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[Keine Antwort.]

Gut, wir werden weitergehen: »Wenn der kleine Betriebsführer«, ich zitiere immer noch Ihre Worte, »das macht, kommt er in das Kz....«

Finden Sie das?

MILCH: Ja, ich sehe hier.

JUSTICE JACKSON:

»... und es droht ihm auf der anderen Seite Entziehung der Kriegsgefangenen.«

Ich zitiere Sie immer noch und möchte, daß Sie die Niederschrift nachlesen:

»In einem Falle haben zwei russische Offiziere sich eine Maschine genommen und sind gestartet. Sie haben aber Bruch gemacht. Ich habe sofortiges Aufhängen der Leute befohlen. Sie sind gestern gehängt oder erschossen worden. Das habe ich der SS überlassen. Ich wollte sie im Betrieb gehängt haben, damit die anderen es sehen.«

Haben Sie das gefunden?

MILCH: Ich habe das gefunden, und ich kann nur sagen, daß ich niemals habe jemand hängen lassen, noch eine solche Anordnung gegeben habe. Ich halte das auch für ausgeschlossen, daß ich das gesagt habe. Ich habe mit dieser Frage nichts zu tun. Ich kenne auch gar keinen Fall, wo zwei russische Offiziere mit einer Maschine geflohen sind.

JUSTICE JACKSON: Möchten Sie noch irgend etwas zu dieser Eintragung sagen?

MILCH: Nein, ich habe dazu nichts zu sagen. Es ist mir völlig unbekannt, und ich glaube auch nicht, daß ich das gesagt habe.

JUSTICE JACKSON: Das ist alles, was ich Sie jetzt zu fragen habe.

MR. G. D. ROBERTS, ERSTER ANKLÄGER FÜR DAS VEREINIGTE KÖNIGREICH: Zeuge, ich stelle einige Fragen im Namen der Britischen Delegation. Meine erste Frage ist: Sie haben am Freitag die Erklärung abgegeben, daß, beginnend im Jahre 1935, eine Luftwaffe zu Verteidigungszwecken in Deutschland geschaffen wurde. Erinnern Sie sich?

MILCH: Jawohl, 1935.

MR. ROBERTS: Und können Sie sagen, daß sie auf der Basis der Verteidigung blieb bis zum Dezember 1939?

MILCH: Jawohl.

MR. ROBERTS: Sie bejahen das. Ich möchte, daß Sie sich drei Stellen aus dem Beweismaterial anhören, Reden Ihres Chefs, des Angeklagten Göring. Ich zitiere aus dem stenographischen Protokoll vom 8. Januar, nachmittags, Band IV, Seite 598; im Mai 1935 sagte Göring:

»Mir schwebt vor, eine Luftwaffe zu besitzen, die, wenn einmal die Stunde schlagen sollte, wie ein Chor der Rache über den Gegner hereinbricht. Der Gegner muß das Gefühl haben, schon verloren zu sein, bevor er überhaupt mit Euch gefochten hat.«

Klingt das wie eine Verteidigungs-Luftwaffe?

MILCH: Nein, das hört sich nicht so an, aber man muß die Worte von den Taten trennen.

MR. ROBERTS: Zu den Taten komme ich gleich.

[Gelächter.]

VORSITZENDER: Wenn gelacht wird, werde ich den Gerichtssaal räumen lassen.

MR. ROBERTS: Göring führte am 8. Juli 1938 in einer Rede, die er vor einer Anzahl deutscher Flugzeugindustrieller hielt, aus: Der Krieg mit der Tschechoslowakei stehe bevor. Die deutsche Luftwaffe sei bereits der englischen Luftwaffe überlegen:

»Wenn wir den Kampf gewinnen würden, dann ist Deutschland die erste Macht der Welt, dann gehört Deutschland der Markt der Welt, dann kommt die Stunde, wo Deutschland reich ist. Aber man muß etwas riskieren, man muß etwas einsetzen.«

Klingt das nach einer deutschen Verteidigungs- Luftwaffe?

MILCH: Nein, das hört sich bestimmt nicht so an. Ich möchte nachher dazu noch etwas sagen, wenn Sie beendet haben.

MR. ROBERTS: Beschränken Sie sich bitte, wenn Sie können, im Interesse der Zeitersparnis darauf, meine kurzen Fragen zu beantworten. Darf ich Ihnen noch ein weiteres Beweisstück vorlesen, eine Rede Görings vom 14. Oktober 1938, also weniger als ein Monat nach dem Münchener Abkommen; in dem Dokument heißt es:

»... der Führer habe ihn infolgedessen angewiesen, ein gigantisches Programm durchzuführen, gegen das die bisherigen Leistungen bedeutungslos seien.... Er habe vom Führer den Auftrag, die Rüstung abnorm zu steigern.... Die Luftwaffe sei schnellstens zu verfünffachen.«

Klingt das wie eine Luftwaffe zu Verteidigungszwecken?

MILCH: Diese Luftwaffe zu errichten hätte noch viele Jahre gedauert.

MR. ROBERTS: Ich mache Sie darauf aufmerksam, daß Ihre Aussage zu diesem Punkt sehr unkorrekt war. Ich komme nunmehr zu meiner zweiten Frage.

Sie waren bei einer Besprechung der Ressortchefs anwesend, die am 23. Mai 1939 in der Reichskanzlei abgehalten worden ist?

MILCH: Welches Datum, bitte nochmal?

MR. ROBERTS: Ich möchte, daß Sie sich das Dokument L-79 ansehen. Ich glaube, Sie haben es schon am Freitag gesehen.

MILCH: Am 23. Mai, nicht wahr?

MR. ROBERTS: Ja, das stimmt. Ich möchte Sie nur daran erinnern, wer außerdem noch anwesend war: Es waren der Führer, Göring, Raeder, von Brauchitsch, Keitel, Sie selbst, Halder, General Bodenschatz, Warlimont... war Warlimont der Vertreter Jodls?

MILCH: Das vermag ich nicht zu sagen, für wen er da war.

MR. ROBERTS: Gut... und noch einige andere, die ich nicht weiter aufzählen will. Nun, Zeuge, waren das die Führer der Deutschen Wehrmacht?

MILCH: Darf ich dazu sagen, nach meiner Erinnerung war der Generalfeldmarschall Göring damals nicht dabei, ich kann mich nicht entsinnen.

MR. ROBERTS: Es ist niedergeschrieben, daß er dabei war. Sie glauben, daß er nicht da war?

MILCH: Ja, ich kann mich nicht entsinnen, ich habe in der Erinnerung, daß ich in seiner Vertretung hingeholt worden bin, im letzten Augenblick.

MR. ROBERTS: Gut, abgesehen von Göring, falls er nicht dort war, handelte es sich durchwegs um Führer der deutschen Streitkräfte. Stimmt das?

MILCH: Ja. Es waren der Oberbefehlshaber des Heeres, der Oberbefehlshaber der Marine und das OKW, ja.

MR. ROBERTS: Würden Sie sie auf Grund Ihrer Kenntnis als Ehrenmänner bezeichnen?

MILCH: Jawohl.

MR. ROBERTS: Ist eine der Eigenschaften eines Ehrenmannes, sein Wort zu halten?

MILCH: Jawohl.

MR. ROBERTS: Sie wußten doch, nicht wahr, daß Deutschland sein Wort gegeben hatte, die Neutralität Belgiens, Hollands und Luxemburgs zu respektieren?

MILCH: Ich nehme das an, ich kenne die einzelnen Verabredungen nicht, aber ich nehme es an.

MR. ROBERTS: Wissen Sie nicht, daß kaum einen Monat vor dieser Sitzung, also am 28. April, Hitler im Reichstag eine Versicherung abgegeben hatte, die Neutralität einer großen Anzahl Länder, europäischer Länder, zu respektieren, einschließlich jener drei von mir erwähnten Länder? Wußten Sie das nicht als eine geschichtliche Tatsache?

MILCH: Ich nehme an, jawohl.

MR. ROBERTS: Wir haben hier im Gericht den Film über dieses Ereignis gesehen, in dem auch gezeigt wurde, daß Göring als Reichstagspräsident den Vorsitz geführt hat als diese Versicherung abgegeben wurde.

MILCH: Ich habe diesen Film nicht gesehen; ich kenne den Film nicht.

MR. ROBERTS: Ja, es ist eine deutsche Wochenschau. Erinnern Sie sich, daß bei dieser Besprechung Hitler die folgenden Worte gebrauchte, die dem Gerichtshof wohl bekannt sind:

»Die holländischen und belgischen Luftstützpunkte müssen militärisch besetzt werden. Auf Neutralitätserklärungen kann nichts gegeben werden.... Anzustreben bleibt, dem Gegner zu Beginn einen oder den vernich tenden Schlag beizubringen. Hierbei spielen Recht oder Unrecht oder Verträge keine Rolle.« (Dokument L-79)

Erinnern Sie sich, daß diese Worte gebraucht worden sind?

MILCH: Ich kann mich nicht genau daran erinnern, in welchem Wortlaut gesprochen wurde. Ich weiß, daß es sich um die Frage des Polnischen Korridors und Danzigs handelte und daß im Anschluß daran Hitler auseinandersetzte, welche Verwicklungen im Westen kommen könnten, und was er dann zu tun gedächte; was er im einzelnen gesagt hat, habe ich nicht mehr in Erinnerung.

MR. ROBERTS: Wurde von einem dieser Ehrenmänner Protest erhoben gegen den Bruch von Deutschlands gegebenem Wort?

MILCH: Bei dieser Besprechung war es für keinen der Anwesenden möglich, überhaupt zu sprechen, sondern Hitler stand an einem Pult vor uns und hielt eine Ansprache, und nach der Ansprache ging er weg. Eine Aussprache hat nicht stattgefunden, wurde von ihm nicht zugelassen.

MR. ROBERTS: Sie meinen, Zeuge, es war für einen Ehrenmann unmöglich, seine Ehre zu schützen?

MILCH: Ich kann mich eben an den Wortlaut dessen, was Hitler gesagt hat, nicht genau erinnern, so wie es hier wiedergegeben ist.

MR. ROBERTS: Können Sie dem Gerichtshof Ihre Meinung sagen?

MILCH: Ich habe in der Sitzung nicht unter dem Eindruck gestanden, daß Hitler irgend etwas gesagt hätte, was gegen die übernommenen Verpflichtungen geht. Das ist mir nicht in Erinnerung geblieben.

MR. ROBERTS: Meinen Sie jetzt, daß dieses Protokoll nicht richtig ist?

MILCH: Das kann ich auch nicht sagen; ich kann nur sagen, daß ich keine Erinnerung im einzelnen an den Wortlaut habe. Ob das Protokoll ganz richtig ist, weiß ich auch nicht. Soviel ich weiß, ist das nachträglich aufgesetzt worden von einem der anwesenden Adjutanten.

MR. ROBERTS: Wir wissen heute ja, daß Deutschland zwölf Monate später genau das getan hat, als es nämlich sein Ehrenwort Holland, Belgien und Luxemburg gegenüber brach und Not und Tod über Millionen von Menschen brachte. Das wissen Sie heute, nicht wahr?

MILCH: Das weiß ich, jawohl, aber als Soldaten hatten wir ja mit der politischen Frage nichts zu tun. Darum wurden wir nicht gefragt.

MR. ROBERTS: Nennen Sie Ehre das...

DR. RUDOLF DIX, VERTEIDIGER DES ANGEKLAGTEN SCHACHT: Ich spreche jetzt nicht für Schacht, sondern für die gesamte Verteidigung. Ich bitte den Hohen Gerichtshof, daß der Zeuge über Tatsachen gefragt wird und nicht über moralische Werturteile.

VORSITZENDER: Er wird über Tatsachen befragt.

MR. ROBERTS: Sie haben gerade erklärt, daß Sie heute wissen,... wir wissen, daß Deutschland zwölf Monate später die Neutralität Belgiens, Hollands und Luxemburgs verletzt hat.

MILCH: Aber wir wissen ja nicht, aus welchen Gründen das geschehen ist, und welche anderweitigen Bindungen diese Länder vielleicht eingegangen waren. Das war nicht Aufgabe der Soldaten, das zu beurteilen.

MR. ROBERTS: War es nicht Aufgabe des Soldaten, Widerspruch zu erheben, wenn er aufgefordert wurde, das Ehrenwort seines Landes zu brechen?

MILCH: Wenn er das Wort bricht auf seiner Ebene, wo er etwas zu tun hat, und wo er als Soldat etwas zu sagen hat, stimme ich Ihnen vollkommen zu. Auf einem völlig fremden Gebiet, das der Soldat gar nicht übersehen kann, und von dem der Soldat nichts weiß, kann er nicht für eine solche Frage zur Verantwortung und zur Rechenschaft gezogen werden.

MR. ROBERTS: Sie können nur für Ihr eigenes Wissen sprechen. Sagen Sie, daß Sie nicht wußten, daß Ihr Land sein Wort verpfändet hatte, die Neutralität dieser drei kleinen Länder zu achten?

MILCH: Das habe ich in der Reichstagsrede gelesen. Aber ich wußte ja nicht, wie die andere Seite auf dieses Versprechen reagiert hatte. Mir war es nicht bekannt, es konnte durchaus der Fall sein, daß die andere Stelle diesen Schutz oder diese Zusage oder diese Garantie gar nicht wünschte. Das konnte ein Soldat überhaupt nicht übersehen, sondern das konnte nur die politische Führung selber wissen.

MR. ROBERTS: Gut, diese Frage werden wir vielleicht den Soldaten vom Oberkommando, die jetzt auf der Anklagebank sitzen, vorlegen, wenn sie im Zeugenstand erscheinen. Aber ich frage Sie, es mußte doch in Deutschland allgemein bekannt gewesen sein, daß Hitler Garantien und Zusicherungen an alle diese kleineren Länder gegeben hatte.

MILCH: Hitler hat viele Sachen vorgeschlagen und angeboten. Er hat für alle Länder Rüstungsbeschränkungen angeboten, er hat angeboten, vom Bombenkrieg Abstand zu nehmen, aber seine Vorschläge sind ja auch in diesen Fällen nicht angenommen worden, und infolgedessen mußte die politische Führung von allein wissen, was sie von ihren Soldaten verlangen durfte und verlangen konnte. Der Soldat als solcher hat nur die Pflicht zu gehorchen.

MR. ROBERTS: Wollen Sie bitte meine Frage beantworten? Das war gar keine Antwort auf meine Frage. Zeuge, wir wissen heute aus Dokumenten, aus Ihren eigenen deutschen Dokumenten die Tatsachen. Ich möchte Ihre Kenntnis und Ihre Auffassung von Ehre prüfen. Hielten Sie es nicht für höchst unehrenhaft, am 28. April eine Versicherung abzugeben, und am 23. Mai einen geheimen Beschluß zu fassen, sie zu brechen?

MILCH: Sie haben recht, wenn die Lage sich in keiner Weise geändert hat, und eben das kann ich nicht beurteilen.

MR. ROBERTS: Sie müssen Ihren eigenen Ehrenkodex haben, obwohl Sie dem Militär angehören. Sie wissen natürlich, daß die Neutralität Norwegens verletzt worden ist?

MILCH: Jawohl, nach unserem Wissen und unserer Auffassung ist sie doppelt verletzt worden.

MR. ROBERTS: Wissen Sie, daß Jodl am 12. und 13. März 1940 in sein Tagebuch eingetragen hat: Der Führer ist noch auf der Suche nach einem Vorwand, den er der Welt geben kann, für den Einfall in Norwegen, wissen Sie das?

MILCH: Ich kenne dieses Tagebuch und diese Notiz nicht.

MR. ROBERTS: Sie haben sich an der Invasion von Norwegen aktiv beteiligt, nicht wahr?

MILCH: Einige Tage nach Beginn der Invasion habe ich für kurze Zeit oben die Luftflotte geführt.

MR. ROBERTS: Waren Sie tatsächlich Befehlshaber in Norwegen?

MILCH: Jawohl.

PROF. DR. JAHRREISS: Ich halte es für notwendig, eine Klarstellung vorzunehmen, die anscheinend auf einem Mißverständnis der Übersetzung beruht. Ich habe eben gehört, daß eine Eintragung des Angeklagten Jodl in sein Tagebuch fehlerhaft ins Deutsche rückübersetzt wurde; im deutschen Text steht »nach einer Begründung«, »for a justification«. Ich glaube auch »justification« steht in der englischen Übersetzung. Dann darf aber auch nicht übersetzt werden: »Ausrede«, das wäre »Prétexte« im Französischen, und das ist etwas ganz anderes.

MR. ROBERTS: Was auch immer in der Übersetzung steht, Zeuge, stimmen Sie zu, daß der Führer laut dieser Eintragung im Tagebuch noch danach suchte, sei es nun nach einer Begründung oder nach einer Entschuldigung? Ich möchte jetzt nur noch eine Frage zu dieser Seite des Falles an Sie richten:

Sie wissen, daß Belgrad bombardiert wurde, und zwar, ich glaube, im April 1941?

MILCH: Ich habe es aus dem Wehrmachtsbericht gehört seinerzeit.

MR. ROBERTS: Ohne jede Kriegserklärung, ohne jede vorherige Warnung der Zivilbevölkerung: haben Sie dies gehört?

MILCH: Das weiß ich nicht, nein.

MR. ROBERTS: Haben Sie darüber nicht mit Göring gesprochen?

MILCH: Über den Angriff auf Belgrad? Nein, kann ich mich nicht entsinnen.

MR. ROBERTS: Hat er nicht einmal, sagen wir, sein Bedauern ausgesprochen, einen großangelegten Luftangriff gegen eine große Hauptstadt auszuführen, ohne der Zivilbevölkerung auch nur eine Stunde vorher eine Warnung zukommen zu lassen?

MILCH: Ist mir nicht bekannt, kann mich nicht entsinnen an so ein Gespräch.

MR. ROBERTS: Das ist Mord, nicht wahr?