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[Die Urkunde wird dem Zeugen überreicht.]

MILCH: Die Briefe sind von mir unterschrieben und sind auch auf meinem Briefpapier geschrieben worden. Aufgestellt worden müssen sie sein von der Sanitätsinspektion. Ich habe an den Inhalt selbst keine rechte Erinnerung mehr, wie ich neulich schon ausführte. Ich möchte nur sagen, daß die Antworten darauf abgestellt sind, in keinerlei Schwierigkeiten von unserer Seite, der Luftwaffe, mit Herrn Himmler zu kommen. Zum Beispiel habe ich die Ausführungen von Dr. Rascher und Dr. Romberg niemals gelesen, die sind von der Sanitätsinspektion gelesen worden. Ich war in der Beziehung Briefträger gewissermaßen von dem Schriftverkehr der SS zu unserer Sanitätsinspektion.

JUSTICE JACKSON: Während Ihres Verhörs sagten Sie aus, daß Sie sich dieser Briefe nicht mehr erinnern könnten, aber am Freitag sagten Sie, daß Sie an einem dieser Briefe Änderungen vornahmen, bevor er abgeschickt wurde. Wollen Sie uns sagen, was für Änderungen das waren?

MILCH: Ja; ich habe diese Briefe zum Teil vorgelegt bekommen bei meiner Vernehmung hier und dadurch habe ich überhaupt erst wieder eine Erinnerung bekommen. Die Abänderungen, die ich gemacht habe, waren nur Abänderungen in der Frage der Höflichkeit mit Rücksicht auf die große Empfindlichkeit von Herrn Himmler. Ich glaube nicht, daß das einer dieser beiden Briefe ist, wo die Abänderung war; das, glaube ich, war ein anderer Brief.

JUSTICE JACKSON: Es war also der andere Brief, an welchem die Änderung vorgenommen wurde, Nummer 1607?

MILCH: Ich glaube, ja.

JUSTICE JACKSON: Nun, in Ihrer Untersuchung, in Ihrem Verhör gaben Sie uns einen Grund an, warum diese Briefe statt den Bürochefs Ihnen zur Unterschrift vorgelegt wurden. Erinnern Sie sich, was der Grund dafür war?

MILCH: Jawohl, ich habe den Eindruck gehabt, daß der Sanitätsinspekteur seine Absage nicht an Himmler schreiben wollte, weil er sich fürchtete, während Himmler an mich geschrieben hat, weil er überhaupt im allgemeinen nur an den Reichsmarschall oder an mich schrieb, schon weil er die Organisation der Luftwaffe auf diesem Gebiet nicht kannte, denn der Sanitätsinspekteur unterstand mir nicht.

JUSTICE JACKSON: Ich entnehme Ihrem Verhör, daß Sie als Begründung, daß diese Briefe Ihnen zur Unterschrift vorgelegt wurden, angaben, daß Ihr Büro vor Himmler Angst hatte und nicht die Verantwortung übernehmen wollte, ihm einen Brief zu schreiben. Ist das richtig?

MILCH: Nicht mein Büro, aber ich glaube, die Sanitätsinspektion wollte sich nicht gerne gegenüber Himmler in eine schlechte Lage bringen.

JUSTICE JACKSON: Und ich glaube, Sie sagten auch, daß die Beamten dieser Abteilung Angst vor der SS hatten.

MILCH: Das wollte ich damit zum Ausdruck bringen.

JUSTICE JACKSON: Waren Sie an irgendeinem illegalen Unternehmen oder irgendeiner Tätigkeit gegen die Regierung beteiligt?

MILCH: Ich habe nicht verstanden.

JUSTICE JACKSON: Waren diese Leute, die Angst hatten...

MILCH: Wer? Die Sanitätsinspektion? Nein.

JUSTICE JACKSON: Es waren verantwortliche Beamte, die, soweit Sie wissen, ihre Pflicht taten. Ist das richtig?

MILCH: Ja, Herr Oberrichter, da muß man sich in die Verhältnisse, wie sie bei uns sich im Kriege entwickelt hatten, hineindenken.

JUSTICE JACKSON: Das ist genau das, woran zu denken und worüber zu sprechen ich Sie bitten möchte. Warum hatten diese Leute, die in einem Regierungsbüro ihre Pflicht taten, vor Himmler oder der SS Angst? Erklären Sie uns das!

MILCH: Vor der SS als solcher wohl nicht, aber vor der Geheimpolizei. Für keinen von uns war die Lage sehr leicht. Wir waren alle davon überzeugt, daß wir unter ständiger Beaufsichtigung standen, ganz egal, welchen Rang wir hatten. Es gab wohl auch keinen Menschen, über den nicht Akten dort geführt wurden, und es ist ja auch sehr vielen Leuten nachher auf Grund dieser Akten der Prozeß gemacht worden. Die Schwierigkeiten, die daraus entstanden sind, haben ja nicht nur diese Leute betroffen oder andere oder mich, sondern die sind ja hinaufgegangen bis zum Reichsmarschall, der auch davon betroffen worden ist.

JUSTICE JACKSON: Sie glauben also, daß alle, vom Reichsmarschall bis hinunter zum einfachsten Bürger, Furcht vor Himmler und seiner Organisation hatten?

MILCH: Die Größe der Angst dürfte verschieden gewesen sein. Sie war vielleicht in den höchsten und in den untersten Stellen am geringsten. Aber in den Mittelstellen war die Sache schon sehr viel schwieriger, denn es war ganz klar, daß die mittleren Stellen über alles das, was geschah, ihre Kritik fällten, und daß diese Kritiken von oben nicht geduldet wurden.

JUSTICE JACKSON: Ich entnehme Ihrer Aussage, daß dei Begriff Gestapo in Deutschland ziemlich gut verstanden worden ist.

MILCH: In den letzten Kriegsjahren ganz besonders, ja. Wie weit das berechtigt war, vermag ich nicht zu sagen. Aber im allgemeinen war dieses Gefühl vorhanden.

JUSTICE JACKSON: Ich glaube, Sie sagten auch aus, daß gewisse hohe militärische Funktionäre ihren Abschied nahmen. Ich lenke Ihre Aufmerksamkeit auf Ihre Aussage während Ihres Verhörs durch uns über von Fritsch und Beck. Sie nahmen ihren Abschied, nicht wahr?

MILCH: Nein, die haben nicht abgedankt, sondern sie wurden abgedankt.

JUSTICE JACKSON: Sie wurden hinausgeworfen, war es so?

MILCH: Jawohl. Ihnen wurde gesagt, daß sie nicht mehr benötigt würden.

JUSTICE JACKSON: Ich glaube, daß Sie in Ihrem Verhör aussagten, daß selbst die Generale sich nicht getrauten, ihre Ansichten zu äußern, nachdem diese beiden gegangen waren.

MILCH: Nein, das habe ich so nie gesagt. Ich kann mich nicht daran entsinnen. Ich wäre dankbar, wenn mir das Protokoll gezeigt werden könnte.

JUSTICE JACKSON: Ich habe es hier. Ich möchte wissen, ob die folgenden Fragen an Sie gestellt wurden, und ob Sie die folgenden Antworten gegeben haben:

»Frage: Konnten Sie sich auf Grund Ihrer Kenntnis von Diskussionen in Kreisen der Wehrmacht, bei der Luftwaffe und den Leuten des Generalstabs, die Sie kannten, eine Meinung bilden über ihre Haltung zum Kriegsbeginn? Glauben Sie, daß sie Ihre Ansichten teilten?«

Das Protokoll zeigt, daß Sie antworteten:

»Alle Offiziere waren einstimmig meiner Ansicht. Alle höheren Offiziere stimmten mit mir überein. Vor langer Zeit, im Jahre 1937, habe ich mit Feldmarschall von Blomberg ein Gespräch über die Gefahr eines Krieges wegen der unvorsichtigen Politik unserer Politiker ge habt. Damals befürchteten wir, daß England und Frankreich diese Politik nicht dulden würden, wenigstens nicht auf lange Zeit hinaus. Am 1. November 1937 hatte ich eine lange Unterredung mit von Blomberg über diese Angelegenheit, und er war der gleichen Meinung.«

MILCH: Jawohl, ich erinnere mich.

JUSTICE JACKSON: Also, das ist wahr? Dann wurde Ihnen folgende Frage vorgelegt:

»Ist es wahr, daß nach der Verabschiedung der Generale Fritsch und Beck die Stellungen in der Armee politischen Persönlichkeiten unterstellt waren?«

MILCH: Nein. Unterstellt gewesen sind sie immer. Die Armee hat immer dem Führer oder früher dem Reichspräsidenten unterstanden. Darin hat sich nichts geändert. Der Staatschef war gleichzeitig Oberbefehlshaber.

JUSTICE JACKSON: Als Sie verhört wurden, antworteten Sie folgendermaßen:

»Jawohl, Hitler persönlich übernahm den Oberbefehl über das Heer, die Marine und die Luftwaffe. Das war die Stellung, die vorher von Blomberg innehatte. Blomberg war in der Lage, sich Hitler zu widersetzen, was er auch oft getan hatte. Hitler respektierte ihn und ließ sich von ihm beraten. Von Blomberg war der einzige ältere Soldat, der geschickt genug war, militärische und politische Fragen in Einklang zu bringen. Dieser Wider stand...«

MILCH: Jawohl, das war meine Überzeugung.

JUSTICE JACKSON: [fortfahrend] »Dieser Widerstand konnte von den Leuten, die Hitler später umgaben, nicht aufrechterhalten werden. Sie waren hierzu zu schwach. Aus diesem Grunde hatte er sie wahrscheinlich gewählt.«

Ist das wahr?

MILCH: Das ist meine Auffassung.

JUSTICE JACKSON:

»Frage: Hatten die Generale, mit denen Sie sich zusammentaten, nicht schon vor dem Jahre 1939 das Gefühl, daß der von Hitler eingeschlagene Weg wahrscheinlich zum Kriege führen würde?

Antwort: Diejenigen, die außenpolitisch denken konnten, ja, aber sie mußten dabei sehr vorsichtig sein, weil sie keine Meinung äußern konnten. Sie wagten nicht, ihre Meinung zu äußern.«

Stimmt das?

MILCH: Stimmt.

JUSTICE JACKSON: Und wovor fürchteten sich die Befehlshaber der Armee so, daß sie keine Meinung zu äußern wagten?

MILCH: Sie kamen gar nicht dazu, Hitler etwas vorzutragen.

JUSTICE JACKSON: Wer würde Abhilfe geschaffen haben? Es gab viele Generale und nur einen Hitler. Wer hätte Befehle gegen sie durchführen können?

MILCH: Es war eben nicht möglich. Hitler war so stark, daß er eben die Gegenargumente der andern ablehnte oder sie gar nicht zu Gehör nahm.

JUSTICE JACKSON: Und Hitler hatte die SS und Himmler und Kaltenbrunner, nicht wahr?

MILCH: Das hatte er auch. Außerdem hatte er die gesamte Wehrmacht, die durch Treueid auf ihn verpflichtet war.

JUSTICE JACKSON: Ich glaube, Sie sagten in einem Verhör, daß nach dem 5. März 1943 Hitler nicht mehr normal war. Haben Sie das gesagt?

MILCH: Ich habe gesagt, daß nach meiner Auffassung der Hitler in der letzten Zeit nicht mehr der Hitler der ersten Zeit gewesen ist, von 1933 bis in den Krieg hinein, sondern daß nach dem Frankreichfeldzug in irgendeiner Form eine Veränderung bei ihm vorgegangen sein würde. Das wäre meine rein persönliche, private Auffassung. Denn was nachher von ihm gemacht worden ist, widersprach dem, was er selbst früher gelehrt hatte, um 180 Grad, und das konnte ich nicht mehr als normal ansehen.

JUSTICE JACKSON: Und Sie wollen uns glauben machen, daß Göring von da an als der zweite Mann im Reiche die Befehle von einem abnormalen Mann entgegennahm? Ist das Ihre Geschichte?

MILCH: Die Abnormalität war nicht so zu erkennen, daß man sagen konnte, der Mann ist nicht mehr geistesanwesend, der Mann ist geistesgestört. Soweit braucht das ja nicht zu gehen, sondern Abnormalitäten können sich ja für die Masse und auch für den Nächsten oft unsichtbar zeigen. Ich glaube, daß darüber ein Arzt eher Auskunft geben kann, wie ich. Ich habe mich jedenfalls mit solchen Herren darüber damals unterhalten.

JUSTICE JACKSON: Und waren sie der Ansicht, daß er abnorm sei?

MILCH: Daß die Möglichkeit für Abnormalität vorläge, wurde mir von einem Arzte, der mit mir in einem näheren Verhältnis steht, zugegeben.

JUSTICE JACKSON: Von einem Arzt von Ruf in Deutschland?

MILCH: Nein, er ist nicht sehr bekannt; er hat es nicht irgendwie woanders hin geäußert, denn das war nicht ratsam.

JUSTICE JACKSON: Wenn er etwas gesagt hätte, würde man ihn, wie ich annehme, in ein Konzentrationslager geschafft haben?

MILCH: Oder mehr.

JUSTICE JACKSON: Und wenn Sie geäußert hätten, daß Hitler abnormal sei, so wären Sie auch dorthin gekommen, nicht wahr?

MILCH: Sofort erschossen worden.

JUSTICE JACKSON: So haben Sie also niemals gewagt, Ihrem Vorgesetzten, Göring, Ihre Meinung über Hitler zu sagen?

MILCH: Ich habe nur einmal Gelegenheit gehabt, Hitler meine Auffassung im Kriege zu sagen, nachher nicht mehr.

JUSTICE JACKSON: Haben Sie Ihre Ansicht Göring mitgeteilt?

MILCH: Ich habe Göring gesprochen; und ich habe vor allen Dingen... das, was ich soeben erwähnte, war eine Unterredung, die ich mit Hitler hatte.

JUSTICE JACKSON: Ich glaube, Sie haben mich falsch verstanden. Sie meinen doch nicht, Sie hätten Hitler gesagt, daß Sie ihn für abnormal hielten? Ich bin überzeugt, Sie meinten nicht das.

MILCH: Nein, das habe ich auch Göring nicht gesagt.

JUSTICE JACKSON: Das meinte ich.

Sie wußten, daß Ihr unmittelbarer Vorgesetzter, Göring, die antijüdischen Verordnungen der Reichsregierung herausgab, nicht wahr?

MILCH: Nein, das weiß ich nicht. Soviel ich weiß, sind sie von einer anderen Stelle herausgegeben worden, von...

JUSTICE JACKSON: Wußten Sie nicht, daß die Verordnungen, die Juden und Halbjuden von ihren Stellungen ausschlossen, von Göring erlassen wurden?

MILCH: Nein, das weiß ich nicht, sondern soviel ich weiß, sind die Bestimmungen vom Innenministerium, das ja auch zuständig gewesen wäre, herausgegeben worden.

JUSTICE JACKSON: Mußten Sie nicht selbst gewisse Schritte unternehmen, um die Wirkungen dieser Verordnungen zu umgehen?

MILCH: Nein. Ich weiß, was Sie meinen. Das war eine Frage, die lange vorher geklärt worden war.

JUSTICE JACKSON: Wie lange vorher wurde sie geklärt?

MILCH: Soviel ich weiß, im Jahre 1933.

JUSTICE JACKSON: 1933, gerade nach der Machtübernahme der Nazis?

MILCH: Jawohl.

JUSTICE JACKSON: Göring machte Sie damals, wir wollen darüber kein Mißverständnis aufkommen lassen, zu dem, was sie Vollarier nennen. Ist das richtig?

MILCH: Das glaube ich nicht, daß ich durch ihn dazu gemacht wurde, sondern daß ich es war.

JUSTICE JACKSON: Gut, sagen wir, er hat es bescheiniger lassen.

MILCH: Er hat mir absolut bei dieser Frage, die unklar war geholfen.

JUSTICE JACKSON: Das heißt, der Mann Ihrer Mutter war Jude, ist das richtig?

MILCH: Das ist nicht gesagt.

JUSTICE JACKSON: Sie mußten beweisen, daß keiner Ihrer Vorfahren Jude war, nicht wahr?

MILCH: Jawohl, das mußte jeder.

JUSTICE JACKSON: Und in Ihrem Fall betraf es Ihren Vater, Ihren angeblichen Vater. Ist das richtig?

MILCH: Jawohl.

JUSTICE JACKSON: Sie kannten sicherlich von Anfang an die Haltung der Nazi-Partei den Juden gegenüber, nicht wahr?

MILCH: Nein, das wurde nicht mitgeteilt, sondern es mußte jeder seine Papiere einreichen, und von einem Großelternteil war ein Papier nicht zu finden.

JUSTICE JACKSON: In der Weimarer Republik wurde das von Ihnen nicht verlangt?

MILCH: Nein, da gab es ja diese Fragen nicht.

JUSTICE JACKSON: Sie wußten, daß die ganze Frage von der Nazi-Partei aufgebracht wurde, deren Mitglied Sie im Jahre 1933 wurden, also zu einer Zeit, wo dies geschah; ist das richtig?

MILCH: Ich hatte meine Mitgliedschaft schon vorher angemeldet, ehe diese Frage aufkam.

JUSTICE JACKSON: Wann bewarben Sie sich um die Mitgliedschaft?

MILCH: Das kann ich nicht genau sagen, ich glaube im März oder April.

JUSTICE JACKSON: Und Sie mußten diese Sache klären, bevor Sie ein Mitglied werden konnten. War das nicht der Punkt, um den es ging?

MILCH: Ja, das wurde auch inzwischen geklärt. Ich kann das terminmäßig nicht mehr ganz genau sagen.

JUSTICE JACKSON: 1933 hörten Sie zum ersten Male von einem Konzentrationslager?

MILCH: Jawohl, ich glaube, das war im Jahre 1933, daß eine Veröffentlichung darüber gemacht wurde.

JUSTICE JACKSON: Und später, wenn ich Sie richtig verstehe, hörten Sie so viele Gerüchte über Konzentrationslager, daß Sie glaubten, diese Sache untersuchen und selbst hingehen und sehen zu müssen.

MILCH: Jawohl.

JUSTICE JACKSON: Wann ungefähr wurden diese Gerüchte so nachhaltig, daß Sie glaubten, die Sache müßte untersucht werden?

MILCH: Das muß um die Jahreswende gewesen sein von 1934 auf 1935 und im Frühjahr 1935. Denn, wenn ich mich recht entsinne, bin ich im Frühjahr 1935 in Dachau gewesen.

JUSTICE JACKSON: Und diese Gerüchte hielten an, während der ganzen Zeit bis zum Zusammenbruch Deutschlands, nicht wahr?

MILCH: Diese Gerüchte von damals, die mich dazu führten, um einen Besuch in Dachau zu bitten, waren eigentlich in den Kreisen der höheren Offiziere, von denen ich sie hörte; mit anderen Kreisen hatte ich damals auch wenig Fühlung; wieweit sie allgemein besprochen wurden, vermag ich nicht zu sagen.

JUSTICE JACKSON: Gut, unter den höheren Offizieren, mit denen Sie verkehrten, ging bereits 1935 das Gerücht um, daß diese Konzentrationslager Stätten von Greueltaten waren. Sie wollten das sagen, nicht wahr?

MILCH: Nein, in dem Sinne nicht, sondern daß da...

JUSTICE JACKSON: Gut, dann sagen Sie, was Sie prüfen wollten.

MILCH: Eine Prüfung konnte ich gar nicht durchführen, sondern nur einen eigenen Augenschein gewinnen, um die vielen Redereien, es würden dort Leute eingesperrt, die dort gar nicht hingehörten, die unschuldig wären, die nur aus politischen Gründen hinkämen und so weiter, um das zu zerstreuen. Vor allen Dingen wurde auch damals besonders erwähnt, daß sehr viele Mitglieder der sogenannten Reaktion dort hinkämen, und das hatte bei einigen Offizieren Sorgen hervorgerufen, und da habe ich damals gesagt, ich will es mir einmal ansehen, um zu versuchen, einen eigenen Eindruck zu gewinnen.

JUSTICE JACKSON: Sie brauchten, um das festzustellen, nicht nach Dachau zu gehen, nicht wahr? Sie hätten Göring fragen können. Wußten Sie das nicht?

MILCH: Wohin?

JUSTICE JACKSON: Haben Sie jemals Göring gefragt, wer dorthin geschickt wurde?

MILCH: Nein, ich habe mit Göring darüber nicht gesprochen.

JUSTICE JACKSON: Wußten Sie nicht, daß Göring öffentlich erklärt hat, politische Gegner des Regimes würden dorthin gesandt werden; dafür sind die Lager doch errichtet worden; wußten Sie das nicht?

MILCH: Das vermag ich nicht zu sagen, daß ich das jemals so gehört habe. Aber ich habe mir das so ungefähr gedacht gehabt damals und deshalb wollte ich es mir ja ansehen.

JUSTICE JACKSON: Und Sie fanden dort ausschließlich Verbrecher?

MILCH: Was man mir gezeigt hat, waren alles Leute, die entweder Verbrechen oder Vergehen größeren Umfangs begangen hatten, und von der politischen Seite habe ich nur Leute gesehen, die am Röhm- Putsch teilgenommen hatten. Ob andere da waren, vermag ich nicht zu sagen, denn ich kann nicht beschwören, daß ich das ganze Lager gesehen hätte. Aber wir sahen alles, was wir sehen wollten. Wir haben öfters gesagt: Ich will das noch sehen oder das, und dann sind wir dorthin gegangen und hingeführt worden.

JUSTICE JACKSON: Von wem bekamen Sie die Erlaubnis, das Konzentrationslager zu besuchen?

MILCH: Von Himmler.

JUSTICE JACKSON: Wer hat Himmler gefragt, ob Sie gehen könnten?

MILCH: Ich verstehe nicht.

JUSTICE JACKSON: Hat Göring gewußt, daß Sie den Besuch unternehmen?

MILCH: Ich glaube, nein. Es war auch keine besondere Reise, sondern ich hatte unten in Süddeutschland in militärischer Eigenschaft etwas zu tun und habe einen Vormittag für diese Sache mir aufgespart.

JUSTICE JACKSON: Es waren Leute in dem Konzentrationslager, die mit dem Röhm-Putsch, wie Sie ihn nennen, zu tun hatten?

MILCH: Jawohl.

JUSTICE JACKSON: Wieviele waren da, die damit etwas zu tun hatten?

MILCH: Das kann ich nicht mehr genau sagen. Alles in allem, was ich gesehen habe, würde ich heute schätzen auf 400 bis 500 Menschen.

JUSTICE JACKSON: 400 bis 500 Menschen, und wieviele wurden getötet?

MILCH: Ja, ich kann mich für diese Zahl aber nicht verbürgen, es können genau so gut 700 gewesen sein. Aber meine Schätzung liegt etwa in dieser Größe.

JUSTICE JACKSON: Wieviele Menschen wurden im Röhm-Putsch getötet?

MILCH: Ich kenne nur die Zahl, die Hitler im Reichstag veröffentlicht hat. Ich kann sie nicht mehr nennen, ich kann mich

nicht mehr erinnern. Es waren zwischen 100 und 200, wenn ich mich recht entsinne.

JUSTICE JACKSON: Wieso waren Sie an den Konzentrationslagern so interessiert? Hatten Sie irgendeine offizielle Verantwortlichkeit für sie?

MILCH: Nein, ich hatte keinerlei Verantwortung. Aber, da soviel davon gesprochen wurde, habe ich damals noch versucht, mir selbst ein Bild zu machen, weil ich mir sagte, ich werde von vielen Leuten gefragt und kann keine Antwort darauf geben und will einmal selbst sehen, ob man sich dort ein Bild verschaffen kann.

JUSTICE JACKSON: Deutschland hatte gewöhnliche Gefängnisse für Verbrecher, nicht wahr?

MILCH: Selbstverständlich.

JUSTICE JACKSON: Und diese Gefängnisse hatten doch viele Jahre hindurch für die Verbrecher genügt, nicht wahr?

MILCH: Welche Gründe da vorgelegen haben, vermag ich nicht zu sagen.

JUSTICE JACKSON: Das Konzentrationslager war etwas Neues, das nach 1933 eingeführt wurde.

MILCH: Jawohl. Ich habe jedenfalls früher in Deutschland davon nicht gehört.

JUSTICE JACKSON: Sahen Sie Juden im Konzentrationslager, als Sie es besichtigten?

MILCH: Jawohl, eine Baracke, die von Juden belegt war. Aber sie hatten alle große Strafen wegen wirtschaftlicher Vergehen und Verbrechen, wie Urkundenfälschung und solchen Sachen. Es war keiner von denen, die wir befragten – wir gingen durch, und jeder antwortete, ungefragt sagte jeder seine Strafe und Gründe – und es war keiner dabei, der sagte, daß er aus politischen Gründen da sei. Die Politischen waren nur die SA-Leute.

JUSTICE JACKSON: Sie konnten keinen einzigen Gefangenen finden, der seine Unschuld beteuerte?

MILCH: Nein, es hat jeder seinen Fall gemeldet, mit dem wir gesprochen haben.

JUSTICE JACKSON: Wer hat Sie auf jener Reise begleitet?

MILCH: Soweit ich mich entsinne, war General Weber, der damals Chef des Generalstabs war, dabei. Ich glaube auch, daß Generaloberst Udet mit war. Es waren noch ein paar Herren mit. Wer, weiß ich im Moment nicht mehr zu sagen.

JUSTICE JACKSON: Und wer hat Ihnen das Konzentrationslager gezeigt? Wer hat Sie geführt?

MILCH: Ich weiß nicht, wie der Herr hieß. Es war einer von den Beamten des SD. Ich nehme an, es war der Lagerkommandant selbst. Aber wie er geheißen hat, das weiß ich nicht.

JUSTICE JACKSON: Wer hat das Konzentrationslager verwaltet? Welche Organisation war damit beauftragt?

MILCH: Das vermag ich nicht zu sagen. Ich nehme aber an, irgendeine Himmlersche Stelle.

JUSTICE JACKSON: Sie sagten, daß der Einmarsch ins Rheinland für Sie eine große Überraschung war.

MILCH: Jawohl.

JUSTICE JACKSON: Wo waren Sie während Ihres Urlaubs, als dies geschah?

MILCH: Ich war in Bergen auf Winterurlaub, im Auslande.

JUSTICE JACKSON: In Norwegen?

MILCH: Nein, nein.

JUSTICE JACKSON: In welchem Lande?

MILCH: Es war in den Alpen. Ich glaube, es war Südtirol, also Italien damals.

JUSTICE JACKSON: Haben Sie nichts von einer Sitzung gehört, die der Reichsverteidigungsrat am 26. Juni 1935 abhielt, also neun Monate vor der Besetzung des Rheinlandes? Das Protokoll dieser Sitzung liegt bereits als Beweisstück GB-160 dem Gerichtshof vor.

MILCH: Ob ich dabei war, vermag ich heute nicht mehr zu sagen. Ich kann mich daran nicht entsinnen.

JUSTICE JACKSON: Nach dem vorliegenden Beweismaterial waren 24 Angehörige der Wehrmacht und fünf Angehörige der Luftwaffe anwesend, ferner 24 Staats- und Parteifunktionäre. Waren Sie bei dieser Konferenz anwesend, bei der diese Diskussion stattfand?

MILCH: Darf ich nochmals um das Datum fragen?

JUSTICE JACKSON: Der 26. Juni 1935?

MILCH: Daran kann ich mich nicht erinnern. Ich weiß es nicht.

JUSTICE JACKSON: Haben Sie von dieser Sitzung gehört?

MILCH: Im Moment kann ich mich wirklich nicht erinnern. Was soll bei dieser Sitzung gesagt worden sein?

JUSTICE JACKSON: Daß die Vorbereitungen für die Besetzung des Rheinlands geheim zu halten seien und daß der Plan gemacht wurde, in das Rheinland einzudringen?

MILCH: Ich kann mich daran nicht erinnern. Ich glaube nicht, daß ich zugegen war.

JUSTICE JACKSON: Hoher Gerichtshof! Die übliche Zeit für die Unterbrechung der Sitzung ist gekommen. Ich beabsichtige, ein anderes Thema und mehrere Dokumente zu behandeln. Es mag der richtige Zeitpunkt sein, jetzt zu unterbrechen.

VORSITZENDER: Wir werden die Verhandlung jetzt unterbrechen.