Nein, die Pläne betrafen mehrere Jahre.
DR. SIEMERS: Auf wieviel Jahre hinaus lief 1937 der Aufstellungsplan?
MILCH: Ich vermag das im Augenblick nicht mehr auswendig zu sagen. Vielleicht waren es 2 bis 3 Jahre damals.
DR. SIEMERS: Das wäre also dann für die Jahre 1938 bis 1940?
MILCH: 1937, 1938, 1939 bis 1940 vielleicht. Ich vermag das aber nicht mehr genau zu sagen, ich habe das vergessen.
DR. SIEMERS: Dieser Plan, hatte der ein bestimmte technische Bezeichnung? Hieß der Aufstellungsplan oder hieß er anders?
MILCH: Vermag ich auch nicht mehr zu sagen. Wir haben allgemein von Aufstellungsvorhaben gesprochen.
DR. SIEMERS: Auf der englischen Seite waren die entsprechenden Pläne auch in der Form, daß sie sich auf einen gewissen Zeitraum von vielleicht drei Jahren erstreckten?
MILCH: Ich glaube, daß sich die Zeiten sogar ziemlich miteinander abdeckten, es war so dasselbe System.
DR. SIEMERS: Ich danke vielmals.
VORSITZENDER: Will die Anklagebehörde jetzt das Kreuzverhör beginnen?
Justice Jackson, es tut mir leid, daß ich Sie aufgerufen habe. Vielleicht wäre jetzt ein geeigneter Zeitpunkt, die Verhandlung für 10 Minuten zu vertagen.