[Das Gericht vertagt sich bis 14.00 Uhr.]
Nachmittagssitzung.
JUSTICE JACKSON: Ich möchte einige Fragen an Sie richten über Ihre Aufgaben und Ihre Tätigkeit bei der Zentralen Planung. Sie gehörten der Zentralen Planung an, nicht wahr?
MILCH: Jawohl.
JUSTICE JACKSON: Wie lange waren Sie Mitglied?
MILCH: Von Anfang an. Ich glaube, das war im Jahre 1941 oder 1942, bis zum Ende.
JUSTICE JACKSON: Außer Ihnen gehörte der Angeklagte Speer diesem Gremium an?
MILCH: Jawohl.
JUSTICE JACKSON: Der Angeklagte Funk?
MILCH: Jawohl, aber erst später.
JUSTICE JACKSON: Wann ist er eingetreten?
MILCH: In dem Augenblick, als ein großer Teil der zivilen Produktion auf das Ministerium Speer, auf das Rüstungsministerium überging.
JUSTICE JACKSON: Und Körner? War Körner ein Mitglied der Zentralen Planung?
MILCH: Jawohl.
JUSTICE JACKSON: Wer war Dr. Sauer?
MILCH: Sauer war ein Beamter im Ministerium Speer; er gehörte aber nicht zur Zentralen Planung.
JUSTICE JACKSON: Er führte aber einige Male das Protokoll, nicht wahr?
MILCH: Nein, meiner Meinung nach hat er es nicht geführt.
JUSTICE JACKSON: Sauckel war häufig bei den Sitzungen anwesend, nicht wahr?
MILCH: Oft nicht, aber gelegentlich.
JUSTICE JACKSON: Was waren die Aufgaben der Zentralen Planung?
MILCH: Die Verteilung der Rohstoffe unter verschiedene Kontingentträger, wie Wehrmacht, Heer, Marine, Luftwaffe und der zivile Bedarf für die verschiedenen Zweige, wie Bergbau, Industrie, industrielle und private Bautätigkeit und so weiter.
JUSTICE JACKSON: Und Arbeiter?
MILCH: Pardon, Arbeiter? Hatten wir nicht zu verteilen.
JUSTICE JACKSON: Sie hatten nichts mit Arbeitern zu tun? Habe ich Sie richtig verstanden?
MILCH: Vorschläge zu machen, aber nicht die Verteilung vorzunehmen.
JUSTICE JACKSON: Sie meinen damit nicht die Verteilung unter den verschiedenen Industrien, die sich gegenseitig die Arbeiter wegzunehmen versuchten?
MILCH: Das war natürlich ein Punkt, der die Rüstung hauptsächlich anging, weniger die Zentrale Planung.
JUSTICE JACKSON: Wußten Sie, daß Speer alle seine persönlichen Papiere und Listen einschließlich der Protokolle über die Zentrale Planung den Vereinigten Staaten übergeben hat?
MILCH: Das wußte ich nicht, ich höre es hier.
JUSTICE JACKSON: Ich möchte bitten, daß die Protokolle, die Protokollbände, die das US-Dokument R-124 darstellen und als französisches Beweisstück RF-30 vorgelegt worden sind, dem Zeugen zur Durchsicht im deutschen Original zur Verfügung gestellt werden. Ich möchte einige Fragen darüber an Sie richten.
MILCH: Ja.
[Dokument R-124 wird dem Zeugen übergeben.]
JUSTICE JACKSON: Wollen Sie dem Zeugen Seite 1059, Zeile 22 zeigen? Dies, Zeuge, soll das Protokoll der 21. Sitzung der Zentralen Planung vom 30. Oktober 1942 im Reichsministerium für Bewaffnung und Munition sein, und das Protokoll führt Sie als anwesend an. Können Sie sich erinnern, daß Sie an dieser Besprechung teilnahmen?
MILCH: Aus dem einen Satz kann ich es noch nicht sehen, ich möchte es aber wohl annehmen. Ja, ich sehe hier in dem Protokoll, daß mein Name öfter genannt wird.
JUSTICE JACKSON: Ich lenke nun Ihre Aufmerksamkeit auf Seite 1059, Zeile 22, auf die folgende Eintragung, und ich frage Sie, ob dies Ihre Erinnerung über die Funktionen dieser Behörde auffrischt?
»Speer: Die Bummelantenfrage ist auch ein Punkt, den wir behandeln müssen. Ley hat festgestellt, daß dort, wo Betriebsärzte sind und die Leute von den Betriebsärzten untersucht werden, sofort der Krankenstand auf ein Viertel bis ein Fünftel sinkt. SS und Polizei könnten hier ruhig hart zufassen und die Leute, die als Bummelanten bekannt sind, in KZ-Betriebe stecken. Anders geht es nicht. Das braucht nur ein paarmal zu passieren, das spricht sich herum.«
Befaßten Sie sich bei dieser Sitzung nicht mit der Arbeitslage, und erinnert Sie dies nicht an die Behandlung von Arbeitsfragen?
MILCH: Ich kann mich erinnern, daß über die Bummelantenfrage gesprochen wurde. Es handelte sich aber um Bummelanten, um Arbeiter, um Leute, die in normalen Zeiten, im Frieden, nicht bei der Arbeiterschaft bei uns waren, sondern die durch die Erfassung der totalen Arbeitskraft im Kriege zur Arbeit verpflichtet wurden. Bei diesen Leuten, ich wiederhole, die nicht zur normalen Arbeiterschaft gehörten, gab es einige Bummelanten, die aber überall den guten Geist in der Arbeiterschaft störten, und um diese Leute handelt es sich.
JUSTICE JACKSON: Diese sollten in Konzentrationslager gesandt werden, wie Sie wissen?
MILCH: Ja, das ist mir gesagt worden. Aber daraufhin ist ja noch kein Beschluß gefaßt worden. Außerdem waren wir gar nicht dafür zuständig, jemand in ein Konzentrationslager zu schicken.
JUSTICE JACKSON: Gut, aber wurde nicht gesagt, daß man nichts dagegen habe, daß die SS sie übernehme? Sie wußten, daß die SS die Konzentrationslager unter sich hatte, nicht wahr?
MILCH: Ja, natürlich.
JUSTICE JACKSON: Und daher wußten Sie, daß, wenn man sie der SS übergibt und sie in die Konzentrationslager bringt, dies ein Mittel war, sie zu zwingen, mehr Waren zu produzieren, nicht wahr?
MILCH: Ja, natürlich sollten die Leute dazu gezwungen werden. Es handelte sich um Deutsche, die ihre Pflicht ihrem Vaterland gegenüber nicht erfüllen wollten.
JUSTICE JACKSON: Handelte es sich hier nur um Deutsche?
MILCH: Soweit ich weiß, handelte es sich hier nur um Deutsche. Wenn der Ausdruck Bummelanten, oder Gelegenheitsarbeiter wurden sie auch genannt, gebraucht wurde, waren es nur die Leute, die frei herumzogen, die viermal im Monat ihren Arbeitsplatz wechselten und uns hauptsächlich von den Vertretern unserer eigenen Arbeiter angegeben wurden. Unsere eigenen Arbeiter beschwerten sich darüber, daß diese Leute alle Vorteile für Verpflegung und so weiter bekamen, während sie nichts taten und immer wieder rechtzeitig aus dem Betrieb herausgingen, und daß jeder Betrieb froh war, diese Leute loszuwerden.
JUSTICE JACKSON: Und man wurde sie los, indem man sie in die der SS unterstehenden Konzentrationslager sandte?
MILCH: Sie sollten erzogen werden, weil von der Seite aus gesagt wurde, daß die Leute bei einer anderen Art der Verteilung ihrer zusätzlichen Verpflegung, nicht der Grundverpflegung, die dort eben abhängig gemacht wurde von der Leistung, sehr schnell erzogen wurden. Ich kann mich aber entsinnen, daß vorgeschlagen wurde, diese Behandlung zeitlich zu beschränken auf zwei, drei Monate, um sie dann wieder herauszuholen, und wenn sie dann vernünftig waren, sie wieder in dem völlig freien Verhältnis zu belassen.
JUSTICE JACKSON: Hatten Sie in der Zentralen Planung irgend etwas mit dem Arbeitseinsatz von Kriegsgefangenen zu tun?
MILCH: Nein, meiner Meinung nach nicht.
JUSTICE JACKSON: Gut, dann bitte ich, daß Ihnen das Protokoll der 22. Sitzung der Zentralen Planung vom 2. November 1942 gezeigt wird, in dem Sie auf Seite 1042, Zeile 24, zitiert werden. Die englische Übersetzung befindet sich auf Seite 27.
Ich bitte Sie, zur Auffrischung Ihres Gedächtnisses den folgenden Absatz zu lesen:
»Milch: Nach meiner Auffassung muß die Landwirtschaft ihre Arbeitskräfte kriegen. Hätte man der Landwirtschaft, theoretisch gesprochen, 100000 Mann mehr gegeben, dann hätte man 100000 Mann mehr, die einigermaßen gut ernährt wären, während das, was wir so bekamen, vor allen Dingen die Kriegsgefangenen, nicht gerade besonders arbeitsfähig ist.«
Haben Sie das gesagt?
MILCH: Ich kann mich im einzelnen nicht erinnern, ich nehme es aber an; ich weiß nicht, ob ich das Protokoll hier gesehen habe. Aber ich weiß, daß wir uns mit der Frage auch befaßt haben, daß die Landwirtschaft möglichst ihre Arbeiter bekam, weil ja die Ernährungstrage so außerordentlich wichtig war, und die Landwirtschaft natürlich über die Rationen, die die Zivilbevölkerung bekam, hinausgehend ihre Leute verpflegen konnte. Diese Frage, daß man diese Leute in die Landwirtschaft steckte, entsprach durchaus meiner Auffassung. Aber es sind dies hier von Seiten der Zentralen Planung nur Anregungen gewesen. Ich weiß, Herr Sauckel hat auch an dieser Sitzung teilgenommen. Wir haben auch den Leuten, die mit der Rüstung zu tun hatten, unsere Meinung gesagt, wie man hier und dort helfen könnte.
JUSTICE JACKSON: Und Sie machten Empfehlungen an den Reichsmarschall, nicht wahr?
MILCH: Das kann ich im Moment aus dem Gedächtnis nicht sagen. Ich weiß das nicht.
JUSTICE JACKSON: Haben Sie das nie getan?
MILCH: Ich weiß es nicht, ich kann dies so aus dem Gedächtnis nicht sagen.
JUSTICE JACKSON: Dann kannten Sie die Wünsche des Reichsmarschalls bezüglich der Verwendung von Kriegsgefangenen, nicht wahr?
MILCH: Daß Kriegsgefangene auch in der Arbeit waren, ist mir bekannt, besonders auf dem Lande waren sehr viele Kriegsgefangene eingesetzt.
JUSTICE JACKSON: Waren Sie bei einer Besprechung des Führers mit Minister Speer anwesend?
MILCH: Zu welchem Termin?
JUSTICE JACKSON: Am 5. März 1944.
MILCH: Am 4. März?
JUSTICE JACKSON: Am 5. März 1944?
MILCH: Am 5. März, jawohl, bin ich bei einer Besprechung beim Führer gewesen, und zwar handelte es sich damals um die Frage, einen Jägerstab einzusetzen, das heißt, eine gemeinsame Anstrengung der gesamten Rüstung, um möglichst viele Jagdflugzeuge zu erzeugen.
JUSTICE JACKSON: Gut, ich möchte jetzt bitten, daß man Ihnen Speers Aktennotiz über diese Besprechung mit dem Führer zeigt, bei der General Bodenschatz und Oberst von Below auch zugegen waren. Waren sie nicht dabei?
Die englische Übersetzung befindet sich auf Seite 35, die deutsche auf Seite 139. Ich lenke Ihre Aufmerksamkeit auf diesen Absatz:
»Dem Führer den Wunsch des Reichsmarschalls vorgetragen zur weiteren Ausnutzung der Leistungskraft der Kriegsgefangenen, die Führung der Stalag an die SS zu geben, mit Ausnahme der Engländer und Amerikaner. Der Führer hält den Vorschlag für gut und hat Herrn Oberst von Below veranlaßt, Entsprechendes einzuleiten.«
Ich frage Sie, wie konnte die SS die Leistung der Kriegsgefangenen erhöhen; welche Schritte erwarteten Sie? Beantworten Sie nur meine Frage! Welche Schritte seitens der SS erwarteten Sie, um die Produktion der Kriegsgefangenen zu erhöhen?
MILCH: Das kann ich heute nicht mehr sagen. Jedenfalls zu dieser Zeit war uns von der Art, was von der SS gemacht wurde, in dem Sinne, wie man das heute weiß, nichts bekannt.
JUSTICE JACKSON: Das war im März 1944?
MILCH: Jawohl.
JUSTICE JACKSON: Gut, Sie wissen also nichts über die Methoden der SS, die Produktion der Kriegsgefangenen zu steigern? Wollen Sie es so stehen lassen?
MILCH: Nein, nein, so will ich es nicht stehen lassen. Ich überlege gerade diesen Punkt. Ich muß einen Augenblick nachdenken. Ich glaube, daß es sich um die Frage handelte, ob Kriegsgefangene zur Verfügung gestellt wurden oder nicht. Es sollte sich nicht darum handeln, daß die Kriegsgefangenen bei der SS irgendwelche Dienste taten, sondern nur, daß sie für Arbeitszwecke zur Verfügung gestellt wurden. So muß ich es annehmen.
JUSTICE JACKSON: Der SS zur Verfügung gestellt werden, meinen Sie das?
Gut, gehen wir jetzt zur 33. Sitzung der Zentralen Planung vom 16. Februar 1943 über, bei der unter anderen Speer und Sauckel anwesend waren. Die englische Übersetzung finden Sie auf Seite 28, den deutschen Text auf den Seiten 2276 und 2307. Bei der Sitzung fand, um es zusammenzufassen, eine längere Diskussion über die Arbeitslage statt, zuerst berichtete Schreiber, und dann gab Timm einen allgemeinen Überblick über die Arbeitslage. Ich verweise Sie auf Ihre Ausführungen auf Seite 2298 oben.
MILCH: Jawohl, ich habe es eben gelesen.
JUSTICE JACKSON: Es heißt dort:
»Milch: Wir haben die Forderung gestellt, daß bei uns in der Flakartillerie ein gewisser Prozentsatz Russen ist. 50000 sollen im ganzen heran; 30000 sind schon als Kanoniere da. Das ist eine witzige Sache, daß Russen die Kanonen bedienen müssen.«
Was war an der Tatsache, daß die russischen Kriegsgefangenen die Kanonen bedienen mußten, witzig?
MILCH: »Wir haben diese Forderung gestellt«; »Wir« ist nicht die Zentrale Planung, sondern Hitler hatte diese Forderung gestellt.
JUSTICE JACKSON: »Wir« heißt Hitler?
MILCH: Jawohl, die Deutsche Regierung. Und ich finde es eigenartig, daß man Kriegsgefangene auf die Flugzeuge ihrer Bundesgenossen schießen lassen sollte. Wir waren unwillig, weil wir diese Leute aus der Arbeit bei uns abgeben mußten. Wir waren dagegen, daß sie in der Flakartillerie verwandt wurden.
JUSTICE JACKSON: Sie sagten, »es ist eine witzige Sache, daß Russen die Kanonen bedienen müssen«, was war daran so witzig?
MILCH: Was witzig heißt? Etwa eigenartig, merkwürdig. Ich kann aber nicht sagen, ob das Wort so gefallen ist. Ich habe das Protokoll nicht gesehen.
JUSTICE JACKSON: Ich verweise Sie nun auf den Rest Ihrer Ausführungen:
»Es fehlen noch die letzten 20000. Ich habe gestern einen Brief vom Oberkommando des Heeres bekommen, in dem mitgeteilt wird, wir können keinen einzigen mehr abgeben, wir haben selbst zu wenig. Also diese Sache wird für uns nicht gerade erfolgreich werden.«
Auf wen bezieht sich »für uns«, wenn nicht auf Ihre industriellen Bedürfnisse?
MILCH: Ich halte dieses Protokoll für falsch abgefaßt, so ist das nie besprochen worden, es ist an sich unrichtig. Ich kann dieses Protokoll in der Form nicht anerkennen.
Um diese Angelegenheit klarzustellen, kann ich sagen, daß es sich um das Problem handelte, Leute aus der Rüstungsindustrie herauszunehmen und sie in die Luftabwehr zu bringen. Wir, die wir mit der Rüstung zu tun hatten, wollten diese Leute nicht abgeben, wir waren dagegen. Das war der Gedanke der ganzen Sache, und das OKH erklärte, daß es nicht genügend Leute hätte.
JUSTICE JACKSON: Ich verstehe dies so, daß Sie bestimmte Arbeiter für die Rüstungsindustrie anforderten und daß das OKW sich weigerte, Ihnen die Leute zu geben, mit der Behauptung, sie seien bereits damit beschäftigt, Kanonen herzustellen und andere Arbeiten auszuführen. Ist das der Sinn Ihrer Ausführungen oder nicht?
MILCH: Nein, nicht ganz.
JUSTICE JACKSON: Dann sagen Sie mir, was Sie meinen.
MILCH: Soweit ich mich entsinne, sollte die Rüstungsindustrie etwa 50000 russische Kriegsgefangene an die Luftwaffe abgeben für die Luftabwehr, während die Rüstungsindustrie diese Leute nicht entbehren konnte.
VORSITZENDER: Ich glaube, wir müssen jetzt wegen technischer Schwierigkeiten die Verhandlung unterbrechen.