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[Pause von 10 Minuten.]

JUSTICE JACKSON: Zeuge, Sie sind zur Zeit Kriegsgefangener der Vereinigten Staaten?

MILCH: Nein, ich bin kein Kriegsgefangener der Vereinigten Staaten. Ich war englischer Kriegsgefangener und seitdem ich hier bin, bin ich zu einem Internierten erklärt worden. Ich weiß nicht, was das ist, jedenfalls steht es nicht im Einklang mit einem kriegsgefangenen Offizier, der vor Abschluß der Kampfhandlungen in Feindeshand gefallen ist.

JUSTICE JACKSON: Es wurde Ihnen gestattet, sich mit den Verteidigern zu beraten, sowohl während dieses Prozesses und...

MILCH: Mit einem Teil der Verteidiger habe ich mich unterhalten können, nicht mit allen. Aber ich nehme an, daß die anderen Herren Verteidiger es nicht gewünscht hatten.

JUSTICE JACKSON: Sie können eine Menge Zeit ersparen, wenn Sie meine Fragen so kurz wie möglich beantworten. Mit Ja oder Nein, wenn möglich. Sie hatten die Erlaubnis, sich vorzubereiten. Sie durften nach Ihren Beratungen mit den Verteidigern Notizen bei sich behalten und in den Gerichtssaal mitbringen?

MILCH: Die Besprechungsnotiz, die ich mit hatte, war von mir aufgestellt worden, vorher, ehe ich mit den Verteidigern darüber gesprochen hatte.

JUSTICE JACKSON: Haben Sie sich seit diesen Besprechungen mit den Verteidigern keine Aufzeichnungen gemacht?

MILCH: Eine Notiz habe ich mir gemacht über eine Besprechung. Das war aber nur ein Termin, der mir genannt wurde, und den ich auswendig nicht hätte sagen können.

JUSTICE JACKSON: Nahmen Sie in der deutschen Luftwaffe eine sehr hohe Stellung ein?

MILCH: Ich war Generalinspekteur.

JUSTICE JACKSON: Nahmen Sie häufig in Vertretung von Göring an Besprechungen teil?

MILCH: Vertreten habe ich ihn eigentlich nur selten.

JUSTICE JACKSON: Leugnen Sie, daß Sie häufig in Vertretung von Göring an Konferenzen teilgenommen haben?

MILCH: Nein, das leugne ich gar nicht ab. Aber ich bin bei einem Teil der Besprechungen wegen meines Amtes zubefohlen worden; als Vertreter von ihm hatte ich nur selten Gelegenheit zu erscheinen, weil er ja meist selbst bei diesen Besprechungen zugegen war.

JUSTICE JACKSON: Sie hatten großen Anteil an dem Aufbau der Luftwaffe, nicht wahr?

MILCH: Jawohl.

JUSTICE JACKSON: Und dafür wurden Sie 1941 vom Hitler-Regime belohnt, nicht wahr?

MILCH: 1941, nein. Ich glaube, Sie meinen, Herr Oberrichter, 1940.

JUSTICE JACKSON: 1940, schön, vielleicht irre ich.

MILCH: Sie meinen die Beförderung zum Feldmarschall, nicht?

JUSTICE JACKSON: Wann wurden Sie zum Feldmarschall befördert?

MILCH: Am 19. Juli 1940.

JUSTICE JACKSON: Erhielten Sie nicht vom Hitler- Regime ein Geschenk als Anerkennung für Ihre Verdienste?

MILCH: Ich habe im Jahre 1942 zu meinem 50. Geburtstag eine Anerkennung bekommen.

JUSTICE JACKSON: Und diese Anerkennung bestand in Bargeld?

MILCH: Jawohl, es war eine Bargeld-Anerkennung, von der ich mir ein Landgut kaufen konnte.

JUSTICE JACKSON: Woraus bestand sie?

MILCH: Die Geldsumme betrug 250000 Mark.

JUSTICE JACKSON: Und nun wollen Sie hier bezeugen, jedenfalls verstehe ich Ihre Aussage so, daß das Regime, dem Sie angehörten, Deutschland in einen Krieg verwickelte, für den es nicht vorbereitet war. Verstehe ich Sie da richtig?

MILCH: Es ist insofern richtig, als Deutschland 1939 in einen Krieg hineinkam, zu dem es auf dem Gebiete der Luftwaffe nicht richtig vorbereitet war.

JUSTICE JACKSON: Hat der Chef der Luftwaffe das deutsche Volk jemals davor gewarnt?

MILCH: Das vermag ich nicht zu sagen. Ich glaube nicht, daß er das tun konnte.

JUSTICE JACKSON: Sie wissen nicht, ob er es je getan hat, nicht wahr?

MILCH: Ich kann mich nicht entsinnen, daß er eine solche Warnung vor dem Volke ausgesprochen hat. Ich möchte annehmen, daß die Warnung an die militärische Dienststelle über ihm gerichtet gewesen sein wird.

JUSTICE JACKSON: Und welche Dienststelle war ihm übergeordnet?

MILCH: Das ist der Führer gewesen, Adolf Hitler.

JUSTICE JACKSON: Der Führer, ja.

MILCH: Als Soldat konnte der Reichsmarschall sich nicht an die Öffentlichkeit wenden.

JUSTICE JACKSON: Erinnern Sie sich an irgendeine Sitzung des Oberkommandos oder an eine andere vom Führer einberufene Konferenz, in der der Reichsmarschall Göring in Gegenwart dieser Männer die Frage diskutierte, daß Deutschland nicht auf Krieg vorbereitet sei?

MILCH: Ich kann mich an eine solche Besprechung nicht entsinnen, weil solche Besprechungen immer nur zwischen den beiden Personen allein stattfanden. Der Reichsmarschall hat niemals dem Führer vor der Öffentlichkeit oder vor einem größeren Kreise von seinen Offizieren stark opponiert, weil Hitler eine solche Opposition nicht duldete.

JUSTICE JACKSON: Erinnern Sie sich an irgendeine Gelegenheit, bei der einer der Angeklagten hier jemals öffentlich gegen den Krieg gesprochen hat?

MILCH: Öffentlich nicht, an einen solchen Vorgang kann ich mich nicht entsinnen. Ich möchte aber glauben, daß auch für die hier angeklagten Herren die ganze Frage des Krieges als eine große Überraschung gekommen ist.

JUSTICE JACKSON: Sie möchten das glauben?

MILCH: Ich glaube das so. Ja.

JUSTICE JACKSON: Sie glauben das. Wie lange brauchte die Deutsche Wehrmacht, um Polen zu erobern?

MILCH: Polen zu erobern? Ich glaube 18 Tage.

JUSTICE JACKSON: Achtzehn Tage. Wie lange dauerte es, einschließlich der Katastrophe von Dünkirchen, England vom Kontinent zu vertreiben?

MILCH: Ich glaube sechs Wochen.

JUSTICE JACKSON: Wie lange dauerte es, Holland und Belgien zu überrennen?

MILCH: Wenige Tage.

JUSTICE JACKSON: Wie lange dauerte es, Frankreich zu überrennen und Paris zu erobern?

MILCH: Wohl im ganzen zwei Monate.

JUSTICE JACKSON: Und wie lange dauerte es, Dänemark zu überrennen und Norwegen zu besetzen?

MILCH: Auch eine kurze Zeit. Dänemark ganz kurz, weil Dänemark sich sofort fügte und Norwegen nach einigen Wochen.

JUSTICE JACKSON: Und sie sagen aus und wollen, daß dieser Gerichtshof Ihre Aussage als die eines Offiziers entgegennimmt, wenn Sie erklären, daß keinerlei Vorbereitungen für diese Bewegungen den Offizieren vorher bekannt waren. Ist das Ihre Aussage als Offizier?

MILCH: Pardon, ich habe Sie eben nicht verstanden?

JUSTICE JACKSON: Sie haben gesagt, daß alle diese Aktionen für die Offiziere der Luftwaffe eine Überraschung waren. Sie sagten, daß jede einzelne Sie überraschte.

MILCH: Überrascht, habe ich gesagt, vom Ausbruch des Krieges, wo zuerst ja nur die Rede von Polen war. Die anderen Unternehmungen kamen ja sehr viel später und hatten größere Vorbereitungszeiten.

JUSTICE JACKSON: Sie leugnen nicht, daß Deutschland in Bezug auf Polen gut auf einen Krieg vorbereitet war, nicht wahr?

MILCH: Die Größe Deutschlands im Verhältnis zu Polen war stark genug. Was ich unter der Bereitschaft für den Krieg verstanden habe bei meiner Aussage, heißt, für den großen Umfang eines Weltkrieges, für den war Deutschland 1939 nicht vorbereitet.

JUSTICE JACKSON: Aber es war für den Feldzug vorbereitet, den es begann, nicht wahr?

MILCH: Das möchte ich so nicht sagen; sondern Deutschland hatte selbstverständlich eine Rüstung wie jede andere Nation, die über eine Wehrmacht verfügt, auch hat. Diese wurde für Polen in einen Bereitschaftszustand versetzt und war dann ausreichend, wenn auch zu unserer eigenen Überraschung, um in dieser kurzen Zeit Polen niederzuwerfen.

JUSTICE JACKSON: Wollen Sie bezweifeln oder leugnen, daß Deutschland am 1. September 1939, im Vergleich zu den anderen Mächten des europäischen Kontinents, am besten für den Krieg vorbereitet war?

MILCH: Ich glaube, daß an und für sich die englische Luftwaffe damals noch stärker war als die deutsche.

JUSTICE JACKSON: Ich habe Sie mit Bezug auf die Kontinentalmächte gefragt. Wollen Sie bestreiten, daß Deutschland für einen Krieg weit besser vorbereitet war als seine unmittelbaren Nachbarn?

MILCH: Ich bin der Überzeugung, daß sowohl Frankreich wie Polen entsprechend ihren Kräften genau so vorbereitet waren wie Deutschland auch, sie hatten nur den Vorteil einer viel längeren Arbeit auf diesem Gebiete, die ja in Deutschland erst fünf Jahre vor Kriegsausbruch beginnen konnte.

JUSTICE JACKSON: Wann haben Sie Göring zum ersten Male getroffen?

MILCH: Ich glaube, im Jahre 1928.

JUSTICE JACKSON: Was war er damals; welche Stellung hatte er?

MILCH: Er war damals Reichstagsabgeordneter.

JUSTICE JACKSON: Und was taten Sie; was hatten Sie für einen Beruf?

MILCH: Ich war damals Leiter der Deutschen Lufthansa, eines zivilen Verkehrsunternehmens.

JUSTICE JACKSON: Haben Sie sich damals mit Hermann Göring irgendwie über die Verwendung einer Luftwaffe, im Falle daß die Nazi-Partei zur Macht kommen sollte, unterhalten?

MILCH: In dieser ersten Zeit noch lange nicht.

JUSTICE JACKSON: Wann haben Sie zum ersten Male mit Göring darüber gesprochen?

MILCH: Über diese Frage, glaube ich, hat Göring mit mir im Jahre 1932 gesprochen, als ein Plan bestand, im Jahre 1932 die Regierung zu übernehmen. Man glaubte, daß damals schon die anderen Parteien mit den Nationalsozialisten eine Regierung bilden würden und bei der Gelegenheit, glaube ich, hat Göring davon gesprochen, daß, wenn eine Regierung am Ruder wäre, zu der auch die Nationalsozialisten gehörten, auch die Aussicht bestände, daß Deutschland wieder wehrfähig werden würde.

JUSTICE JACKSON: Und daraufhin wurden Sie Parteimitglied, nicht wahr?

MILCH: Ich hin erst nach 1933 zur Partei gekommen, bis ich nachher wieder Offizier wurde und die Sache dann damit ausschaltete.

JUSTICE JACKSON: Sie warteten also bis nach der Machtübernahme?

MILCH: Jawohl.

JUSTICE JACKSON: Erinnern Sie sich Ihrer Unterhaltung mit Göring am 28. Januar 1933?

MILCH: Jawohl.

JUSTICE JACKSON: Und wo fand sie statt?

MILCH: Bei mir, in meiner Wohnung.

JUSTICE JACKSON: Hatte er Sie aufgesucht?

MILCH: Nein, ich hatte diesen Abend Gäste bei mir und plötzlich kam er, weil er mich dringend sprechen wollte.

JUSTICE JACKSON: Wollen Sie dem Gerichtshof von dieser Unterhaltung mit Göring erzählen?

MILCH: Er erzählte mir, daß nunmehr mit den anderen Parteien, die in Frage kamen, ein Abkommen getroffen sei, daß eine gemeinsame Regierung mit den Nationalsozialisten gebildet werden würde. Der Reichspräsident von Hindenburg sei jetzt mit der Betrauung von Adolf Hitler mit dem Kanzlerposten in dieser Regierung einverstanden.

Er fragte mich, ob ich bereit wäre, für ein zu gründendes Luftfahrtministerium meine Mitarbeit zur Verfügung zu stellen. Ich habe ihm damals nur aus dem Grunde, weil ich meine Lufthansa nicht verlassen wollte, zwei andere Personen statt mir vorgeschlagen. Göring lehnte diese ab und bestand darauf, daß ich meine Mitarbeit ihm zur Verfügung stellte.

JUSTICE JACKSON: Und stimmten Sie zu?

MILCH: Ich habe ihm gesagt: Ich bäte, es mir noch überlegen zu dürfen. Ich wollte es davon abhängig machen, ob Hitler darauf bestehen würde.

JUSTICE JACKSON: Und was tat Hitler?

MILCH: Ich habe angenommen am 30., nachdem mir Hitler nochmal gesagt hatte, daß er mein technisches Wissen und Können auf dem Gebiete der Luftfahrt für unumgänglich nötig hielte.

JUSTICE JACKSON: Sie übernahmen also am Tage der Machtübernahme durch die Nazi-Partei die Aufgabe, die Nazi-Luftwaffe aufzubauen, nicht wahr?

MILCH: Nein, nicht eine Luftwaffe, sondern es handelte sich zunächst nur um die Frage der Zusammenfassung der vorhandenen Verwaltungsgebiete auf dem Gebiete der Luftfahrt. Es waren dies eine zivile Luftverkehrsgesellschaft oder zwei, es waren die Luftfahrtindustrien, die da waren, und es waren die Verkehrsfliegerschulen, es war der Wetterdienst und vielleicht noch die verschiedenen Forschungsinstitute. Ich glaube, damit habe ich den gesamten Umfang der damaligen Luftfahrt – nicht Luftwaffe angegeben.

JUSTICE JACKSON: Sie hatten, mit anderen Worten, die Aufgabe übernommen, Deutschland in der Luft eine hervorragende Stellung zu geben.

MILCH: Nein, das kann man damit auch nicht sagen...

JUSTICE JACKSON: Sagen Sie es mit Ihren eigenen Worten, erzählen Sie uns, was Sie taten und welches Ziel Sie bei der Übernahme dieser Aufgabe verfolgten.

MILCH: Den Luftverkehr und alles, was dazu gehört, im großen Stil auszubauen, das war die erste Aufgabe.

JUSTICE JACKSON: Dann besuchten Sie England und Frankreich, und nach Ihrer Rückkehr erstatteten Sie Hitler persönlich Bericht?

MILCH: Jawohl.

JUSTICE JACKSON: Warnten Sie nach Ihrer Rückkehr von England Hitler vor Ribbentrops Tätigkeit?

MILCH: Jawohl.

JUSTICE JACKSON: Was berichteten Sie Hitler über Ribbentrops Tätigkeit in England?

MILCH: Daß ich in England den Eindruck gewonnen hätte, daß Herr von Ribbentrop dort nicht persona grata sei.

JUSTICE JACKSON: Haben Sie, als Sie nach Ihrer Gefangennahme verhört wurden, nicht erklärt, daß Sie zu Hitler gesagt hätten, er würde Schwierigkeiten mit England bekommen, wenn er Ribbentrop nicht bald los würde? Ist das im wesentlichen das, was Sie zu Hitler sagten?

MILCH: Ich kann mich auf diesen Wortlaut so nicht mehr heute besinnen.

JUSTICE JACKSON: Aber war das nicht der Sinn Ihrer Ausführungen?

MILCH: Es war meine Auffassung, daß nach England ein anderer Mann gehörte, um den Wunsch, den Hitler immer wieder ausdrückte, mit England zusammenzugehen in seiner Politik, um diesen zu verwirklichen.

JUSTICE JACKSON: Bevor Sie mit Hitler darüber sprachen, haben Sie diese Dinge mit Göring besprochen, nicht wahr?

MILCH: Mit wem?

JUSTICE JACKSON: Göring.

MILCH: Über die Reise? Oder worüber?

JUSTICE JACKSON: Über Ribbentrop.

MILCH: Nein, ich habe diese Frage mit dem Reichsmarschall nicht besprochen.

JUSTICE JACKSON: Eines Tages sind dann deutsche Ingenieure nach Rußland gesandt worden, um Flugzeugbauten, Fabriken, Anlagen und dergleichen zu inspizieren, nicht wahr?

MILCH: Jawohl, das stimmt.

JUSTICE JACKSON: Es handelte sich um eine Gruppe von Ingenieuren, und Sie hatten etwas mit ihrer Entsendung dorthin zu tun, nicht wahr?

MILCH: Nein, ich hatte mit ihr nichts zu tun. Mir unterstand zu diesem Zeitpunkt die Technik nicht.

JUSTICE JACKSON: Unter wessen Befehl standen sie?

MILCH: Unter dem Generaloberst Udet und dieser wieder unter dem Reichsmarschall.

JUSTICE JACKSON: Und nach ihrer Rückkehr erfuhren Sie, daß sie berichtet hatten, daß Rußlands Produktionskapazität für Flugzeuge größer sei als die von sämtlichen sechs deutschen Fabriken. Stimmt das?

MILCH: Jawohl, das stimmt.

JUSTICE JACKSON: Was hielt Göring von dieser Information und was tat er, um sie an den Führer selbst gelangen zu lassen?

MILCH: Göring hat diese Nachrichten nicht geglaubt damals. Ich weiß dies aus den Worten von Generaloberst Udet.

JUSTICE JACKSON: Haben Sie nicht tatsächlich in Ihrem früheren Verhör erklärt, daß Göring diese Fachleute Defaitisten nannte und ihnen verbat, diese Informationen irgend jemandem gegenüber mitzuteilen. Er drohte ihnen mit dem Konzentrationslager, falls sie diese Nachricht weitergeben. Haben Sie das ausgesagt oder nicht?

MILCH: In der Form habe ich das nie gesagt.

JUSTICE JACKSON: Brauchen Sie Ihre eigenen Worte und erzählen Sie uns, was Göring in dieser Angelegenheit gesagt hat.

MILCH: Zu einem erheblich späteren Zeitpunkt, als es sich um die amerikanischen Rüstungszahlen handelte, hat mir der Reichsmarschall gesagt: »Jetzt werden Sie auch noch ein Defaitist und glauben diese großen Zahlen.« Ich habe ihm dann gesagt, daß ich allerdings an diese Zahlen glaubte. Das hatte aber damals mit der russischen Sache nichts zu tun.

JUSTICE JACKSON: Sind diese russischen Zahlen jemals Hitler oder dem Reichstag vorgelegt oder irgendwie dem deutschen Volk bekanntgegeben worden?

MILCH: Die russischen Zahlen, das vermag ich nicht zu sagen. Ich hatte mit der Frage nichts zu tun. Die amerikanischen Zahlen sind Hitler bestimmt vorgelegt worden, aber Hitler hat sie nicht geglaubt.

JUSTICE JACKSON: Am Freitag – glaube ich – sagten Sie aus, Sie wußten, daß der Krieg mit Rußland mit der Zerstörung Deutschlands enden würde. Ich erinnere Sie daran. Ist das richtig oder nicht?

MILCH: Nicht mit der Zerstörung, mit der Niederlage, Vernichtung oder Niederlage, glaube ich, habe ich gesagt.

JUSTICE JACKSON: Sie gingen zum Reichsmarschall Göring, um gegen den Eintritt in einen Rußlandkrieg zu protestieren, stimmt das?

MILCH: Jawohl.

JUSTICE JACKSON: Stimmte Göring mit Ihnen überein, daß es mit einer Niederlage Deutschlands enden würde?

MILCH: Nein, das hat er nicht bejaht. Er mußte ja mit Rücksicht auf sein Verhältnis zu Hitler sich sehr vorsichtig äußern. Ich habe ihm die Gründe gesagt für die Schwierigkeiten Deutschlands, und er hat dazu genickt; und ich hatte den Eindruck aus seinen Worten, daß er dieselben Argumente bereits auch bei Hitler vergeblich vorgetragen hätte.

JUSTICE JACKSON: Mit anderen Worten: er stimmte mit Ihnen überein, daß das Ende eine deutsche Niederlage sein werde, aber er wollte nicht, daß man es Hitler sage, ist das richtig?

MILCH: Nein, ich kann das nicht so weitgehend sagen. Es war mein Schluß, wenn ich sagte, das sei für Deutschland die Niederlage. Er hat mir nur zugestimmt, daß dieser Krieg auf alle Fälle vermieden werden müßte, und daß er ein Unglück für Deutschland sein würde; in dieser Form, das Wort Niederlage hat er dabei nicht gebraucht.

JUSTICE JACKSON: Haben Sie es erwähnt?

MILCH: Ich habe erwähnt, daß es die Niederlage Deutschlands sein würde, einen Zweifrontenkrieg, noch dazu mit einem so starken Gegner, zu beginnen.

JUSTICE JACKSON: Und war er anderer Ansicht? Hat er Ihnen widersprochen?

MILCH: Nein, gestritten hat er nicht darüber, sondern er hat sich nur dagegen erklärt, noch irgendeinen weiteren Schritt zu unternehmen, weil er ihn für unmöglich hielt und dies bei Hitler nur den Eindruck erwecken könnte, daß wir bei der Luftwaffe Defaitisten wären; ohne daß dies irgend etwas ändern könnte.

JUSTICE JACKSON: Obwohl Sie glaubten, daß Deutschland geschlagen werden würde, wenn es gegen Rußland in den Krieg treten sollte, haben Sie nicht weiter versucht, jene Informationen an Hitler oder andere Offiziere des Oberkommandos weiterzuleiten?

MILCH: Das war für mich unmöglich. Ich konnte nicht gegen den Befehl meines Vorgesetzten darin handeln.

JUSTICE JACKSON: Des Reichsmarschalls?

MILCH: Des Reichsmarschalls, jawohl.

JUSTICE JACKSON: Und soweit Ihnen bekannt ist, hat er nach der Unterredung mit Ihnen keine weiteren Schritte unternommen, um Hitler mitzuteilen, daß, Ihrer Meinung nach, der Krieg gegen Rußland in einer Katastrophe enden würde?

MILCH: Ich hatte den Eindruck, daß er das schon vorher mit Hitler besprochen hatte, daß er aber dabei nicht dazu gekommen war, sich irgendwie durchzusetzen, weil das eben Hitler gegenüber nicht möglich war.

JUSTICE JACKSON: Aber Sie waren doch in Hitlers Auftrage im Ausland gewesen, hatten ihm Bericht erstattet, und offenbar hatte er doch Vertrauen zu Ihnen. Ich frage Sie, ob Hermann Göring jemals Hitler gesagt hat, daß Sie nach Ihren Informationen den Eindruck hätten, es sei ein Unglück, in diesen Krieg einzutreten.

MILCH: Meine Reisen waren nicht auf Befehl von Hitler geschehen, sondern sie waren auf Einladung der fremden Regierungen an die deutsche Luftwaffe vom Reichsmarschall befohlen worden. Ich habe nur mit Rücksicht auf die Wichtigkeit dieser Reisen und auf die dabei doch gefallenen politischen Worte, trotz meiner Ablehnung an Ort und Stelle, daß ich damit als Soldat nichts zu tun hätte, mich verpflichtet gefühlt, auch Hitler persönlich meine Eindrücke zu übermitteln.

JUSTICE JACKSON: Hat Ihnen Göring diesen Auftrag gegeben?

MILCH: Zu Hitler zu gehen? Jawohl. Ich glaube, das war von Göring Hitler mitgeteilt worden, und Hitler hat mich zu sich befohlen. Ich habe nicht von mir aus gesagt, ich ginge jetzt zu Hitler hin, sondern ich hatte einen Befehl dazu von ihm selbst.

JUSTICE JACKSON: Und hat er Sie nicht zu Hitler geschickt, erst als er wußte, was Sie berichten würden?

MILCH: Nein, er selbst hat...

JUSTICE JACKSON: Er wußte also?

MILCH: Er selbst hatte keine Kenntnis genommen. Er hatte keine Zeit, mich zu empfangen.

JUSTICE JACKSON: Göring hatte keine Zeit, Sie zu empfangen?

MILCH: Nein, Göring hatte damals sehr viel andere Sachen zu tun und wollte von diesen Dingen nichts wissen.

JUSTICE JACKSON: Er überließ das also Hitler, der, wie ich verstehe, nicht so beschäftigt war. Ist das richtig?

MILCH: Hitler hatte dafür das Interesse.

JUSTICE JACKSON: Ich glaube, Sie haben uns bei den Verhören erzählt, daß Göring nicht sehr fleißig war. Stimmt das?

MILCH: Ich möchte mich zu dieser Frage nur sehr ungern äußern.

JUSTICE JACKSON: Gut, dann ziehe ich diese Frage zurück. Sie war, wie gesagt, nicht angenehm.

Haben Sie, als Sie hörten, daß Deutschland einen Krieg begann, den Sie als eingeweihter Offizier für eine Katastrophe hielten, um Ihre Entlassung gebeten?

MILCH: Entlassung, wovon?

JUSTICE JACKSON: Um Ihren Abschied als Offizier, oder unternahmen Sie andere Protestschritte?

MILCH: Nein, das war vollkommen unmöglich und durch Befehl geregelt, daß das nicht sein dürfte.

JUSTICE JACKSON: Und wer gab jenen Befehl?

MILCH: Hitler selbst.

JUSTICE JACKSON: Sie sprechen aus eigener Erfahrung?

MILCH: Nicht nur für meinen persönlichen Fall, sondern generell hat er den Befehl gegeben.

JUSTICE JACKSON: Sie sagten am Freitag, Sie hätten Ihre Erfahrungen gemacht, daß man nicht abtreten konnte?

MILCH: Man konnte sich nicht zurückziehen, nein.

JUSTICE JACKSON: Haben Sie es irgendwann versucht?

MILCH: Ich habe um meinen Abschied mehrfach gebeten im Frieden. Er ist aber nicht bewilligt worden mit der Begründung, daß ich nicht das Recht hätte, meinen Abschied zu fordern, sondern, daß mir von oben herab gesagt würde, wenn ich zu gehen hätte. Im Kriege habe ich meinen Abschied nicht erbeten, weil ich als Soldat ja im Kriege keinen Abschied erbitten kann.

JUSTICE JACKSON: Hatten Sie nicht einmal mit Göring eine Aussprache über Ihren Rücktritt, bei der er Ihnen nicht nur verbot, abzudanken, sondern auch sagte, daß es zwecklos sein würde, Gesundheitsgründe vorzuschieben?

MILCH: Jawohl, aber es gab keine Möglichkeit auf diesem Wege, sich irgendwie zu entschuldigen, wenn man nicht wirklich krank gewesen wäre. Früher war es üblich, daß man, wenn man aus höherer Stellung zurücktrat, Gesundheitsgründe angab. Das war nicht mehr möglich.

JUSTICE JACKSON: Bei dieser Besprechung hat er Ihnen aber einen Ausweg vorgeschlagen, nicht?

MILCH: Nein, er hat mir keinen vorgeschlagen, sondern ich selber habe ihm einen vorgeschlagen.

JUSTICE JACKSON: Was haben Sie ihm vorgeschlagen? Was für eine Unterhaltung hatten Sie über Selbstmord? Sagte Ihnen Göring, daß es nur einen Ausweg gebe, und zwar Selbstmord zu verüben?

MILCH: Das wäre wohl die einzige Möglichkeit gewesen, wegzukommen.

JUSTICE JACKSON: Sagte Ihnen Göring das?

MILCH: Nein, das habe ich gesagt, er nicht.

JUSTICE JACKSON: Ich nehme an, er war der gleichen Meinung.

MILCH: Nein, darauf legte er keinen Wert, daß ich das tat.

JUSTICE JACKSON: Sie haben Vorschriften bei sich, die zur Information jedes Soldaten über Völkerrecht und Vorschriften gedruckt worden sind? Haben Sie sie heute Morgen bei sich?

MILCH: Ich habe sie bei mir, sie sind in meinem Soldbuch, wie bei jedem Soldaten.

JUSTICE JACKSON: Darüber haben Sie uns nur wenig gesagt. Ich möchte aber, daß Sie uns den Text dieser Vorschriften und Anordnungen genau mitteilen, der, wie Sie sagen, Ihrer Ansicht nach auf das Völkerrecht Bezug hat.

MILCH: Ich soll jetzt verlesen, nicht wahr? Das Zitat...

JUSTICE JACKSON: Nicht zu schnell.

MILCH: Nein.

»10 Gebote für die Kriegsführung des deutschen Soldaten:

1. Der deutsche Soldat kämpft ritterlich für den Sieg seines Volkes. Grausamkeiten und nutzlose Zerstörungen sind seiner unwürdig.

2. Der Kämpfer muß uniformiert oder mit einem besonders eingeführten, weithin sichtbaren Abzeichen versehen sein. Kämpfen in Zivilkleidung ohne ein solches Abzeichen ist verboten.

3. Es darf kein Gegner getötet werden, der sich ergibt. Auch nicht der Freischärler oder der Spion. Diese erhalten ihre gerechte Strafe durch die Gerichte.

4. Kriegsgefangene dürfen nicht mißhandelt oder beleidigt werden. Waffen, Pläne und Aufzeichnungen sind abzunehmen. Von ihrer Habe darf sonst nichts weggenommen werden.

5. Dum-Dum-Geschosse sind verboten. Geschosse dürfen auch nicht in solche umgestaltet werden.

6. Das Rote Kreuz ist unverletzlich. Verwundete Gegner sind menschlich zu behandeln. Sanitätspersonal und Feldgeistliche dürfen in ihrer ärztlichen beziehungsweise seelsorgerischen Tätigkeit nicht gehindert werden.

7. Die Zivilbevölkerung ist unverletzlich. Der Soldat darf nicht plündern oder mutwillig zerstören. Geschichtliche Denkmäler und Gebäude, die dem Gottesdienst, der Kunst, Wissenschaft oder der Wohltätigkeit dienen, sind besonders zu achten. Natural- und Dienstleistungen von der Bevölkerung dürfen nur auf Befehl von Vorgesetzten gegen Entschädigung beansprucht werden.

8. Neutrales Gebiet darf weder durch Betreten oder Überfliegen noch durch Beschießung in die Kriegshandlungen einbezogen werden.

9. Gerät ein deutscher Soldat in Gefangenschaft, so muß er auf Befragen seinen Namen und Dienstgrad angeben. Unter keinen Umständen darf er über Zugehörigkeit zu seinem Truppenteil und über militärische, politische und wirtschaftliche Verhältnisse auf der deutschen Seite aussagen. Weder durch Versprechungen noch durch Drohungen darf er sich dazu verleiten lassen.

10. Zuwiderhandlungen gegen die vorstehenden Befehle in Dienstsachen sind strafbar. Verstöße des Feindes gegen die unter 1 bis 8 angeführten Grundsätze sind zu melden. Vergeltungsmaßregeln sind nur auf Befehl der höheren Truppenführung zulässig.«

JUSTICE JACKSON: Das ist also, wie Sie meinen, das mit dem Völkerrecht im Einklang stehende Militärgesetz, das für das Verhalten der Truppen im Felde veröffentlicht wurde?

MILCH: Jawohl.

JUSTICE JACKSON: Und Sie verstanden darunter, und es war in der deutschen Armee die allgemeine Ansicht, daß das Völkerrecht war, nicht wahr?

MILCH: Jeder Soldat mußte wissen, daß dies die deutschen Vorschriften waren, weil sie auf der ersten Seite seines Soldbuches eingeheftet waren, das jeder Soldat besaß und bei sich tragen mußte. Der einfache Soldat wußte natürlich nicht, daß dies Völkerrecht darstellte.

JUSTICE JACKSON: Die höheren Befehlshaber aber, wie Sie zum Beispiel, wußten das.

MILCH: Jawohl.

JUSTICE JACKSON: Das war also Ihre Auffassung und Auslegung Ihrer Aufgaben und Pflichten als Ehrenmann im Kampf?

MILCH: Jawohl.

JUSTICE JACKSON: Nun, haben Sie sich an Görings Kunstsammlungen in Frankreich und anderen besetzten Gebieten beteiligt?

MILCH: Nein.

JUSTICE JACKSON: Haben Sie an der Verschleppung der Zivilbevölkerung für Zwangsarbeit teilgenommen?

MILCH: Nein.

JUSTICE JACKSON: Sie wußten, daß es geschehen ist, nicht wahr?

MILCH: Ich habe nicht gewußt, daß die Arbeiter, die aus dem Auslande kamen, verschleppt wurden, sondern uns wurde gesagt, daß sie auf Grund freiwilliger Meldungen kamen, beziehungsweise von Frankreich wußte ich, daß die Franzosen bis zu einem gewissen Zeitpunkt von selbst kamen, und daß dann, als sie nicht mehr freiwillig kommen wollten, die Französische Regierung entsprechende Weisungen von sich aus erteilt hat.

JUSTICE JACKSON: Abgesehen davon wußten Sie also nichts von unfreiwilliger Arbeit oder Zwangsarbeit in Deutschland. Ist das Ihre Aussage?

MILCH: Nein. Ich habe nur gewußt, daß...

JUSTICE JACKSON: Erzählen Sie uns, was Sie darüber wußten, und was Sie dabei getan haben.

MILCH: Ich wußte, daß diese Leute angeworben wurden, damals, daß sie also freiwillig kamen; ich wußte, daß viele sehr zufrieden waren, daß aber mit der Zeit, als die deutsche militärische Lage schlechter wurde, auch innerhalb dieser fremdländischen Arbeiter, wenn auch nur, soweit es mir zu Ohren kam, in kleinerem Umfange, eine schlechte Stimmung aufkam. Ich möchte noch sagen, im allgemeinen führten wir das darauf zurück, daß die Verpflegung für die Leute nicht so war, wie sie sie gerne haben wollten und deshalb bemühten sich auch die verschiedensten Stellen, an der Spitze das Ministerium Speer, dafür, die Lebensbedingungen dieser Menschen zu verbessern und zu erleichtern.

JUSTICE JACKSON: Sie haben meine Frage noch nicht beantwortet. Wußten Sie, daß Zwangsarbeiter aus den besetzten Gebieten deportiert und gezwungen wurden, in der deutschen Industrie zu arbeiten? Wußten Sie das? Antworten Sie mir mit »Ja« oder »Nein«.

MILCH: Ich wußte nur, daß die Franzosen durch ihre Französische Regierung zum Schluß gezwungen wurden, zu kommen.

JUSTICE JACKSON: Wußten Sie, daß Kriegsgefangene zur Arbeit in der Luftfahrtindustrie gezwungen wurden, und daß sie tatsächlich gezwungen wurden, Geschütze zu bemannen? Wußten Sie das?

MILCH: Ich habe davon gehört.

JUSTICE JACKSON: Und Sie hörten das von Ihren Offizierskameraden, nicht wahr?

MILCH: Von wem ich es gehört habe, weiß ich im Moment nicht. Es gab eine Einrichtung, ich glaube, die sich »Hilfswillige« nannte. Das waren Anwerbungen, soviel ich weiß, freiwilliger Art unter diesen Kriegsgefangenen.

JUSTICE JACKSON: Und wußten Sie, auch wenn Sie nicht daran beteiligt waren, von dem Plan, Kunstgegenstände in den besetzten Gebieten zu sammeln?

MILCH: Nein, von diesem Plan, wie er gewesen ist, habe ich nichts gewußt. Hier in Nürnberg habe ich erst davon erfahren durch einige Zeugen.

JUSTICE JACKSON: Ich möchte Ihnen jetzt ein paar Fragen über bestimmte Beweisstücke vorlegen. Es handelt sich um 343-PS, US-463. Ich werde Ihnen dieses Beweisstück vorlegen lassen.